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Literatur
Annotation zum Buch "GERMANIST – PAZIFIST – SCHWUL. Mein Leben" von Wolfgang Popp
Kampf um Frieden und Selbstbestimmung
Von Bernhard Nolz

Die Lebenserinnerungen von Wolfgang Popp (1935-2017) sind im Juni 2023 erschienen. Herausgeber ist sein langjähriger Lebenspartner Bernhard Nolz. Der bekundet im Vorwort die Verzögerung in der Herausgabe mit der erforderlichen Trauerarbeit und der zwischenzeitlichen Lähmung durch die Corona-Maßnahmen und den Ukraine-Krieg. Wolfgang Popp wurde 1972 Professor für Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik an der Gesamthochschule Siegen, die erst später zur Universität Siegen umgewidmet wurde und an der er im Jahr 2000 emeritiert wurde. D.h. seine hochschulpolitischen und wissenschaftlichen Anfänge waren von einer politischen und pädagogischen Aufbruchstimmung geprägt („Mehr Demokratie wagen!“), die die heutigen Politikakteure als Irrweg und als nicht mehr zeitgemäß abkanzeln. Die Lektüre des Buches kann da einiges gerade rücken. Sie bietet Orientierung für Medienkritik, für die Frage von Krieg und Frieden oder zur Genderproblematik in der Perspektive von Wolfgang Popp, der die Gesellschaft 45 Jahre lang aktiv mitgestaltet hat.

Da stellt sich des Kanzlers Frage, wie zeitgemäß der Pazifismus sei, doch gar nicht. Denn gerade haben die Bildungspolitiker:innen die Schüler:innen mit der Ankündigung in die Sommerferien geschickt, dass sie nach den Ferien damit rechnen müssen, der Bundeswehr-Werbung fürs Sterben verstärkt ausgesetzt zu werden.

Bereits 1981 gibt Prof. Dr. Wolfgang Popp zusammen mit Prof. Dr. Annette Kuhn und Erich Rossmann die Broschüre heraus: „Friedenserziehung contra Wehrkunde“, in einer Reihe der Deutschen Friedensunion (DFU). Die drei Autor:innen legten die Eckpunkte einer Friedenserziehung fest, die noch heute ihre Gültigkeit besitzen. Die DFU hatte ihren Parteistatus abgelegt und sich zu einer Bildungs- und Friedensorganisation entwickelt. Popp erkannte deren Potentiale für gesellschaftliche Reformen und es entstand eine intensive und produktive Zusammenarbeit. Mit Kolleg:innen aus dem fortschrittlichen Spektrum und aus der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nahm Wolfgang Popp gleichzeitig den Kampf gegen die Berufsverbote auf.

Dazu gehört auch Wolfgang Popps Wirken in der Joseph-Wirth-Stiftung, die sich für ein freundschaftliches Verhältnis zu Russland einsetzt. Seine Reisen in die Sowjetunion und nach Nicaragua haben Popps Friedensarbeit entscheidend beeinflusst. Näheres erfährt man in einem von Bernhard Nolz verfassten Beitrag, der Popps Erinnerungen voran gestellt ist.

Wenig bekannt ist, dass Wolfgang Popp auch zur Gründungsgruppe des Krefelder Appells von 1980 gehörte. Die millionenfache Unterstützung des Appells zeigte, dass mit ihm sowohl die Friedenssehnsüchte der Menschen als auch ihre Ängste treffend beschrieben waren. Der Krefelder Appell war ein Hoffnungszeichen für den Frieden, für den sich zu engagieren die Menschen mobilisiert werden konnten. Dieses Vermächtnis von Wolfgang Popp hat Bernhard Nolz motiviert, als Erstunterzeichner den Neuen Krefelder Appell zu unterstützen, mit dem den Kriegstreibern Einhalt geboten werden soll.

Der Neue Krefelder Appell – initiiert von Mitgliedern der Kampagne

kann hier online unterzeichnet werden: https://peaceappeal21.de

Wolfgang Popp hat von Kindheit an eine Frage beschäftigt, die ihn bis zum Lebensende nicht mehr losgelassen hat: Wie war es möglich, dass Millionen Menschen – auch seine Eltern – der Barbarei des Nationalsozialismus gefolgt sind? Und daran anschließend: Wie ist nach 1945 den Menschen die Integration in die demokratische Gesellschaft geglückt und wie demokratisch war eigentlich die Bundesrepublik Deutschland in ihren ersten 50 Jahren? Mit seinen Antworten begründet er zugleich seine Friedensarbeit, seine Toleranz und seine Menschenliebe.

