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Kultur und Wissen
ARTIST TALKS mit Inge Broska und Kees Mol im Salon zur Post
Der Schaufelbagger im Wohnzimmer
Von Carola Willbrand

Der Kunstdialog begann mit dem Film "Schaufelweise" - 2005 von Inge Broska (Buch, Idee, Regie) und Stefan Wilke (Kamera, Technik) gemacht. In s/w-Großaufnahme sieht man die Schaufel des Baggers. Der Bagger, seit 10 Jahren lebensbestimmend für die Leute in Alt-Otzenraht. Aber Otzenrath steht stellvertretend für 47 Dörfer, die in den letzten Jahrzehnten durch den Braunkohleabbau Garzweiler II vernichtet wurden. Sieben sollen noch folgen.

Dank der Umsiedlung landet Frau Broska in der Schaufel des Baggers. Eine gemütliche Kaffeetafel hat sie aufgebaut: die alte Kaffeekanne von der Großmutter, die Kaffeetassen auf einem netten Tischdeckchen. Als Tisch dient ein Pappkarton. Frau Broska empfängt auf der violetten feministischen Wolldecke eine Freundin, die einen Kuchen mitgebracht hat.
Die beiden Freundinnen machen sich´s gemütlich, nippen an den Kaffeetassen und plauschen. Die Freundin freut sich, dass Frau Broska so eine schöne Aussicht hat (auf ein gelbes Ungetüm von Riesenraupenfahrzeug) und so in der Natur lebt. (Vorsicht verschmutzte Fahrbahn!)

Frau Broska erläutert, dass man zum Pinkeln hinter die große Kabelrolle schräg gegenüber vom Schaufelbagger muss. Die Kamera fährt in die Totale, man sieht eine riesige Brachlandschaft, aufgeworfenes Erdreich mit den tiefen Spuren der schweren Räummaschinen. Ein Reporter kommt vorbei und fragt, wie es sich denn so lebt nach der Umsiedlung, und ob er ein Foto für seine Leser machen dürfe. Frau Broska erzählt, wie nett die Arbeiter wären und dass sie, wenn der Bagger arbeitet, bis 16 Uhr spazieren gehe. Aber morgen zieht sie in eine andere Schaufel um. Wir, die Zuschauer lachen, auch wenn das Lachen einen bitteren Nachgeschmack hat.

Inge Broska in Alt-Otzenrath
Inge Broska in Alt-Otzenrath
Foto: Privat


Leben und Kunst - Kunst und Leben

Inge Broska beschäftigt sich seit langen Jahren mit Alltagskultur, z.B. mit dem Kochen. In ihrem Hausmuseum Otzenrath (www.hausmuseum.de) sammelt sie die Alltagsgegenstände, Kochgeschirr, Werkzeug, Stühle, die die Leute auf die Container schmeißen. Weil sie in ihren neuen Dörfern, in ihren neuen Häusern, neue Sachen haben wollen. Inge Broska, die jahrelang im Frauenmuseum arbeitete, widmet ihre letzten Arbeiten dem Kohletageabbau, der Bagger baggerte sich unaufhaltsam in ihr Leben. Und auch mit der Fotografie hielt sie die Zerstörung dieser alten Dörfer fest

Der Denkmalschutz

Der zweite Film von Inge Broska und Stefan Wilke "Denk ich ans Denkmal in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht", 2005, frei nach Heinrich Heines "Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht", zeigt eine große Hofanlage, die Anfang des 12. Jahrhunderts Alt-Otzenrath begründet hat. Über die Jahrhunderte veränderte sich immer wieder das Aussehen der einzelnen Gebäude. Das heutige Herrenhaus (noch steht es!) wurde Ende des  19. Jahrhunderts erbaut. Die ehemaligen Ställe und Nebengebäude wirken aber viel älter. Die Uhr auf einem kleinen Türmchen eines der Hofbebäude schlägt noch. Verschiedene Leute tragen Gegenstände hin und her, Frau Broska eine grün lackierte Holztür mit ausgeschnittenem Herzchen.

Die Kamera fährt auf ein altes Plumpsklo. Ein Mann fotografiert im Hof. Eine kleine Gruppe steht auf dem Balkon, prostet sich zu. Aus dem Off erklingt ein altes deutsches Volkslied. Die Kamera fährt auf das Wappen des Landes Nordrhein Westfalen, das auf einer Mauer prangt. Darunter die Aufschrift "Denkmal". Im Nachspann sieht man zwei Damen, Frau Broska und eine Kollegin, kichernd das deutsche Volkslied proben - auf dem Friedhof. Die Toten sind schon umgebettet.

