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Kultur und Wissen
Warum ein Kleid allen passt – eine Ausstellung von Georg Raab
99 Frauen in 1 Kleid
Von Christian Heinrici
Vernissage von „99 Frauen in 1 Kleid"
Foto: Christine Schmidt
Doch, was ist daran bemerkenswert, wenn man 99 Frauen in demselben Kleid vor einer immer gleich aussehenden Wiese fotografiert? Das Kleid ist es nicht, ist es doch weder in Form noch Farbe besonders ansprechend und könnte gut von einem Wühltisch eines sehr preiswerten Kaufhauses stammen. Es sind die Frauen, denn die Fotografien bieten dem Betrachter trotz der Uniformität der Szene, die fast zweidimensional wirkt, einen ganz besonderen Zugang zu deren Persönlichkeit. Oder vielleicht gerade wegen der Uniformität: Alle abgebildeten Frauen halten die Augen geschlossen, und um so mehr fallen andere Dinge auf, die Haltung, der Gesichtsausdruck...
Dazu dokumentierte Raab die Aussagen seiner Models auf Fragen über Mode und weibliches Selbstverständnis: „Würdest du solch ein Kleid anziehen?“ oder „Was hältst du von dem Sprichwort ‚Kleider machen Leute’?“ oder „Stell dir vor, du bist zu einer Party eingeladen. Du machst dich dafür besonders chic zurecht. Auf der Party begegnest du einer dir unbekannten Frau, die genau dasselbe an hat wie du. Wie würdest du dann reagieren?“
Daniela
Foto: Georg Raab
Daniela (Auszug): „Ja, das Kleid gefällt mir, und es trifft auch zu, dass Kleider Leute machen... Ich denke aber nicht, dass man, um jemand zu sein, etwas Supertolles tragen muss, denn letztendlich ist die Persönlichkeit, die ein Kleidungsstück ausfüllt, entscheidend... Als ich zwischen siebzehn und zwanzig Jahre alt war, lief ich betont unweiblich herum. Schlabberlook. In der Zeit politischer Bewegung pflegte ich meine eigene Kultur und kreierte konsequenterweise auch meine eigene Kleidung. Dann kam die HipHop-Bewegung – da habe ich mich bewusst provokativ gekleidet, um mein Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Ich ziehe an, was mir gefällt... Wenn ich... einer anderen Frau begegnete, die dasselbe tolle Outfit an hätte wie ich? – Ich wäre amüsiert.“
Karin
Foto: Georg Raab
Karin (Auszug): „Nein. Der Stoff ist zwar schön, aber die Farbe gefällt mir nicht. Wenn ich dieses Kleid tragen würde, hätte ich das Gefühl, mich herabzusetzen, weil es nicht zu mir passt. Schließlich machen Kleider Leute. Und Kleidung wirkt ja auch immer durch denjenigen, der sie trägt. Sie kann die entsprechende Person natürlich auch aufwerten... Wenn ich auf einer Party einer anderen Frau begegnete, die genau dasselbe Kleid anhätte wie ich, würde mich das überhaupt nicht stören. So was fände ich einfach lustig, denn ich empfinde gegenüber anderen Frauen keinerlei Konkurrenzdenken.“
Das Kleid und die Frauen (von rechts nach links)
Foto: Lars Käker
Das „System Raab“
Die Bilder, das immergleiche Kleid vor immergleicher Wiese, in dem zwar immer andere Modelle stecken, denen aber immer dieselben Fragen gestellt wurden, die Fotografien in akkuratem und immergleichem Abstand zueinander gehängt – diese Art der seriellen Kunst ist fester Bestandteil des „Systems Raab“: „In seinen Fotos und Texten setzt er sich mit Systematisierung, Ordnung, Schematisierung und dem Raster-Charakter der Gesellschaft auseinander, das gerade die 100 Frauen [1] gleichfalls zeigen und durchbrechen.“, sagte Eva-Maria Weilemann im Jahre 2002 in einer Laudatio.
