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Arbeit und Soziales
Wie der Kapitalismus das Schlaraffenland verspricht
Genug Geld für alle
Von Hans-Dieter Hey

"Guten Abend liebe Kundinnen und liebe Kunden". So begrüßt am Donnerstag Götz Werner, milliardenschwerer Chef der Drogeriekette "dm-Markt" und Honorar-Professor, die Gäste zu den Funkhausgesprächen im WDR. Irgendwie wirkt Werner glaubhaft, wenn er allen im Lande ein ausreichendes Einkommen ohne Zwang zur Arbeit und ohne "Hartz IV" verkauft. Sein bedingungsloses Grundeinkommen ist für viele verführerisch und wäre eine Revolution. Nur schade, dass das Ganze noch eine Kehrseite hat.

Die Schokoladenseite

Es dürfte inzwischen bis in die letzten Ecken des Landes gedrungen sein, dass Rationalisierung, Rentabilität und Globalisierung gut für Renditejäger, aber schlecht für die von Arbeit abhängigen Menschen sind. Denn das Prinzip kapitalistischer Wirtschaftsweise ist nicht die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern das Erwirtschaften von Gewinn. Vollbeschäftigung zu existenzsichernden Löhnen ist deshalb nur noch ein Thema für unbedarfte Tagträumer, uneinsichtige Gewerkschafter oder unbeeindruckte Sozis. Götz Werner am 14. Mai 2006 in "Stern-online": "Sie sind narkotisiert vom Vollbeschäftigungswahn". Das "eherne Lohngesetz" in unserem Wirtschaftssystem erledigt dann den Rest, denn danach können die Löhne bis zum Existenzminimum sinken. Und für die von Arbeit ausgegrenzte Unterschicht bleibt nur noch "Hartz IV", und das sei - so Werner - "offener Strafvollzug".

Götz Werner
Heilsversprechen mit Hilfe des WDR
Foto: Hans-Dieter Hey


Für ihn ist deshalb das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) die für alle heilversprechende Lösung. Danach würde jeder im Lande ein bestimmtes Grundeinkommen zur Existenzsicherung erhalten, ohne arbeiten zu müssen, ohne Bedarfsprüfung oder Druck durch "Hartz IV". Nach seinen Vorstellungen wären das am Anfang 800 Euro im Monat für jeden, die entweder dem Arbeitgeber erstattet oder Nichtbeschäftigten ausgezahlt würden. Das soll durch eine neuartige Konsumsteuer finanziert werden, ähnlich der Umsatzsteuer heute. Diese Konsumsteuer könne dann ruhig 50 % oder höher sein, wenn dagegen alle anderen Steuern und Abgaben sowie alle Sozialtransferleistungen wegfielen. Und jedem bliebe dann noch die Möglichkeit des Hinzuverdienens, um sich einen höheren Lebensstandard zu sichern - auf ganz freiwilliger Basis selbstverständlich.

Die Seite ohne Schokolade

Für ein BGE treten auch andere ein, wie beispielsweise der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) oder der Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus (CDU). Sein Modell: Jeder erhält 800 Euro im Monat. Davon werden 200 Euro als Gesundheitsprämie abgezogen. Legt man eine Miete von 300 Euro zugrunde, verblieben dann 300 Euro zum Leben und damit erheblich weniger als mit "Hartz IV". Bei dergleichen Rechenexempeln ist verständlich, dass Hartz-IV-Empfänger zunehmend aufgebracht reagieren.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de


