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Medien
Buchkritik: "Die Bekenntnisse des IM "Dietrich" von Heinz Stuckmann
"Verdammte Kommunisten"
Von Peter Kleinert

Am 2. Oktober ist Heinz Stuckmann 84 Jahre alt geworden. Der Hitlerjunge aus einer armen katholischen Familie und Fallschirmjäger des II. Weltkriegs wurde 1957 Reporter bei der ZEIT der Gräfin Dönhoff, dann beim stern und schließlich Gründer und Direktor der Kölner Schule - Institut für Publizistik e.V. Für die macht der Deutsche Presse-Verband heute noch Werbung, obwohl Stuckmann nach 23 Jahren erfolgreicher Ausbildung von Leuten für Top-Positionen in den übl(ich)en Medien 1994 wegen Verdachts auf "geheimdienstliche Agententätigkeit" für die DDR verhaftet wurde. Wie es dazu kam, was er davor und danach erlebte - davon handelt seine Autobiographie "Verdammte Kommunisten". Und die ist verdammt lesenswert.
"Die Kölner Journalisten geben sich die Ehre, Herrn Heinz D. Stuckmann und Begleitung zum Kölner Presseball...". Die Einladung findet Stuckmann vor, als er nach 13 Wochen U-Haft zuhause auf "Gut Schillingsrott" am Rande von Köln eintrifft und die liegen gebliebene Post öffnet. Das "Patronat" für das noble Ereignis haben Dr. Franz-Josef Antwerpes, Regierungspräsident, Norbert Burger, Oberbürgermeister, Alfred Neven DuMont, Chef des Kölner Stadt-Anzeiger und EXPRESS, Präsident der Industrie- und Handelskammer, und Alfred Freiherr von Oppenheim, Bankhaus Sal. Oppenheim jr. & Cie., KGaA.

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de



Stuckmann geht lieber in sein Büro. Dort steht seine Nachfolgerin in der Tür: "In diesem Haus haben Sie nichts mehr zu suchen." Stuckmann: "Das ist, wie Sie wissen, mein Haus." Noch, aber nicht mehr lange. Dummerweise hat er sich nämlich während der zermürbenden U-Haft auf einen Besuch des Vorstandsvorsitzenden seines Instituts eingelassen. Und der hat ihn dabei "zum Wohle der Schule" zu einer Rücktrittserklärung bewegt. "Nur pro forma... Für die Sicht der Außenstehenden." Über die Folgen kann man in einem der letzten Kapitel des Buches lesen. Der mit Porsche, Landsitz in der Provence und "Gut Schillingsrott" vor seiner Verhaftung nicht eben arme Stuckmann muss sich 100 Mark von Freunden leihen, "damit ich was zu essen habe".

In seiner Post entdeckt Stuckmann auch ein großes Kuvert mit dem Absender "Kölner Schule". Seine StudentInnen "haben gesammelt und nun das geschickt, was ich im Gefängnis nicht haben durfte, die Berichte über Stuckmann". "Journalist als Stasi-Spion verhaftet" titelt der Kölner Stadt-Anzeiger. "Spion" ist er auch im EXPRESS, obwohl ihn bisher kein Staatsanwalt und kein Richter der Spionage bezichtigt hat. Der Autor: "Die EXPRESS-Journalisten toppen ihre Unfähigkeit, indem sie ein Foto von Stuckmann veröffentlichen. Aber das Bild zeigt nicht Stuckmann, sondern irgendeinen älteren, etwas trübsinnig dreinschauenden Mann." Die Kölnische Rundschau weiß andere Gründe für seine Verhaftung: "Studenten an Stasi vermittelt". Insgesamt haben elf in dem Kuvert versammelte Tageszeitungen behauptet, Stuckmann habe "mehr als 30" seiner Schüler und Mitarbeiter "seinen Führungsoffizieren...als geeignet angesehene Personen benannt". Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft werfen ihm vor, er habe bis zu 40 Studenten einschließlich seiner beiden Töchter und einer Buchhaltungshilfe als Perspektivagenten der HVA zugeführt.

