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Globales
Interview mit der israelischen Journalistin Roni Ben Efrat
„Über zionistische Ideen wird nicht mehr gesprochen“
Von Endy Hagen

Roni Ben Efrat ist Herausgeberin der in Israel erscheinenden Zeitschrift Challenge und Mitglied der marxistischen arabisch-jüdischen Partei Organisation for Democratic Action, ODA. Die NRHZ sprach mit ihr über den Libanon-Krieg und den Übergang der israelischen Gesellschaft vom Zionismus zum Postzionismus.



Roni ben efrat
Roni Ben Efrat
Foto: NRhZ-Archiv


Endy Hagen: Der bekannte Journalist Seymour Hersh hat erklärt, Israel habe den Libanon-Krieg vom Sommer 2007 auf lange Hand geplant, und findet mit dieser Analyse viel Beifall. Ihr sagt, Hersh irrt sich?

Roni Ben Efrat: Ein Land in der Lage Israels hat natürlich alle möglichen Pläne für alle möglichen Situationen in der Schublade. Doch im Juli 2006 war Israel weder auf einen Krieg vorbereitet, noch hatte es etwas von einem Krieg mit der Hizb'ollah zu gewinnen.

Es ging um Abschreckung. Israel hatte das Problem mit dem entführten Soldaten in Gaza und dann das Kidnapping der Soldaten im Norden – es musste reagieren. Aber es musste sich nicht in einen regelrechten Krieg hineinziehen lassen.

Warum hat es das dann getan?

Aus Unerfahrenheit, weil es keine klare Strategie gab, weil es eine neue Regierung war, die sich wie ein Macho aufführen wollte. Wir haben damals beide Seiten kritisiert: Israel als den Hauptverantwortlichen, denn was es im Libanon getan hat, geht wirklich über alles hinaus, was wir uns überhaupt vorstellen können: die Zerstörung, die Toten – aber wir denken, was Hizb’ollah getan hat, ist auch sehr schwerwiegend. Dass eine Guerilla-Organisation wie Hizb’ollah, die zudem Mitglied der Regierung ist, für sich ganz allein beschließt, so eine Aktion durchzuführen, die über das gesamte libanesische Volk eine solche Zerstörung bringt, das ist völlig unverantwortlich. Darum denken wir, dass Hizb’ollah keine echte Strategie hatte.

Trotzdem wird die Hizb’ollah in Teilen der arabischen Welt, aber auch von Linken im Westen, als Siegerin gefeiert.

Die politische Perspektive der Hizb'ollah ist keine, die man als Linker unterstützen, an der man mitbauen kann. Hizb'ollah ist eine religiöse Organisation, die mit dem Iran kooperiert. Und es wäre ein Fehler, als Linke den Iran zu unterstützen, nur weil er Israel und den USA gegenüber groß herumtönt. Das zielt doch eher auf die interne Opposition als dass diese Stellungnahmen „antiimperialistisch“ wären. Andererseits wäre es aber auch falsch, den Iran als mögliche Nuklearmacht anzugreifen.

Der Iran ist eine Theokratie, die ihren neuen geopolitisch guten, strategischen Platz im Nahen Osten der Kurzsichtigkeit des Weißen Hauses verdankt. Ihr Bestreben ist nicht eine Konfrontation mit den USA, sondern sie will, dass ihr Status als neue Regionalmacht anerkannt wird. Die Stärkung des Irans wird keinen besseren Nahen Osten bringen, jedenfalls nicht für seine Bewohner. Sie wird nur die Säkularisierung und Industrialisierung der Region hemmen, eine Entwicklung, die die Region durchlaufen muss, wenn sie sich entwickeln will.

Aber zurück zur Hizb’ollah: Es geht ihr nicht um die Libanesen oder die Palästinenser. Es geht um Macht und da ist Hizb’ollah darauf bedacht, ein Bild zu erzeugen, dass nur sie die arabischen Menschen vor Israel retten kann.

