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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Globales
Stiefkind des salvadorianischen Neoliberalismus:
Die Tochter des Vulkans
Von Anne Hild

Grüne Vulkane im Hintergrund, dazwischen eine Vielfalt von exotischen Blumen und Bäumen, Hühnern, Kaninchen und Gürteltieren und blühende Dörfer mit Schulen und anderen Gemeindeeinrichtungen im Vordergrund. Über dieses Poster in unserer Küche im Rheinland mit dem Titel "Solidarität mit Nicaragua und El Salvador" erhielt ich Anfang der 80er Jahre meine erste Idee von Mittelamerika. "Mama, was ist Solidarität?" war eine meiner Fragen. Dass das Leben in diesen Ländern schwierig sein könnte, war anhand des schönen Bildes nur schwer vorstellbar. Die Neugier war geweckt. Nach etlichen Reisen auf dem lateinamerikanischen Kontinent landete ich letztendlich in El Salvador und blieb.

In unserem Garten wachsen Bananen und Mangos, die eine Vielzahl bunter Vögel anlocken. Auch das Kaninchen fehlt nicht. Jeden Morgen grüsst der Vulkan beim Verlassen des Hauses. Und jeden Morgen grüsst er mehr Menschen. San Salvador hat seit den 70er Jahren wie die meisten Metropolen ein stetiges Wachstum zu verzeichnen. Heute leben im Ballungsraum über zwei Millionen Menschen.

Die Migration in die Städte und gen Norden wird durch neoliberale Entwicklungsmodelle gefördert. Kleinbauern in Agrarländern wird durch Ausrichtung der Landwirtschaft auf Monokulturen für den Export, extensive Ausbeutung natürlicher Ressourcen und ungleiche Konkurrenzverhältnisse im Rahmen von Freihandelsverträgen ihre Lebensgrundlage genommen. In den Randgebieten der Metropolen werden sie zu billigen Arbeitern in der Maquila-Industrie, zu Straßenverkäufern oder Arbeitslosen.

"Katastrophen sind Gottes Wille"

In El Salvador führte die ungleiche Verteilung von Bevölkerung und Reichtum in den 80er Jahren zu einer politischen und sozialen Krise, welche in einen zwölfjährigen Bürgerkrieg mündete, der durch Friedensverträge 1992 beendet wurde. Die Regierung stellt seitdem die rechtsextreme ARENA-Partei, die die Interessen der wirtschaftlichen Elite vertritt. Ihre bisherige Unfähigkeit oder Unwilligkeit, die wichtigsten Probleme des Landes anzugehen - Bekämpfung der extremen Armut, in der 58 Prozent der Bevölkerung leben, dazu die wirtschaftliche und technologische Abhängigkeit von anderen Ländern und das hohe Defizit im Staatshaushalt - setzten Katastrophenprävention in den Hintergrund der politischen Agenda. Auf meiner persönlichen Agenda steht das Thema durch meine Arbeit in einem Netzwerk zum Risikomanagement ganz oben.

"Nur Gott weiß, was geschehen mag."
"Nur Gott weiß, was geschehen mag."
Foto: NRhZ-Archiv


Die Zerstörung natürlicher Wasserreservoire und der Mangrovenwälder durch den Ausbau von Autobahnen und Häfen, wie sie das wirtschaftliche Großprojekt "Plan Puebla Panama" zum effektiveren Warentransport fordert, steigerten die Verwundbarkeit des Landes angesichts der Naturgewalten. Langanhaltende Regenfälle im Winter, Vulkanausbrüche und Erdbeben sind kein Novum in der Region. Durch die zunehmende Empfindlichkeit des natürlichen und sozialen Gleichgewichts kommt es jedoch zu Katastrophen immer schwereren Ausmaßes. Für die Regierung ereignen sich die durch Gottes Willen und nicht etwa - wie die immer verheerenderen Hurrikans der Region durch die verantwortungslose Umweltpolitik der Ölkonzern-Regierung von G.W.Bush.