Wie kam das BKA, dessen Beamte ihn mit dem Spruch "Nun haben wir Sie, IM Dietrich!" als "Inoffiziellen Mitarbeiter" der Hauptverwaltung Aufklärung beim Ministerium für Staatssicherheit im Januar 1994 verhafteten, auf diese Idee? Schuld daran sind eigentlich die ZEIT-AutorInnen Marion Gräfin Dönhoff, Rudolf Walter Leonhardt und Theo Sommer, die eine 1964 - unter der Regie des als "Kollege aus der Ostzone" in der Hamburger Journalistenszene sehr beliebten HVA-Offiziers Manfred Müller - entstandene, später auch als Buch veröffentlichte, berühmte ZEIT-Reportagen-Serie "Reise in ein fremdes Land" veröffentlicht haben. Die macht den damals 42jährigen ZEIT-Reporter Stuckmann neugierig auf das auch ihm "fremde Land", und so sagt er nur zu gerne Ja, als ihn WDR-Hörfunkdirektor Fritz Brühl 1965 zu Recherchen für eine Sendung in den "sowjetischen Sektor von Berlin" schicken will.

Dort trifft er den Hamburger Bekannten Manfred Müller wieder und lernt mit dessen Hilfe die DDR von Innen kennen. Die Folge dieser und weiterer DDR-Reportagen für ZEIT, WDR und anderen Zeitschriften: "Langsam begriff ich, was da vorging, begriff die Leute, ihre Zielsetzung und Argumente." Dem folgt, bald nachdem er - nach dem Anschlag auf Rudi Dutschke - am 11.April 1968 mit anderen Demonstranten die Auslieferung der BILD-Zeitung aus der Druckerei DuMont Schauberg in der Kölner Schwalbengasse verhindert hat, auch die Bekanntschaft mit Manfred Kapluck, DKP-Vorsitzender Ruhrgebiet-Westfalen. Dessen Rede in der Kölner Uni müsse er unbedingt hören, sagt seine Freundin Triene. Der Autor: "Ich weiß nicht, weshalb ich einem Kommunisten zuhören soll, die haben es immer noch mit den Russen. Aber was tut man nicht alles einer schönen, jungen Frau zuliebe?" Nach Kaplucks Rede stellt er erstaunt fest: "Der Mann - ein Kommunist - hat recht." Aus einem "unverbindlichen Gedankenaustausch beim Bier danach wird nach wenigen Wochen eine intensive Unterstützung des Komitees zur Wiederzulassung der KPD und der DKP. Er schult heimlich deren Betriebszeitungs-Redakteure, und als die Erfolg haben, schreibt er in der ZEIT eine große Reportage darüber. Nur der Name des Lehrers fehlt. - "Nun geht mir auf: Ich habe mich mit diesen Kommunisten eingelassen. Verdammte Kommunisten..."

1974 - seine "Kölner Schule" ist bereits vier Jahre alt und erfolgreich - will Stuckmann mit mehreren KS-Studenten nach Warnemünde fahren, "um in der nahen Umgebung landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) zu besuchen. Die Studenten sollten lernen, wie ein anderes Land mit einem anderen politischen Denkansatz versucht, die immensen und vielfältigen Probleme in der Landwirtschaft zu lösen; Probleme, die auch in der BRD dringend hätten gelöst werden müssen und - nunmehr rund 30 Jahre danach - in den so genannten alten Bundesländern weiter denn je von einer Lösung entfernt sind." Doch am Ende fährt nur ein Student mit. Die anderen haben abgesagt. Manfred Müller empfängt ihn und den Studenten überaus gastfreundlich im Nobelhotel Neptun, macht sie mit dem "Wochenpost-Kollegen" Michael Altmann bekannt, und die Recherche in den LPGs kann beginnen. Anmerkung des Autors: "Dass Manfred Müller auch andere Gründe für seine ständige Hilfsbereitschaft hatte, dahinter bin ich erst später gekommen."

