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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Globales
Internationale Kampagne zur Unterstützung russischer Antifaschisten
„Internationale Unterstützung ist lebenswichtig“
Von Bruno Garmson

Soviel die Regierung Putin und ihre Massenmedien auch bemühen, um das Bild eines vereinigten Russlands, gekrönt durch seinen Sieg über den Hitlerfaschismus, zu kreieren – der jetzt schon über sechzig Jahre her ist –, die täglichen Berichte über Verletzungen, Terror und Morde durch Nazis sprechen eine andere, alarmierende Sprache. Die paradoxe Koexistenz eines national gefeierten Antifaschismus von Oben und der Tolerierung von Nazi-Gangs ist jedoch erklärbar. Beiden gemeinsam ist die Förderung eines Nationalismus, der die Gefühle der Niederlage nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems 1991 heilen soll.
Nationalismus statt Demokratie
 
Sowohl in der Regierungspolitik als auch innerhalb der Nazi-Bewegung werden Mythen über die Verteidigung der „russischen Identität“ und die „Interessen der russischen Nation“ gesponnen, die an Stelle des Föderalismus und der Stimmung demokratischer Emanzipation treten sollen, die Russlands Fortschritt in den frühen 1990er Jahren charakterisiert haben.

 
Antifaschismus Russland
Aufruf der DPNI zum alljährlichen
faschistischen "Russland-Marsch"
Der rapide Niedergang der jungen russischen Demokratie, der einher ging
mit den krassen Menschenrechts- verletzungen im Zuge des Tschetschenien- Feldzugs durch die Regierung, der Übertragung nie da gewesener Macht an den Geheim- dienst durch das Parlament, der Abschaffung gewählter Führungskräfte (Gouverneure, Bürgermeister usw.), der Einführung von Zensur, politischen Schauprozessen und Morden, veränderte die politische Atmosphäre völlig und ermöglichte es den Nazis und ihren rechtsextremen Verbündeten, Kampagnen durchzuführen und unter dem Deckmantel des Nationalismus Morde zu begehen, von denen viele nicht bestraft werden.


Außerhalb Russland ist das nicht immer leicht zu verstehen.
 
Kampf der Menschlichkeit gegen die faschistische Barbarei
 
In den heroischen Geschichten über den Großen Vaterländischen Krieg gegen die Deutschen 1941 bis 1945, die fast jeden Abend über russische Fernsehschirme flackern, fällt es heute schwer, andere Beweggründe auszumachen als „die Verteidigung des Vaterlands“.
 
Unglücklicherweise sind nur noch wenige Augenzeugen übrig, die die aufrichtige antifaschistische Begeisterung beschreiben könnten, die sie während des spanischen Bürgerkriegs für die Sache der Republik empfanden, oder die gemeinsame Überzeugung zu vermitteln, die während des Zweiten Weltkriegs herrschte, dass nämlich die Nazis die russischen Bürger als Untermenschen versklaven und auslöschen wollten, und zu erklären, warum genau aus diesem Grund der antifaschistische Kampf vor allem ein Kampf der Menschlichkeit gegen die faschistische Barbarei war.
 
Russische Nazis nutzen heute in ihrer Propaganda die offiziellen nationalistischen Mythen, die den Krieg als Beleg preisen, sowohl für die Überlegenheit Russlands als auch dafür, wie das Stalin-Regime das ganze russische Volk in die Irre geführt und Millionen von Soldaten und Zivilisten im Kampf gegen Hitlers antibolschewistischen Kreuzzug geopfert habe, um die Russen „zu befreien“.
Antifaschismus Russland
,Sowjetische Patrioten wählen die
Nationalsozialistische Gesellschaft'

Unwissenheit über die sowjetische Geschichte, fehlende Analyse der Theorie
 
und Praxis des Faschismus und die Reduzierung des Begriffs „Antifaschismus“ auf ein Synonym eines nationalistischen Kampfs gegen die Feinde Russlands machen es schwer, solch offensichtlichen Lügen entgegenzutreten.
 
Im Fadenkreuz der Angriffe
 
Die Entscheidung für einen echten Antifaschismus, der den Nationalismus herausfordert und den Nazismus niederstreckt, ist riskant. Solch „regimekritisches“ Verhalten bedeutet, als „verdächtige Opposition“ der Politik Präsident Putins und des Staates angesehen zu werden und – durch die Definition als „Extremist“ – mit den Nazis in einen Sack gesteckt zu werden. Dem Faschismus offen entgegenzutreten, bedeutet, von den gewalttätigen Nazigangs aufs Korn genommen zu werden, die am helllichten Tag auf der Suche nach Opfern durch Straßen der russischen Städte patrouillieren.
 
Junge Antifaschisten haben begonnen, sich mit Gegenangriffen zu wehren, als Vergeltung für die Gewalt, die sie erfahren. Die mutige Haltung junger russischer Antifaschisten gegenüber der unerbittlich steigenden Straßengewalt der Nazi-Banden wird oft zum Gegenstand von Prozessen. In einigen Fällen, wie bei der tödlichen Messerstecherei, die zum Tod von Timur Kacharava führte, einem jungen antifaschistischen Musiker, brauchte die Staatsanwaltschaft für die Vorbereitung des Verfahrens achtzehn Monate. Andere Fälle, wie der Prozess gegen die Mörder des Antifaschisten Sasha Ryukhin in Moskau, kommen relativ schnell zur Verhandlung.