So regen die „99 Frauen in 1 Kleid“ zum Nachdenken über die Gesellschaft an, über Funktion und Funktionieren, Sinn und Unsinn. Und auch das gehört zum „System Raab“ – es ist eine sehr philosophische Kunst, die nachdenklich stimmt, vorgeblich neutral betrachtet, vielleicht lakonisch, doch aber immer mit einem Augenzwinkern und dem dem Künstler ganz eigenen Humor versehen. „Passt schon!“, schrieb Raab auf unzählige ausgeschnittene Fotos des Modell-Kleids, die er an die Besucher der Vernissage verteilte.
Adrienne Brehmer – eindrucksvoller Vortrag
Foto: Lars Käker
Wirklich passend wiederum war die Lesung dreier Kölner Autorinnen auf der Ausstellungseröffnung am 23. 9. Julja Schneider, Talishja van Aaken und Adrienne Brehmer lasen Lyrik und Prosa zum Thema Frauen, Stofftiere und Beziehungen. Apropos, wie so oft soll auch hier die Frau das letzte Wort haben, im konkreten Fall Adrienne Brehmer:
Dinkas Ding
Dinka isst Dinkel
weil Dinka Dinkel isst
ist Dinka nicht dick
Dinkel ist Dinkas Ding
weil Dinkel Dinkas Ding ist
isst Dinka
Dinkeldinge
Dinkadinkeldinge
weil Dinka Dinkadinkeldinge isst
ist Dinkel Dinkas Ding
Dinkas Ding ist Dinkel
weil Dinka Dinkel isst
ist Dinka Dinka
Dinkadinkadinkeldinge
Dinka denkt Dinkadinkadinkeldinge
weil Dinka Dinkadinkadinkeldinge denkt
isst Dinka Dinkadinkadinkeldinge
Dinka denkt Dinka dankt
weil Dinka denkt
dankt Dinka
Dinkadenkdank
Dinka isst Dinkel
weil Dinka Dinkel isst
ist Dinkel Dinkas Ding
© Adrienne Brehmer, 2007
[1] Aus dem ursprünglichen Projekt „100 Frauen in 1 Kleid“ wurden später 99.
(CH)
Online-Flyer Nr. 114 vom 27.09.2007
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Kultur und Wissen
Warum ein Kleid allen passt – eine Ausstellung von Georg Raab
99 Frauen in 1 Kleid
Von Christian Heinrici
Vernissage von „99 Frauen in 1 Kleid"
Foto: Christine Schmidt
Doch, was ist daran bemerkenswert, wenn man 99 Frauen in demselben Kleid vor einer immer gleich aussehenden Wiese fotografiert? Das Kleid ist es nicht, ist es doch weder in Form noch Farbe besonders ansprechend und könnte gut von einem Wühltisch eines sehr preiswerten Kaufhauses stammen. Es sind die Frauen, denn die Fotografien bieten dem Betrachter trotz der Uniformität der Szene, die fast zweidimensional wirkt, einen ganz besonderen Zugang zu deren Persönlichkeit. Oder vielleicht gerade wegen der Uniformität: Alle abgebildeten Frauen halten die Augen geschlossen, und um so mehr fallen andere Dinge auf, die Haltung, der Gesichtsausdruck...
