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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Lokales
Im nördlichsten Stadtteil Kölns
Meine St. Pauli-Karte und ich
Von Hermann

Als die vergangene Saison für den 1.FC Köln in Bayern begann (ich glaube zumindest, dass Augsburg in Bayern liegt, sollte es Franken oder ähnliches sein, bitte ich schon mal für eventuell verletzte Gefühle um Entschuldigung), verbrachte ich grade meinen Urlaub in Nordfriesland und ärgerte mich beinahe gleichermaßen darüber, dass ich beim Saisonauftakt und den beiden darauffolgenden Partien nicht dabei sein konnte, und dass ich mangels Eintrittskarten kein Spiel der WM „im eigenen Land" im Stadion verfolgt hatte. 
In diesem Jahr waren die Vorzeichen zwar ähnlich – ich weilte zum Saisonbeginn wieder in Nordfriesland – die Voraussetzungen aber ungleich besser. Zum einen hatte mein Verein sein erstes Ligaspiel nicht weit von mir im schönen Hamburger Stadtteil Sankt Pauli zu bestreiten, und zum anderen – was entscheidend war – war ich stolzer Inhaber einer Karte für diese Begegnung. Vergessen war auf einmal die Schmach, mit leeren Händen und hängenden Schultern vergangenen Sommer durch die Straßen der „WM-Stadt Köln" schleichen zu müssen – das hier wog bedeutend mehr.
 
Zweitligakick mehr als WM-Spiel
 
Ein Schönwetterländerspielgucker kann an dieser Stelle vielleicht nicht nachvollziehen, wie einem der Besuch eines schnöden Zweitligakicks mehr bedeuten kann als der eines epochalen Ereignisses, für das man ein WM-Spiel halten könnte. Aber einerseits ist es für mein seelisches Gleichgewicht um einiges wichtiger, einer Partie meines Vereins beizuwohnen (grade gegen einen so sympathischen Gegner), als mir für teuer Geld beispielsweise Ukraine gegen die Schweiz angucken zu müssen, und andererseits waren die Chancen für Kölner, an eine Karte zu diesem Spiel in der Hansestadt zu gelangen, noch viel kleiner als bei der Weltmeisterschaft. Klingt komisch, war aber so. 


Schlecht fotografiert, aber viel lustiger als Stalingrad
Foto: Hermann
 
Für die Statistiker: Sepp Blatter behauptete, die Chancen, an wenigstens ein WM-Ticket zu kommen, stünden bei eins zu drei. Diese Zahlen sind vermutlich stark geschönt, aber ein Chancenverhältnis von eins zu fünfundzwanzig wurde wohl kaum erreicht. Beim Spiel FC St. Pauli – 1.FC Köln stürzten sich nach Vereinsangaben sechsundzwanzigtausend Menschen über Internet und Telefon auf grade mal eintausend Karten, die in den Kölner Mitgliedervorverkauf gingen. Das bedeutet wohl, dass dafür, dass ich das Glück hatte, ein Ticket bestellen zu können, fünfundzwanzig andere leer ausgingen. Ich würde an dieser Stelle gerne mein Mitgefühl zum Ausdruck bringen und mit der Erkenntnis trösten, dass dieses Spiel mit entspanntem Vergnügen und Souveränität aber auch gar nichts gemein hatte.
 
FC-Ticket per Einschreiben mit Rückschein
 
Ein bisschen Angst hatte ich dann doch noch um meine Karte, denn unmittelbar nach dem Bestellen fuhr ich in Urlaub (wie angesprochen nach Nordfriesland), und das Fan-Projekt des 1.FC Köln verschickte entgegen seinen Gewohnheiten die Tickets als Einschreiben mit Rückschein. Nur dem selbstlosen Einsatz und dem Mut meiner Lieblingsnachbarin J., die meine Unterschrift auf dem Abholschein fälschte, habe ich zu verdanken, dass wir (meine St. Pauli-Karte und ich) doch noch zusammenfanden.
 
So konnte ich mich also frohen Mutes auf den Weg nach Hamburg machen, denn noch ein weiterer Meilenstein im Leben eines jungen Mannes aus der Domstadt lag unmittelbar vor mir: der Besuch des heimlichen Mekkas der Kölner, des nördlichsten Stadtteils meiner Heimatstadt. Ein Leser mit klassischer geografischer Bildung könnte jetzt einwerfen, dass die Reise von Nordfriesland über Worringen nach Hamburg einen nicht unerheblichen Umweg darstellen dürfte. Das mag sein, aber Worringen ist lange nicht der nördlichste Stadtteil Kölns. Um den leicht geänderten Verlauf der Stadtgrenzen zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen.
 
Hommage an Köln mit Genehmigung des OB
 
Bereits vor einigen Jahren verließ mein Schulfreund P. die große Stadt am Rhein um in der noch größeren Stadt an der Elbe sein Glück zu suchen. Dort errichtete er gleichermaßen aus Heimweh, als Hommage an seine Heimatstadt, zur Feldforschung und als Studienobjekt in seiner Küche ein kölsches Büdchen, das sich sehr schnell zum beliebten samstäglichen Treffpunkt der Creme de la Creme der brotlosen Kulturschaffenden beider Metropolen entwickelte. Um den offiziellen Rahmen dem aus Kölner Brauereiprodukten, Druckerzeugnissen und musikalischen Kompositionen bestehenden schöngeistigen Rahmen anzupassen, rang P. mit Hilfe eines geduldigen Advokaten dem OB-Bürgerbüro der Stadt Köln die schriftliche Bestätigung ab, das es sich bei seiner Küche um den nördlichsten Stadtteil Kölns handele, wodurch sich der geografische Mittelpunkt der Domstadt wohl von der Deutzer Freiheit irgendwo in die Nähe von Osnabrück verlagert haben dürfte.
 
Meine Pilgerfahrt zum nördlichsten Stadtteil Kölns habe ich nun also hinter mir, kann ab jetzt die Hände in den Schoß legen und mein restliches Leben auf mich zukommen lassen. Alle, die es mir gleich tun möchten, muss ich an dieser Stelle leider enttäuschen. Da es sich hierbei um einen flächenmäßig recht überschaubaren Stadtteil handelt, der nebenbei auch noch P. zur Zubereitung von Speisen dient, ist der Besuch, anders als in Mekka oder Santiago de Compostella, nur nach ausdrücklicher persönlicher Einladung des Bürgermeisters und einzigen ständigen Bewohners des nördlichsten Stadtteil Kölns möglich. Wer aber in diesen Genuss kommt, hat für seine Enkelkinder später unterhaltsamere Erlebnisse zu berichten als den doofen Russlandfeldzug. (PK)

Online-Flyer Nr. 108  vom 15.08.2007

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