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Literatur
Hartmut Vinçon in "Kirche unter Druck" über einen "Antisemitismus-Skandal" in Darmstadt
Wie ein Krimi
Buchtipp von Peter Betscher
Das Buch liest sich wie ein Krimi, nur dass es sich um ein reales Geschehen handelt. Um was geht es? Die Michaelsgemeinde ist in Darmstadt dafür bekannt, dass die Mitglieder sich seit langen für einen gerechten Frieden im Nahen Osten einsetzen und einen multireligiösen Dialog pflegen. Pfarrer Werner pflegt den offenen Dialog in seiner Gemeinde. „Die Möglichkeit, dass kontroverse Gruppen miteinander statt übereinander sprechen ist für uns ein hoher Wert.“ (1) In diesem Sinne wurde am 15. und 16.12. 2024 ein antikolonialistischer Friedensweihnachtsmarkt veranstaltet. Auf diesem Weihnachtsmarkt wurden einige Ausstellungsstücke fotografiert und über den Verein Honestly Concerned ohne Rücksprache mit den Veranstaltern der BILD-Zeitung zugespielt. Die BILD-Zeitung entfachte daraufhin eine Hetzkampagne gegen die Michaelsgemeinde bis über die Grenzen Deutschlands hinaus mit schwerwiegenden Folgen. Die Kirchengemeinde wurde von der Evangelischen Kirche Hessen Nassau (EKHN) geschlossen. Der Pfarrer erhielt Morddrohungen und wurde vom Dienst suspendiert. Es wurde Strafanzeige gegen einige der Veranstalter gestellt und der Staatsschutz ermittelte.
Der Kommunikationswissenschaftler Hartmut Vinçon dokumentiert die Skandalisierung des Friedensweihnachtsmarktes akribisch durch Stellungnahmen aller Beteiligten und arbeitet die Wirkung auf alle Beteiligten heraus. Er erläutert ausführlich die Bedeutung der inkriminierten Ausstellungsstücke und wie diese absichtlich in einen falschen, angeblich antisemitischen Zusammenhang gesetzt wurden. Pikant ist, dass dieselben „Devotionalien“ auf mehreren Veranstaltungen, „u.a. unter der Ägide und Schirmherrschaft von Kommunen und kommunalen Amtsträger in der Stadt (…) ausgelegt und angepriesen waren“ (2), ohne dass sich jemand daran gestört hätte.
Im anschließenden Dokumententeil wird dem Leser eine reichhaltige Auswahl an Internet-Adressen zur Selbstrecherche geboten. Strafanzeigen und Beschwerden von Einzelnen gegen die BILD-Zeitung und deren Beantwortung können nachverfolgt werden. In den Antworten der Staatsanwaltschaft und des Presserates kann man feststellen, dass die evozierende Darstellung der BILD-Zeitung ohne eigene Recherche übernommen wird. Beide Institutionen gelangen zu dem Ergebnis, dass es nichts zu beanstanden gab. Daraus folgt, sowohl die Kontrollorgane als auch die Medien haben die ihnen auferlegte medienethische Sorgfaltspflicht vermissen lassen. Bei der BILD-Zeitung kann man nicht von einem journalistischen Versagen ausgehen. Erinnert sei an ihre Berichte einst über Rudi Dutschke und aktuell an ihre diffamierenden Berichte über den palästinensischen Fotografen Anas Fteiha (3) und über die Referentin im Arbeits- und Sozialministerium, Melanie Schweizer (4).
Unterschiedliche Stimmen von Betroffenen des Friedensweihnachtsmarktes kommen in Briefen, Gesprächsangeboten und Aufrufen zu Wort, die ein gänzlich anderes Bild der Veranstaltung geben. Im Kapitel „Was bleibt?“ werden die erzeugten Hass-Tiraden nicht nur in den sozialen Medien dokumentiert, sondern auch dargestellt, welche Konsequenzen diese für die Stigmatisierten hatten.
In seinem Resümee stellt Hartmut Vinçon die Frage nach der Aufrichtigkeit der Kirche, wenn sie unter Druck gerät, und fordert die Verantwortlichen auf, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen und sie öffentlich zu rehabilitieren.
