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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Globales
Syrische Impressionen aus dem Jahr 2019
Noch längst nicht über den Berg
Von Eva und Markus Heizmann (Bündnis gegen Krieg, Basel)

Zu Beginn des Jahres 2023 mag es erstaunen, einen Bericht zu veröffentlichen, den wir im Jahr 2019 verfasst haben. Diese mittlerweile vierjährige Frist lässt sich begründen: Nach dem Jahr 2019 wurde bekanntlich die weltweite Pandemie ausgerufen. Auch vor Syrien machten die globalen Maßnahmen nicht halt. Uns wurden weitere Reisen nach Syrien erschwert, de facto verunmöglicht. Dies bedeutet nicht, dass wir den Kontakt zu den Familien, FreundInnen und GenossInnen in Syrien abgebrochen haben. Nach wie vor stehen wir in regem Austausch, weitere Reisen sind geplant. Dies und die Tatsache, dass in unseren Berichten aus dem Jahr 2019 einerseits Entwicklungen beschrieben werden, die noch nicht abgeschlossen sind, andererseits aber auch bislang unveröffentlichte Fakten berichtet werden, haben uns dazu bewogen, diesen Bericht aus dem Jahr 2019 zu veröffentlichen.

Mutmaßungen zu Schleppern

In einem Gespräch mit A. erzählte sie uns die folgende Anekdote: Ein Journalist einer europäischen Zeitschrift fragte sie nach ihrer Meinung zu den Schleppern und zu den Toten im Mittelmeer. Hier in Kürze, was sie ihm antwortete:

"Ein Schiff mit 300 Menschen an Bord sinkt, und alle ertrinken. Das ist eine Katastrophe. Eine Woche oder ein paar Tage später passiert exakt dasselbe mit vielleicht 100 Menschen, vielleicht mit 200 Menschen an Bord. Wieder und wieder geschieht das, und in Europa versucht man das mit Schleppern in Verbindung zu bringen, und Schuld an diesen Toten haben die Schlepper, oder je nach politischem Bewusstsein gibt man die Schuld auch der unmenschlichen Flüchtlingspolitik Europas. Nun, was denke ich darüber? Ich denke, das kann nicht stimmen. Es kann sein, dass ein Schiff sinkt und das alle Passagiere ertrinken. Das kann aber nicht immer und immer wieder passieren. Was also ist meiner Meinung nach geschehen? Ich bin davon überzeugt, dass viele dieser Menschen noch am Leben sind. Meiner Meinung nach wird der Welt vorgegaukelt, diese Menschen seien ertrunken – damit sind sie von der Bildfläche verschwunden, und man kann mit ihnen machen was man will. Es heisst, dass rund 25 Prozent der Flüchtlinge Kinder oder Jugendliche ohne erwachsene Begleitung sind. Die werden an Pädophile verkauft. Männer werden in die Emirate, nach Saudi-Arabien oder nach Katar als Sklaven verkauft, Frauen in die Prostitution. Viele der angeblich Ertrunkenen werden nie gefunden, geschweige den identifiziert. Das sind Verbrechen, die man sich nicht vorstellen mag."

Kunstraub

In Ma‘aloua (1) wurde uns erzählt, hätten die Terroristen des Daesh (IS) die Ikonen im Kloster gestohlen. Was sie nicht hätten mitnehmen können, sei zerstört worden. "Niemand weiß, wohin sie unsere Ikonen gebracht haben", sagte die Dame, die uns im Kloster von Ma‘aloua führte. Nun, das ist nicht schwer zu erraten: Diese und andere Kunstgegenstände werden früher oder später auf dem internationalen Kunstmarkt landen und Spitzenpreise erzielen. So geschehen im Irak, so geschehen in Libyen, und so geschieht es in Syrien, wo immer man diese Banden gewähren lässt. Natürlich sind sie, was den Kunstraub angeht, genau das, was sie im Krieg auch sind: Söldner, die im Dienste der Herren arbeiten, die im Dunkeln bleiben. Diese Geschichte des internationalen Kunstraubes ist keineswegs aufgearbeitet. Erinnert sei an das Nationalmuseum von Bagdad, welches fast vollständig geplündert wurde, erinnert sei an die berühmte Büste der Nofretete im Berliner Museum, erinnert sei aber auch an die unzähligen afrikanischen Kunst- und Kultgegenstände, die geraubt wurden und noch immer geraubt werden.

