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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Medien
Die Bewerbung - und:
Meine Katze heisst EMMA
Von Mary Ann Christen-Meyer

Es begab sich Anno Domini 1996 zu Geldern.  Arbeitslos, jedoch voller Elan, drangsalierte ich genussvoll meine kleinen grauen Zellen, zwirbelte, bog und peitschte meine Hirnwindungen völlig hemmungslos - und kreierte Bewerbungen am laufenden Band.

Flexibel, mobil und dynamisch beglückte ich zahlreiche Chefredaktionen, Personalbüros und Parteivorstände mit meinen Ergüssen. Lebenslauf, Arbeitsproben, Zeugnisse - sie überschwemmten die Republik, nahmen gar Kurs auf die entlegendsten Winkel.

Ausgeklügelte, gefeilte, höchst bedeutungsvolle Anschreiben erfreuten die Herzen ihrer Adressaten; meine Brust schwoll gewaltig an beim Gedanken an die zahlreichen Offerten, die mir ins Haus flattern würden. Ja, die Vorfreude raubte mir gar den Schlaf. Ich besetzte Chefsessel, leitete Pressereferate, fungierte als Pressespecherin.

Die Beantwortung meiner Angebote erfolgte meist umgehend, die vielen DIN A4-Umschläge drohten meinen Briefkasten zu überfordern. Der Inhalt der Rückschreiben belohnte jedoch meinen Einsatz: Stolz las ich immer wieder Worte wie "hervorragende Qualifikationen", "zweifellos finden Sie in Kürze die optimale Position", "gerne würde ich, aber ich unterliege bestimmten..."! Das demoralisierende und entwürdigende Diktum: "Leider müssen wir Ihnen jedoch mitteilen, dass..." übersah ich geflissentlich. Schon morgen würde...!

Schließlich - nach vielen beglückenden und glücklichen Briefen - der entscheidende Anruf! Die EMMA wollte offensichtlich das Rennen um meine Gunst machen. Nein, nicht Alice Schwarzer höchst persönlich war am anderen Ende, ihre Geschäftsführerin erbat einen Termin. Frau Schwarzer wolle mich gerne kennen lernen, meine  Unterlagenhätten ihr außerordentlich gut gefallen. Nun hieß es: auf nach Köln.

Als der denkwürdige Tag anbrach, durchforstete ich meinen Kleiderschrank. Erschrecken lähmte mich: Den meisten Sachen schien ein Stück Stoff abhanden gekommen zu sein. Positives Denken war nun angesagt, die Qual der Wahl blieb mir wenigstens erspart. Jeans, Hemd, Weste - die mussten reichen.

Am Bahnhof raffte mich fast ein Schlag dahin: der Preis. Unglaubliche 50 Mark kostete der Weg in die heiligen Gemächer der Frauenrechtlerin. Da Gewinn durch Investition  erzielt wird, folgte ich diesem Gesetz und legte einen Teil meiner kärglichen  Arbeitslosenhilfe an.

Alice Schwarzer residiert hinter dicken Turmmauern. Grimms Märchen "Rapunzel"  kam mir spontan in den Sinn. So durfte ich dann auch eine königliche Stunde lang in  Alices Wunderland auf meinen Empfang warten. In Schwarz gehüllt - wie man sie  kennt - streckte sie mir hoch erfreut ihre segensreiche Hand entgegen. Nachdem die üblichen Floskeln abgearbeitet waren, begann das Verhör.

Natürlich war ich vorbereitet, hatte sogar flugs in ein Buch über die "Geschichte der Frau" investiert, zusätzlich eine EMMArelevante Themenliste angefertigt. Diese  überreichte ich feierlich. Madame war begeistert und - behielt die Liste. Ich hatte es  versäumt, eine Kopie anzufertigen. Wie dumm von mir, denn die Aufstellung war  handgeschrieben. Gegen Ende der Vernehmung vereinbarten wir eine dreitägige  Probezeit, die wenige Tage später erfolgte.

