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Inland
Europäischer Polizeikongress in Berlin – Demonstration der Macht
Aufruf zum Protest
Von Peter Kleinert

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie ruft zu einer Demonstration gegen den 11. Europäischen Polizeikongress am 29. Januar in Berlin auf – „eine „private Veranstaltung, die so tut, als finde sie im öffentlichen Interesse statt“. Veranstaltet wird sie vom «Behörden-Spiegel», einer privaten Bonner Monatszeitung, die sich als «Leitmedium für den öffentlichen Dienst» ver- steht. Diese Zeitung, so das Komitee, bilde durch ihre starke Verbreitung im Öffentlichen Dienst, „ein Verbindungsglied für die Industrie – insbesondere
für die informationstechnische und die Sicherheitsindustrie“.

Der Europäische Polizeikongress ist zum einen eine Gelegenheit für die Industrie, ihre Produkte bei den anwesenden Repräsentanten der Innenpolitik und der Polizei unterzubringen. Der Kreis der Aussteller und Sponsoren dieser Messe reichen von EADS über SAP, Siemens und IBM bis zu Giesecke & Devrient und zur Bundesdruckerei. Diese Firmen gehören schon heute zu den Lieferanten des Sicherheitssektors. Sie sind nach Auffassung des Grundrechtekomitees „mitverantwortlich für den neuen technologischen Schub, den der Sektor der Inneren Sicherheit in den vergangenen Jahren erlebt hat: von der Videoüberwachung über die Biometrie und die Gesichtserkennung bis hin zum Digitalfunk und zu Methoden der elektronischen Datenauswertung und des Data Mining“.
 
Polizeilich-industrieller Komplex
 
Da an den diversen «Panels» dieses Kongresses nicht nur PolitikerInnen und Polizisten, sondern durchgängig auch VertreterInnen der Industrie beteiligt sind, werde der Europäische Polizeikongress immer stärker zum „Ausdruck des sich entwickelnden polizeilich-industriellen Komplexes und zu einer politischen Veranstaltung, auf der „Regierungen und Polizeien ihre Vorstell- ungen über das polizeiliche Europa zum Besten geben, ohne dass

Mögliche Teilnehmer – EU-Innenminister
Quelle: www.eu2007.pt
ihnen die davon Betroffenen ins Wort fallen“ können. Teilnehmer sind laut Selbstdarstellung Innenminister, Justiz- minister, Europaabgeord- nete, Staatssekretäre, Behördenleiter, Polizei- und Grenzschutzbehörden aus über 60 Nationen. Für das «Fachpublikum» aus «Behörden, Polizei, Militär und Botschaften» ist die Teilnahme kostenlos. Alle anderen müssten 1185 Euro plus zusätzliche Gebühren berappen, um sich in die Diskussion darüber einmischen zu können, wie die Polizei in der EU und in den Mitgliedstaaten ausgestaltet sein soll, welche Befugnisse und welche technischen Möglichkeiten sie haben soll, wie die Zuständigkeiten in dieser «europäischen Sicherheitsarchitektur» verteilt werden sollen. Von den Medien versprechen sich die Veranstalter, dass sie einmal mehr als Lautsprecher für ihre Forderungen nach noch mehr Kontrolle und Überwachung und nach noch dichteren Grenzen fungieren.

Daß sich hier Bürgerinnen und Bürger einmischen müssen, beweist nach Auffassung des Grundrechtekomitees schon ein kurzer Blick auf die Traktandenliste der Innen- und Justizpolitik der EU.  
 
Abschottung der Grenzen
 
Die restriktive Asyl- und Migrationspolitik bildet seit dem Schengener Abkommen von 1990 den Kern der EU-Innenpolitik. Die strikte Überwachung der Außengrenzen ist die polizeiliche Seite der Asyl- und Einwanderungsverhinderung, durch die jährlich Hunderte von Menschen ihr Leben bei dem Versuch verlieren, in der EU Schutz oder eine würdige Lebensperspektive zu finden. Der Anteil der Menschen, die an den Grenzen zurückgewiesen werden sollten, lag kontinuierlich über 80 Prozent. Im kommenden Jahr soll SIS 2, das Schengener Informationssystem der zweiten Generation, ans Netz gehen. Es wird auch digitalisierte Fingerabdrücke und Fotos, biometrische Daten also, enthalten. Dasselbe gilt für das auf derselben technischen Plattform betriebene Visa-Informationssystem, das spätestens nach fünf Jahren Daten über 100 Millionen Personen enthalten wird. Darin erfasst werden alle Personen, die ein Visum beantragen.


Opfer des Schengen-Abkommens von 1990
Quelle: www.jugendliche-ohne-grenzen.de

Seit 2003 in Betrieb ist Eurodac, ein System, in dem die Fingerabdrücke aller Personen gespeichert werden, die in der EU um Asyl ersuchen. Das EU-Poli- zeiamt Europol verfügt nicht nur über eine große Indexdatei sondern vor allem über «Arbeitsdateien zu Analysezwecken». In diesen Dateien können Ver- urteilte, Verdächtige und potenziell Verdächtige, ZeugInnen und potenzielle ZeugInnen sowie Hinweisgeber, Kontakt- und andere Personen gespeichert werden – also alle Menschen, die Europol für interessant hält.