Auch Gewerkschaften schlagen Alarm. Wenn der Staat das BGE als Existenzsicherung garantieren würde, wären die Arbeitgeber selbst von der Zahlung existenzsichernder Löhne befreit. Sie würden in gigantischem Ausmaß durch Anrechnung des BGE auf die Löhne entlastet, denn das zahlt ja dann der Steuerzahler, und es gäbe den Kombilohn für alle. Die Diskussion um Mindestlöhne wäre mit einem Schlag zu Ende. Zudem wäre die Durchsetzung höherer Löhne, weil sie nur aufstockende Wirkung hätten, für die Gewerkschaften viel schwieriger. Es würde ein starker Druck auf diese Löhne entstehen. Neoliberale Vertreter wie Dieter Althaus und andere würden ihrem Ziel näher kommen, die Gewerkschaften - immerhin über viele Jahre Garanten für positive Lohnentwicklung und Wohlergehen in unserem Land - weiter entscheidend zu schwächen. Auch Kündigungen wären künftig kein Problem mehr. Auch deshalb ist dieses Thema ein rotes Tuch für Gewerkschaften. Der freiwillige Wechsel in ein sorgenfreies BGE wäre nämlich nicht wirklich freiwillig. Seine Folge wäre nicht ein Zuwachs abhängig Beschäftigter, sondern deren Ersatz durch Freiberufler. "Wir werden ein Volk von Free-Lancern", sagt Götz Werner, und findet das gut.

Doch genau damit wird auch klar, dass er jegliche soziale Verantwortung der Unternehmen genauso ablehnt, wie die Verpflichtung zur Zahlung existenzsichernder Löhne. Es geht im Grunde darum, die Unternehmer in gigantischem Ausmaß zu entlasten und ihre Vermögen unantastbar zu machen. Und drum lehnt Götz Werner auch Vermögensumschichtungen von oben nach unten ab. "Am besten, sie machen sich über reiche Leute keine Gedanken mehr", rät er den Menschen, die nicht dazu gehören.

Was die Finanzierung des BGE betrifft, ergibt sich folgendes Problem: Bei einem Grundeinkommen von monatlich 800 Euro würde ein zusätzliches Defizit im Bundeshaushalt von über 220 Mrd. Euro jährlich entstehen. Zu diesem Ergebnis kommt Prof. Dr. Bosch, Direktor des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg-Essen. Bei einem Grundeinkommen von gar 1.500 Euro nach einigen Jahren, was Götz Werner als Perspektive vertritt, würde das Finanzierungsvolumen auf gigantische 1,4 Bio. Euro jährlich steigen, so "Der Spiegel" in seiner ersten Ausgabe 2007 über das Modell des "Wanderpredigers" Götz Werner.

Vorsicht vor dem Freund

Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wirft außer schwierigen volkswirtschaftlichen Fragen noch zahlreiche weitere auf. Zum Beispiel die, ob eine Gesellschaft eine derartige "Revolution" der Umverteilung überhaupt verkraften kann. Trotzdem ist die Diskussion über ein bedingungsloses aber gleichzeitig „kulturelles“
Grundeinkommen notwendig. Denn es geht darum, dass die durch Rationalisierung, Produktivität und durch eine immer gnadenloser werdende Globalisierung eintretenden Folgen abgemildert werden.

Ein BGE, wie es zurzeit in der politischen Landschaft diskutiert wird, ist mit Vorsicht zu genießen. Die Durchsetzung eines bedingungslosen kulturellen Grundeinkommens für Erwerbslose, Rentner oder Behinderte hingegen wäre ein Versuch, dem Prinzip der Menschenwürde wieder Geltung zu verleihen. Dabei müsste es allerdings um eine Umverteilung von Oben nach Unten gehen - durch eine entsprechende Steuerpolitik und eine solidarische Bürgerversicherung. Doch dafür sind die Chancen eher gering, denn die Menschen müssten beides von der Politik nicht nur fordern, sondern auch gemeinsam durchsetzen. 

Verlässt man sich hingegen auf ein bedingungsloses Grundeinkommen mit den Heilsversprechen des bekennenden Anthroposophen Götz Werner und anderer, dann kann das am Ende ausgehen wie mit den Hartz-IV-Reformen des Namensgebers Dr. Peter Hartz. Der will heute nichts mehr von dem wissen, was er mit seinem Namen angerichtet hat - von dem was man sonst seither so über ihn erfährt, mal ganz abgesehen.


Online-Flyer Nr. 89  vom 04.04.2007

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