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Aktueller Online-Flyer vom 06. Mai 2024  

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Arbeit und Soziales
Warum es noch keine faktische Gleichberechtigung gibt
Das System in den Blick nehmen
Von Katrin Steiner

Auf der Veranstaltung des DGB zum Internationalen Frauentag wurde vielfach die Frage gestellt, warum sich zwar Erfolge im Kampf für Emanzipation eingestellt haben, die faktische Gleichberechtigung von Frauen und Männern aber immer noch nicht gegeben sei. Ein Blick in die Schriften von Clara Zetkin fördert Verblüffendes zutage.

„Die Gleichheit“ [SPD-Frauenzeitung im 19. Jh.] […] geht von der Überzeugung aus, dass der letzte Grund der Jahrtausende alten niedrigen gesellschaftlichen Stellung des weiblichen Geschlechts nicht in der jeweils „von Männern gemachten“ Gesetzgebung, sondern in den durch wirtschaftliche Zustände bedingten Eigentumsverhältnissen zu suchen ist. Mag man heute unsere gesamte Gesetzgebung dahin abändern, dass das weibliche Geschlecht rechtlich auf gleichen Fuß mit dem männlichen gestellt wird, so bleibt nichtsdestoweniger für die große Masse der Frauen […] die gesellschaftliche Versklavung in härtester Form weiter bestehen: ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von ihren Ausbeutern.“ [1]

Kann man diese Einschätzung auf die heutigen Verhältnisse übertragen? Man kann. Schön, es gibt das Wahlrecht, viele Frauen sind berufstätig und wirtschaftlich unabhängig. Doch noch immer sind es Frauen, die den Großteil der reproduktiven Arbeit leisten, sich um die Kindererziehung, den Haushalt, die Pflege der Alten kümmern. Nehmen wir einmal an, diese Arbeit würde bezahlt – könnte das Wirtschaftssystem in seiner heutigen Form weiterexistieren? Baut es nicht geradezu darauf auf, bestimmte Arbeiten gar nicht oder nur sehr schlecht zu bezahlen?

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de



Was an Zetkins Analyse verblüfft, ist die Feststellung, dass sich durch eine andere Gesetzgebung nicht viel ändern würde. Wir wissen alle, dass Frauen immer noch etwa ein Viertel weniger Lohn erhalten als Männer. Wir wissen alle, dass Textilarbeiterinnen in Asien und Lateinamerika unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen. Wir kennen alle die Zahlen, die besagen, dass Frauen in Führungsorganisationen rar sind. Letzteres führt häufig dazu zu sagen, dass alles besser werde, wenn nur Frauen in den entsprechenden Positionen säßen. Ist das wirklich so? Macht Angela Merkel eine bessere Politik als ihre Kollegen? Oder sollte die Frage eher lauten: KANN sie eine bessere Politik machen als ihre Kollegen?

Folgt man Zetkin, so sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der entscheidende Faktor im Kampf um die Gleichberechtigung. Die neue Frauenbewegung der 68er hat häufig die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen eingefordert. So lange Frauen aber trotzdem den Großteil der reproduktiven Arbeit leisten, unterstützen sie ein System, das auf ihrer Ausbeutung beruht. Und ein bloßer Tausch der Rollen oder ein Teilen dieser Arbeit zwischen Frauen und Männern wird nichts daran ändern, dass alle zur Sicherung ihrer Existenz noch immer ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Die Arbeitsverhältnisse mögen ihr Gesicht geändert haben. Die Arbeitsbedingungen in der westlichen Welt sind heute besser als noch vor hundert Jahren. Anderswo aber sind sie nicht besser, was wiederum Folgen hat für sicher geglaubte Standards hierzulande.

Wenn es wirklich um die Frage nach einer neuen Frauenbewegung geht, so kann sie nur in einem internationalen Kontext gestellt werden. Und es ist klar, dass ein internationales Zusammenschließen von Frauen schwierig ist, weil ihre Lebensrealitäten so unterschiedlich sind. Was ist der gemeinsame Nenner zwischen einer Mittelklasse-Frau aus Indien und einer philippinischen Putzfrau in Deutschland?

Die internationale Frauenbewegung hat noch viele Schritte vor sich. Der wichtigste scheint zu sein, aus dem üblichen Rahmen herauszutreten und das System an sich in den Blick zu nehmen. Darin liegt der revolutionäre Gehalt von Elisabeth Stiefels Worten in der DGB-Veranstaltung, über die ich weiter oben berichte: „Es gibt nicht nur die Erwerbsarbeit, es gibt viele andere Modelle von Leben und Arbeit.“ Könnte sich dies als gemeinsamer Nenner durchsetzen, wäre die Frauenbewegung einen entscheidenden Schritt weiter.

Plakatwand
Plakatwand auf DGB-Veranstaltung
Foto: Katrin Steiner


Für die DGB-Veranstaltung am Frauentag hätte ich mir übrigens eine Diskussion über ein Existenz sicherndes Grundeinkommen gewünscht. Damit ließe sich von feministischer Seite an eine wichtige Debatte in der Linken anknüpfen. Wird sie richtig geführt, stellt sie die kapitalistische Wirtschaftsweise grundsätzlich in Frage. Denn diese setzt voraus, dass alle ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Erhielte jede/r bedingungslos ein Einkommen, böte dies die Möglichkeit, sich sinnvollen Tätigkeiten und Projekten zuzuwenden. Das kapitalistische System würde so ad absurdum geführt: Das Wirtschaftssystem orientierte sich nicht mehr an Profit und Wachstum, sondern an dem, was Menschen für ihr Leben brauchen und wollen. Erst damit kann auch eine umfassende Gleichstellung aller Geschlechter erreicht werden.

[1] zitiert nach wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Clara_Zetkin

Zum  Bericht über die DGB-Veranstaltung

Online-Flyer Nr. 86  vom 14.03.2007

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