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Inland
Vor 20 Jahren starb der IG Medien-Vorsitzende Leonhard Mahlein
"Auf die eigene Kraft vertrauen"
Von Franz Kersjes
Vor zwanzig Jahren, am 18. Dezember 1985, starb Leonhard Mahlein im Alter von 64 Jahren an einem Herzinfarkt. In einem Nachruf sagte Willy Brandt: "Die deutsche Gewerkschaftsbewegung hat mit Leonhard Mahlein eine ihrer markanten Persönlichkeiten verloren. Er gehörte zu jenen führenden Gewerkschaftern, die, geprägt durch den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, den Gewerkschaften nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Gewicht und Bedeutung gegeben und mit dafür gesorgt haben, dass das Sozialstaatsgebot unseres Grundgesetzes nicht lediglich Verfassungsbuchstabe blieb, sondern Verfassungswirklichkeit wurde."
Leonhard Mahlein, den seine Freunde und Kollegen liebevoll Loni nannten, wurde am 4. April 1921 in Nürnberg geboren. Sein Vater war Hilfsarbeiter bei der Güterabfertigung der Eisenbahn. Nach dem Besuch der Volksschule lernte Loni den Beruf des Buchdruckers. Er wurde zum Kriegsdienst eingezogen und 1941 mehrfach verletzt. Schwer verwundet kam er bei Kriegsende heim. Als Sohn eines im NS-Staat verfolgten Kommunisten trat Mahlein wie selbstverständlich der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei, die er wenig später im Nürnberger Jugendparlament vertrat. Außerdem schloss er sich 1946 der IG Druck und Papier an, zu deren ersten Mitgliedern in Nürnberg er gehörte. Mahlein vertrat sehr engagiert das Prinzip der Einheitsgewerkschaft.
Im Jahr 1952 trat Loni Mahlein aus der KPD aus. Es war die Zeit der Auseinandersetzung über die Gewerkschaftsfrage (These 37) in der Partei. Später schilderte er die Situation in einem Interview mit Frieder Hitzer (im "Kürbiskern", 1983): "Und so entstand der Konflikt: Auf der einen Seite fühlte ich mich als Parteifunktionär, der die Politik der KPD in der Gewerkschaft zu vertreten hatte, auf der anderen Seite war ich gewählter Gewerkschaftsfunktionär, der die Beschlüsse der Gewerkschaft zu vertreten hatte. Aus diesen beiden Funktionen heraus hat es bei mir Schwierigkeiten gegeben." Mahleins Schritt war also keine Abwendung von politischen Erkenntnissen und Grundüberzeugungen, sondern ein Bekenntnis zur Einheitsgewerkschaft.
1968 wurde Mahlein zum Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Druck und Papier gewählt. Er gehörte zweifellos zu den starken Persönlichkeiten einer kämpferischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Unter seiner Führung entwickelte sich die IG Druck und Papier zu einer selbstbewussten und politisch aktiven Gewerkschaft, die in vielen Bereichen eine Avantgarderolle einnahm. Zu seinem Lebenswerk gehört vor allem die Umwandlung der traditionellen Facharbeitergewerkschaft in eine moderne Mediengewerkschaft. Die Gründung der IG Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst konnte er Anfang Dezember 1985 noch miterleben.

