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Arbeit und Soziales
Eine Chronologie zum Tod von Hermann Heibach
„Siegburg ist eine Botschaft an alle“
Von Klaus Jünschke

HeibachDie grausame Misshandlung und Ermordung von Hermann Heibach in der Justizvollzugsanstalt Siegburg in der Nacht vom 11. auf den 12. November 2006 durch Mitgefangene hat für ein paar Tage die unheilvollen und skandalösen Zustände in deutschen Jugendstrafanstalten ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Inzwischen ist das kein Thema mehr. Klaus Jünschke hat sich in Büchern, Aufsätzen und in der Praxis mit Jugendkriminalität und Integrationskonzepten befasst. Hier seine Chronologie zu diesem „Fall“ - vorher und nachher. Die Redaktion.

Jugendknast
Vor dem Mord in Siegburg: Artikel über Jugendknast und Bewährungshelfer

16.01.2005 WDR Fernsehen westpol:
„Die Gewaltbereitschaft in den Haftanstalten ist größer geworden – das Klima unter den Häftlingen rauer und brutaler. Der Grund: Rund 40 Prozent der Gefangenen sind Ausländer – zudem steigt die Zahl der Drogenabhängigen immer weiter an. Die Probleme wachsen – trotzdem wird immer mehr Personal in den Gefängnissen abgebaut, um den Landeshaushalt zu entlasten. Die Gewalt unter den Gefangenen bleibt meist unentdeckt, ans Tageslicht kommen nur die Übergriffe auf die Bediensteten. Fast 50 solcher Angriffe hat es im vergangenen Jahr gegeben und die Hemmschwelle für die Gewalt im Gefängnis wird immer geringer.“

Jugendknast
Hermann Heibach nach seinem Tod im KStA

Februar 2006 Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe
Klaus Winchenbach, Vorsitzender des Bundesvereinigung der Anstaltsleiter im Strafvollzug: „Worunter der Strafvollzug leidet…ist die Tatsache, dass unter dem gewachsenen Problemdruck der Überbelegung, des Drogenproblems, des Ausländerproblems, der zunehmenden Zahl psychisch auffälliger schwer gestörter Gefangener die Arbeit im Gefängnis zu einer Kriseninterventions- und Reaktionsarbeit und Mangelverwaltungsarbeit geworden ist“.


31.05.2006 Bundesverfassungsgericht
Urteil des Zweiten Senats zum Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für den Jugendstrafvollzug.


25. 06.2006 Welt am Sonntag
„Frau Müller-Piepenkötter erklärte am 25. Juni 2006 in einem Interview mit der Welt am Sonntag, dass Nordrhein-Westfalen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ‚längst umgesetzt’ habe: ‚Daß man Drogenabhängige, Gewalt- und Sexualstraftäter in Wohn- und Therapiegruppen nicht bunt mischt, sondern getrennt unterbringt. Oder dass wir jeden Häftling zu bilden versuchen, und sei es nur durch einen Alphabetisierungskurs – all das sind für uns in NRW Selbstverständlichkeiten.’“

Tatort JVA

Der Tatort – JVA Siegburg
Fotos: Archiv Klaus Jünschke


23.09.2006  www.presseservice.nrw.de
"Rede von NRW-Justitzministerin Müller-Piepenkötter anlässlich der Woche des bürgerschaftlichen Engagements am 23. September 2006 in der JVA Siegburg:
„Zum Schluss noch ein großes Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt hier in Siegburg. Sie geben uns durch die heutige Veranstaltung einen Einblick in die Vielfalt der Freizeitgestaltung in ihrer Anstalt und lassen uns Zeuge werden, wie Gefangene, Bedienstete und Ehrenamtliche selbstverständlich miteinander umgehen. Diese Form des Miteinander ist wohltuend.“


11./12. 11.2006
In der Nacht vom Samstag auf Sonntag, den 11./12. November 2006 stirbt der 20jährige Hermann Heibach in der Jugendstrafanstalt Siegburg auf einer Gemeinschaftszelle, nachdem er von drei Mitgefangenen im Alter von 17, 19 und 20 Jahren stundenlang gequält worden war. Er ist gezwungen worden, sich aufzuhängen. Sein Tod sollte wie ein Selbstmord aussehen. Herman Heibach war wegen Diebstahls zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt worden.


Die Schwester von Herman Heibach richtet eine Gedenkhomepage ein: www.hermann-heibach.de


13.11. 2006
Bis Montagmittag gehen die Leiter der JVA Siegburg von Selbstmord aus.


