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Arbeit und Soziales
Müntefering akzeptiert Kompromiss
CDU weiter für Hungerlöhne
Von Hans-Dieter Hey

Während die CDU ihr neues Grundsatzprogramm auf vermeintlich christliche Säulen stellt, ermöglicht sie in einer als Kompromiss bezeichneten Koalitionsentscheidung Hungerlöhne von 3,50 Euro oder weniger. Sittenwidrig findet sie dies nicht. Arbeitsminister Müntefering ist sauer: Von ihm aus hätten es ruhig 4 Euro sein können. Das findet wiederum er nicht sittenwidrig. Und beim Mindestlohnkompromiss ist ein komplizierter Irrsinn herausgekommen, den keiner richtig wollte.
Nach gültiger Rechtsauffassung sind in Deutschland Löhne sittenwidrig, wenn sie 30 Prozent und mehr unter den tariflichen oder ortsüblichen Löhnen liegen. In einigen Branchen werden inzwischen Stundenlöhne gezahlt, die bei vier, fünf Euro oder darunter liegen. Arbeitsminister Franz Müntefering ist nun enttäuscht, dass er die Grenze zu sittenwidrigen Löhnen nicht auf 20 Prozent durchsetzen konnte. Über einen gesetzlichen Mindestlohn für alle, von dem Familien auch existieren können, war mit der CDU ohnehin nicht zu sprechen. Tage zuvor hatte Generalsekretär Ronald Profalla dem evangelischen Arbeitskreis in Potsdam die Position der CDU mitgeteilt, die dieser von den Arbeitgebern eingetrichtert worden war: Seitdem fanden CDU und Profalla gesetzliche Mindestlöhne unchristlich, weil sie angeblich hunderttausende Arbeitsplätze vernichten. Beweisen konnte Profalla das allerdings nicht. Denn die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern sprechen dagegen und verschiedene wissenschaftliche Studien zweifeln diese These ebenfalls an.

Billiglohnland Deutschland

Seit den 90er Jahren findet in Deutschland kontinuierlich ein politisch gewolltes Lohndumping statt, das durch die Schwächung der Gewerkschaften, durch Outsourcing, Privatisierung, die so genannten „Heuschrecken" und die Einführung der „Arbeitsmarktreformen" massiv vorangetrieben wurde. Mindestens 17 Prozent aller Beschäftigten erhalten inzwischen Löhne in Niedriglohnsektoren. Dies sind zwischen acht und neun Millionen, darunter drei bis vier Millionen Vollzeitbeschäftigte. Mehr als eine Million Beschäftigte haben so wenig Einkommen, dass sie zusätzlich Arbeitslosengeld II – also „Hartz IV" – beziehen. Sie arbeiten bis zu 40 Stunden in der Woche
quasi zum Sozialhilfetarif. Deutschland bewegt sich damit über dem traurigen europäischen Durchschnitt. Doch selbst die Nettoeinkommen aller Beschäftigten sind im vergangenen Jahr um 0,3 Prozent gesunken – allen Wachstumsorakeln der regierungsfreundlichen Medien zum Trotz.


Deutschland 2007: Arbeiten für Sozialhilfe


Die meisten europäischen Länder scheinen die Vorteile gesetzlicher Mindestlöhne begriffen zu haben, weil sie für ihre Bürgerinnen und Bürger Vorsorge treffen wollten. 20 der 27 Staaten haben den Mindestlohn längst eingeführt. Andere Länder, darunter Schweden, Finnland und Österreich, haben eine hohe Tarifbindung und deshalb auch eine hohe tarifliche Mindestlohnbindung. In Deutschland haben lediglich 53 Prozent im Osten und 68 Prozent im Westen Tarifbindung – mit sinkender Tendenz. Auch aus diesem Grund ist eine Mindestlohnfestsetzung dringend geboten, wenn den Gewerkschaften durch Mitgliederrückgang die Kraft genommen ist, existenzsichernde Mindestlöhne durchzusetzen.