Leonhard Mahlein -
"Einer wie Loni bleibt unvergessen"
Foto: Archiv Kersjes
Drei harte Arbeitskämpfe
Keiner der zahlreichen Nachrufe, die nach seinem Tod in den Medien erschienen, hat unerwähnt gelassen, dass Mahlein in seiner 15jährigen Zeit als Vorsitzender der IG Druck und Papier drei Arbeitskämpfe geführt hat: 1973 genügten wenige Stunden Streik, um eine Lohnerhöhung von 10,8 Prozent sowie eine zusätzliche Anhebung der unteren Lohngruppen und der Ausbildungsvergütungen durchzusetzen. 1976 kam es zu dem bis dahin härtesten Streik in der Geschichte der IG Druck und Papier, den die Unternehmer bundesweit mit Massenaussperrungen beantworteten. Nach über drei Wochen andauernden Auseinandersetzungen wurde ein Tarifabschluss erzielt, der im Volumen von 6,6 Prozent die politisch vorgegebene Lohnleitlinie von 5,4 Prozent überschritt und eine wütende Reaktion bei den Unternehmerverbänden auslöste. Und natürlich bewies er auch 1977 den KollegInnen im sechs Wochen dauernden "wilden Streik" beim "Weser-Kurier" und den "Bremer Nachrichten" seine Solidarität. (Siehe Filmclip)
1978 folgte ein weiterer dreiwöchiger Arbeitskampf um die Tarifierung neuer Techniken. Nach über zweijährigen Verhandlungen, die nichts gebracht hatten, kam es zu Warnstreiks und schließlich in fünf großen Betrieben zu unbefristeten Streiks. Die Unternehmer antworteten erneut mit massiven Aussperrungsmaßnahmen. Der Arbeitskampf endete mit dem erfolgreichen Abschluss eines Tarifvertrages über rechnergesteuerte Textsysteme, der seinerzeit auch für andere Gewerkschaften Beispiel gebend war.
Notwendig wurde in der folgenden Zeit eine Debatte über eine veränderte Streikstrategie. Anfang der 1980er Jahre entwickelte Loni Mahlein in den zuständigen Gremien die Grundlagen für eine bewegliche Arbeitskampfführung, die 1984 im Kampf um die 35-Stunden-Woche Aussperrungen durch die Unternehmer verhinderte.

Franz Kersjes im Jahr 2003 vor dem
Amerikahaus in Köln
Foto: Arbeiterfotografie
Für friedliche Koexistenz
Nach Mahleins Überzeugung sollten Gewerkschaften aber nicht "Lohnmaschinen" oder "Versicherungsorganisationen" sein, "sondern sie sollen als politische Bewegung der Arbeitnehmer, den Kampf um die Sicherung und Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungenverbinden mit dem Kampf um eine Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft verbinden, die darauf abzielt, alle Bürger an der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Willensbildung gleichberechtigt zu beteiligen."
Loni Mahlein engagierte sich auch überzeugend in der Friedensbewegung. Friedenssicherung und Gewerkschaftsarbeit waren für ihn untrennbar miteinander verbunden. Dazu zählte für ihn auch die Überwindung des Antikommunismus. Um sie bemühte er sich besonders in seiner Zeit als Präsident der Internationalen Grafischen Föderation von 1976 bis 1985. In seiner letzten Rede auf dem Kongreß der IGF in Helsinki sagte er: "Angesichts der gestiegenen Anforderungen an gewerkschaftliches Handeln - bei gleichzeitig enger gewordenen Handlungsspielräumen - müssen sich Gewerkschaften national wie international stärker auf die eigene Kraft besinnen. Die Bedrohung der gesamten Lebens- und Arbeitssituation erfordert von den Gewerkschaften eine Neuorientierung ihrer Politik. Eine auf den Schutz und die Gestaltung aller Interessenbereiche der Beschäftigten abzielende Politik-Konzeption ist dringender denn je erforderlich - denn eine nur isolierte Verbesserung einzelner Arbeitnehmer-Interessen wird den umfassenden Verschlechterungen gegenüber nicht mehr gerecht... Es muss Aufgabe der Gewerkschaften sein, deutlich zu machen, welche gesellschaftliche Zukunft sie sich vorstellen und welchen Platz die abhängig Beschäftigten dort einnehmen wollen. Wir müssen als Gewerkschafter dazu beitragen, dass wieder eine öffentliche Grundsatzdebatte über Gesellschaftsfragen und über Machtstrukturen geführt wird."
Loni Mahlein war als Freund und Kollege ein unvergleichbares Vorbild: unbestechlich, gradlinig, aufrichtig. Einer wie Loni bleibt unvergessen.
Unser Autor Franz Kersjes war bis zu seiner Pensionierung Landesvorsitzender der IG Medien in NRW und macht seit zwei Jahren die "Welt der Arbeit" online.
In der WdA finden Sie eine ausführliche Würdigung von Leonhard Mahlein unter "Lebensbilder".