Die Ikonen und Fresken in Ma‘aloua wurden mittlerweile durch Repliken ersetzt. Nicht in den westlichen Galerien und in den wohl bewachten Residenzen der Sammler hängen also die Repliken, sondern dort wo die Originale hin gehören.

Die Blockade


Die Blockade ist ein Verbrechen, das weder als Verbrechen anerkannt noch als solches bezeichnet wird. Nicht derjenige, der das Verbrechen begeht, wird als Verbrecher bezeichnet, sondern sein Opfer. Es wird so dargestellt, als sei die Blockade die gerechte Strafe für ein Volk, welches sich weigert, das Diktat des Imperialismus zu akzeptieren.

In Syrien, im August 2019 hat man den Eindruck, dass dem Volk nicht klar ist, was die Blockade bedeutet. Natürlich gibt es seit 2011 Kämpfe, und natürlich gibt es seit 2011 Knappheit in allen Bereichen. Anders als in Kuba ist in Syrien jedoch eine totale Blockade nicht möglich. Das heißt, dass noch immer alles vorhanden ist, was gebraucht wird, auch Luxusgüter sind zu haben und vor allem in Damaskus sieht man erstaunlich viele neue und teure Autos. Das Problem ist nicht, dass die Dinge nicht erhältlich sind, das Problem ist, dass die Dinge zum Teil unglaublich teuer geworden sind. Das ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Dadurch kann, wenn dagegen nichts unternommen wird, eine Zweiklassengesellschaft entstehen, was ja auch durchaus im Sinn derjenigen ist, die das Embargo verhängen. Bislang konnte die syrische Regierung diese Zweiklassengesellschaft weitgehend vermeiden. Es ist zu hoffen, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird.

Das Kloster Mar Yakoub

Anfang September 2019 ist das Kloster eine riesige Baustelle. Eine Baustelle, die just im Moment unseres Besuches vom syrischen TV besucht wird. Einige Autos und eine dementsprechende Crew kommen am frühen Morgen an, mit allem was dazu gehört, inklusive Schmink Team für die Beteiligten. Es stellt sich heraus, dass das Kloster die Kulisse für einen biografischen Film über das Leben des syrischen Bischofs Hilarion Capucci für das syrische TV liefert. (2)

Es ist verständlich, dass das Kloster jetzt in einer Zeit des relativen Friedens die eigenen Räumlichkeiten renoviert, ebenso verständlich ist es, die Räumlichkeiten für einen Film zur Verfügung zu stellen. Andere Dinge sind für uns weniger verständlich:

Noch immer werden Container mit Hilfsgütern aus Europa entgegengenommen und verteilt. Einige dieser Lieferungen, so berichtet man uns, kommen auch der Schweiz, vor allem von Nestlé. Nestlé ist eine Firma, die weltweit Wasserrecht aufkauft und so die Länder und die Menschen ausbeutet. Ihren Hauptsitz hat Nestlé in der Schweiz, und die Schweiz gehört zu den Aggressoren-Ländern gegen Syrien, indem sie, wenn auch indirekt, Waffen an die Terroristen liefern, vor allem aber indem sie die Blockade gegen das Land mitträgt. Diese Heuchelei wird mindestens symbolisch unterstützt, indem diese «Hilfslieferungen» von Nestlé entgegen genommen und verteilt werden. Eine Alternative wäre zum Beispiel, Lebensmittel aus Syrien, die wegen der Blockade nicht mehr exportiert werden können, innerhalb Syriens aufzukaufen und diese dann an die Bedürftigen des Landes zu verteilen. Eine Freundin aus Baniyas erzählte uns, dass in der Gegend von Baniyas ganze Ernten von Orangen verkommen, weil die illegale Blockade den Export verhindert.

Die Frage, weshalb dagegen nichts unternommen wird, muss ebenso gestellt werden, wie die Frage warum das Kloster ausgerechnet mit einer Firma zusammen arbeitet, die anderenorts Wasser aufkauft und dieses lebenswichtige Gut als «Ware» deklariert. Diese Politik gegenüber Nestlé ist allerdings schwer verständlich. (3)

Kurden...