Die Leserinnen und Leser des Buches haben Gelegenheit sich mit Popps zeitkritischen Bewertungen zu sozialen und Bildungsfragen auseinander zu setzen und sie mit den heutigen Ereignissen zu vergleichen. Was z.B. hat Popp zur basisdemokratischen Gestaltung des Gemeinwesens beizutragen? Beispiele: Gründung des Siegener Zentrums für Friedenskultur (ZFK) im Jahr 2000, dem internationalen Jahr für eine Kultur des Friedens, oder PANORAMA, interkulturelle Zeitschrift für das Siegerland in vier Sprachen.

Wolfgang Popp lässt die konfliktreichen beruflichen Zeiten von viereinhalb Jahrzehnten noch einmal aufleben und beschreibt und kommentiert die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Projekte, die er angestoßen oder an denen er mitgewirkt hat. Popps Reflexionen aus der Rückschau sind in einem brillanten Schreibstil verfasst, der seine didaktische Handschrift trägt. Er legt dar, was geschehen ist und wie er die damalige Ereignisse beurteilt. Und dann kommt in vielen Kapiteln eine Verfahrensweise hinzu, die z.Z. im öffentlichen Raum wenig Beachtung findet: Der Autor präsentiert Dokumente, z.B. Ausschnitte aus den Originaltexten, so dass sich die Leser:innen ein eigenes Bild machen können.

Wolfgang Popp war in der Friedensbewegung, in der Schwulenbewegung, in der Gewerkschaftsbewegung aktiv, und er war einer der Wegbereiter der Genderforschung, mit dem von ihm gegründeten Forschungsschwerpunkt „Homosexualität und Literatur“ und der Zeitschrift „Forum Homosexualität und Literatur“. Zu seinen Ehren vergibt die Universität Siegen seit 2018 jährlich den Wolfgang-Popp-Preis für Abschlussarbeiten, die sich mit Themen der Genderforschung beschäftigen.

Die Leser:innen erfahren, wie Popp Wissenschafts- und Bewegungsaktivitäten, persönliche Interessen und gesellschaftliche Erfordernisse in Einklang zu bringen versucht hat und welche Menschen ihn dabei begleitet haben. Zweiundzwanzig von ihnen dankt er in einer besonderen Textform, die er „Medaillon“ nennt.

Eingeleitet wird der Band von Gerhard Härle mit „Ästhetik und Emanzipation. Zur wissenschaftlichen Bedeutung von Wolfgang Popps Lebenswerk“. Und Bernhard Nolz schreibt über „Eine starke Gruppe und wortgewaltige Menschen“. Zur friedenspädagogischen Arbeit von Wolfgang Popp“.

Im Anhang: 20 Fotos, ein Verzeichnis der Veröffentlichungen Wolfgang Popps sowie die Ausschreibung zum Wolfgang-Popp-Preis.

Wolfgang Popps Lebenserinnerungen bieten Anlass, die aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen kritisch zu reflektieren und darüber in einen Austausch einzutreten, wie die Welt friedlich, kooperativ und lebenswert gestaltet werden kann.


Wolfgang Popp: GERMANIST – PAZIFIST – SCHWUL. Mein Leben. Herausgegeben von Bernhard Nolz




Umschlaggestaltung: Petra Kölsch, Siegen 2023, universi - Universitätsverlag Siegen, ISBN 978-3-96182-139-6, 350 Seiten, 23,50 Euro, Onlineversion des Buches: http://dx.doi.org/10.25819/ubsi/10324


Der Herausgeber Bernhard Nolz (79): Witwer von Wolfgang Popp, Lehrer i.R., Aachener Friedenspreisträger, Träger des Preises für Zivilcourage der Solbach-Freise-Stiftung, Sprecher der Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden (PPF), Vorsitzender Gesellschaft für Friedenserziehung e.V., Leiter des Siegener Zentrums für Friedenskultur (ZFK), Pädagogischer Leiter vom Bildungs- und Lernort Dunkelcafé Siegen, Vorsitzender des Stiftungsrates der August-von-Platen-Stiftung der Universität Siegen, 0171-8993637, 0271-23568535, nolzpopp@web.de, www.friedenspaedagogen.de, Kölner Str. 11, 57072 Siegen

Online-Flyer Nr. 816  vom 09.08.2023

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