Ein Funktionär des staatlichen Katastrophenschutzes COEN brachte diese Haltung auf einer Versammlung kurz vor der Eruption des Vulkans von Santa Ana in der Gemeinde San Blas nahe des Kraters auf den Punkt: "Die Natur ist wechselhaft, und nur Gott weiß, was geschehen mag. Möge Gott Euch beschützen."

"Keine Mittel für Evakuierungen"

Diese verantwortungslose Haltung der Behörden, die das Überleben der Menschen, vor allem der benachteiligten Bevölkerungsschicht, ihnen selbst oder "Gott" überlässt, konnte man kurz zuvor auch in den USA beobachten, als Hurrikan "Kathrina" sich New Orleans näherte. Nach dem Motto ,Rette sich, wer kann' setzten sich diejenigen, welche über das nötige Geld verfügten, in private Vehikel und verließen das Krisengebiet. Für eine offiziell koordinierte Evakuierung fehlten angeblich die Mittel: die staatlichen Transportmittel der Region befanden sich zum großen Teil im Irak. Auch El Salvador hat, als einziges lateinamerikanisches Land, ein Militärkontingent zur Unterstützung der US-amerikanischer Truppen in den Irak geschickt.

In New Orleans blieben Angehörige der benachteiligten Bevölkerungsschichten zurück, vor allem Farbige und Latinos, während die Regierung sich bemühte, die Ölplattformen im Pazifik zu sichern. In El Salvador hat San Blas, die "Tochter des Vulkans", sich am 15. September selbst evakuiert und Herberge in einer Kirche außerhalb der Gefahrenzone gefunden. Der staatliche Katastrophenschutz zeigte in diesem Falle nicht nur seine fatalistische, sondern auch seine autoritäre Grundeinstellung. Da die Bevölkerung von San Blas nicht auf Befehl ihr Territorium verließ, übernahm der Staat keine Verantwortung für ihre Versorgung. Allein durch Hilfe der Zivilgesellschaft wurde die Ernährung für die 133 EinwohnerInnen zunächst gesichert.

Die Katastrophe nimmt ihren Lauf
Die Katastrophe nimmt ihren Lauf
Foto: NRhZ-Archiv


Am 1. Oktober machte der COEN noch immer keine Anstalten, die umliegenden Siedlungen zu evakuieren. Der Vulkan brach aus, seine "Tochter", die Siedlung San Blas wurde verschüttet, und in anderen Gemeinden waren mehrere Tote zu beklagen. Einige Tage später näherte sich auch noch Hurrikan "Stan" der Region mit gewaltigen Regenschauern. Die Katastrophenmeldungen häuften sich. Offizielle Zahlen meldeten bisher 700 schwere Erdrutsche, 73 Tote, 54000 Evakuierte - 54000 Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten und teilweise alles verloren haben, 54000 Menschen, die essen und schlafen müssen und anderweitige Bedürfnisse haben.

Inkompetenz des Katastrophenschutzes

In dieser Situation brillierte der staatliche Katastrophenschutz mit einer weiteren Charakteristik: Inkompetenz. Die Koordination der Notunterkünfte funktionierte anfangs überhaupt nicht, so dass viele Menschen in Unterkünften der Kirchen, NGOs und der Zivilgesellschaft Schutz suchen mussten. Diese kamen auch für die Einrichtung der Unterkünfte, Ernährung und Betreuung auf. Die Gemeinde von San Blas, die sich zum Zeitpunkt der Überschwemmungen und Erdrutsche bereits in Komitees in ihrer Herberge organisiert hatte, half nun in anderen Unterkünften bei der Organisation der Anliegen von deren Bewohnern.

Andere Kommunen waren von vornherein in Komitees organisiert und konnten so als selbständige Akteure ihren Alltag in der neuen, provisorischen Umgebung in die Hand nehmen. Die Zivilgesellschaft steuerte direkte Unterstützung in Form von Kleidung und Lebensmitteln bei.