Dazu dokumentierte Raab die Aussagen seiner Models auf Fragen über Mode und weibliches Selbstverständnis: „Würdest du solch ein Kleid anziehen?“ oder „Was hältst du von dem Sprichwort ‚Kleider machen Leute’?“ oder „Stell dir vor, du bist zu einer Party eingeladen. Du machst dich dafür besonders chic zurecht. Auf der Party begegnest du einer dir unbekannten Frau, die genau dasselbe an hat wie du. Wie würdest du dann reagieren?“
Daniela
Foto: Georg Raab
Daniela (Auszug): „Ja, das Kleid gefällt mir, und es trifft auch zu, dass Kleider Leute machen... Ich denke aber nicht, dass man, um jemand zu sein, etwas Supertolles tragen muss, denn letztendlich ist die Persönlichkeit, die ein Kleidungsstück ausfüllt, entscheidend... Als ich zwischen siebzehn und zwanzig Jahre alt war, lief ich betont unweiblich herum. Schlabberlook. In der Zeit politischer Bewegung pflegte ich meine eigene Kultur und kreierte konsequenterweise auch meine eigene Kleidung. Dann kam die HipHop-Bewegung – da habe ich mich bewusst provokativ gekleidet, um mein Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Ich ziehe an, was mir gefällt... Wenn ich... einer anderen Frau begegnete, die dasselbe tolle Outfit an hätte wie ich? – Ich wäre amüsiert.“
Karin
Foto: Georg Raab
Karin (Auszug): „Nein. Der Stoff ist zwar schön, aber die Farbe gefällt mir nicht. Wenn ich dieses Kleid tragen würde, hätte ich das Gefühl, mich herabzusetzen, weil es nicht zu mir passt. Schließlich machen Kleider Leute. Und Kleidung wirkt ja auch immer durch denjenigen, der sie trägt. Sie kann die entsprechende Person natürlich auch aufwerten... Wenn ich auf einer Party einer anderen Frau begegnete, die genau dasselbe Kleid anhätte wie ich, würde mich das überhaupt nicht stören. So was fände ich einfach lustig, denn ich empfinde gegenüber anderen Frauen keinerlei Konkurrenzdenken.“
Das Kleid und die Frauen (von rechts nach links)
Foto: Lars Käker
Das „System Raab“
Die Bilder, das immergleiche Kleid vor immergleicher Wiese, in dem zwar immer andere Modelle stecken, denen aber immer dieselben Fragen gestellt wurden, die Fotografien in akkuratem und immergleichem Abstand zueinander gehängt – diese Art der seriellen Kunst ist fester Bestandteil des „Systems Raab“: „In seinen Fotos und Texten setzt er sich mit Systematisierung, Ordnung, Schematisierung und dem Raster-Charakter der Gesellschaft auseinander, das gerade die 100 Frauen [1] gleichfalls zeigen und durchbrechen.“, sagte Eva-Maria Weilemann im Jahre 2002 in einer Laudatio.
So regen die „99 Frauen in 1 Kleid“ zum Nachdenken über die Gesellschaft an, über Funktion und Funktionieren, Sinn und Unsinn. Und auch das gehört zum „System Raab“ – es ist eine sehr philosophische Kunst, die nachdenklich stimmt, vorgeblich neutral betrachtet, vielleicht lakonisch, doch aber immer mit einem Augenzwinkern und dem dem Künstler ganz eigenen Humor versehen. „Passt schon!“, schrieb Raab auf unzählige ausgeschnittene Fotos des Modell-Kleids, die er an die Besucher der Vernissage verteilte.
Adrienne Brehmer – eindrucksvoller Vortrag
Foto: Lars Käker
Wirklich passend wiederum war die Lesung dreier Kölner Autorinnen auf der Ausstellungseröffnung am 23. 9. Julja Schneider, Talishja van Aaken und Adrienne Brehmer lasen Lyrik und Prosa zum Thema Frauen, Stofftiere und Beziehungen. Apropos, wie so oft soll auch hier die Frau das letzte Wort haben, im konkreten Fall Adrienne Brehmer:
Dinkas Ding
Dinka isst Dinkel
weil Dinka Dinkel isst
ist Dinka nicht dick
Dinkel ist Dinkas Ding
weil Dinkel Dinkas Ding ist
isst Dinka
Dinkeldinge
Dinkadinkeldinge
weil Dinka Dinkadinkeldinge isst
ist Dinkel Dinkas Ding
Dinkas Ding ist Dinkel
weil Dinka Dinkel isst
ist Dinka Dinka
Dinkadinkadinkeldinge
Dinka denkt Dinkadinkadinkeldinge
weil Dinka Dinkadinkadinkeldinge denkt
isst Dinka Dinkadinkadinkeldinge
Dinka denkt Dinka dankt
weil Dinka denkt
dankt Dinka
Dinkadenkdank
Dinka isst Dinkel
weil Dinka Dinkel isst
ist Dinkel Dinkas Ding
© Adrienne Brehmer, 2007
[1] Aus dem ursprünglichen Projekt „100 Frauen in 1 Kleid“ wurden später 99.
(CH)
Online-Flyer Nr. 114 vom 27.09.2007
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