15.11.2006  Spiegel-Online
„Zwölf Stunden habe der abartige Gewaltakt gedauert, erklärte Oberstaatsanwalt Fred Apostel. Der grausame Tathergang konnte so detailliert rekonstruiert werden, weil die drei Männer ‚weitgehende Geständnisse’ ablegten. Zum Motiv habe einer der Beschuldigten gesagt, sie hätten ‚einen Menschen sterben sehen’ wollen.
‚So viel Brutalität habe ich noch nicht erlebt’, sagte Apostel. Besonders erschütternd sei, dass sich der Mord in einem Gefängnis abgespielt habe. Schließlich seien Häftlinge dort dem Schutz des Staates unterstellt. ‚So etwas darf eigentlich nicht vorkommen.’“


17.11. 2006 Kölnische Rundschau
„Die NRW-Justizministerin: ‚Ich schäme mich’. Nach dem Siegburger Foltermord wird der Einschluss in größeren Gruppen untersagt. Im Ausschuss räumte die Ministerin ein, dass der Jugendvollzug mit 117 Prozent überbelegt war.“


17.11. 2006 Kölner Stadtanzeiger
“Heftige Kritik an den Landespolitikern äußerte der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugs-Bediensteten, Klaus Jäkel: ‚Alle wissen, was in den Anstalten los ist’, sagte Jäkel … Er verwies auf die seit Jahren bestehende personelle Misere. ‚Siegburg ist kein Einzelfall’, betonte Jäkel.“


17.11. 2006 Süddeutsche Zeitung
„Schwere Missstände in Jugendgefängnissen.
Bundesjustizministerin Zypris forderte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung die Bundesländer auf, mehr Personal mit besserer Ausbildung und besserer Bezahlung in den Jugendhaftanstalten einzusetzen.“


17.11. 2006 WDR
Interview mit dem Psychologen Michael Heilemann: „Viele Bedienstete haben einfach Angst. Für sie besteht der Auftrag, Vorkommnisse, die nach außen dringen können, zu verhindern, den Ruf des Ministers zu schützen und formal ein guter Bediensteter zu sein. Aber was sie inhaltlich machen und ob sie den Insassen erreichen, ist egal…Es gibt keine Schutzkultur für Insassen und damit auch keine Wachstums- und Entwicklungskultur…Die Täter müssen sich Ziele setzen, damit sie sich aus dem eigenen Ich heraus groß fühlen und nicht mehr kompensieren müssen. Doch diesen Auftrag gibt es im Strafvollzug noch gar nicht, und deshalb ist er eine Zeitbombe.“


17.11.2006 Deutschlandfunk
Justizministerin Müller-Piepenkötter: „Natürlich trägt der Staat die Verantwortung für die Unversehrtheit von Gefangenen. Wir müssen uns nach Kräften bemühen, dass Gefangene bei uns nicht zu Schaden kommen. Das ist uns in diesem Fall nicht gelungen. Das ist unsere Verantwortung, mit der wir leben müssen.“


18.11. 2006 taz-nrw
Friedhelm Sanker, stellvertretender Leiter der nordrhein-westfälischen Jugendvollzugsanstalt in Herford: „Das ist ein Zufall, dass Siegburg betroffen ist. Das hätte in fast jeder anderen bundesdeutschen Jugendstrafanstalt auch passieren können. Denn wir haben seit Jahren das Problem, dass die Personaldichte in fast allen Bundesländern zurückgefahren wird.“


18.11.2006 Frankfurter Rundschau
Stephan Hebel: „Zu forschen und zu tun gäbe es genug. Am Anfang hätte ein offenes Eingeständnis zu stehen, ohne parteipolitische Scheuklappen: Die individuelle Schuld der Täter ist das eine; man schmälert sie aber nicht, wenn man vermutet, dass die im Wortsinn abgeschlossene Parallelwelt der Knäste gelegentlich eher brutalisierend als resozialisierend wirkt – zumal bei Menschen, die in Sachen Gewalt eine Vorgeschichte haben.“


18.11. 2006 Kölnische Rundschau
„Künftig nur noch zwei Jugendliche pro Zelle. Vierer und Dreier-Gruppen werden nach Erlass der Justizministerin in Haftanstalten aufgelöst.“


18.11.2006 Express
„Mord im Siegburger Knast. Der Abschied der Mutter.
Sie kann es immer noch nicht begreifen, dass bis gestern Abend weder JVA noch Staatsanwaltschaft Kontakt zu ihr aufgenommen haben.“


19.11.2006 Express
„Mord im Knast: Keiner übernimmt Verantwortung. Wegsehen, rumeiern, abtauchen.“


BuchKlaus Jünschke arbeitet zusammen mit Christiane Ensslin und Jörg Hauenstein an dem Buch „Pop Shop – Gespräche mit Jugendlichen in Haft“, das im April im konkret-Verlag erscheint:
240 Seiten, gebunden mit zahlreichen Fotos, 16 Euro, 28 SFr., ISBN 978-3-89458-254-8



Online-Flyer Nr. 87  vom 21.03.2007

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