Das geschieht erst, nachdem dieser ihm ein Aufsehen erregendes ZEIT-Interview mit Nikita Chruschtschow vermittelt und ihn dann an "den Genossen Altmann" als künftigen Reisebegleiter weiter gereicht hat. Altmann hilft Stuckmann künftig bei KS-Exkursionen und DDR-Recherchen, verschafft ihm dafür sogar einen DDR-Ausweis. Spätestens da wird ihm klar, dass er einen "Führungsoffizier" hat und als "IM" geführt wird: "Aber ich vergaß nie, dass der Führungsoffizier angehalten war (und dafür bezahlt wurde) seinen IMs Land und Leute möglichst positiv zu verkaufen. Ich aber wollte selber ergründen, was das für ein Staat war, was für Menschen das waren, für die ich mich einsetzte - und für die ich mich in Gefahr begab." Dass er dabei die dort vorhandenen Schwachstellen und dort gemachten Fehler nicht übersieht, die schließlich zur Wende führen, zeigt dieses Buch, beweist aber auch die Tatsache, dass er ohne Probleme weiter für die BRD-Medien arbeiten kann. Die Zuschauer und Hörer der ARD macht er mit der DDR bekannt und arbeitet gleichzeitig mit der Hauptverwaltung Aufklärung von Markus Wolf im MfS zusammen, die einen durchaus erfolgreichen Kampf im psychologischen Sektor des Kalten Krieges führt. Dafür bekommt er zum 60sten Geburtstag die "Verdienstmedaille der Deutschen Demokratischen Republik".

Mit dem Aufschreiben seiner Erinnerungen für dieses Buch beginnt Heinz Stuckmann bereits in der U-Haft, bald nach der Festnahme durch das BKA. Das wird für ihn auch eine Art Therapie, durch die er die Haft besser übersteht. Die Abwechslung von Kapiteln über seine Vergangenheit - also Kindheit, katholische Jugend, Gewerkschafts- und journalistische Arbeit, Kölner Schule und seine Beziehungen zu Triene und Katharina - mit den aktuellen Erfahrungen von Festnahme, Knast, Verhören und am Ende 1996 beim Oberlandesgericht Düsseldorf - machen diese Autobiographie spannend wie einen Krimi und aufschlussreich wie ein politisches Sachbuch.

Übrigens: Keiner der beim Oberlandesgericht vorgeladenen Zeugen, auch keiner der laut BKA und Medien angeblich "an die Stasi vermittelten Studenten" sagt etwas den Angeklagten Belastendes aus. Die Oberstaatsanwältin ist am Ende "rot vor Wut", weil Stuckmann "wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit" zu einem Jahr Gefängnis mit Bewährung und zu einer Geldbuße von 10.000 Mark verurteilt wird. Begründung: Er habe "bedenkenlos junge Menschen, die sich ihm zur Ausbildung anvertraut hatten, in die Gefahr gebracht, vom MfS angeworben zu werden... Ein messbarer Schaden aufgrund der Informationen, die er geliefert hat", sei aber "nicht entstanden". Welche Informationen der Angeklagte geliefert haben soll, weiß das Gericht offenbar nicht. Es hat auch keine angeworbenen KS-Schüler entdeckt. Und seine Aufklärungsarbeit in Sachen DDR kann man ihm schlecht zum Vorwurf machen. Dass es nicht zu einem Freispruch kommt, dürfte weniger an der Oberstaatsanwältin, sondern eher an dem bei Stuckmanns Verhaftung vom BKA ausgelösten Medienrummel liegen. Motto: "Nutten und Spione im Blatt erhöhen die Auflage".

Verdammte Kommunisten - Cover
Heinz D. Stuckmann:
Verdammte Kommunisten. Die Bekenntnisse des IM "Dietrich". Kai Homilius Verlag, Berlin 2006, 312 Seiten, 19,90 Euro.



Online-Flyer Nr. 64  vom 03.10.2006

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