...sind offensichtlich nur in Europa, bei Menschen, die gerne Revolution spielen möchten und nicht so richtig wissen, wie das geht, ein Thema. Hier in Syrien war und ist das ziemlich einfach: Das kurdische Volk ist ein integraler Teil des syrischen Volkes, wie die Drusen, wie die Assyrer, wie alle so genannten Ethnien. Wer auf der Seite der syrischen Verteidigung gegen die NATO-Angriffe von außen steht, steht auf der Seite Syriens, dann hat niemand ein Problem. Wenn die kurdische Führung Autonomie fordert, ist das etwas, worüber man eine politische Diskussion führen muss. Wenn sie jedoch einen eigenen Staat fordert, dann ist das eine Abspaltung, und niemand in Syrien wird so etwas gut heißen – nicht in Friedenszeiten und schon gar nicht in der Zeit des Angriffskrieges und des hybriden Krieges durch die Blockade.

Dies sind Sätze, die uns gegenüber geäußert wurden und die schon längst von der Realität in Nordsyrien eingeholt wurden: Dort haben sich kurdische Verbände mit der US-Besatzungsarmee verbündet und liefern dieser so einen Vorwand als «Schutzmacht für die Kurden», in Syrien verbleiben zu können. Als Folge davon wird u.a. das syrische Öl dieser Region abgepumpt und verkauft – meist über die Türkei. In dieselbe Türkei, die nach Nordsyrien einmarschiert unter dem Vorwand, sie müsse ihre Grenzen vor den Verbänden der YPG schützen. Diese YPG-Verbände jedoch sind nicht syrisch, sie stammen vorwiegend ebenfalls aus der Türkei, die nächste Generation der PKK-Guerilla. Diese PKK wiederum, das ist bekannt, war schon immer ein Spielball des türkischen Staates. Die Aggression gegen Syrien hat diesen Widerspruch noch verschärft. Dass diese YPG-Verbände ebenso wenig wie die PKK eine autonome Guerilla sind, zeigt schon allein die Tatsache, dass sie sich mit den Streitkräften der USA gemein machen. Es wurden schon Argumente eingebracht, "auch Lenin habe sich mit dem deutschen Imperialismus gemein gemacht, um so in einem versiegelten Zug nach Russland gelangen zu können". Das ist natürlich eine reine Schutzbehauptung und sowohl historisch als auch politisch ein ausgemachter Nonsens.

Historisch genoss die PKK in Syrien – wie übrigens viele andere Befreiungsbewegungen auch – einen enormen Freiraum. Abdullah Öcalan hatte ein Büro in Damaskus. PKK-Einheiten konnten Syrien als Rückzuggebiet nutzen. PKK-Kämpfer bekamen auf Drängen Öcalans unter Hafez al Assad sogar syrische Pässe. Das war ein grosser Fehler: Diese Pässe wurden bei den Kämpfern gefunden, wenn sie in der Türkei bei Aktionen getötet oder gefangen genommen wurden. Dies löste zwischen der Türkei und Syrien eine heftige Krise aus, die leicht zu einem Krieg hätte führen können. Die syrische Regierung, damals noch unter Hafez al Assad, stoppte darauf hin die Ausgabe von syrischen Pässen an die Kurden, und das Büro von Öcalan in Damaskus wurde geschlossen. Darauf gab es heftige Kritik an Damaskus, vor allem von Seiten der französischen Linken, die sich heftig mit den Kurden solidarisierte. In der Folge wurde Öcalan nach einer längeren Odyssee in Kenia gekidnappt und in die Türkei entführt, wo er bis heute einsitzt und die PKK aus dem Gefängnis heraus führt.

Die Geschichte der PKK mit all ihren Irrungen und Wirrungen ist noch nicht geschrieben worden. Sicher ist jedoch: Diese Geschichte ist mehr als ambivalent. Die Verstrickung der PKK, später der YPG in die türkischen, US-amerikanischen und israelischen Geheimdienste sind weit davon entfernt aufgearbeitet zu werden. Die gegenwärtige Politik der PKK / YPG zeigt jedoch mehr als deutlich, dass eine adäquate Analyse mehr als überfällig ist.

