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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Rostock - G8
Von Hans-Dieter Hey



Die Welt zeigte sich geschockt über Rostock, vor allem über das seit 20 Jahren unbekannte Ausmaß an brutaler Gewalt - auf beiden Seiten. Wer darüber überrascht ist, vergisst gern, worum es eigentlich ging.

Indem die meisten Massenmedien die Demonstrantenzahlen auf 25.000 herunter-, die Zahl der Leute im schwarzen Block dagegen auf 5.000 heraufschwindelten, wie vermutlich auch die angeblich 1.000 durch Gewalt Verletzten, brachten sie die Gemüter in Wallung, brachten die gewünschten Auflagen- und Einschaltquoten und machten klar, wie man sich das Verhältnis von Demonstranten zu Gewalttätern vorzustellen hat. Zu guter Letzt verfügten die Demonstranten auch nur über "magere" politische Aussagen, wie Sabine Brandi am Montag auf WDR 5 in ihrer Anmoderation behauptete. Ein Jammer nur, dass es wieder mal keine Toten gab. Dann wäre es doch einfacher, künftige Demonstrationen einzuschränken oder gleich ganz zu verbieten. Doch durch die Gewaltdiskussion fielen die Inhalte, um die es ging, zur Freude der Politik unter den Tisch. Aufgrund solcher Vorgaben konnte das Bundesverfassungsgericht dann darüber entscheiden, wie groß die Bannmeile am Ende sein musste: so groß jedenfalls, dass die Teilnehmer des G8-Gipfels möglichst nichts vom Protest mitbekamen.
 
Bayrischer Einsatzleiter abgelöst
 
Es wird inzwischen nicht mehr verschwiegen, dass die - groß angekündigte - De-eskalationsstrategie der Polizei nicht funktionierte. De-eskalation heißt Gewaltvermeidung. Die wäre zwar der richtige Weg gewesen, war aber nicht erkennbar. Als Entschuldigung dafür diente danach, dass Polizeieinheiten aus verschiedenen Bundesländern zu koordinieren gewesen und auch völlig unerfahrene Polizisten eingesetzt worden seien. Da war es nur folgerichtig, dass der bayerische Einsatzleiter noch während der laufenden Randale abgelöst wurde. Ein bisher bei Demonstrationen wohl einmaliger Vorgang.
 
Während die friedlichen Demonstranten von Anfang an durch ein massives Spalier von Polizisten geführt wurden, konnten sich Autonome sichtbar für jeden ohne Mühe auf dem Weg zum Veranstaltungsort mit Pflastersteinen eindecken. Erst am Montag fiel dem bayerischen Innenminister dazu ein, man hätte wohl schärfere Vorkontrollen durchführen müssen.
 
Krasses Fehlverhalten auch auf Seiten der Polizei
 
Für das Misslingen der angeblichen De-eskalationsstrategie war das aber nicht der einzige Grund. Als der Zug der Demonstranten zum großen Teil bereits am Versammlungsort eingetroffen war, der "Schwarze Block" sich aber noch davor befand, stürmten aus mehreren Richtungen Polizeitrupps mitten durch die verängstigt auseinanderspritzenden Demonstranten auf den "Schwarzen Block" zu, um ihn zu isolieren. Die relativ kleinen Polizeieinheiten wurden massiv mit Steinen empfangen, mehrfach zurück geworfen und schließlich in die Flucht getrieben. Ein so auffälliger Fehleinsatz der Polizei zum falschen Zeitpunkt und am falschen Ort musste zur Eskalation führen. Ganz abgesehen davon, dass diese Art des Vorgehens nicht nur die Einsatzkräfte selbst gefährdete, sondern bewusst auch Gefahren für die friedlichen Demonstranten in Kauf nahm.
 
Weitere Vorfälle haben ebenfalls nicht zur De-eskalation geführt: Ein am Rande stehender Neonazi provozierte erkennbar Demonstranten. Als zwei ihn davon jagten, schossen aus einer Nebenstraße plötzlich mehrere Polizisten mit gezückten Schlagstöcken auf die Beiden los. Einer wollte gerade auf einen an der Seite stehenden Mann, der offensichtlich nichts mit der Sache zu tun hatte, einprügeln. Nur die Anwesenheit mehrerer Fotografen führte schließlich dazu, dass diese Polizeiattacke abgebrochen wurde.
 