Externer Link:
"Welt der Arbeit" online
Online-Flyer Nr. 23 vom 20.12.2005
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Vor 20 Jahren starb der IG Medien-Vorsitzende Leonhard Mahlein
"Auf die eigene Kraft vertrauen"
Von Franz Kersjes
Vor zwanzig Jahren, am 18. Dezember 1985, starb Leonhard Mahlein im Alter von 64 Jahren an einem Herzinfarkt. In einem Nachruf sagte Willy Brandt: "Die deutsche Gewerkschaftsbewegung hat mit Leonhard Mahlein eine ihrer markanten Persönlichkeiten verloren. Er gehörte zu jenen führenden Gewerkschaftern, die, geprägt durch den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, den Gewerkschaften nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Gewicht und Bedeutung gegeben und mit dafür gesorgt haben, dass das Sozialstaatsgebot unseres Grundgesetzes nicht lediglich Verfassungsbuchstabe blieb, sondern Verfassungswirklichkeit wurde."
Leonhard Mahlein, den seine Freunde und Kollegen liebevoll Loni nannten, wurde am 4. April 1921 in Nürnberg geboren. Sein Vater war Hilfsarbeiter bei der Güterabfertigung der Eisenbahn. Nach dem Besuch der Volksschule lernte Loni den Beruf des Buchdruckers. Er wurde zum Kriegsdienst eingezogen und 1941 mehrfach verletzt. Schwer verwundet kam er bei Kriegsende heim. Als Sohn eines im NS-Staat verfolgten Kommunisten trat Mahlein wie selbstverständlich der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei, die er wenig später im Nürnberger Jugendparlament vertrat. Außerdem schloss er sich 1946 der IG Druck und Papier an, zu deren ersten Mitgliedern in Nürnberg er gehörte. Mahlein vertrat sehr engagiert das Prinzip der Einheitsgewerkschaft.
Im Jahr 1952 trat Loni Mahlein aus der KPD aus. Es war die Zeit der Auseinandersetzung über die Gewerkschaftsfrage (These 37) in der Partei. Später schilderte er die Situation in einem Interview mit Frieder Hitzer (im "Kürbiskern", 1983): "Und so entstand der Konflikt: Auf der einen Seite fühlte ich mich als Parteifunktionär, der die Politik der KPD in der Gewerkschaft zu vertreten hatte, auf der anderen Seite war ich gewählter Gewerkschaftsfunktionär, der die Beschlüsse der Gewerkschaft zu vertreten hatte. Aus diesen beiden Funktionen heraus hat es bei mir Schwierigkeiten gegeben." Mahleins Schritt war also keine Abwendung von politischen Erkenntnissen und Grundüberzeugungen, sondern ein Bekenntnis zur Einheitsgewerkschaft.
1968 wurde Mahlein zum Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Druck und Papier gewählt. Er gehörte zweifellos zu den starken Persönlichkeiten einer kämpferischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Unter seiner Führung entwickelte sich die IG Druck und Papier zu einer selbstbewussten und politisch aktiven Gewerkschaft, die in vielen Bereichen eine Avantgarderolle einnahm. Zu seinem Lebenswerk gehört vor allem die Umwandlung der traditionellen Facharbeitergewerkschaft in eine moderne Mediengewerkschaft. Die Gründung der IG Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst konnte er Anfang Dezember 1985 noch miterleben.