USA

Die USA sind klar Kriegspartei in Syrien. Sie schützen niemanden, und sie bedrohen alle. Ein Offizier, der über vier Jahre in Deir Ezor stationiert war, erzählt uns, dass die Einheiten der syrischen Armee immer wieder von der US- und der NATO-Luftwaffe angegriffen wurden. Der westlichen Öffentlichkeit wurde dies als "Kampf gegen den islamischen Staat" verkauft. Das ist eine Lüge. Derselbe Offizier erzählte uns auch, die Unterkünfte der syrischen Armee seien angegriffen worden und zwar nicht irgendwelche Unterkünfte, sondern gezielt die Unterkünfte, in denen die Piloten der syrischen Luftwaffe untergebracht waren, so habe die syrische Armee einige ihrer besten Piloten verloren. Dies liegt nun einige Jahre zurück, das schmutzige Spiel der USA ist damit jedoch keineswegs beendet: Heute haben sie ihre Militärbasen im Norden des Landes, und gemeinsam mit den kurdischen Verbänden treten sie Menschen- und Völkerrecht mit Füssen. Drohnenangriffe gegen den Irak und gegen den Iran aus diesem besetzten Gebiet gehören ebenso zum Alltag wie ständige Übergriffe gegen die ansässige Bevölkerung, der Raub des syrischen Erdöls und damit verbunden eine Umweltverschmutzung, die ihresgleichen sucht. Darüber hinaus werden dem syrischen Volk von den Besatzern auch alle anderen Ressourcen geraubt, vor allen Wasser und Getreide.

Polizei

Ein ehemaliges Mitglied der syrischen Polizei, heute in Rente, erzählt uns von seinen Einsätzen während den ersten Demonstrationen im Jahr 2011: Sie hatten strikten Befehl bekommen, die Demonstrationen laufen zu lassen, sie nicht zu behindern und nur im äussersten Notfall einzuschreiten. Er sagt, anfangs habe er überhaupt nicht verstanden, warum damals die gesamte Polizeistreitmacht, welche zu den Demonstrationen abkommandiert war, mit schusssicheren Westen ausgerüstet worden sei. Erst nachdem aus den Demonstrationszügen heraus auf sie – und auch auf die Demonstranten – geschossen wurde habe er das begriffen. Allerdings hätten diese Westen nur bedingt genutzt: Viele seiner Kollegen seien durch Kopfschüsse getötet worden oder durch gezielte Schüsse ins Herz, wenn sie zum Beispiel den Arm in die Höhe gestreckt und so eine ungeschützte Stelle präsentiert habe. So etwas, meint er, ist nur mit ausgebildeten Scharfschützen zu machen, irgendein wütender Demonstrant mit einem Gewehr in der Hand schafft so etwas nicht. Die Polizisten waren die ersten Opfer, beteuert er und er ist felsenfest davon überzeugt, dass diese Demonstrationen von außen gesteuert wurden. Dies umso mehr, als die syrische Regierung, damals wie heute, immer wieder Hand für eine friedliche Lösung bietet. Dies wird jedoch durch vollkommen realitätsferne Forderungen, zum Beispiel den sofortigen Rücktritt des Präsidenten, verunmöglicht. Dazu ist allerdings anzumerken, dass sich diese Forderung, die auch ganz klar von außen kommt, mittlerweile abgenutzt hat. Der Präsident ist, nach all den Jahren der Angriffe von außen beliebter, ja geliebter denn je.

Die Blockade II

Militärisch hat das syrische Volk, die syrische Armee diesen Angriffskrieg klar für sich entschieden, darüber kann es nicht den geringsten Zweifel geben. Alle größeren Städte, Aleppo, Homs, Hama, Tadmor, Damaskus sowieso, sind befreit. Nun aber wird mit allen Mitteln versucht, das syrische Volk mittels der illegalen Blockade zu strangulieren. «Die Luft die wir atmen können sie uns nicht nehmen, sonst würden sie das auch noch tun», ist ein oft gehörtes Wort von verschiedensten Menschen. Anders als in Kuba oder anderen, von verbrecherischen Blockaden betroffenen Ländern, ist Syrien das überhaupt nicht gewohnt. Man kann also sagen, die illegale Blockade trifft die Menschen kalt: Bankkonten auf ausländischen Banken werden eingefroren. Freunde und Verwandte im Exil können kein Geld mehr nach Hause schicken. Ärzte und Krankenhäuser können kein Zubehör für ihre medizinischen Geräte mehr kaufen. Saatgut und Ernten dürfen weder exportiert noch importiert werden. Der Handel ganz allgemein ist untersagt. Länder und Firmen, die sich nicht daran halten, werden ebenfalls strengstens bestraft. All dies ohne jede gesetzliche Grundlage, entgegen allen Bestimmungen des Völkerrechts, basierend allein auf der Machtbesessenheit der USA , der EU und deren Vasallen.

