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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Kölner "Sternschnuppe" für Öko-Bäckerin aus Münster
Frauen in der Produktion
Von Peter Kleinert

In einer Feierstunde mit 180 Gästen fand die Verleihung des Inge-von-Bönninghausen-Preises "Die Sternschnuppe" an die Münsteraner Öko-Bäckerin und Feministin Rike Kappler im Festsaal des Rathauses Münster statt. Autonome feministische Frauenprojekte und einzelne Kölnerinnen entwickelten die Idee dieser Ehrung und zeichneten 1998 die Journalistin und frühere WDR-Redakteurin Inge von Bönninghausen als erste Preisträgerin aus, die dann auch zur Namensgeberin des Preises wurde.

Inge von Bönninghausen hat in ihrem gesamten journalistischen Wirken bei jedem politischen und gesellschaftlichen Thema die Frage gestellt "Was bedeutet das für Frauen?". Sie hat oft als erste Themen aufgegriffen, fundiert präsentiert und den Weg für Bewusstwerdung und Diskussion für diese Themen bereitet. Frauen ehren, um ihre Verdienste für Frauen sichtbar zu machen und zu würdigen, ist das Ziel des Preises, der seit 1998 alle zwei Jahre vergeben wird. Ingund Mewes, Prinzipalin des Piccolo-Theaters, Köln, wurde im Jahr 2000 ausgezeichnet. Auch bei ihr war das Engagement für Frauen, für die umfassende Verbesserung der Lebenssituation von Frauen und gegen jede Form von Gewalt, ein Lebensthema, beruflich und privat. Ingund Mewes ist 2005 gestorben. 2004 wurde die Sternschnuppe an die Kölner Historikerin Irene Franken verliehen, die 1986 den Kölner Frauengeschichtsverein gründete.

von links: Inge von Bönninghausen, Rike Kappler, Jurymitglied Frauke Mahr
von links: Inge von Bönninghausen, Rike Kappler, Jurymitglied Frauke Mahr
Foto: LOBBY FÜR MÄDCHEN



Gespräch mit Preisträgerin Rike Kappler
Frage: cibaria beschäftigt zurzeit sieben Auszubildende. Das ist viel für einen Betrieb dieser Größe. Welchen Stellenwert hat die Ausbildung bei cibaria?
Rike Kappler: Bei insgesamt 21 Vollzeit- und 13 Teilzeitkräften sind sieben Auszubildende tatsächlich eine hohe Zahl. Dass wir in diesem Umfang ausbilden, ist Ausdruck unserer Verantwortung für die Zukunft. Unser Engagement für die Ausbildung hat eine klare gesellschaftspolitische Dimension. Bei der großen Zahl an Jugendlichen, die berufliche Perspektiven suchen, ist es die Verantwortung eines jeden Unternehmens, bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit des Betriebes zu gehen, um Ausbildungsplätze zu schaffen.
War das bei cibaria schon immer so?
Anfangs haben wir uns allerdings mehr darauf konzentriert, den Betrieb als solchen aufzubauen. Aber einen Lehrling hatten wir immer, vom ersten Tag an. Jetzt haben wir ein breiteres Fundament, um uns diesen Aufgaben intensiver zu widmen und auch die personellen Kompetenzen und Kapazitäten, um eine gute Ausbildung für mehrere zu gewährleisten.
Was macht Ihrer Erfahrung nach  eine gute Ausbildung aus?
Natürlich eine hohe Qualität der fachlichen Ausbildung. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir über die fachliche Schulung hinaus ein Ausbildungsniveau gewährleisten, in dem soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Kommunikations- oder Kritikfähigkeit eine große Rolle spielen. Wir vermitteln den Auszubildenden in unserer Firma durchaus so "altmodische Tugenden" wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Gemeinschaftssinn und sind davon überzeugt, dass sie hier lernen können, dass sich Eigenverantwortung und Initiative lohnen.
Auch für eine spätere Arbeitsstelle?
Für uns sind Auszubildende keine Billigst-Arbeitskräfte. Wir bieten unseren Mitarbeiterinnen reale berufliche Perspektiven und jungen Frauen die Möglichkeit, in einem männlich dominierten Handwerk ihre Chance wahrzunehmen. Jede, die nach der Ausbildung weiter bei cibaria beschäftigt sein möchte, wurde in der Vergangenheit übernommen. Das will ich auch in Zukunft so beibehalten.

Rike Kappler am Arbeitsplatz
Rike Kappler am Arbeitsplatz
Foto: LOBBY FÜR MÄDCHEN



Erfahrungen mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Vanessa ist in der Backstube groß geworden. Die heute sechsjährige Tochter der allein erziehenden Bäckermeisterin Ute Kaulitz schlief als Baby im Bettchen oberhalb der Backstube, während ihre Mutter in der Nachtschicht Brot und Brötchen produzierte.
Von den zwölf Frauen, die tags oder nachts in der cibaria-Backstube arbeiten, sind sechs Mütter.

"Die, die es wirklich tun", so Rike Kappler, "die Mitarbeiterinnen in der Produktion, sind für mich Frauen, die Vorbilder sein können, wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht." Die Bäckermeisterin bietet nicht nur flexible Rahmenbedingungen für ihre Mitarbeiterinnen mit Kindern, sie erlebt täglich, dass Berufstätigkeit für Mütter nicht zwangsläufig Teilzeit bedeuten muss. Bäckergesellin Beate Lilienbecker, die eine vierjährige Tochter hat, arbeitet mit einer vollen Stelle bei cibaria und hat sich als allein erziehende Mutter vor Jahren bewusst für den Beruf der Bäckerin entschieden. "Ich wollte einen Job, in dem ich nachmittags für mein Kind da sein kann." Und das Modell funktioniert. In den Randzeiten betreut ihre Mutter das Kind, "an wenig Schlaf", so die 22-Jährige, "habe ich mich gewöhnt." In "allen anderen Bäckereien der Stadt" hatte sie sich zuvor um eine Ausbildungsstelle beworben und als allein erziehende junge Mutter mit Kind keine Chance.

Kinderbetreuung in den sozialistischen Ländern

Zwar sind die Kinder von Nadja Janzen, Lucyna Brzeszka und Heike Ostrowski längst dem Kleinkind-Alter entwachsen, dennoch beweisen auch diese Frauen, dass sich eine Vollzeit-Berufstätigkeit und Mutter-Sein nicht ausschließen. Dass für sie die Frage der Vereinbarkeit nie problematisch gewesen ist, mag auch damit zu tun haben, dass alle drei in sozialistischen Gesellschaften - in der UdSSR, in Polen und in der DDR - aufgewachsen sind. Die Konditorin Heike Ostrowski bekam ihr erstes Kind während der Lehre, das zweite sechs Jahre später. Die Ganztagsbetreuung als staatliche Leistung hat sie damals als selbstverständlich erlebt. Dass eine Frau mit kleinen Kindern als Bäckerin arbeitet, noch dazu in der Nachtschicht und Vollzeit, war in der DDR nie ein Thema. "Die Kinderbetreuung im Osten war wirklich etwas, was man nach der Wende stärker hätte halten sollen."


Online-Flyer Nr. 64  vom 03.10.2006

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