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Aktueller Online-Flyer vom 15. Juni 2025  

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Globales
15 Jahre nach Israels Überfall auf die Mavi Marmara
Vom Scheitern der Free-Gaza-Flottille bis zum Völkermord
Von Annette Groth

Ende Mai 2010 machte der Überfall der israelischen Armee auf sechs Schiffe der Free Gaza Flottille weltweit Schlagzeilen. Die Flottille wollte dringend benötigtes Gerät und Materialien für die Reparaturen der Schäden, verursacht durch den Krieg vom Dezember 2008 bis Januar 2009, nach Gaza bringen. Das internationale Bündnis „Free Gaza“ hatte seit 2008 mehrmals versucht, mit Schiffen die Blockade zu durchbrechen. Im August 2008 erreichten zwei Boote mit 44 Aktivisten Gaza – die ersten internationalen Schiffe seit 42 Jahren! Es folgten danach vier weitere erfolgreiche Anlandungen, drei weitere Schiffe wurden von der israelischen Marine aufgebracht, teilweise mit brutaler Gewalt. 2010 gab es mit ursprünglich acht Schiffen die größte Flottille, die von Athen, Istanbul und Agios Nikolaos/Kreta gestartet war. Sie hatte etwa 10.000 Tonnen Hilfsgüter an Bord, über 700 Passagiere aus 36 Ländern, darunter Abgeordnete aus verschiedenen Staaten, viele Journalisten, Aktivisten. Am 31. Mai 2010 griffen israelische Soldaten die Free Gaza Flottille in internationalen Gewässern an.

Die Mavi Marmara, ein ehemaliges türkisches Fährschiff und mit fast 600 Passagieren das größte Schiff der Flottille, wurde von Helikoptern aus attackiert und geentert, wobei neun Aktivisten, acht Türken und ein US-Amerikaner, getötet wurden; einer starb später an seinen Verletzungen. Neben Schusswaffen wurden Tränengas- und Blendgranaten, Farbgeschosse (paint ball guns) und gummiummantelte Stahlgeschosse eingesetzt.

Vor der Abfahrt hatten die Hafenbehörden die Fracht akribisch kontrolliert, um mögliche Waffentransporte auszuschließen.  Entgegen der israelischen Beschuldigungen gab es an Bord keine Waffen, nur Küchenmesser, wie auf Fähren üblich.

In Deutschland wurde die Flottille von IPPNW unterstützt, der Deutschen Sektion von pax christi und von einigen palästinensischen Organisationen. Die fünfköpfige deutsche Delegation setzte sich aus je einem Vertreter von IPPNW und der Palästinensischen Gemeinde zusammen, Norman Paech als Völkerrechtler und zwei Abgeordneten der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Wir Deutsche reisten zunächst auf zwei Jachten unter US-amerikanischer Flagge und setzten später nach technischen Problemen auf die Mavi Marmara über, die unter der Flagge der Komoren fuhr.

Frühmorgens am 31. Mai wurden die Passagiere über Lautsprecher aufgefordert, sich in die Aufenthaltssäle zu begeben und jeden Widerstand zu unterlassen. Die Israelis hätten das Kommando über das Schiff übernommen. Alle mussten dann auf die Außendecks und wurden mit Kabelbindern um die Handgelenke gefesselt. Alle persönliche Gegenstrände, auch Handys, wurde uns abgenommen. Frauen und männliche Europäer durften auf den Bänken sitzen, die anderen Passagiere mussten die ganze Zeit knien. Der Toilettengang wurde willkürlich erlaubt oder verboten. Die Verletzen wurden auf das Sonnendeck gebracht und zwar auf den Bahren liegend mit dem Kopf nach unten, was bei Schwerverletzten durchaus den Tod hätte bedeuten können.

Nach vielen Stunden auf hoher See nahm die Mavi Marmara Kurs auf Ashdod. Die Kaperung der anderen Schiffe zur gleichen Zeit verlief zwar ohne Tote, aber mit großer Gewalt. Die israelischen Soldaten benutzten Taser (Elektroschockwaffen) und Gummigeschosse, schlugen etliche Passagiere mit den Kolben ihrer Waffen, fesselten sie mit Kabelbindern und stülpten ihnen Kapuzen über. (1)

Es gab damals viel Protest gegen diesen völkerrechtswidrigen Überfall in internationalen Gewässern und die Brutalität der Soldaten gegenüber den Zivilisten.