Europa und die USA in der Verantwortung


Ohne übertriebenen Optimismus kann jetzt - im Jahr 2019 - gesagt werden, der Krieg in Syrien ist beendet. Die Krise jedoch ist noch lange nicht überstanden. Das wird wohl noch Jahre dauern. Was jedoch die Ziele der Angreifer betrifft, nämlich die Zerschlagung der staatlichen Infrastruktur, die Absetzung der legitimen Regierung, die Aufspaltung des Landes entlang religiöser und ethnischer Grenzen, die Ausplünderung der Rohstoffe des Landes, zionistische Unterwanderung und dergleichen mehr, da können wir heute, nach acht Jahren Angriffskrieg sagen: All das ist weitgehend gescheitert.

Die Gründe für den Erfolg Syriens liegen ganz bestimmt auch bei den Verbündeten des Landes. Russland, Iran und die Hisbollah, sie alle haben das syrische Volk, die syrische Armee militärisch unterstützt (und tun dies noch immer). Auch die Länder, welche aktiv die Süd-Süd Kooperation betreiben, Venezuela, Indien, Südafrika, China und unzählige andere haben dazu beigetragen, dass die imperialistischen und zionistischen Angriffe scheitern. In erster Linie jedoch ist es der Umsicht und der Klugheit der syrischen Regierung und des syrischen Volkes zu verdanken, dass diese Angriffe unter enormen Opfern aller Menschen in Syrien zurück geschlagen werden.

Noch im Oktober 2018 präsentiert sich die politische Lage in Syrien wir folgt: Den Streitkräften ist es gelungen, die bewaffneten Terrorbanden in einer Region des Landes, im Norden an der Grenze zur Türkei fest zu setzen. Ihre momentane Hochburg ist Idlib. Wie schon zuvor anderenorts werden auch in Idlib die Menschen der Stadt, der ganzen Region als Geiseln gehalten. Analog zu Aleppo und zur Ghouta versucht nun auch in Idlib die syrische Armee die Bevölkerung von den Terrorbanden mittels Fluchtkorridoren zu trennen und so den Weg für die Befreiung zu ebnen. Wie dies auch zuvor geschehen ist, wird auch hier den Bewaffneten die Möglichkeit gegeben, die Waffen nieder zu legen und sich zu ergeben. Anders jedoch als zuvor handelt es sich nun bei Idlib um das letzte Gefecht der Terrorbanden. Das heisst, ihnen wird kein freier Abzug mehr gewährt. Zuvor hatten sie, zum Beispiel in Aleppo, die Möglichkeit sich entweder zu ergeben oder sich nach Idlib zurück zu ziehen. Das Problem das sich nun stellt ist, dass die wenigsten der Kämpfer dort Syrier sind. Die Banden die dort gegen die syrische Gesellschaft kämpfen kommen aus aller Welt. Offensichtlich will nun aber keines dieser Länder ihre Mörder zurück nehmen.

Am Ende des Tages sind jedoch die Herkunftsländer der Söldnerbanden tatsächlich für sie verantwortlich.

Dass sie diese Verantwortung nicht übernehmen wollen, ist indes auch klar: Was soll geschehen, mit geschätzten 30‘000, zum Teil gut ausgebildeten Kämpfern, die nichts anderes können als kämpfen und töten? Zum großen Teil reden wir hier von Fanatisierten, zum Teil reden wir von Söldnern und zum Teil reden von Instrumentalisierten, alle jedoch haben Blut an ihren Händen. Was mit ihnen geschehen soll ist völlig offen.