Ein Festgenommener wurde von etwa fünfzehn Polizisten weggeschleppt und durch ein Karree gesichert. Obwohl er, von mehreren Polizisten festgehalten, regungslos am Boden lag, konnte man zwischen den Polizeibeinen beobachten, wie mit Stiefeln heftig auf ihn eingetreten wurde. Einem Fotografen, der das festhalten wollte, wurde die Kamera aus der Hand geschlagen. Auch aus anderen Aufnahmen wurde erkennbar, dass auf dem Boden liegende Wehrlose mit brutalen Tritten mehrerer Polizisten traktiert wurden.
 
Ein Mann mittleren Alters wollte durch die Polizeisperre hindurch zum Veranstaltungsplatz. Das wurde ihm verweigert. Darauf drehte er sich um und ging. Er hatte sich einige Schritte entfernt, als ein Polizist hinter im herlief und ihm mit seinem gepanzerten Handschuh einen heftigen Schlag in den Nacken gab.
 
Nach Agenturmeldungen sind einige Polizeifahrzeuge ohne Vorwarnung auf Demonstranten losgefahren, ohne zu bremsen. Die Beamten seien danach martialisch in eine Gruppe friedlicher Demonstranten gerannt und deshalb mit Flaschen empfangen worden. Als ein akkreditierter Journalist wegen des unverhältnismäßigen Einsatzes eine Dienstaufsichtsbeschwerde ankündigte, warf ihn ein Polizist zu Boden. Dabei wurde sein Blitzlicht zertrümmert. Ein weiterer Polizist hat Meldungen zufolge auf diesen Journalisten eingeprügelt.
 
Die Ursachen dürfen nicht vergessen werden
 
Wer die diese unmäßigen Polizeieinsätze verschweigt, nur über die natürlich verurteilenswerte Gewalt von Unten berichtet, vergißt in aller Regel deren Ursachen. Die Verarmung weiter Bevölkerungsschichten, der wachsende Zusammenbruch der Mittelschicht, der Schwindel vom dauerhaften Aufschwung und vom nachhaltigen Rückgang der Arbeitslosenzahlen verunsichert die Menschen. Langzeitarbeitslosigkeit seit über 25 Jahren, junge Menschen als Praktikanten jahrelang auf die lange Bank verschoben, die steigende Zahl von Jobs zum Hungerlohn, die Einführung der Zweiklassenmedizin, widerrechtliche weltweite Kriegseinsätze, das weltweit wachsende Auseinanderklaffen von Armut und Reichtum führen nicht nur zu Verzweiflung, zu Unmut, sondern auch zum Ausbruch von Zorn, der sich in Form von Gewalt entlädt.
 
In Rostock waren dabei wohl nicht in erster Linie die Polizisten im Einsatz gemeint. Die sichern zwar diese falsche Politik ab und stehen symbolisch für sie gerade, sind aber letztlich deren "Prügelknaben". Der Protest richtet sich gegen eine politisch arrogante und von Lobbyisten und Wirtschaft abhängige Kaste, die Demokratie nur noch vorspielt, aber inzwischen bei den meisten Menschen das Vertrauen längst verspielt hat. Heiner Geißler hat Recht, wenn er in der Zeit schreibt: „Nicht das Gespenst des Kommunismus, vielmehr die Angst geht um in Europa – gepaart mit Wut, Abscheu und tiefem Misstrauen gegenüber den politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Eliten”. Und zornig weiter: „Unter Berufung auf angebliche Gesetze des Marktes reden sie vielmehr einer anarchischen Wirtschaftsordnung, die über Leichen geht, das Wort.” Und deshalb schwelt es eigentlich nicht nur in Rostock, sondern überall.

Link: Die NRhZ-Fotogalerie zur Demo. 



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Online-Flyer Nr. 98  vom 28. März 2024



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