Von Regierungsseite wurde versucht, die Evakuierten in eine Opferrolle zu treiben und sie nicht als eigenständige Subjekte zu behandeln, die ein Recht auf eine menschenwürdige Unterbringung haben. Hilfslieferungen wurden mit Parteifahnen versehen, und die Katastrophe schien den Startschuss für den Wahlkampf der im nächsten Jahr bevorstehenden Kommunalwahlen zu geben. Ob die zum Teil abgelaufenen Lebensmittel dafür allerdings eine gute Werbung sind, ist fraglich.

Wird dieses reiche Land unbewohnbar?

Derzeit melden erste Schadenserhebungen vom Landwirtschafts- und Tourismusministerium Verluste in Höhe von 10 Millionen US-Dollar, die tatsächliche Ziffer wird um einiges höher liegen. Die Phase des Wiederaufbaus stellt die größte Herausforderung des ganzen Szenarios. Hierbei geht es allerdings nicht nur um die Wiederinstandsetzung des Straßensystems und der Bereitstellung von Wellblechhütten für die nun obdachlos gewordenen, sondern um eine Überarbeitung des nationalen und internationalen Entwicklungsmodells. Ansonsten wird nicht nur dieses so reiche Land, reich an natürlicher Vielfalt, landschaftlicher Schönheit und menschlicher Wärme, auf Dauer unbewohnbar werden.

Weil die Lage in den Notunterkünften unsicher ist kehren einige Familien in ihre Häuser zurück, obwohl die Gefahr der Erdrutsche durch die aufgeweichte Erde fortbesteht und auch der Regen noch nicht definitiv zu Ende ist. Sie sind aber das einzige, was die Menschen haben. Andere Familien haben keine Häuser mehr, viele haben die Ernten auf ihren Feldern verloren. "Uns wurde gesagt, dass der Schulunterricht bald wieder beginnt. Wir wissen nicht, wo wir dann hingehen sollen, denn wir haben alles verloren." erzählt Carlota García Calderón, deren Haus in eine Schlucht gespült wurde und die derzeit in einer Schule untergebracht ist.

Spenden sind Not-wendig

Leonor Alvarado ist 75 Jahre alt und in derselben Lage. Sie hat im Armenviertel Rafaela Gutiérrez in Ilopango sieben Kinder großgezogen. Bis vor zwei Wochen war ihr Haus sicher und das seit 50 Jahren. Das Gelände, auf dem drei Generationen zur Welt gekommen und aufgewachsen sind, existiert heute nicht mehr. Die Häuser sind dem Erdboden gleich. Leonor hält sich in einer Notunterkunft in der Schule Fabio Castillo auf. Sie runzelt besorgt die Stirn, wenn sie überlegt, dass im Klassenraum, in dem sie derzeit untergebracht ist, bald wieder unterrichtet wird. In der Schule sind 147 Personen aus derselben Siedlung untergebracht.

Angenommen wird, dass viele Unterkünfte noch mindestens einen Monat besetzt bleiben, das heißt, es werden weiterhin Lebensmittel, Medikamente, Kleidung und Utensilien gebraucht. Solidarität bedeutet, sich gegenseitig im Bestreben nach einem selbst bestimmten und würdigen Leben zu unterstützen. Wer den SalvadorianerInnen in dieser Lage SOLIDARITÄT bezeugen möchte, wie so viele es in den 80ern getan haben, kann dies über folgendes Spendenkonto tun:

Peter Kleinert, Dresdner Bank Köln

Blz.: 37080040 Kto.: 364 903 900.

Stichwort: SOLIDARITAET

Die Hilfe wird umgehend an die lokalen, zivilen Katastrophenschutzkomitees weitergeleitet.

Anne Hild ist Soziologin aus Köln und seit Juli 2005 beim Netzwerk ACT (Action by churches together) in San Salvador in der Katastrophenprävention tätig.

Online-Flyer Nr. 13  vom 12.10.2005

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