Dies ist jedoch nicht die einzige Verantwortung, die Europa, die USA und Israel tragen: Die Zerstörung, die während 8 Jahren Krieg (im Jahr 2019) in Syrien angerichtet wurde, ist enorm. Diese Zerstörung kann zu 100% den USA, Europa und deren Vasallen angelastet werden.

So meinen denn auch maßgebliche syrische Parteien und Politiker, diejenigen, welche Syrien während all der Jahre angegriffen haben müssten nun auch die Kosten des Wiederaufbaues übernehmen. Von welcher Seite man es auch betrachtet, diese Forderung ist mehr als berechtigt.

Wenn wir zurück gehen ins Jahr 2011, also an den Beginn der Ereignisse, dann erinnern wir uns an die gigantische Lügenkampagne, welche gegen die syrische Regierung und deren Armee losgetreten wurde. Diese Kampagne dauert übrigens an bis zum heutigen Tag an. In den darauf folgenden Jahren haben die USA, die NATO Staaten und Israel immer und immer wieder versucht, mit militärischen Mitteln das herbei zu führen was sie einen „regime change“ nennen. Sie sind gescheitert, aber die unglaublichen Opfer, die Qualen, die Zerstörung welche sie angerichtet haben, trägt nun das syrische Volk.

Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, dann zahlen die Angreifer wenigstens den materiellen Preis für die Schäden, welche sie angerichtet haben. Die immateriellen Schäden, all das Leid der Witwen und Waisen, die sie zu verantworten haben, kann ohnehin niemand bezahlen.

Es ist jedoch zu befürchten, dass es diese Gerechtigkeit, die fordert, dass die zurück geschlagenen Angreifer nun den Preis für ihre Verbrechen bezahlen müssen, nicht gibt. "Wiederaufbau in Syrien?" werden sie sagen, "natürlich beteiligen wir uns gerne, aber selbstverständlich nicht umsonst!"

Mit anderen Worten: Diejenigen, welche die Zerstörung angerichtet haben, wollen nun auch noch vom Wiederaufbau profitieren. Vollkommen zu recht beharrt nun die syrische Regierung darauf, dass diejenigen welche sich an den Angriffen beteiligt haben, nicht am Geschäft des Wiederaufbaus teilhaben dürfen – was in einer globalisierten Welt natürlich nicht einfach sein dürfte – gleichwohl ist es nachvollziehbar. Nachvollziehbar auch die Forderung an die Angreifer, nun die Folgen der Zerstörung zu beseitigen, also die Kosten des Wiederaufbaues vollumfänglich zu übernehmen.

Wie bereits erwähnt stehen die Chancen für ein derartiges, gerechtfertigtes Anliegen schlecht. Zu gewaltig die Heuchelei der USA, der NATO Staaten und Israels. Zu groß ihre Wut über die Geschäfte, die ihnen nun entgehen und wir sprechen im Fall Syriens nicht von Milliarden, sondern von vielen Milliarden Beträgen.

Einmal mehr haben der Imperialismus und der Zionismus in Syrien ihre hässlichen Fratzen gezeigt, aber die Masken sind gefallen. Genau die Staaten und Gebilde, welche unschuldige Länder anklagen, weigern sich, die Verantwortung für die Folgen ihres verbrecherischen Handelns zu übernehmen.

"Die Geschichte wird mich frei sprechen", sagte Fidel Castro, als er 1953 wegen des Angriffes gegen die Moncada Kaserne vor Gericht gestellt wurde. "Die Geschichte wird sie schuldig sprechen" können wir Fidels Wort bezogen auf die imperialistischen Machthaber der NATO-Staaten der USA und Israels abwandeln.
 
Bezüge zu Heute

Wie eingangs erwähnt ist dieser Bericht einer Reise in Syrien aus dem Jahr 2019. In dieser schnelllebigen Zeit, darf man dies schon fast als historisch bezeichnen. Die Frage, welche Bezüge wir zur aktuellen Weltlage ziehen können, ist berechtigt und interessant.

Bezüglich Syrien hat sich nicht all zu viel verändert – nicht zum Schlechten, aber leider auch nicht zum Guten. Nach wie vor halten die USA in Kumpanei mit gedungenen Söldnerbanden den Nordosten Syriens und damit die dortigen Ressourcen besetzt. Nach wie vor führt die Türkei einen teils offenen, teil klandestinen Krieg gegen Syrien. Nebst der erwähnten NATO, den USA, den von ihnen unterstützten kurdischen Verbänden und der Türkei dürfen wir Israel als einen bedeutenden Aggressor gegen Syrien nicht außer acht lassen.

