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Globales
Wie Zensur statt Meinungsfreiheit einmal scheiterte
Presseerklärung der Stadt Frankfurt rechtswidrig
Von Peter Betscher

Am 15.10.2019 fand die Veranstaltung „Meinungsfreiheit statt Zensur“ im Frankfurter Titania-Theater statt, in der Judith Bernstein (israelische Friedens-Aktivistin) und Khalid Hamad (KOPI, Deutscher Koordinierungskreis Palästina Israel) auf dem Podium saßen. Kurz zuvor, am 11.10.2019, gab Ex-Bürgermeister Uwe Becker eine Presseerklärung der Stadt Frankfurt heraus, in der er die Absage der Veranstaltung forderte, Judith Bernstein und die Veranstalter als antisemitische Israelhasser diffamierte und sie mit dem antisemitischen Mörder von Halle verglich. Zudem drohte er dem Titania-Theater als Veranstaltungsort und einem der Veranstalter mit Mittelentzug durch die Stadt Frankfurt. Das Kulturdezernat der Stadt Frankfurt ordnete daraufhin an, den Veranstaltern die gemieteten Räume zu kündigen. Die Veranstalter beantragten eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Frankfurt, die positiv beschieden wurde, sodass die Veranstaltung wie geplant durchgeführt werden konnte. Der Untertitel der Veranstaltung lautete „Offene Diskussion zu Aberkennung der Gemeinnützigkeit und Raumverweigerungen – Möglichkeiten der Gegenwehr?” und konnte durch den Zensurversuch von Ex-Bürgermeister Becker gleich praktisch vorgeführt werden.

Judith Bernstein klagte gegen die Pressemitteilung der Stadt Frankfurt und nach fast vier Jahren urteilte das Verwaltungsgericht Frankfurt (Az. 7 K 851/20.F), dass die Pressemitteilung rechtswidrig war (1). Judith Bernstein kommentierte das Urteil für die »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost«: »Das Urteil belegt, dass Uwe Becker aus seinem Amt heraus eine Zensur des öffentlichen Diskurses bezüglich der politischen Situation in Israel vorgenommen hat, indem er mich wegen BDS (Anm.: Boykott, Investitionsabzug/Desinvestition, Sanktionen) als antisemitisch beleidigt hat. Das ist ganz besonders bitter, weil meine Großeltern und weitere Verwandte meiner Mutter und meines Vaters in Auschwitz ermordet wurden. Ich als aus Israel stammende Jüdin verwehre mich jedoch vehement gegen den Missbrauch des Judentums für die Zwecke von Herrn Becker. Mein Einsatz für die Wahrung der palästinensischen Menschenrechte auch mit den Mitteln von BDS darf nicht mehr als antisemitisch diffamiert werden. Herr Becker ist als Antisemitismusbeauftragter des Landes Hessen nicht mehr haltbar.« Judith Bernstein geht zudem vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen den Anti-BDS-Bundestagsbeschluss (2) vor. (…)

Ahmed Abed, Rechtsanwalt von Judith Bernstein: „Das Urteil belegt die Rechtswidrigkeit des Antisemitismusvorwurfs gegen BDS-Anhänger. In der jetzigen Woche der Meinungsfreiheit der Stadt Frankfurt ist das Urteil gegen die Stadt Frankfurt ein besonders wichtiges Zeichen für die Meinungsfreiheit. Die Stadt Frankfurt muss jetzt die Meinungsfreiheit für Menschenrechtsaktivistinnen wie Judith Bernstein wahren und darf sie nicht mehr ausgrenzen. Dieses Urteil wird Frau Judith Bernstein im Verfahren gegen den Anti-BDS-Beschluss des Bundestages sehr unterstützen.“ (2)

Einen Wermutstropfen enthält die Pressemitteilung zu dem Urteil allerdings: „Daraus folge jedoch nicht, dass der Vorwurf des Antisemitismus als solcher unsachlich sei. Dabei handle es sich um ein Werturteil, dass in Bezug auf die BDS-Bewegung auf sachlichen Erwägungen beruhen könne, wie der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17.05.2019 zeige.“ In der Resolution begrüßt der Deutsche Bundestag, „dass zahlreiche Gemeinden bereits beschlossen haben, der BDS-Bewegung oder Gruppierungen, die die Ziele der Kampagne verfolgen, die finanzielle Unterstützung und die Vergabe von kommunalen Räumen zu verweigern (3).“

Als Begründung wird der BDS-Bewegung Antisemitismus unterstellt und dass die Don´t Buy-Aufkleber auf israelischen Produkten „unweigerlich Assoziationen zu der NS-Parole „Kauft nicht bei Juden!“ und entsprechenden Schmierereien an Fassaden und Schaufenstern“ wecken würden. Wer den Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft vom 09.05.2005 gelesen hat, wird schnell feststellen, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen werden. In dem Aufruf wird Bezug genommen auf das Gutachten des Internationalen Gerichtshof (IGH), welches den israelischen Mauerbau in den besetzten palästinensischen Gebieten für illegal befunden hatte und die geforderten Maßnahmen so lange aufrechterhalten werden bis Israel sich an internationales Recht hält (4).

Wer die BDS-Kampagne verurteilt, tritt für Apartheid ein, denn die BDS Kampagne, originär aus Palästina kommend, beruft sich auf die Boykott-Maßnahmen gegen das damalige Apartheid-Regime in Südafrika. Während die damaligen Boykott-Maßnahmen gegen Südafrika weltweit begrüßt wurden, wird die BDS-Kampagne der palästinensischen Zivilgesellschaft als Antisemitismus diffamiert, obwohl sie ausschließlich zu gewaltfreien Widerstand aufruft, sich von jeglicher Art von Rassismus distanziert und sich ausschließlich auf internationales Recht und UN-Resolutionen stützt. Die wachsweiche Formulierung in der Pressemitteilung lässt ein Hintertürchen für weitere Zensurmaßnahmen auf, nur soll man es nicht so ungeschickt machen wie Uwe Becker, der inzwischen Antisemitismus-Beauftragter des Landes Hessen ist und nach diesem Urteil zurücktreten müsste.

Judith Bernstein hat einen bedeutenden Sieg für die Meinungsfreiheit in Deutschland errungen, und sie hat folgerichtig Klage gegen die Anti-BDS-Resolution des Bundestages eingereicht. Wenn es ihr gelingt diese Resolution zu kippen, wird es schwerer werden, die BDS-Kampagne in Deutschland zu behindern. Vielen Dank, Judith Bernstein!


Anmerkungen:

(1) https://verwaltungsgerichtsbarkeit.hessen.de/presse/rechtswidrige-pressemitteilung
(2) https://twitter.com/JSNahost/status/1654407404761542656
(3) https://dserver.bundestag.de/btd/19/101/1910191.pdf
(4) http://bds-kampagne.de/der-aufruf-der-palaestinensischen-zivilgesellschaft-zu-bds-2/

Ich danke Markus Heizmann für die Hinweise!

Online-Flyer Nr. 811  vom 17.05.2023

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