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Lokales
Interview mit Canteca de Macao im Gloria in Köln
Liebe, Revolution und... Kakaobutter?
Von Carl H. Ewald

In Spanien der Newcomer des Jahres, in Deutschland kaum bekannt: Canteca de Macao begeistern ihre Zuhörer mit einer rhythmischen Mischung aus Rumba, Reggae, Tango, Ska, und - in dieser musikalischen Paella darf er natürlich nicht fehlen - mit Flamenco! Auf Arabisch bedeutet Flamenco ursprünglich "landloser Bauer", und auch in dieser Tradition stehen Canteca de Macao - mit ihren globalisierungskritischen Texten. Nach ihrem Konzert in Köln unterhielt sich Carl Ewald mit der Band.
Sie waren ja "nur" ein Ersatz, als sie am 11. August zur "Rumbeska Night" im Gloria in Köln für die etwas bekannteren "Ojos de Brujo" kurzfristig einsprangen. Das Konzert von Canteca de Macao war zweifellos ein gelungener Ersatz für einen mit Chipstüten bewaffneten Sofa-Abend, bei dem man sich mit den von VIVA gehypten Popsternchen langweilen muss. Sie sind gut, aber live sind sie unschlagbar! Weg mit den Chipstüten, und viva Canteca de Macao! Denn bei den gesellschaftskritischen Texten der Gruppe könnten dem Konsumenten die Chipskrümel auch schnell im Halse stecken bleiben:

"Mit verlorenem Blick in den Augen
die in leeren Höhlen stecken
Man kann meine Rippen zählen
Ich muss von einem Tag auf den anderen Tag versuchen zu überleben
Und du, der du Sorgen hast, wie du abnehmen kannst
den ganzen Tag über die paar Kilo zu viel nachdenkst
setz dich mal kurz und fang an, darüber nachzudenken
wie die anderen leben und wie sie sterben!
Um nicht zu sterben, muss ich mein Leben aufs Spiel setzen
Noch bleibt mir die Hoffnung, dass ich hier herauskomme
Meine Illusionen segeln über ein kaltes blaues Meer,
um endlich, endlich der Armut zu entkommen!
Und ob´s der Mühe wert ist
Ja, in ein Bötchen zu steigen, das kentern wird,
bevor es in Gibraltar ankommt..."

(aus "Los Hijos del hambre no tienen mañana" - Die Hungerkinder kennen kein Morgen - freie Übersetzung Ewald)


Danilo: Die Flöte und die Kunst als Waffe
Danilo: Die Flöte und die Kunst als Waffe
Foto: www.cantecademacao.org


Hier verleiht Canteca de Macao den zigtausenden afrikanischen Bootsflüchtlingen, die jedes Jahr immer wieder an den spanischen Küsten, in Gibraltar oder auf den kanarischen "Ferieninseln" stranden, eine Stimme. Und was für eine: Anita, die Sängerin der Band, hat eine wundervolle Stimme, die einmal melodisch, dann wieder leidend in typischer Flamencomanier oder auch lustig quakend klingen kann.

Man hört es schon: Canteca de Macao nehmen auch nicht alles bitternst. Darauf deutet schon ihr Name hin, der eine lustige Verdrehung von "Manteca de Cacao" ist: Kakaobutter. Die Musik der neunköpfigen Band hat Pep und Rhythmus - und macht vor allem Spaß, ist frech und intelligent! Ihre "Mestizo-Musik" ist auf jeden Fall eine willkommene Abwechslung zu dem oft oberflächlichen Popgedudel, das man sonst so um die Ohren gehauen bekommt.

Man hört noch nichts?! Na, dann sollten aber ganz schnell alle, die moderne spanische Musik lieben und ihr Niveau über die Gipsy Kings oder David Bisbal hinaus erweitern wollen, unbedingt die neue CD kaufen. Oder über www.cantecademacao.org reinhören. Oder dieses Interview lesen.

Chiki und Anita - Sänger der Band
Chiki und Anita - Sänger der Band
Foto: Sarah Wojcheck


Vielleicht könntet ihr euch kurz vorstellen...?


Guten Abend, wir sind Canteca de Macao, und wir heißen Anita, Cindy, Mao, Lucía, Muto, Danilo, Chemu, Juancho, Chiki, Zulo...

