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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Kommentar
Hoffnung der Menschheit wurde zunichte gemacht
Idee des Sozialismus kann nur in Frieden und Freiheit gedeihen
Von Rudolf Hänsel

In der Neuzeit, der Zeit Aufklärung, haben die Menschen neue Ideen entwickelt. Doch der sozialistische Gedanke, der antimilitaristische Gedanke des Friedens, der Freiheit, der Gleichheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität hat Schiffbruch erlitten. Er war die Hoffnung der Proletarier der ganzen Welt. Wir alle haben diese schönen Gedanken vernachlässigt und sie dadurch zunichte gemacht. Es gibt eben keine Politik, keine Erklärung der menschlichen Belange ohne Kenntnisse der Psychologie.

Der rumänische Schriftseller Panait Istrati war nach dem Ersten Weltkrieg in der Sowjetunion und hat seine Beobachtungen in drei Bänden niedergeschrieben. Über die Volksrepublik China schrieb vor kurzem Ökonomieprofessor Michel Chossudovsky „Es ist kein Sozialismus“. Gut zu wissen in heutiger Zeit. Bleibt die Frage: Wird der sozialistische Gedanke des Friedens und der Freiheit eines Tages nochmals Triumphe feiern?

Sowjetisches Experiment misslungen

In der ehemaligen Sowjetunion ist das Experiment völlig misslungen. Sie haben den Menschen nicht erfasst. Sie haben die Menschen nicht richtig eingeschätzt, sich nicht mit ihnen assoziiert. Die Kommissare stellten sich über die Arbeiter. Überall fehlte die Psychologie.

Das Volk wäre zu haben gewesen, es ist solidarisch. Der russische Bauer hat im Mir gelebt, einer russischen Dorfgemeinschaft. Ihr gehörten alle Bauern eines Dorfes an. Der von ihnen genutzte Grund und Boden wurde periodisch unter ihnen umverteilt. Jeder Bauer bekam soviel Land zur Nutzung, dass er sich selbst erhalten und seinen Verpflichtungen gegenüber Staat und Grundeigentümer nachkommen konnte. Jeder Haushalt konnte entsprechend der Anzahl seiner erwachsenen Mitglieder einen oder mehrere Landstreifen beanspruchen (1).

Wo hat die bäuerliche russische Bevölkerung jemals Richter oder Spitzel gesehen? Es gab keine. An den Türen haben sie keine Schlösser gehabt, weil sie sie nicht zugesperrt hatten. Bis zur Revolution bearbeiteten sie ihre Felder gemeinsam. Das bisschen Leben, das sie gehabt haben, verbrachten sie in Ruhe und Frieden und ohne Krieg.

Auf einmal sind die „Roten“ gekommen und haben noch schlechter gewirtschaftet als der Zarismus. Kommissare, die nichts verstanden, sind auf das Land geschickt worden und haben den Bauern gesagt, was sie anbauen sollen.

Im sehr armen Jugoslawien war das Prinzip menschlicher als in Russland. Wenn der Mensch Arbeit hatte, konnte er nicht gekündigt werden. Dort ist das Prinzip der Selbstverwaltung, der Arbeiterräte verwirklicht worden. Russland ist diesen Weg nicht gegangen und war deshalb gegen Jugoslawien.

Panait Istrati: “Vers l'autre flamme“ („Auf falscher Bahn“)

Panait Istrati (1884 bis 1935) war ein französisch- und rumänischsprachiger Schriftsteller rumänischer Herkunft. Nach dem Ersten Weltkrieg ist er nach Russland gereist und hat nach seiner Rückkehr nach Frankreich seine Beobachtungen in drei Büchern niedergeschrieben. Dieser politische Reisebericht „Vers l‘autre flamme“ ist 1929 in französischer Sprache erschienen und lautet in deutscher Übersetzung „Auf falscher Bahn. 16 Monate in der Sowjetunion. Bekenntnisse eines Besiegten.“ (2)

Sein Bericht war ein leidenschaftlicher politischer Appell an seine Genossen, deren autoritäre stalinistische Organisationsformen, Linientreue und Obrigkeitsgläubigkeit er scharf anprangerte. Bis dahin waren im Westen ausschließlich Berichte über die Sowjetunion erscheinen, die des Lobes voll waren. Doch daraufhin wurde er sehr verleumdet: „Istratis Buch bricht mit einem Tabu und wagt öffentliche Kritik an ihr. Schlagartig distanzierten sich alle seine bisherigen Freunde von ihm, allen voran sein bisheriger Mentor Romain Rolland. Er wird verleumdet und eine Hetzkampagne gegen ihn setzt ein. Von den Trotzkisten, denen er ansonsten fernstand, wurde Istrati hingegen vereinnahmt. (…) 'Auf falscher Bahn' beeindruckt durch die Leidenschaftlichkeit und Wahrheitsliebe Istratis, letztlich aber auch durch seine Schonungslosigkeit sich selbst gegenüber. Am Ende bleibt ein 'Besiegter' zurück, wie er es selbst ausgedrückt hat, ein einsamer Kämpfer jenseits der Ideologien, ein kranker und gebrochener Mensch.“ (3)