Die Skandalisierung des Friedensweihnachtsmarktes der Michaelsgemeinde ist kein Einzelfall in der inzwischen flächendeckend praktizierten „Cancel-Culture“. Das Verdienst von Hartmut Vinçon ist es, dass er am Beispiel der Denunziation gegen die Michaelsgemeinde die Mechanik dieser Vorgänge plastisch nachvollziehbar macht und die Leser auffordert, mediale Behauptungen stets zu überprüfen, bevor man diese leichtfertig übernimmt.
Dieter Becker untersucht in seinem Beitrag die Rolle und Zwänge des Journalismus in einer sich immer schneller drehenden Nachrichtenwelt. Er vergleicht die hehren Ziele des Pressekodex mit der journalistischen Wirklichkeit, die kaum mit den Eigeninteressen des Verlegers und der Journalisten in Einklang zu bringen sind. Er diagnostiziert das Versagen der strukturellen Institutionalisierung des deutschen Pressekodex. Der Beschwerdeausschuss des Presserats weist im vorliegenden Fall die Beschwerde mit 3 Ja- und 3 Neinstimmen ab. Das wertet Becker als „Klatsche“ für die Antragssteller (5).
Ein wichtiges Buch für alle, die sich ein Bild über die zunehmenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit der letzten Jahre machen wollen.
Die Petition des Solidaritätskreis Michaelsgemeinde kann unterzeichnet werden unter: openpetition.de
Hartmut Vinçon (Autor), Dieter Becker (Mitwirkender), Kirche unter Druck: Wie und warum BILD aus einem „Antikolonialistischen Friedensweihnachtsmarkt“ einen „Antisemitischen Weihnachtsmarkt“ machte

AIM-Verlagshaus, Erscheinungstermin 4. Dezember 2025, 198 Seiten, 18,90 Euro, bestellung@aim-verlagshaus.de
Fußnoten:
(1) https://politnetz-darmstadt.de/node/35179.
(2) Hartmut Vinçon, "Kirche unter Druck", AIM-Verlag 2025, S. 175.
(3) https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/gaza-journalist-klagt-gegen-bild-wegen-hamas-propaganda-vorwurf-93979933.html .
(4) https://www.nachdenkseiten.de/?p=129962
(5) Hartmut Vinçon, "Kirche unter Druck", AIM-Verlag 2025, S. 170.
Online-Flyer Nr. 855 vom 12.12.2025
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Literatur
Hartmut Vinçon in "Kirche unter Druck" über einen "Antisemitismus-Skandal" in Darmstadt
Wie ein Krimi
Buchtipp von Peter Betscher
Das Buch liest sich wie ein Krimi, nur dass es sich um ein reales Geschehen handelt. Um was geht es? Die Michaelsgemeinde ist in Darmstadt dafür bekannt, dass die Mitglieder sich seit langen für einen gerechten Frieden im Nahen Osten einsetzen und einen multireligiösen Dialog pflegen. Pfarrer Werner pflegt den offenen Dialog in seiner Gemeinde. „Die Möglichkeit, dass kontroverse Gruppen miteinander statt übereinander sprechen ist für uns ein hoher Wert.“ (1) In diesem Sinne wurde am 15. und 16.12. 2024 ein antikolonialistischer Friedensweihnachtsmarkt veranstaltet. Auf diesem Weihnachtsmarkt wurden einige Ausstellungsstücke fotografiert und über den Verein Honestly Concerned ohne Rücksprache mit den Veranstaltern der BILD-Zeitung zugespielt. Die BILD-Zeitung entfachte daraufhin eine Hetzkampagne gegen die Michaelsgemeinde bis über die Grenzen Deutschlands hinaus mit schwerwiegenden Folgen. Die Kirchengemeinde wurde von der Evangelischen Kirche Hessen Nassau (EKHN) geschlossen. Der Pfarrer erhielt Morddrohungen und wurde vom Dienst suspendiert. Es wurde Strafanzeige gegen einige der Veranstalter gestellt und der Staatsschutz ermittelte. Der Kommunikationswissenschaftler Hartmut Vinçon dokumentiert die Skandalisierung des Friedensweihnachtsmarktes akribisch durch Stellungnahmen aller Beteiligten und arbeitet die Wirkung auf alle Beteiligten heraus. Er erläutert ausführlich die Bedeutung der inkriminierten Ausstellungsstücke und wie diese absichtlich in einen falschen, angeblich antisemitischen Zusammenhang gesetzt wurden. Pikant ist, dass dieselben „Devotionalien“ auf mehreren Veranstaltungen, „u.a. unter der Ägide und Schirmherrschaft von Kommunen und kommunalen Amtsträger in der Stadt (…) ausgelegt und angepriesen waren“ (2), ohne dass sich jemand daran gestört hätte.