Aber während des Kriegs waren Saudi Arabien und Ägypten mit der Hizb’ollah völlig verfeindet und heute wird sie wieder in die Familie aufgenommen. Die Differenzen werden beigelegt – wo also ist heute der große Heroismus der Hizb’ollah, die Israel bekämpft und die arabische Welt gegen die israelische Besatzung anführt? In der Zwischenzeit haben wir 100.000 Flüchtlinge im Libanon, Tausend Tote! Wozu? Wo ist die großartige Botschaft der Hizb’ollah?

Ihr habt den Libanon-Krieg als den ersten postzionistischen Krieg bezeichnet. Was meint Ihr damit?

Israel hat sich sehr verändert. Heute gilt: Wir wollen Teil der Globalisierung sein, die armen Juden und die armen Palästinenser sind für uns dasselbe, die Juden sind uns egal, wir wollen ihre Unterstützung im Gegensatz zu früher nicht mehr kaufen. Das ist eine sehr große Veränderung im Denken der israelischen Regierung.

Noch bis Mitte der 1980er Jahre war Israel ein beispielhafter Wohlfahrtsstaat. Die soziale Solidarität der Regierung mit der jüdischen Bevölkerung des Landes war stark. Mit den Arabern war das immer eine andere Sache, aber die Juden hatten schon das Gefühl: „Das ist unser Land, hier haben wir eine Zukunft.“ Dann hat Israel seine Wirtschaft aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage komplett umstrukturiert: Umfangreiche Privatisierungen, Abbau der Schutzzölle – die Folgen dieser Umstrukturierung haben zunächst die Palästinenser aus den Besetzten Gebieten, dann aber auch die in Israel lebenden Araber getroffen, die traditionell in arbeitsintensiven Sektoren beschäftigt waren. Heute bekommt sie auch die jüdische Bevölkerung zu spüren. Ein Viertel der Bevölkerung Israels lebt heute an oder unter der Armutsgrenze.

Bedeutet Postzionismus die Zerstörung der Ideologie des Zionismus, des alten Traums von einem eigenen Staat im Land Israel, das allen Juden gemeinsam gehören und gerecht verteilt sein sollte?

Wir stolpern in Israel grade von einem Skandal in den nächsten. Gegen Ehud Olmert läuft ein Verfahren wegen Korruption, ebenso gegen den Finanzminister. Der israelische Präsident Katsav wird wegen Vergewaltigung angeklagt, Haim Ramon der sexuellen Belästigung beschuldigt – das gesamte Milieu der Allianz von Geld und Macht hat ein Maß extremer Korruption erreicht. Ich halte das für eine andere Seite des Postzionismus, eine andere Seite, auf der die zionistische Ideologie nicht mehr in der Lage ist, die israelischen Widersprüche zusammenzuhalten. Einerseits sehen wir eine völlige Entfremdung zwischen Arm und Reich, andererseits den extremen Zusammenbruch der herrschenden Klasse.

Auch die Tatsache, dass viele junge Leute heute nicht mehr zur Armee und zum Reservedienst gehen, ist ein Zeichen für den Zusammenbruch des Zionismus. Viele Jugendliche und viele Akademiker verlassen das Land, über zionistische Ideen wird nicht mehr gesprochen.

Wenn die sozialen Gegensätze und die Klassenwidersprüche zunehmen und die zionistische Ideologie dabei zerbricht, dann bleibt ja nur der äußere Feind, der zusammenschweißt.

Tatsächlich hat die Regierung sogar diese Möglichkeit verpasst. Sie hat die Leute im Krieg im Stich gelassen. Stattdessen hat Arkadi Gaidamak, ein russisch-jüdischer Krimineller, ein Millionär, die Initiative ergriffen. Er hat die Leute aus dem Norden in ein Camp im Süden geschickt und ist für alle Kosten aufgekommen. Dasselbe hat er mit den Leuten in Sderot gemacht, auch die kann Israel nicht vor den Qassam-Raketen der Hamas schützen. Die israelische Regierung heute braucht einen kriminellen Millionär, damit er sich um ihr Volk kümmert.



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Foto: NRhZ-Archiv

Das alle zwei Monate erscheinende Magazin Challenge finden Sie unter www.challenge-mag.com



Online-Flyer Nr. 89  vom 04.04.2007

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