So sehr mich der Teilerfolg freute - eine weitere Investition von 150 Mark war erst  einmal angesagt, und auch die fehlenden Stoffstückchen flößten mir Furcht ein. Eine optimale Kalkulation war hier unumgänglich.

Die Probetage fingen gut an: Durchforstung von Zeitungen und Zeitschriften nach relevanten Themen, Recherche und Telefonate, Schreiben von Berichten und einer Glosse. Kein Problem. Die Kolleginnen waren nett und hilfsbereit. Alice verweilte im  Rapunzelturm - fernab der Redaktion.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de



Für Tag zwei war eine Redaktionskonferenz anberaumt. Gespannt und angespannt  erwartete die ganze Truppe den Ruf ins Allerheiligste - Uhrzeit ungewiss. Endlich die Erleichterung: Frau Schwarzer ließ bitten. Bewaffnet mit unseren Unterlagen marschierten wir zum Frauenmediaturm - so der offizielle Name - und warteten.

Der Auftritt war gekonnt inszeniert: wallendes Kleid, wallender Schal, wallendes Haar, flache Treter - alles grauschwarz. Die Königin grüßte hochherrschaftlich, die  Untertanen salutierten - mein Bauch rebellierte. Es ging reihum: Themenvorschläge am  Fließband, Scheindebatten, Madame hatte längst entschieden: Daumen hoch, Daumen  runter! Widerspruch zwecklos.

Nun beging ich einen "folgenschweren Fehler": Ich durchblätterte während der  Konferenz meine Unterlagen, weil ich etwas suchte. Oh je, quel malheur! Alice war in ihrem Element, ganz Powerfrau. Goliath machte mich zum David - ich  schrumpfte. Allerdings nur für Sekunden, der Rebell in mir gewann sofort wieder  Oberwasser und stoppte diesen entwürdigenden Prozess. So folgte zwangsläufig  "Fehler" Nummer zwei: ich besaß die Frechheit, den Kampf mit der Grande Dame  aufzunehmen. Besonders übel! Ergebnis: Meine Themenvorschläge wurden sang- und  klanglos abgeschmettert - alle. Nicht EMMArelevant, etwas - naserümpfend - "für  Brigitte & Co".

Der letzte Tag verlief - aus meiner Sicht - friedlich und erfolgreich. Meine Glosse gefiel  mir. Mir war jedoch klar: Hier hätte sogar ein Pulitzerpreis-verdächtiges Werk nicht  ausgereicht, um mein "Vergehen" aufzuwiegen.

Gesehen habe ich Madame nie wieder. Nach einigen Tagen erhielt ich ein Schreiben:  Leider seien meine Kenntnisse im Bereich des Feminismus nicht ausreichend, man würde sich jedoch sehr freuen, mich zukünftig als freie Mitarbeiterin begrüßen zu  dürfen! Unterschrieben war das Pamphlet von einer Redakteurin. - Hoppla! Als Freie  brauche ich keine Spezialkenntnisse? Hilfe, man möge mir bitte die Logik nahe  bringen! 

Meine 200 Mark waren natürlich fehlinvestiert - die Frauenrechtlerin hat Frau niemals einen Pfennig der Auslagen erstattet. Seit zehn Jahren sucht die Top-Feministin nun bereits nach einer passenden Redakteurin.

Bis vor kurzem konnte man auf ihrer Website sogar folgendes lesen: "qualifizierte Ein-Euro-Jobberinnen" und "qualifizierte Praktikantinnen" für die Dauer von mindestens sechs Monaten gesucht! - Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Meine Themenliste? Die fristet ihr Dasein bis heute im Rapunzelturm - wurde peu-a-peu "abgearbeitet" - wie ich hin und wieder feststellen durfte. Allerdings - das ist wohl klar - nicht von mir!

Trotzdem - oder gerade deshalb?  Meine jüngste Katze heißt "Emma", ist eine zierliche, kleine, ganz besonders Süße und trägt überwiegend Schwarz!

Online-Flyer Nr. 68  vom 31.10.2006

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