Da uns Kameras und Handys abgenommen wurden, konnten wir keine Fotos machen, so dass die Berichterstattung einseitig durch die Israelis erfolgte. Israelische IOF-Angehörige (Israeli Occupation Forces, in Israel werden die Streitkräfte IDF, israelische Verteidigungskräfte genannt) bescheinigten den Aktivisten große Gewalttätigkeit durch Messer und Eisenstangen und wiederholten stets, dass sie sich verteidigen mussten.

Das Argument von der „Selbstverteidigung“ benutzen auch noch heute deutsche Politiker, um den Vorwurf des Völkermords zu entkräftigen.

Um die angebliche Gewalt durch die Free-Gaza-Aktivisten zu untermauern, fälschten israelische Medienexperten für die Öffentlichkeit bestimmte Videos, wie später herauskam.

Einigen Journalisten gelang es, ihre Filme vor den Israelis zu verstecken, so dass es Aufnahmen von dem Überfall gibt: https://culturesofresistancefilms.com/gaza-freedom-flotilla/

Damals wurde in den Medien heftige Kritik an dem israelischen Überfall und der Brutalität gegenüber den Passagieren geübt. Haganah-Veteran Dov Yirmiya von der israelischen Friedensbewegung Gush Shalom äußerte sein Entsetzen in einem Artikel übertitelt „Grenzenlose Schande“: 

„Ich bin einer von den noch übrigen Haganah-Veteranen, die in der britischen Armee gedient haben und danach zu den Initiatoren der illegalen Einwanderung für die Holocaustüberlebenden gehörte. Wir kämpften gegen die Mächte des siegreichen Großbritannien für das Recht, an den Küsten dieses Landes anzukommen. Ihre Kriegsschiffe und Soldaten, die gerade gegen den schlimmsten aller Feinde gekämpft und sie besiegt hatten, gingen nun dazu über, unsere Boote mit Wut und Haß zu bekämpfen, unsere Boote, die von den Küsten Italiens voll Überlebender aus der Nazihölle in dieses Land abfuhren. Die Kriegsschiffe jagten hinter ihnen her, schlossen sie ein, manchmal zerdrückten sie sie, schossen auf sie, töteten und verletzten viele ihrer Passagiere. Und jetzt habe ich mit Schrecken und gebrochenem Herzen eine Wiederholung derselben Szenen beobachtet – doch mit umgekehrten Rollen. Es sind die Soldaten und Matrosen der Militärkräfte, die sich rühmen, die „israelischen Verteidigungskräfte“ zu sein. Sie sind nun die Verfolger und Mörder. Es gibt keine Grenze für die Schande, die Grausamkeit und die Heuchelei, die unsere kriminellen Akte mit Lügen und Bösartigkeit einhüllen. Ich bin bis in die Tiefen meines Herzens betroffen … wie konnten wir nur so tief fallen? Wie sind wir zu einem ungerechten und grausamen Volk geworden, aus einem von Verfolgten zu einem, der verfolgt?

Doch! Ich hätte es erwarten können. 19 Jahre lang waren wir mit dem System einer Militärregierung über die arabische Minderheit einverstanden, die nach dem Unabhängigkeitskrieg bei uns geblieben ist. Sie wurde von uns enteignet und diskriminiert. Dann folgten 43 Jahre von berauschendem nationalistischem Draufgängertum, das nach dem Sieg von 1967 wie eine abhängig machende Droge unser Volk durchdrang und die Großisrael-Bewegung an die Macht brachte, die seitdem in Israel herrscht. … Schon in voraussehbarer Zukunft ist Israel dabei, seine Überlebenschancen zu zerstören. Das Menetekel der Zerstörung steht schon mit Blut an der Wand. Wehe unseren Kindern, unseren Enkeln und Urenkeln, denen wir solch eine Erbschaft hinterlassen.“ (2)

Lockerung der Blockade?

Angesichts der weltweiten Empörung und der wiederholten Aufforderung, die Blockade zu beenden, verkündete die israelische Regierung zweieinhalb Wochen nach der brutalen Erstürmung der Flottille eine Lockerung der Blockade. Da es sich aber eher um eine verbale Ankündigung handelte und dringend benötigte Waren noch nicht zugelassen wurden, appellierten 23 europäische Hilfsorganisationen im November 2010 an die internationale Gemeinschaft, Israel zur „sofortigen, bedingungslosen und vollständigen Aufhebung der Blockade“ zu bewegen.

Auch der ehemalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) forderte damals eine vollständige Aufhebung der Blockade.