Ich hoffe, ihr seid mit eurem Auftritt hier in Köln zufrieden?


Ja, mit unserem Auftritt sind wir vollkommen zufrieden - vor allem mit der Reaktion des Publikums. Zumal wir jetzt gerade aus Gründen höherer Gewalt zwei neue Mitglieder mitnehmen mussten - es war das erste Mal, dass sie mit uns spielten. Also, dafür sind wir super zufrieden.

Ihr spielt ja eine sehr interessante Mischung, aus, sagen wir mal, Rumba, Ska, Reggae, Flamenco... Wie seid ihr denn zu dieser Mischung gekommen?


Tatsächlich spielen wir auch noch andere Rhythmen: Paso Doble, Bolero, Milonga... Wir probieren immer verschiedene Stilrichtungen aus, immer wieder neue Sachen und sind offen für alles!

Lucía, Cindy und Anita
Lucía, Cindy und Anita
Foto: Sarah Wojcheck


Es ist der Einfluss von dem, was wir so auf der Straße aufgelesen haben, wo ja auch ganz verschiedene Leute sind. In Madrid gibt es ein Viertel namens Lavapies, in dem das ganze Leben auf der Straße stattfindet. Das ist ein Phänomen, das man sich mal angucken muss: Die Leute kommen von überall her, und sie verstehen sich wirklich gut miteinander. Und in solch einer Atmosphäre entsteht diese vielfältige Mischung, mit ganz verschiedenen Schattierungen.

Und dass ihr in guter alter Tradition Flamenco spielt, ist das normal für junge Leute in Spanien?

Ja, in letzter Zeit schon ziemlich - es gibt sogar Jazzmusiker, die Flamenco spielen. Natürlich ist der Einfluss in Andalusien immer noch besonders stark.

Aber, es stimmt, die Jugend ist schon ziemlich flamencobegeistert! Vorher sah man den Flamenco schon eher noch als Folklore für alte Leute oder für Puristen an, aber die Mischung von Flamenco mit anderen Stilrichtungen trifft gerade bei der Jugend auf ein großes Interesse. Der Flamenco entwickelt sich einfach weiter. Seit fünf oder zehn Jahren hört man ihn jetzt wieder, seit der "Camarón-Ära". An jeder Ecke gibt es moderne Flamencogruppen. So haben die Leute auch wieder Interesse an der ursprünglichen Musik gewonnen - und das ist das Schöne daran.

Habt ihr auch irgendwelche musikalischen Vorbilder außer euch selbst?


Ja, Paco de Lucia hat die komplette Struktur des Flamencos verändert, musikalisch ist er der Größte für mich!

Ich bewundere unheimlich Camarón, Janis Joplin und Bob Marley, das ist es! Die Großen, die ich selbst nicht mehr erlebt habe... und andere Bandmitglieder Raimundo Madón, Manu Chao, Rúben Blades und natürlich Canteca de Macao!

Wenn ich eure Texte höre, fallen mir die Stichworte Globalisierung, Hunger, Diskriminierung, Ungerechtigkeit oder im Positiven Freiheit oder Demokratie ein... woher bezieht ihr eure Inspiration?

Das kommt natürlich aus dem Gefühl, und jeder singt, was er denkt. Wir drücken natürlich das aus, was viele Jugendliche fühlen. Als Reaktion darauf, was in der Welt heutzutage so passiert... Weißt du, die Situation in Madrid ist ziemlich polarisiert, es gibt viele Leute, die wenig haben. Das sind eben die Dinge, die uns betreffen.

Chiki schreibt eher über die kleinen Ungerechtigkeiten des Alltags, und ich schreibe eher über die großen Zusammenhänge, zum Beispiel über die Globalisierung...

Ich sage immer, die Kunst ist die Waffe, die in Zukunft alles Schlechte besiegt. Es ist die beste Waffe, die wir haben. Es gibt sehr viele Dinge zu sagen, und es gibt sehr viel Musik zu geben!

Vielen Dank, für das nette Interview!

Gracias a vosotros - vielen Dank!

(Übersetzung: Sarah Wojcheck und Maya Hirsch)

Online-Flyer Nr. 58  vom 22.08.2006

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