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Arbeit und Soziales
Hartz IV ist ein Erfolg – doch es fragt sich, für wen
345 Euro im Monat reichen nicht
Von Brigitte Vallenthin

Um die Situation klar zu stellen: Hartz IV ist keineswegs ein Misserfolg. Die Wahrheit ist: Hartz IV ist eine Erfolgsgeschichte – nämlich ein Erfolg im Sinne ihrer Erfinder! Diese Erfinder sind alle mit Macht ausgestattete Politplayer mit eigenen Interessen oder gewissen Abhängigkeiten. Herr Dr. Peter Hartz von Volkswagen wurde durch sein „Ein schöner Tag für Arbeitslose" bekannt. Bis heute folgt in diesem Sinne kritiklos die Mehrheit der Medien. Die Wahrheit für die Betroffenen ist allerdings bitter. 
Dass Hartz-IV auch ein Erfolg für die Erwerbslosen sei, versuchen die PR-Strategen der Politik unermüdlich weis zu machen, damit sie nicht ihre Wählerstimmen verlieren. Früher hieß es „Brot und Spiele". In neuerer Zeit war Tittytainment das Zauberwort, das der Berater des damaligen US-amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter auf der Konferenz der Welt-Wirtschafts-Weisen erfand, zu der die Gorbatschow-Stiftung 1995 (Stiftungsziel: Bekämpfung der Armut) nach San Francisco eingeladen hatte. 

Ein zynisches Wortgebilde aus Abfüttern und Ablenken. Bereits damals wussten diese rund 500 Experten nämlich, was wir jetzt immer deutlicher feststellen dürfen: Es gibt für immer mehr Menschen keine Arbeit mehr, von der sie leben können. Auch was noch auf uns zukommen wird und schon damals in politische Planspiele einbezogen wurde, war nämlich, dass künftig ausreichende Arbeit noch viel weniger vorhanden sein wird. Diese „Visionen“ wurden mit dem Terminus der 80:20-Gesellschaft beschrieben. Und das bedeutet: es werden nur noch 20 Prozent der Menschen gebraucht. Die restlichen 80 Prozent sind überflüssig und müssen deshalb von Frust und befürchtetem Protest abgelenkt werden – eben mit Tittytainment.


Brigitte Vallenthin: Schreibt und klagt
Foto: Ilona Surrey
 
 
Keine 10 Jahre hat es gebraucht, bis wir berlusconisch eingedudelt, christiansenisch politverdummt und hartzlich gerade mal am Hungern gehindert werden. Deutschland von Rot über Grün, Gelb bis Schwarz hat sich geeinigt, dafür nicht mehr als 345 Euro pro „Verwaltungsakte“ und Monat, also einen neuen „Kunden" der Arbeitsagentur, auszugeben. Rasch sind Statistiken passend und Studien ausfindig gemacht, die festschreiben, dass auch im Jahre 2007 der Sozialhilfesatz auf der Basis von 1997 zu gelten hat, ausreichend genug für eben den 80er-Teil der Gesellschaft. Grundrechte und Menschenwürde: Adee!
 
Und um einigen Hartz-IV deutlich zu machen, die es immer noch nicht verstanden haben: Für Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren, alkoholische Getränke ist ein theoretischer Monatsbedarf von 132,71 Euro festgesetzt, nach Untersuchungen von Arbeitslosen-Initiativen kommt man selbst mit Billigernährung zu Discounter-Preisen nicht unter 260 Euro. Täglich muss man also mit 4,36 Euro auskommen, tatsächlich wären aber 8,54 Euro erforderlich. Auch von der Kommunikation werden Hartz-IV-Empfänger weitgehend ausgeschlossen. Während amtlich von monatlich ca. 22 Euro ausgegangen wird, ergeben Untersuchungen einen Bedarf von über 50 Euro. Gleiches gilt für Fahrkarten. Im Regelsatz sind 19,20 Euro vorgesehen, in Wirklichkeit sind keine Monatskarten unter 30 Euro zu haben. Dass dies mit der Realität nichts mehr zu tun hat, liegt auf der Hand.
 
Schlimmer noch sind Kinder betroffen. So passiert es schon mal, dass eine Mutter mit Bezug von Hartz IV die 363 Euro für ihre drei schulpflichtigen Kinder nach den Ferien nicht aufbringen kann, weil dies im Regelsatz nicht vorgesehen ist. Denn sie hätte von ihrem Regelsatz eben monatlich 1,63 Euro dafür zurücklegen müssen. Wer rechnen kann: Der Mutter fehlen dann immer noch 500 Euro, was der Verwaltung offensichtlich gleich ist.


Kämpferisch, weil Frauen besonders durch Hartz-IV betroffen sind
Foto: H.-D. Hey, arbeiterfotografie.com


Seit Jahren macht sich deshalb deutlich Unruhe im Lande breit. Nach dem Motto: „Wir sind das Volk“ wird montagsdemonstriert und alleine 2006 rund 100.000mal vor den Sozialgerichten geklagt. Unter anderem auch gegen den mageren Regelsatz von 345 Euro. Man rechnet auf die Einsicht der Richter – höhere Instanzen eingerechnet. Und die werden aufgefordert, zu überprüfen, wie weit der „abstrakte Regelsatz“ vom „tatsächlich konkret marktverfügbaren Mindestbedarf“ abweicht. Mit der Klage sollen die Gerichte eine rechtliche Bewertung vor dem Hintergrund des Grundgesetzes vornehmen. Prozessziel soll ein Regelsatz von rund 675 Euro sein, um den millionenfach Hartz-IV-Geängstigten die Menschenwürde zurück zu geben und eine ausreichende Lebensgrundlage und Teilhabe an der Gesellschaft zu gewährleisten. Es taucht dabei ein weitere Hürde auf: Ob allerdings ein höheres Gericht den Mut hat und sich gegen den politischen Hartz-IV-Willen der Parteien stellt, ist äußerst fraglich und wird mehr denn je deutlich machen, ob die Menschen nicht noch mehr Kraft aufwänden müssen, um sich zu wehren.
 
In Berlin wird derzeit wieder mehr über Hartz IV geredet, weil die zunehmende Kinderarmut deutliche Spuren in der Gesellschaft hinterlässt. Diesmal nicht wie im vergangenen Jahr, um den Regelsatz zu drücken, sondern um eine Erhöhung zu „überprüfen“. Dass allein die Preissteigerungen bei den Lebensmitteln die Diskussion in Gang gesetzt haben, ist wegen der Klagewelle und gestiegenen Unruhe eher unwahrscheinlich. In Kürze darf man gespannt erwarten, welche Argumente dem erstinstanzlichen Richter zur Verteidigung des „ausreichenden“ 345-Euro-Satzes einfallen werden. Derweil schwappt eine gigantische, täglich anwachsende Solidaritätswelle von allen Arbeitslosengruppen der Republik nach Wiesbaden. Dort nämlich soll ein Regelsatz von 675 Euro im Monat eingeklagt werden.
 
Dass die Parteien mal soeben nebenbei die Parteienfinanzierung um 20 Mio. Euro erhöhen möchten, zeigt, wie sehr man sich in Berlin von den wirklichen Problemen der Menschen entfernt hat. Es wäre jetzt an der Zeit, politisch ein deutlicheres Signal für einen Wandel in der diskriminierenden Hartz-IV-Politik zu setzen. Ein erster Schritt könnte die Erhöhung des Regelsatzes sein. (HDH)

Online-Flyer Nr. 109  vom 22.08.2007

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