Bundestagsbeschluss auf Ende der Blockade

Selbst der Deutsche Bundestag reagierte im Juni 2010 auf den Überfall und stimmte einmütig für einen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem Titel „Ereignisse um die Gaza-Flottille aufklären – Lage der Menschen in Gaza verbessern – Nahost-Friedensprozess unterstützen“ und forderte die Bundesregierung dazu auf, mit Nachdruck auf ein Ende der Gaza-Blockade hinzuwirken.  (3)

Leider folgten dem Beschluss keine Taten, aber ein Hinweis darauf kann als Argumentationshilfe im Kontext der Antisemitismus-Resolutionen des Bundestags durchaus hilfreich sein. Diese haben so wenig Gesetzeskraft wie der „Blockade-Antrag“. Angesichts der heutigen Debatten und Beschuldigungen sowie Verfolgungen von sogenannten „Pro-Palästinenser-Aktivisten“ ist dieser Antrag bemerkenswert und würde wohl heute vom Bundestag nicht angenommen.

Bereits im Juni 2010 reichten die deutschen Teilnehmer der Flottille bei der Bundesanwaltschaft Strafantrag „gegen Unbekannt“ wegen Entführung, Freiheitsberaubung und Beschlagnahme von Eigentum ein. Nach fünfjähriger Prüfung hat die Bundesanwaltschaft unseren Antrag zurückgewiesen, da der Angriff angeblich völkerrechtsgemäß gewesen sei. Tatsächlich war der Angriff ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht, weil der Überfall sich eindeutig gegen Zivilpersonen und zivile Schiffe richtete, die nach den Genfer Konventionen geschützt sind. 

Den letzten Versuch der Durchbrechung der Blockade unternahm das internationale Free Gaza Bündnis Anfang Mai dieses Jahres und scheiterte erneut. Am 2. Mai wurde das Schiff Conscience in internationalen Gewässern in der Nähe von Malta von zwei Drohnen attackiert und der Motor in Brand gesetzt. Auch diesmal gibt es Indizien auf israelische Täterschaft.  Prominente Mitfahrerinnen, die in Malta das Boot besteigen wollten, waren die bekannte Klimaaktivistin Greta Thunberg und die US-Amerikanerin Ann Wright, ehemalige Colonel, die ihren Dienst aus Protest gegen den Irak-Krieg quittierte und auch an der Free Gaza Flottille 2010 teilnahm.

Gaza – die Krise für die Humanität

Nach 2010 hat sich die Situation in Gaza und Palästina immer weiter verschlechtert. Die internationale Gemeinschaft ebenso wie die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten haben völlig versagt. UN-Generalsekretär Antonio Guterres äußerte schon am 6. November 2023: „Dieser Albtraum in Gaza ist mehr als eine humanitäre Krise. Es ist eine Krise für die Menschheit, für die Humanität.“

Die UN-Sonderberichterstatterin, Francesca Albanese, ließ angesichts der Repression gegen Kritiker der Bundesregierung und ihrer Komplizenschaft mit der rechtsextremen israelischen Regierung folgendes verlautbaren:

„Es scheint in Deutschland eine Art Paranoia zu geben, was kritische Auseinandersetzung betrifft mit dem, was Israel tut. Viele Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt sprechen sich dagegen aus, was in ihrem Namen geschieht. Aber Deutschland bringt selbst Israelis und jüdische Menschen zum Schweigen, die sich öffentlich gegen Israels Politik positionieren. Anstatt Israel mit den gleichen Maßstäben zu messen wie andere Länder, lässt man die Regierung ungestraft weitermachen.“ (4)  Das war noch vor ihren Auftrittsverboten an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München und an der Freien Universität Berlin im März 2025!

Warnung an die deutschen Freunde

Bereits im November 2019 veröffentlichte die *Frankfurter Rundschau* unter dem Titel „Deutschlands Politik sollte nicht der Ungarns, Polens und Israels ähneln“ eine Warnung von Amos Goldberg, Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem und Holocaustforscher.

Hintergrund war der Bundestagsbeschluss, der die Bewegung für einen Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) gegen Israel mit Antisemitismus gleichsetzte. Goldberg betonte, dass „viele, wenn nicht die meisten Antisemitismusforscher, darunter die Professoren Wolfgang Benz und Moshe Zimmerman, geltend machen, dass BDS als solches nicht antisemitisch sei“. Er kritisierte die Kündigung des Kontos der Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ durch die deutsche Bank für Sozialwirtschaft, weil die Bank „zu dem Schluss kam, dass diese Juden wegen ihrer Unterstützung von BDS eigentlich selbst Antisemiten seien“.