Im anschließenden Dokumententeil wird dem Leser eine reichhaltige Auswahl an Internet-Adressen zur Selbstrecherche geboten. Strafanzeigen und Beschwerden von Einzelnen gegen die BILD-Zeitung und deren Beantwortung können nachverfolgt werden. In den Antworten der Staatsanwaltschaft und des Presserates kann man feststellen, dass die evozierende Darstellung der BILD-Zeitung ohne eigene Recherche übernommen wird. Beide Institutionen gelangen zu dem Ergebnis, dass es nichts zu beanstanden gab. Daraus folgt, sowohl die Kontrollorgane als auch die Medien haben die ihnen auferlegte medienethische Sorgfaltspflicht vermissen lassen. Bei der BILD-Zeitung kann man nicht von einem journalistischen Versagen ausgehen. Erinnert sei an ihre Berichte einst über Rudi Dutschke und aktuell an ihre diffamierenden Berichte über den palästinensischen Fotografen Anas Fteiha (3) und über die Referentin im Arbeits- und Sozialministerium, Melanie Schweizer (4).
Unterschiedliche Stimmen von Betroffenen des Friedensweihnachtsmarktes kommen in Briefen, Gesprächsangeboten und Aufrufen zu Wort, die ein gänzlich anderes Bild der Veranstaltung geben. Im Kapitel „Was bleibt?“ werden die erzeugten Hass-Tiraden nicht nur in den sozialen Medien dokumentiert, sondern auch dargestellt, welche Konsequenzen diese für die Stigmatisierten hatten.
In seinem Resümee stellt Hartmut Vinçon die Frage nach der Aufrichtigkeit der Kirche, wenn sie unter Druck gerät, und fordert die Verantwortlichen auf, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen und sie öffentlich zu rehabilitieren.
Die Skandalisierung des Friedensweihnachtsmarktes der Michaelsgemeinde ist kein Einzelfall in der inzwischen flächendeckend praktizierten „Cancel-Culture“. Das Verdienst von Hartmut Vinçon ist es, dass er am Beispiel der Denunziation gegen die Michaelsgemeinde die Mechanik dieser Vorgänge plastisch nachvollziehbar macht und die Leser auffordert, mediale Behauptungen stets zu überprüfen, bevor man diese leichtfertig übernimmt.
Dieter Becker untersucht in seinem Beitrag die Rolle und Zwänge des Journalismus in einer sich immer schneller drehenden Nachrichtenwelt. Er vergleicht die hehren Ziele des Pressekodex mit der journalistischen Wirklichkeit, die kaum mit den Eigeninteressen des Verlegers und der Journalisten in Einklang zu bringen sind. Er diagnostiziert das Versagen der strukturellen Institutionalisierung des deutschen Pressekodex. Der Beschwerdeausschuss des Presserats weist im vorliegenden Fall die Beschwerde mit 3 Ja- und 3 Neinstimmen ab. Das wertet Becker als „Klatsche“ für die Antragssteller (5).
Ein wichtiges Buch für alle, die sich ein Bild über die zunehmenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit der letzten Jahre machen wollen.
Die Petition des Solidaritätskreis Michaelsgemeinde kann unterzeichnet werden unter: openpetition.de
Hartmut Vinçon (Autor), Dieter Becker (Mitwirkender), Kirche unter Druck: Wie und warum BILD aus einem „Antikolonialistischen Friedensweihnachtsmarkt“ einen „Antisemitischen Weihnachtsmarkt“ machte

AIM-Verlagshaus, Erscheinungstermin 4. Dezember 2025, 198 Seiten, 18,90 Euro, bestellung@aim-verlagshaus.de
Fußnoten:
(1) https://politnetz-darmstadt.de/node/35179.
(2) Hartmut Vinçon, "Kirche unter Druck", AIM-Verlag 2025, S. 175.
(3) https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/gaza-journalist-klagt-gegen-bild-wegen-hamas-propaganda-vorwurf-93979933.html .
(4) https://www.nachdenkseiten.de/?p=129962
(5) Hartmut Vinçon, "Kirche unter Druck", AIM-Verlag 2025, S. 170.
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