Leonhard Mahlein -
"Einer wie Loni bleibt unvergessen"
Foto: Archiv Kersjes
Drei harte Arbeitskämpfe
Keiner der zahlreichen Nachrufe, die nach seinem Tod in den Medien erschienen, hat unerwähnt gelassen, dass Mahlein in seiner 15jährigen Zeit als Vorsitzender der IG Druck und Papier drei Arbeitskämpfe geführt hat: 1973 genügten wenige Stunden Streik, um eine Lohnerhöhung von 10,8 Prozent sowie eine zusätzliche Anhebung der unteren Lohngruppen und der Ausbildungsvergütungen durchzusetzen. 1976 kam es zu dem bis dahin härtesten Streik in der Geschichte der IG Druck und Papier, den die Unternehmer bundesweit mit Massenaussperrungen beantworteten. Nach über drei Wochen andauernden Auseinandersetzungen wurde ein Tarifabschluss erzielt, der im Volumen von 6,6 Prozent die politisch vorgegebene Lohnleitlinie von 5,4 Prozent überschritt und eine wütende Reaktion bei den Unternehmerverbänden auslöste. Und natürlich bewies er auch 1977 den KollegInnen im sechs Wochen dauernden "wilden Streik" beim "Weser-Kurier" und den "Bremer Nachrichten" seine Solidarität. (Siehe Filmclip)
1978 folgte ein weiterer dreiwöchiger Arbeitskampf um die Tarifierung neuer Techniken. Nach über zweijährigen Verhandlungen, die nichts gebracht hatten, kam es zu Warnstreiks und schließlich in fünf großen Betrieben zu unbefristeten Streiks. Die Unternehmer antworteten erneut mit massiven Aussperrungsmaßnahmen. Der Arbeitskampf endete mit dem erfolgreichen Abschluss eines Tarifvertrages über rechnergesteuerte Textsysteme, der seinerzeit auch für andere Gewerkschaften Beispiel gebend war.
Notwendig wurde in der folgenden Zeit eine Debatte über eine veränderte Streikstrategie. Anfang der 1980er Jahre entwickelte Loni Mahlein in den zuständigen Gremien die Grundlagen für eine bewegliche Arbeitskampfführung, die 1984 im Kampf um die 35-Stunden-Woche Aussperrungen durch die Unternehmer verhinderte.

Franz Kersjes im Jahr 2003 vor dem
Amerikahaus in Köln
Foto: Arbeiterfotografie
Für friedliche Koexistenz
Nach Mahleins Überzeugung sollten Gewerkschaften aber nicht "Lohnmaschinen" oder "Versicherungsorganisationen" sein, "sondern sie sollen als politische Bewegung der Arbeitnehmer, den Kampf um die Sicherung und Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungenverbinden mit dem Kampf um eine Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft verbinden, die darauf abzielt, alle Bürger an der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Willensbildung gleichberechtigt zu beteiligen."
Loni Mahlein engagierte sich auch überzeugend in der Friedensbewegung. Friedenssicherung und Gewerkschaftsarbeit waren für ihn untrennbar miteinander verbunden. Dazu zählte für ihn auch die Überwindung des Antikommunismus. Um sie bemühte er sich besonders in seiner Zeit als Präsident der Internationalen Grafischen Föderation von 1976 bis 1985. In seiner letzten Rede auf dem Kongreß der IGF in Helsinki sagte er: "Angesichts der gestiegenen Anforderungen an gewerkschaftliches Handeln - bei gleichzeitig enger gewordenen Handlungsspielräumen - müssen sich Gewerkschaften national wie international stärker auf die eigene Kraft besinnen. Die Bedrohung der gesamten Lebens- und Arbeitssituation erfordert von den Gewerkschaften eine Neuorientierung ihrer Politik. Eine auf den Schutz und die Gestaltung aller Interessenbereiche der Beschäftigten abzielende Politik-Konzeption ist dringender denn je erforderlich - denn eine nur isolierte Verbesserung einzelner Arbeitnehmer-Interessen wird den umfassenden Verschlechterungen gegenüber nicht mehr gerecht... Es muss Aufgabe der Gewerkschaften sein, deutlich zu machen, welche gesellschaftliche Zukunft sie sich vorstellen und welchen Platz die abhängig Beschäftigten dort einnehmen wollen. Wir müssen als Gewerkschafter dazu beitragen, dass wieder eine öffentliche Grundsatzdebatte über Gesellschaftsfragen und über Machtstrukturen geführt wird."
Loni Mahlein war als Freund und Kollege ein unvergleichbares Vorbild: unbestechlich, gradlinig, aufrichtig. Einer wie Loni bleibt unvergessen.
Unser Autor Franz Kersjes war bis zu seiner Pensionierung Landesvorsitzender der IG Medien in NRW und macht seit zwei Jahren die "Welt der Arbeit" online.
In der WdA finden Sie eine ausführliche Würdigung von Leonhard Mahlein unter "Lebensbilder".
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