Ein ungeheuerlicher Vorwurf, aber die Repression gegen kritische Juden und Jüdinnen geht weiter. Etliche jüdische Intellektuelle und Kulturschaffende erhielten und haben Auftrittsverbote. Goldberg: „Es sind aber nicht nur Juden und Palästinenser im Nahen Osten, die den Preis für Passivität zahlen. Die Deutschen bezahlen auch selbst. Mit Hunderten von jüdischen und israelischen Gelehrten beobachte ich, wie das politische System in Deutschland rapide die freie Rede erodiert, wenn es um Israel und Palästina geht, und wie der öffentliche Diskurs in Diffamierung und Rufmord abgleitet. (…) Ich warne meine Freunde in Deutschland wegen unserer Erfahrungen in Israel: Es steht noch mehr Ärger bevor, falls Sie die Grundsätze der Demokratie, die Meinungsfreiheit und eine prinzipientreue Außenpolitik nicht energisch verteidigen. Wenn Sie nicht für diese Werte kämpfen, gerade auch im Kontext sensibler Themen, könnte sich Deutschland in fünf oder zehn Jahren in ein weiteres illiberales Bollwerk verwandeln. Seine Politik könnte dann der Israels, Ungarns und Polens ähneln.“ (5)

Goldberg hat mit seiner Prophezeiung recht. Die Meinungsfreiheit wird immer weiter eingeschränkt, Aktivisten, die gegen den Völkermord in Gaza protestieren, werden teilweise brutal zusammengeschlagen und juristisch mit dem Vorwurf der Volksverhetzung verfolgt, einige werden von Ausweisung bedroht, die Reihe der Repressionen ist lang. Pazifisten und Kriegsgegner, die gegen die Waffenexporte nach Israel und in die Ukraine sowie gegen die Aufrüstungspläne protestieren, werden diffamiert. Das Wort „Frieden“ ist zum Unwort mutiert, die Deutschen sollen „kriegstüchtig“ werden, und das 80 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus!

Wie weit die „zivilisatorische Messlatte“ inzwischen gesunken ist, zeigt das weithin laute Schweigen westlicher Politiker zu der totalen Blockade, die die israelische Regierung seit dem 2. März 2025 über den gesamten Gazastreifen verhängt hat, und erst Mitte Mai auf Druck einiger westlicher Staaten etwas gelockert wurde.

Bisheriger „Höhepunkt“ des Vernichtungsfeldzugs gegen die Palästinenser in Gaza ist der genozidale Aufruf des bekannten israelischen TV-Produzent Elad Barashi.  Er schrieb in einem Post auf X vom 27. Februar 2025 über die Bevölkerung Gazas: „Sie verdienen den Tod! Männer, Frauen und Kinder – egal wie, wir müssen einfach einen Holocaust an ihnen ausüben.“ (6)  Nutzer von X haben diesen unfassbaren Aufruf zum Holocaust wieder ausgegraben, der jetzt für Aufruhr sorgt, nachdem Barashi sich am 5. Mai auf X wie folgt geäußert hat: „Ich entschuldige mich nicht, ich wünsche den Terroristen […] immer noch dasselbe,“ schrieb er. Jetzt bezieht er sich nur noch auf „Terroristen“. (7)

Aussetzung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens

Wenn der politische Wille da wäre, könnten die Bundesregierung und die EU Israel für ihre Verbrechen sanktionieren und die Waffenlieferungen einstellen. Die EU könnte sofort das EU-Israel-Assoziierungsabkommen suspendieren, das in Artikel 2 beide Vertragspartner zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet.

Josep Borrell, ehemaliger Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik und ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Kommission, hat dazu einen aufrüttelnden Text verfasst, der am Ostersonntag, dem 20. April 2025, in der spanischen Zeitung *El Pais* erschien. Darin kritisiert er mit scharfen Worten den Genozid und bezeichnet die Vertreibung der Bevölkerung in „verbotene Zonen“ als die „größte ethnische Säuberungsaktion seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“. Laut Borrell hat Israel Katz, der damalige israelische Außenminister, die EU-Kommission bereits Anfang 2024 über den Plan von Präsident Donald Trump zur „freiwilligen Migration der Bewohner Gazas“ in Kenntnis gesetzt.