Michel Chossudovsky: „Die VR China ist kein sozialistisches Land.“

Zur gegenwärtigen Situation der Volksrepublik China schrieb der langjährige Forscher an der Universität Hongkong, Ökonomie-Professor Michel Chossudovsky den aufklärenden und vielbeachteten Artikel: „Es ist kein Sozialismus“: China ist eine kapitalistische Billiglohnwirtschaft, basierend auf extrem niedrigen Löhnen. Menschen auf der Linken behaupten, die VR China sei ein sozialistisches Land.“ (4)

In der Einleitung heißt es: „Den meisten Analysten und Historikern ist nicht klar, dass sich China nach den frühen 1980er Jahren zu einem vollwertigen kapitalistischen Land entwickelt hat. Es gibt mächtige US-Geschäftsinteressen, darunter Big Pharma, große Hi-Tech-Unternehmen und Bankinstitute, die in China fest verwurzelt sind. Die Vereinigten Staaten haben treue Verbündete in Chinas Geschäftswelt sowie unter Akademikern, Wissenschaftlern und Ärzten, die tendenziell ‚pro-amerikanisch‘ sind.“ (5)

Der Artikel schließt mit einer persönlichen Anmerkung: Prof. Chossudovsky konnte das Manuskript seines 1984 verfassten Buches mit dem Titel „Towards Capitalist Restoration? Chinese Socialism after Mao“ erst zwei Jahre später veröffentlichen, weil es von den Linken „salopp abgelehnt“ worden war. Man kann es von seiner Homepage als PDF kostenlos herunterladen (6).

Wird Sozialismus nochmals Triumphe feiern?

Bei aller Genugtuung darüber, dass sich die Welt politisch ganz langsam Richtung Osten bewegt, ist es wichtig, Chossudovskys aufklärenden Beitrag zur Kenntnis zu nehmen, um sich keinerlei Illusionen hinzugeben. Ob die Idee des Sozialismus in Russland eine Chance hat, bleibt damit noch unbeantwortet.

Sollten die Menschen der Welt irgendwann zur Vernunft kommen und sich selbst erkennen, wird der sozialistische Gedanke, der Gedanke des Friedens und der Freiheit vielleicht seine Triumphe feiern.


Fussnoten:

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Mir_(Dorfgemeinschaft)
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Vers_l’autre_flamme/
(3) A. a. O.
(4) https://www.globalresearch.ca/its-not-socialism-china-is-a-capitalist-cheep-labour-economy-based-on-exceedingly-low-wages/5804938/
(5) A. a. O.
(6) A. a. O.



English version:
Hope of mankind dashed
Idea of socialism can only flourish in peace and freedom

By Dr. Rudolf Hänsel

In modern times, the Age of Enlightenment, people developed new ideas. But the socialist idea, the anti-militarist idea of peace, freedom, equality, justice and solidarity was shipwrecked. It was the hope of the proletarians of the whole world. We have all neglected these beautiful thoughts and thus destroyed them. There is no politics, no explanation of human concerns without knowledge of psychology.

The Romanian writer Panait Istrati was in the Soviet Union after the First World War and wrote down his observations in three volumes. About the People's Republic of China, economics professor Michel Chossudovsky recently wrote "It’s Not Socialism". Good to know in this day and age. The question remains: will the socialist idea of peace and freedom one day celebrate triumphs once again?

Soviet experiment failed

In the former Soviet Union, the experiment was a complete failure. They did not grasp the people. They did not assess people correctly, did not associate with them. The commissars put themselves above the workers. Psychology was missing everywhere.

The people could have been had, they are in solidarity. The Russian peasant lived in the Mir, a Russian village community. All the peasants of a village belonged to it. The land they used was periodically redistributed among them. Each peasant was given enough land to use to maintain himself and to meet his obligations to the state and the landowner. Each household could claim one or more strips of land according to the number of its adult members (1).

Where did the peasant Russian population ever see judges or informers? There were none. They had no locks on their doors because they did not lock them. Until the revolution they worked their fields together. What little life they had, they spent in peace and quiet and without war.

Suddenly the "Reds" came and managed even worse than Tsarism. Commissars who understood nothing were sent to the countryside and told the peasants what to grow.

In very poor Yugoslavia the principle was more humane than in Russia. If a person had work, he could not be dismissed. There the principle of self-management, of workers' councils was realised. Russia did not go this way and was therefore against Yugoslavia.