International kommt hinzu, dass wir die Situation in Syrien nun auch im Licht des Ukraine-Konflikts analysieren müssen: Die imperialistische Allianz, USA, die NATO Staaten und Israel haben versucht, mit Russland ebenso umzuspringen, wie sie das mit anderen Ländern auch taten und noch immer tun. Die eigene, kapitalistische Doktrin soll mit allen Mitteln durchgesetzt werden. Wer nicht kollaboriert, wird mit buchstäblich allen Mitteln bekämpft. Es ist klar ersichtlich, dass diese imperiale Politik nun im Fall Russlands nicht nur an ihre Grenzen stößt, sondern sich selbst zerstört. Mittlerweile erscheinen – zumindest in den USA – die ehemaligen Kriegsgurgeln als die Stimmen der Vernunft.

So ruft zum Beispiel der Chef des US-Generalstabes, Mark Milley, zu Verhandlungen mit Russland auf. (4) Derweilen setzten der Präsident und dessen Stab nach wie vor auf den Komödianten aus Kiew, die europäischen Machthaber von Nord bis Süd, von West bis Ost folgen noch immer brav der Stimme ihrer Herren im Pentagon.

Der Bezug, den wir zu Syrien und zu anderen vom Imperialismus angegriffenen Staaten schließen können, liegt auch der Hand: Mit Russland (und mit China) so umspringen zu wollen, wie es die neokoloniale Politik Europas und der USA mit dem Rest der Welt tut, erweist sich gerade als gigantische Fehleinschätzung. Nicht nur, dass damit die eigene Wirtschaft an die Wand gefahren wird. Die Völker der Welt sehen, was geschieht, und immer mehr verweigern sie sich der US-NATO-Hegemonie und dem US-NATO-Diktat.

Als Fazit können wir sagen, dass Syrien, ebenso wie andere vom Imperialismus angegriffene Länder noch längst nicht über den Berg ist. Auf der anderen Seite ist jedoch auch klar ersichtlich, dass die rassistische, eurozentristische Politik des NATO-Imperialismus und des Zionismus abgewirtschaftet hat. Europa, der NATO, den USA bleiben wenige, am Ende des Tages bleiben ihnen noch zwei Möglichkeiten: Die erste Möglichkeit ist, dass sie endlich zur Vernunft kommen und den friedlichen Weg des Dialogs auf Augenhöhe, basierend auf fairen Beziehungen auf allen Ebenen wählen. Das ist logisch, human und nicht all zu schwierig. Die zweite Möglichkeit ist, die Situation weiter zu eskalieren. Dann allerdings stehen wir nicht am Rande einer alles umfassenden Vernichtung, sondern wir befinden uns mittendrin.


Fußnoten:

1 Mehr zu Ma‘aloua, von der UNESCO als Weltkulturerbe deklariert findet sich hier:
https://www.worldheritagesite.org/tentative/id/1299 (Letzter Zugriff Dezember 2022)
2 Hilarion Capucci wurde 1922 in Aleppo geboren. Er war ein syrischer griechisch-katholischer Geistlicher, Theologe und politischer Aktivist. Er war Weihbischof des Melkitischen Patriarchats von Antiochien. Sein politisches Engagement für Palästina missfiel dem Vatikan. So wurde Capucci nach Südamerika versetzt. Als er dort weiterhin politisch agitierte wurde er nach Rom berufen und dort im Vatikan praktisch unter Hausarrest gestellt. Er starb im Jahr 2017 in Rom.
3 Hier findet sich eine Kritik an Nestlé, wohlverstanden aus bürgerlicher Sicht:
https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/lebensmittelkonzern-warum-nestle-so-unbeliebtist/26287122.html
4 https://aufklaerung-heute.de/2022/11/interview-wieso-ruft-der-chef-des-us-generalstabs-mark-milley-jetzt-zuverhandlungen-mit-russland-auf/
(Letzter Zugriff Januar 2023)

Online-Flyer Nr. 805  vom 23.01.2023

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