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Lokales
Gerling-Mitarbeiter bangen um ihren Arbeitsplatz
Entlassung durch die Hintertür
Von Hans-Dieter Hey

Vergangenen Mittwoch, 11.30 Uhr. Zur drückenden Hitze kommt die gedrückte Stimmung hunderter Gerling-Mitarbeiter, die auf dem Brunnenplatz vor dem an die Talanx AG verkauften Gerling-Konzerngebäude im Friesenviertel symbolisch ihre Arbeitsplätze zu Grabe tragen. Sie werden solidarisch unterstützt durch einige Beschäftigte der Allianz-Versicherung und der Commerzbank.

Eine ältere Kollegin denkt an die alten Gerling-Zeiten und an den Erben Dr. Rolf Gerling: "Dort drüben, da ist das Büro vom alten Gerling. Der dreht sich im Grabe um, wenn er sieht, was hier gemacht wird." Denn nach bisher nicht bestätigten Plänen der Konzernleitung wird der Standort "Lebensversicherung" in Wiesbaden aufgelöst. Die rund 450 Beschäftigten sollen dann in Köln oder an anderen Standorten der Bundesrepublik untergebracht werden. Dafür sollen 700 bis 900 Beschäftigte der Sparte "Sachversicherungen" von Köln nach Hannover verschoben werden. Eine zornige Kölner Kollegin: "Hannover, das ist ja schlimmer als Bielefeld!"

'Da ist das Büro vom alten Gerling'
"Da ist das Büro vom alten Gerling"
Foto: Hans-Dieter Hey



Was sich allerdings nur wie ein Ortswechsel anhört, entpuppt sich möglicherweise als Trick der neuen Eigentümer, auf billigem Wege ohne Sozialausgleich Arbeitsplätze zu streichen. Erfahrungsgemäß können bei vergleichbaren Betriebsverlagerungen kaum mehr als 25 % der Kolleginnen und Kollegen mit umziehen, meint der Kölner Betriebsratsvorsitzende Hans-Ulrich Hanke. Der Rest bleibt dann eben vor der Tür. Zwar hatte sich der Konzern mündlich bereit erklärt, beim Umzug zu helfen. Aber nach dem alten Lateiner-Spruch "Quod non est in actis, non est in mundo" (was nicht geschrieben steht, ist nicht in der Welt) ist für die Beschäftigten eben nichts in trockenen Tüchern.

Protest gegen den neuen Eigentümer
Protest gegen den neuen Eigentümer
Foto: Hans-Dieter Hey



Aus einer Sitzung mit der Konzernleitung kehrte Hanke deshalb auch enttäuscht zurück - ohne konkrete Informationen für die Kolleginnen und Kollegen. Und weil niemand weiß, was werden soll, stand manchen der Protestierenden Angst und Enttäuschung im Gesicht. Viele von ihnen kennen Arbeitslosigkeit nur aus den Medien - nun sind sie vielleicht bald selber dran. Sie bekommen das kalte Herz eines entfesselten Kapitalismus zu spüren, der Menschen nur noch als Kostenfaktor sieht, in dem Menschen nichts mehr wert sind und damit zur beliebigen Manövriermasse werden. Und heute, in Zeiten von Hartz IV, ist man ruckzuck am Rande der Gesellschaft angelangt.

Arbeitsplätze zu Grabe getragen?
Arbeitsplätze zu Grabe getragen?
Foto: Hans-Dieter Hey



Auf Nachfrage der NRhZ, was man mit der "Trauerversammlung" denn erreichen wolle, äußert ein Mitarbeiter zornig: "Mit Kerzchen oder Trillerpfeifchen erreichen wir hier nichts mehr. Da muss mehr passieren". Und das hört sich im Zweifel nach Kampfansage an. So ist auch der Gewerkschaftssekretär von ver.di, Rainer Klein, der Überzeugung, dass sich die Konzernleitung nicht darauf einstellen sollte, dass die Kolleginnen und Kollegen alles widerstandslos hinnehmen werden. Für diesen Widerstand jedenfalls biete ver.di den Beschäftigten volle Unterstützung an. Denn - so Klein - die "Trauerversammlung" vom Mittwoch könne nur eine Auftaktveranstaltung sein. 

Wie es weitergeht, sollen die Beschäftigten jetzt am 10. August erfahren. Im Gegensatz zu ihnen gibt sich die Stadt Köln gelassen und zuversichtlich. In ihrer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke.Köln im Rat der Stadt listet sie stolz die Zunahme von Gewerbesteuern im Versicherungswesen auf: Im Jahr 2000 betrug das Aufkommen 44,41 Mio Euro (7,46%) und im Jahre 2004 schon 117,21 Mio Euro und damit 16,97%.

Michael Kellner, Mitglied der Ratsfraktion Die Linke.Köln dazu: "Dass die Stadt mehr Gewerbesteuern im Versicherungsgewerbe eingenommen hat, ist zu begrüßen. Aber gleichzeitig zeigt die Auflistung auch die Dramatik der Lage. Durch den Wegfall des Allianz-Standortes wird Köln erhebliche Verluste auf der Einnahmeseite und gleichzeitig höhere Ausgaben im Sozialbereich haben." Die Fraktion habe nicht den Eindruck, dass die Verwaltung die ganze Dramatik der Entwicklung erfasst habe, sonst würde sie nicht davon ausgehen, dass "mit den aktuellen Entwicklungen die Umstrukturierung innerhalb der Branche weitgehend abgeschlossen" sei.

"Die Stadt schließt die Augen vor weiteren möglichen Geschäften von Allianz", so Michael Kellner, "und es ist unverständlich, wenn sie die "Zukunftsperspektive des Versicherungsstandortes Köln" auch noch "positiv bewertet, während weitere 1.800 Kölner Bürgerinnen und Bürger ihren Arbeitsplatz verlieren." Die Verwaltung müsse vielmehr zusammen mit ver.di und den Personalräten des gesamten Gewerbes den Standtort Köln sichern.

Lesen Sie hierzu auch unsere Stalin-Glosse und das Gedicht "Ihr seid entlassen!".



Online-Flyer Nr. 55  vom 02.08.2006

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