Panait Istrati: "Vers l'autre flamme" ("On the wrong track")

Panait Istrati (1884 - 1935) was a French- and Romanian-language writer of Romanian origin. He travelled to Russia after the First World War and wrote down his observations in three books after his return to France. This political travelogue "Vers l'autre flamme" was published in French in 1929 and its German translation is "Auf falscher Bahn. 16 Months in the Soviet Union. Confessions of a Defeated Man." (2)

His report was a passionate political appeal to his comrades, whose authoritarian Stalinist forms of organisation, loyalty to the line and faith in authority he sharply denounced. Until then, only reports about the Soviet Union had appeared in the West, full of praise. But as a result he was much maligned: "Istrati's book breaks a taboo and dares to criticise it publicly. Suddenly all his previous friends distanced themselves from him, above all his previous mentor Romain Rolland. He was slandered and a smear campaign against him began. On the other hand, Istrati was taken over by the Trotskyists, from whom he otherwise stood aloof. (...) 'On the Wrong Track' impresses with Istrati's passion and love of truth, but ultimately also with his ruthlessness towards himself. In the end, we are left with a 'defeated man', as he himself put it, a lonely fighter beyond ideologies, a sick and broken man." (3)

Michel Chossudovsky: "The PRC is not a socialist country."

On the current situation in the People's Republic of China, long-time researcher at the University of Hong Kong, economics professor Michel Chossudovsky wrote the enlightening and well-received article: "It’s Not Socialism": China Is a Capitalist Cheap Labour Economy, Based on Exceedingly Low Wages. People on the Left Claim the PRC is a Socialist Country." (4)

The introduction states: "Most analysts and historians do not realise that China developed into a full-fledged capitalist country after the early 1980s. There are powerful US business interests, including Big Pharma, large hi-tech companies and banking institutions, that are firmly entrenched in China. The United States has staunch allies in China's business community as well as among academics, scientists and doctors who tend to be 'pro-American'." (5)

The article concludes on a personal note: Prof. Chossudovsky was unable to publish the manuscript of his 1984 book entitled "Towards Capitalist Restoration? Chinese Socialism after Mao" only two years later because it had been "casually rejected" by the left. It can be downloaded free of charge as a PDF from his homepage (6).

Will socialism celebrate triumphs once more?

Despite all the satisfaction that the world is slowly moving eastwards politically, it is important to take note of Chossudovsky's enlightening contribution in order to avoid any illusions. Whether the idea of socialism has a chance in Russia thus remains unanswered.

Should the people of the world eventually come to their senses and realise themselves, the socialist idea, the idea of peace and freedom, will perhaps celebrate its triumphs.


Footnotes:

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Mir_(village-community)
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Vers_l'autre_flamme/
(3) op. cit.
(4) https://www.globalresearch.ca/its-not-socialism-china-is-a-capitalist-cheep-labour-economy-based-on-exceedingly-low-wages/5804938/
(5) op. cit.
(6) op. cit.



Dr. Rudolf Lothar Hänsel ist Schul-Rektor, Erziehungswissenschaftler (Dr. paed.) und Psychologe (Dipl.-Psych.). Nach seinen Universitätsstudien wurde er wissenschaftlicher Lehrer (Professor) in der Erwachsenenbildung: unter anderem Leiter eines freien Schul-Modell-Versuchs und Fortbildner bayerischer Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen. Als Pensionär arbeitete er als Psychotherapeut in eigener Praxis. Bei einer Öffentlichen Anhörung zur Jugendkriminalität im Europa-Parlament war er Berichterstatter für Deutschland. In seinen Büchern und Fachartikeln fordert er eine bewusste ethisch-moralische Werteerziehung sowie eine Erziehung zu Gemeinsinn und Frieden. Für seine Verdienste um Serbien bekam er 2021 von den Universitäten Belgrad und Novi Sad den Republik-Preis „Kapitän Misa Anastasijevic“ verliehen.

Dr. Rudolf Lothar Hänsel is a school rector, educationalist (Dr. paed.) and psychologist (Dipl.-Psych.). After his university studies, he became an academic teacher (professor) in adult education: among other things, he was head of an independent school model experiment and further training instructor for Bavarian counselling teachers and school psychologists. As a retiree, he worked as a psychotherapist in private practice. He was rapporteur for Germany at a public hearing on juvenile delinquency in the European Parliament. In his books and articles, he calls for a conscious ethical-moral education and an education for public spirit and peace. For his services to Serbia, he was awarded the Republic Prize "Captain Misa Anastasijevic" by the Universities of Belgrade and Novi Sad in 2021.



Online-Flyer Nr. 806  vom 01.02.2023

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