Unter der neuen konservativen französischen Regierung von Nicolas Sarcozy wurde jetzt der gesetzliche Mindestlohn auf 8,44 Euro erhöht. In Luxemburg beträgt er 9,08 Euro, in Irland 8,30 Euro, in den Niederlanden 8,13 Euro und in Großbritannien 7,96 Euro. Die Forderung des DGB nach 7,50 Euro ist – gemessen an der Wirtschaftskraft unseres Landes – also eher zaghaft zurückhaltend. Der Chef der Linksfraktion im Bundestag, Oskar Lafontaine, hält sie für viel zu niedrig. Die LINKE fordert zehn Euro.


Mehrheit in Deutschland für gesetzlichen Mindestlohn

Dass die von Kanzlerin Angela Merkel geführte CDU-Regierung den gesetzlichen Mindestlohn nun ad acta gelegt hat („Einen gesetzlichen Mindestlohn wird es mit mir nicht geben."), erinnert an das Basta-Wort von Ex-Kanzler Gerhard Schröder und ist ein weiteres Zeichen dafür, wie hierzulande die Regierung gegen die eigene Bevölkerung agiert. Denn längst ist eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung für einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Umfragewerte sprechen – je nach Umfrageinstitut – von zwischen 60 und 91 Prozent Zustimmung und damit deutlich für einen gesetzlichen Mindestlohn. Bereits im August 2006 machte das Institut Infratest sogar bei den Wählern der FDP eine Zustimmung von 51 Prozent und bei denen der CDU von 56 Prozent aus.


„Hartz IV für die Regierung"

Komplizierter Irrsinn statt existenzieller Mindestlohn


Stattdessen ist nun die Ausweitung des „Arbeitnehmer-Entsendegesetzes" gekommen. Für dessen Anwendung ist allerdings erforderlich, dass 50 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland in einem Tarifbereich gebunden sein müssen. Das sind sie aber immer weniger. Eine Lohnuntergrenze käme
dort zudem nur zustande, wenn die Arbeitgeberverbände bundesweit zustimmen würden. Genau das dürfte aber sehr fraglich sein, wenn einzelne regionale Arbeitgeberverbände Mindestlohnregelungen schlichtweg blockieren können. Und in vielen Niedriglohnbranchen gibt es gar keine bundesweite Tarifbindung, wie z.B. im Bäckerhandwerk, im Bewachungsgewerbe, im Fleischerhandwerk, in der Floristik, im Friseurhandwerk oder im Hotel- und Gaststättengewerbe. Dr. Reinhard Bispinck vom Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut des DGB: „Bestenfalls werden die geplanten Regelungen zu einem Flickenteppich von unterschiedlichen Lohnuntergrenzen führen." Dann können die Niedriglöhne eben schon mal vier Euro pro Stunde bedeuten.


Demonstration in Berlin 2006: Schwierigkeiten beim Durchsetzen von Mindestlöhnen
Fotos: H.-D. Hey, arbeiterfotografie.com


In Fällen, für die das Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht zutrifft, soll das „Mindestarbeitsbedingungsgesetz" Anwendung finden. Dies hat zur Folge, dass für jeden einzelnen Wirtschaftszweig ein gesondertes Verfahren der Mindestlohngrenzen eingeführt werden soll. Im Ergebnis würde das eine völlig unkontrollierbare Zahl regional unterschiedlicher und branchenbezogener Mindestlöhne nach sich ziehen. Opfer werden dann die Beschäftigten in den kleinen Branchen, die durch die Maschen dieses Gesetzes fallen. 

Beim DGB Köln ist man sicher, dass es der CDU-geführten Koalition auch gar nicht um eine Lösung des Problems, sondern um die Einführung komplizierter Verfahren gegangen ist. Diese sollen die Gewerkschaften bis zur nächsten Bundestagswahl ruhig stellen. (HDH)


Online-Flyer Nr. 102  vom 04.07.2007

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