Ausstellung im Heimatmuseum
Ausstellung im Heimatmuseum
Foto: Ilgner


Das Unprofessionelle in der Kunst

Kees Mol, der in Belgien lebende holländische Performancekünstler zeigt Dias seiner Performances der letzten 25 Jahre. Seit 1978 performt er. Viele Plätze, viele Länder besuchte er mit seiner Kunst - einer Art expressiver Körperarbeit. Hängend an Seilen, unter seinen Füßen Feuer, das fast die Fußsohlen verbrennt - im Hintergrund spielt eine Punkband, die die Zuschauer im Salon zur Post nicht hören. Das war irgendwann Anfang der 80er.

Kees Mol sagt, er sei kein Profi, die Dias sind nicht chronologisch nach Jahreszahlen sortiert. Zwischendurch sieht man auch Urlaubsdias: Die Freundin vor dem Palast des Kindermörders Herodes in Golan.

Die Hausherrin des Salons zur Post legt nach Anweisung von Kees Mol seine mitgebrachten CDs auf. Genauso unsortiert wie die Dias wirken, springt die Musik durch die letzten Jahrzehnte: klassischer Jazz, Bluesmusik wechseln sich mit amerikanischer Pop- und Countrymusik ab.
Dieses Unsortierte, Unprofessionelle des Kees Mol aber ist sein Konzept. In einer Welt voller Vorschriften und Grenzen will er nicht funktionieren. Er hat keine Payback-Karte. Er wird sich ganz bestimmt nicht den elektronischen Chip unter die Haut setzen lassen, um codiert im Supermarkt einzukaufen.

Und so serviert Kees Mol auch den Zuschauern keine fertige Show, keine glatte Präsentation toller Events, sondern Bruchstücke eines Lebens mit dem Feuer. Tatsächlich. Zur Eröffnung der Frankfurt Oper Anfang der 90er Jahre legte er auf dem neuen Parkettboden eine Feuerschleife. Er warf Messer auf die neue Wand. Ein Messer verletzte seinen Fuß. 200 DM musste er für die Ambulanz bezahlen. Vorher in den 80ern trieb er das Kunstpublikum mit der Peitsche aus der "Moltkerei" einem legendären kölner Performance-Ort, weil - wie er sagt - er nicht zur Kunstbiennale Venedig eingeladen worden war. Die einflussreichen Kunstmagnaten der Institutionen, die Kuratoren unterstützten ihn nicht.

Kees Mol
Kees Mol
Foto: Roland Bergère


Der Sinn der Performance-Kunst - Was übrig bleibt

Das Feld der Performance-Kunst ist groß. Alle Möglichkeiten des Körpers sind auszuschöpfen. Auch Kees Mol berichtet über die Körperdinge, ob der Körper fühlt und denkt und pinkelt vor Publikum in einen Pappbehälter. In der Performancekunst kann man mit oder ohne Körpereinsatz arbeiten, Requisiten benutzen, Kostüme, Schrift, Text (den auch Kees Mol zuweilen einsetzt - philosophische Zitate), Musik, Sprache. Wie gesagt, ein Riesen-Bereich. Letztendlich aber geht es doch darum, was ein Künstler mitteilen will, was er in der Welt will.

Inge Broska weiß genau, daß sie den Bagger NICHT will. Sie kämpft gegen die Zerstörung. Kees Mol spielt mit dem Feuer. Er wirkt mitgenommen - in einem mitgenommenen Körper. Vielleicht zerstört er sich selbst. Er liest Spinoza und Wilhelm Reich, er sagt, er sei Buddhist, seine letzte Performance war 2002. Es regt ihn zu sehr auf (nimmt ihn zu sehr mit) - das Performen. Er will nur noch schreiben. Über alles - über die Welt. Er sei eine Art Historiker. Also eine Aneinanderreihung von Elementen des Körpers, der Dinge, des Geistes. Aber ich weiß nicht wirklich, was er will. Oder ich habe nicht verstanden, was er will.

Externe Links:

Weitere Informationen über Inge Broskas Arbeitsgebiete:
www.derstillstand.de
Ultimate-Akademie

Online-Flyer Nr. 19  vom 23.11.2005

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