Angesichts der massiven Verstöße gegen das Völkerrecht kritisiert Borrell die Untätigkeit der EU und bekennt, dass es ihm „als Hoher Vertreter der EU für Außenpolitik nicht gelungen [ist], den Rat oder die Kommission dazu zu bewegen, auf die massiven und wiederholten Verstöße gegen das Völkerrecht und das humanitäre Recht durch die Regierung Netanjahu zu reagieren, im Gegensatz zu unserem Vorgehen angesichts der Aggression Putins gegen die Ukraine“. … Bis zum Ende meiner Amtszeit konnte ich feststellen, wie sehr diese Politik der Doppelmoral die Position der EU in der Welt geschwächt hat. Nicht nur in der muslimischen Welt, sondern auch in Afrika, Lateinamerika und Asien. (...)

Das schlechte Gewissen einiger europäischer Länder in Bezug auf den Holocaust, das zu einer ‚Staatsräson’ geworden ist, um die bedingungslose Unterstützung Israels zu rechtfertigen, könnte uns zu Komplizen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit machen. Ein Grauen rechtfertigt kein anderes. Und wenn wir nicht wollen, dass die Werte, die wir zu verteidigen vorgeben, jegliche Glaubwürdigkeit verlieren, kann die EU nicht weiterhin tatenlos zusehen, wie sich das Grauen in Gaza fortsetzt und das Westjordanland ‚gazaifiziert’ wird. Entgegen der öffentlichen Debatte und trotz des völligen Mangels an Empathie einiger ihrer Verantwortlichen verfügt die EU über zahlreiche Hebel, um gegen die israelische Regierung vorzugehen: Wir sind ihr wichtigster Handelspartner in Bezug auf Investitionen und den Austausch von Personen. Wir liefern mindestens ein Drittel der Waffen, die sie einsetzt, und haben mit Israel das umfassendste Assoziierungsabkommen geschlossen. … Wenn wir wollen, können wir handeln. Und wir haben schon zu lange gewartet. Viele Israelis, die sich bewusst sind, dass Netanjahus Flucht nach vorn langfristig die Sicherheit und das Überleben des Staates Israel gefährdet, wären uns dafür dankbar.“ (8)

Angesichts der katastrophalen Lage und der Hungersnot in Gaza fordern jetzt einige EU-Staaten die „Überprüfung“ des Assoziierungsabkommens, aber ein sofortiger Stopp der Waffenlieferungen wird nicht diskutiert. Unfassbar scheinheilig!

Dass die EU kürzlich 1,6 Milliarden Euro für Gaza und das Westjordanland bis 2027 bewilligte, wobei mehr als 50 Prozent an die Palästinensische Autonomiebehörde gehen, dürfte für viele Palästinenser und Aktivisten ein Schlag ins Gesicht sein!


Fußnoten:

1 Mehr Infos zur Free Gaza Flottille: „Free Gaza – eine aktuelle Erinnerung an eine ungelöste Aufgabe“ - „Zehn Jahre nach dem israelischen Massaker an Menschenrechtsaktivisten“, Bericht von Prof. Dr. Norman Paech und Annette Groth https://bip-jetzt.de/2020/06/13/bip-aktuell-123-free-gaza-eine-aktuelle-erinnerung-an-eine-ungeloeste-aufgabe/
2 Dov Yirmiya: „Grenzenlose Schande“, junge Welt, 29. Juni 2010 https://www.jungewelt.de/artikel/146664.grenzenlose-schande.html
3 https://dserver.bundestag.de/btd/17/023/1702328.pdf
4 UN-Sonderberichterstatterin: »Schwelle zum Völkermord erreicht«, Francesca Albanese über Israels Vorgehen in Gaza, Deutschlands Verantwortung und die Vorwürfe gegen ihre Person, Interview: Hanno Hauenstein 23. April 2024 in Neues Deutschland https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181657.gaza-krieg-un-sonderberichterstatterin-schwelle-zum-voelkermord-erreicht.html
5 https://www.fr.de/meinung/appell-meine-deutschen-freunde-12851166.html
6 “Men, women, and children — by any means necessary, we must simply carry out a Shoah [Holocaust] against them — yes, read that again — H-O-L-O-C-A-U-S-T!” https://www.newarab.com/news/israel-tv-producer-calls-gaza-holocaust-gas-chambers
7 https://taz.de/Rechte-Medien-in-Israel/!6083367/
8 https://elpais.com/internacional/2025-04-20/semana-de-pasion-en-gaza.html https://www.sand-im-getriebe.org/media/pages/artikel/thema-israel-palastina/20312d04c0-1745650129/josep-borrell-passionswoche-in-gaza-20-april-2025.pdf

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