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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Glossen
Friedenspolitik erst mal nur auf Afghanistan beschränkt
Der Löwe hat gepiepst
Glosse von Elvira Högemann

Das Wahlprogramm der Linkspartei.PDS führt unter Punkt VII die markige Überschrift: "Deutschland verweigert den Kriegsdienst". Gut gebrüllt, Löwe! Das trifft den Kern der Dinge, und auch die Einzelforderungen sind nicht ohne: eine Verteidigungsarmee von 100.000 Mann, die Rückholung aller an Kriegseinsätzen beteiligten Soldaten und die Ablehnung aller weiteren Kriegsbeteiligungen, Auflösung aller Interventionsstreitkräfte auf EU- und Nato-Ebene, Abzug der Atomwaffen aus der Bundesrepublik Deutschland. Das lässt auf eine Fülle von Initiativen für den Frieden im nächsten Bundestag hoffen - man sieht die künftigen Abgeordneten schon in den Startlöchern sitzen, darauf brennen, Anträge zu entwerfen, alle Arten parlamentarischer Wege zu ersinnen, um der Friedenspolitik voran zu helfen.

Nun hat die Partei, wenige Tage nach dem Beschluss über das Wahlprogramm, ein Programm für die ersten 100 Tage im Bundestag vorgestellt. Die Probleme von Krieg und Frieden sind auf Punkt 2 vorgerückt, und die aktuelle Forderung lautet so: "Sofortige Beendigung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr. Die Kampftruppen der Bundeswehr müssen aus Afghanistan unverzüglich zurückgezogen werden." Daran schließt sich der Satz: "Wir werden später beantragen, alle Bundeswehreinsätze im Rahmen von Enduring Freedom zu beenden..." Wann "später"? Klar ist an dieser zeitlichen Perspektive nur eines: nachdem die 100 Tage vergangen sind und die Linkspartei in dieser Zeit einen einzigen und äußerst begrenzten Schritt in Richtung Frieden unternommen hat. So jedenfalls die Ankündigung. Da wird man wohl fragen müssen, in welchen Zeiträumen die anderen, viel weitreichenderen Forderungen aus dem siebten Punkt des Wahlprogramms wohl zu praktischer Politik gerinnen werden?

Lafontaine - Gysi
Wahlplakat verbessert - Leser-Einsendung an die Fotogalerie


Wenn man es ernst meint mit dem Politikfeld Frieden, dann sollten doch in den ersten 100 Tagen wenigstens die aktuellsten Fragen in Angriff genommen werden: Erstens die Rückholung aller an Kriegseinsätzen beteiligten Soldaten. Das betrifft die Beteiligung an Bushs Antiterrorkrieg in den Operationen Enduring Freedom ebenso wie die Marinemission im Mittelmeer Active Endeavour, die für "später" nicht einmal erwähnt wird.

Wenn sich die Abgeordneten der Linkspartei 100 Tage lang auf Afghanistan allein beschränken wollen, brauchen sie überhaupt nichts zu unternehmen: denn über diesen Punkt - das Afghanistan-Mandat für die Bundeswehr - muss spätestens am 14.11.2005 abgestimmt werden, weil am nächsten Tag das 12-monatige Mandat des Bundestags vom November 2004 ausläuft. Zweitens: Wenn man dem großen Ziel einer strukturell nicht angriffsfähigen Armee näherkommen will, sollte man bald mit festen Schritten beginnen. Im Umfeld des Afghanistan-Einsatzes wäre z.B. die Auflösung der Rambotruppe der Krisenspezialkräfte (KSK) zu fordern, die dort an der Seite der US-Rangers kämpfen.

Und viele, viele Einzelpunkte wären zu überlegen, wie man dem Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee, der ja in vollem Gange ist, durch das Parlament etwas in den Weg legen kann - von den organisatorischen Umbauten bis zu den horrenden Rüstungsprogrammen, die nicht mehr nur alle auf dem Papier stehen. Auch der Abzug der Atomwaffen von deutschem Boden - dies drittens - wäre eine Initiative, die ohne weiteres in ein aktuelles Programm aufgenommen werden könnte und sollte.

Kölner Linke-Kundgebung mit Gysi und Lafontaine
Kölner Linke-Kundgebung mit Gysi und Lafontaine
Foto: NRZ-Archiv



Schließlich - auch dies so brennend und aktuell wie nur etwas: die im Wahlprogramm ausgedrückte Ablehnung der "Bereitstellung von militärischem Gerät, von Überflug- und Landerechten für kriegsführende Mächte" sollte schleunigst in eine parlamentarische Initiative münden. Der zur Zeit amtierende Friedenskanzler unterlässt wohlweislich, auf diese seine Unterstützung des Irakkriegs sowohl in seiner Angriffsphase wie auch in der heutigen Dauerphase hinzuweisen. Wie er es ja auch bis jetzt unterlassen hat, diesen Krieg als das zu bezeichnen, was er ist: ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Dazu könnten und sollten die gegen diesen Krieg engagierten Abgeordneten so schnell wie möglich Laut geben.

Der Bundeswehrangehörige Florian Pfaff hat für sich das Recht erstritten, genau bei den Unterstützungsleistungen für den Irakkrieg nicht mitzumachen, und das Bundesverwaltungsgericht hat eine ordentliche Begründung dazu geliefert. Mindestens das sollte die künftigen Parlamentarier der Linkspartei zu größerer Aktivität in Sachen Frieden ermutigen. Einmal in 100 Tagen an der richtigen Stelle die Hand zu heben , bei einer Entscheidung, die ohnehin ansteht - das ist beschämend wenig.

Elvira Högemann ist Friedensaktivistin in Köln.

www.friedensforum-koeln.de
koelner-friedensforum@web.de

Online-Flyer Nr. 08  vom 14.09.2005

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