Freier Datenmarkt – das Prinzip der Verfügbarkeit
 
Auf diesen Grundsatz einigte sich der EU-Ministerrat Ende 2004 im Haager Programm, dem Fünfjahresplan der EU für die Innen- und Justizpolitik. Danach sollen sich die Polizeien der Mitgliedstaaten gegenseitig Zugang zu allen Daten eröffnen, die ihnen zur Verfügung stehen. Den rechtlichen Ein- stieg in diesen einheitlichen Binnenmarkt für Polizeidaten nimmt die EU mit DNA-Profilen und Fingerabdrücken. So sieht es der Vertrag von Prüm vor, den im Juli 2005 zunächst sieben Mitgliedstaaten unterzeichneten und der derzeit in EU-Recht überführt wird.
 
DemonstrantInnen und Fußballfans Feinbild?
 
Nicht erst die Fußball-WM 2006 und der Protest gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm haben nach Ansicht des Grundrechtekomitees gezeigt, dass solche Großanlässe der EU grundsätzlich als Gefahr gelten. Sie boten den Anlass, „die Kontrollen an den Binnengrenzen wieder einzuführen, die seit dem Schengener Abkommen angeblich aufgehoben sind“. Für Demos und Sportveranstaltungen zusammengestellte EU Handbücher und Leitfäden sehen nicht nur den Austausch von Verbindungsbeamten und «Szene- kennern», sondern auch den Austausch von Personendaten vor. Um als gefährlich eingestuft und der Polizei des jeweiligen


Aufmarsch gegen „Terroristen“ in Heiligendamm
Quelle: www.schwerin-schwerin.de

Gastlandes gemeldet zu werden, muss die betreffende Person nicht wegen einer Straftat verurteilt sein. Es reicht, zufällig in eine Personenkontrolle zu geraten und danach in der jeweiligen nationalen Polizeidatei zu landen.
 
Vorratsdatenspeicherung
 
Der Bundestag hat kürzlich ein Gesetz beschlossen, mit dem er die Richt- linie der EU zur so genannten Vorratsdatenspeicherung umsetzte. Die Tele- kommunikationsfirmen müssen danach Verbindungsdaten, die beim Telefon- ieren oder beim E-Mail-Verkehr anfallen, ein halbes Jahr speichern – für den Zugriff von Polizeibehörden und Geheimdiensten. Im November 2007 hat die EU-Kommission den Entwurf eines Rahmenbeschlusses vorgelegt, wonach Fluggesellschaften verpflichtet werden, ihre Passagierdaten an neu zu schaffende Zentralstellen der Polizeien zu melden. Dort sollen sie dreizehn Jahre gespeichert werden – zum Zwecke der «Bekämpfung» von Terrorismus und organisierter Kriminalität.

„Terrorismusbekämpfung“
 
Im Jahr 2002 beschloss der EU-Ministerrat seine gemeinsame Terrorismus- definition und machte damit Strafbestimmungen über «terroristische Verein- igungen» für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Die Erfahrung mit den deutschen Paragrafen 129a und b zeige, so das Grundrechtkomitee, „dass die Zahl der Verurteilungen zwar sehr niedrig bleibt, aber eine Ausforschung ganzer Bevölkerungsgruppen und vielfältige Zwangsmaßnahmen möglich werden – eine Bestrafung ohne Urteil“. Jetzt will die EU-Kommission diesen Beschluss von 2002 um ein Delikt der «öffentlichen Aufforderung zu terroristischen Straftaten».erweitern. Für die Strafbarkeit soll dabei irrelevant sein, ob «terroristische Straftaten unmittelbar befürwortet werden.» Heiner Busch vom Grundrechtekomitee: „Wenn der Ministerrat diesem Entwurf folgt – und daran gibt es kaum Zweifel – werden einmal mehr Meinungen kriminalisiert.“

Europäischer Staat – neoliberal und autoritär
 
Die EU stützt sich nicht nur auf einen ungebremsten Binnenmarkt. Der Lissabonner Vertrag, den die EU-Regierungsspitzen 2007 unterzeichnet haben, sieht, so das Komitee, „wie der am französischen und nieder- ländischen Referendum gescheiterte Verfassungsvertrag eine militarisierte Außenpolitik und einen konsequenten Ausbau der inneren „Sicherheits- architektur“ vor. Dass das Europäische Parlament nun ein paar Mitbestimm- ungsrechte mehr erhält, ändert nichts an dem grundsätzlich neoliberalen und autoritären Charakter dieses Staatsgebildes“.

Dieser Überblick zeige, so Heiner Busch im Demonstrationsaufruf nach Berlin, dass der Europäische Polizeikongress, der vom 28.bis 30.Januar im Congress-Center stattfindet und für den per Google-Anzeige geworben wird, keine bloße private Veranstaltung ist und auch nicht im öffentlichen Interesse stattfindet: „Er ist eine Demonstration der Macht. Er ist eine Werbeveran- staltung für die zunehmende Einschränkung der Grund- und Menschenrechte aller BürgerInnen. Deshalb rufen wir zum Protest gegen den Europäischen Polizeikongress und zugleich gegen die schon lange ausufernde Entwicklung der Überwachung und Datensammlung auf.“ (PK)
 
Weitere Informationen beim Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7 - 11, 50670 Köln, Tel.: 0221 - 97269 -30, Fax: - 31
info@grundrechtekomitee.de, www.grundrechtekomitee.de

Online-Flyer Nr. 130  vom 23.01.2008

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