Halbherzige Strafverfolgung
 
Das Ergebnis der Verfahren gegen Nazi-Mörder ist häufig durch die Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft vorherbestimmt; meist sind es dieselben: „Rowdytum“ (gewalttätige Störung der öffentlichen Ordnung) oder „Beihilfe zum Rowdytum“.
 
Weder der Kreml noch die Duma üben auf die Staatsanwaltschaft echten Druck aus, die Gesetze gegen rassistische Verbrechen zur Anwendung zu bringen; Verhandlungen zwischen Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern über Zusammenarbeit im Prozess sind weit verbreitet. Schließlich und endlich mangelt es auch an Druck seitens der Antifaschisten, die – aufgrund des Fehlens einer tief verwurzelten demokratischen Kultur in Russland – in die Untersuchungen und Gerichtsverfahren kaum einbezogen werden.
 
Nikola Girenko Antifaschismus Russland
Nikolai Girenko
von Faschisten ermordet
Hier in St. Petersburg haben Antifaschisten seit den frühen 1990ern als Sachverständige bei der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden mitgewirkt, einige ihrer Kampagnen, z.B. gegen die Verwendung faschistischer Symbole in der Öffentlichkeit und den Verkauf rassistischen Propagandamaterials, haben Erfolge gezeigt. Die Nazis haben auf diese Rückschläge 2004 mit der Ermordung Nikolai Girenkos reagiert, damals der bekannteste Antifaschist, der mit den Strafverfolgungsbehörden in Verfahren gegen Faschisten zusammenarbeitete.
 

Kapitulation wäre teurer

 
Jetzt tritt eine neue Generation junger Antifaschisten auf den Plan, die sich den Nazis in den Gerichten und auf den Straße entgegenstellt. Ihre Kämpfe sind unbedingt notwendig – die Alternative wäre Kapitulation – aber teuer. Es kostet viel Geld an den Gerichtsverfahren teilzunehmen, selbst wenn die Rechtsanwälte kein Honorar verlangen. Am Verfahren gegen die Mörder Timur Kacharavas konnten dessen Familie und Freunde dank antifaschistischer Spenden am Verfahren als Nebenkläger teilnehmen und mithelfen, seinen Mörder festzunageln.
 
Nicht nur die Nazis werden vor Gericht gestellt. Immer häufiger werden Antifaschisten wegen ihres körperlichen Widerstands gegen die faschistischen Aktivitäten festgenommen. Ein Ermittlungsverfahren gegen drei junge Antifaschisten in Petersburg, denen vorgeworfen wurde, eine Mahnwache des faschistischen Dachverbands, der Kampagne gegen illegale Einwanderung (DPNI), gestört zu haben, wurde im Juni eingestellt. Dank solidarischer Spenden konnte sich einer der Beschuldigten einen Anwalt leisten.
 
 

 
Es gibt in Russland keine großen Gewerkschaften,  Arbeiterbewegun- gen oder langjährige antirassistische Strukturen mit demokratischer, antifaschistischer Tradition, an die wir uns mit der Bitte um Hilfe wenden können. Daher sind wir auf uns allein angewiesen und auf die internationale antifaschistische Bewegung.
 
Die Unterstützung durch unser Brüder und Schwestern, Genossen und Freunde im Ausland ist überlebenswichtiger und wertvoller denn je. (YH)

Hartmut Bart-Engelbart Antifa-Net sammelt Spenden für die Antifaschis- ten in Russland. Diese brauchen finanzielle Unterstützung für Flugblätter, Kampagnen und Rechtsanwälte, sowie eine moderne, Computer-vernetzte Arbeits- und Infrastruktur.
Spenden können geschickt werden an:

Russian Human Rights Solidarity Campaign
c/o Searchlight,
PO Box 1576,
Ilford Essex IG 5 0NG, Großbritannien

 
Spenden können auch hierhin überwiesen werden:
Russian Human Rights Solidarity Campaign
Branch Sort Code 40-04-36
Konto-Nr. 41 28 44 79

oder per
PayPal über die Website von Searchlight.

Antifa-Net – Das International Antifascist Network for Research and Action wurde im Januar 2004 gegründet. Es hat Mitglieder in Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Norwegen, Dänemark, Frankreich, Schweden, Polen, Russland und den USA. Searchlight ist sein britischer Vertreter.

Bruno Garmson, St. Petersburg, ist in der dortigen Antifa-Gruppe "Antifascist Motive" aktiv und berichtet für internationale, antifaschistische Zeitschrift Searchlight, in der auch die englische Fassung dieses Artikels erschienen ist, über die dortigen Entwicklungen. Searchlight ist der richtige Ort, um Informationen über die extreme Rechte im eigenen und im Ausland zu finden. Die Zeitschrift erscheint monatlich seit 1975.

Aus dem Englischen von Endy Hagen | Fotos:(c) Searchlight/Jean Raymond

Online-Flyer Nr. 113  vom 19.09.2007

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