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Globales
Aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 43
Vorhang auf für Martin Niemöller
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Es hat sich nicht von selbst ergeben, dass der folgende Beitrag über den Theologen und Friedensaktivisten Martin Niemöller entstanden ist. Zum Neuen Jahr sollte eine Anzeige in einer "sozialistischen" Zeitung erscheinen. Es war eine für die Quartalsschrift DAS KROKODIL, in der die Formulierung "Vorhang auf für Michael Ballweg" enthalten war. Doch die Reaktion war ernüchternd. Es hieß, die Anzeige könne aus "inhaltlichen" Gründen nicht veröffentlicht werden. Aber auch eine modifizierte Anzeige ist nicht erschienen. In der war "Vorhang auf für Michael Ballweg" durch "Vorhang auf für Martin Niemöller" ersetzt. Und wir haben erläutert: "Wir sehen in Michael Ballweg einen politischen Gefangenen im Sinne von Martin Niemöller." Das war der Anlass, folgenden Beitrag zu verfassen und in Ausgabe 43 der Quartalsschrift DAS KROKODIL zu veröffentlichen.


Martin Niemöller, 1952 (Foto: gemeinfrei)


Aus der Geschichte lernen – was für ein Satz und seltenst erfüllter Anspruch. Jede Kriegslüge und jeder Rufmord greift aufs Neue bei nahezu immergleichen Methoden. Freiheit ist die Freiheit der Andersdenkenden, so Rosa Luxemburg. Wie unendlich weit ist die Gesellschaft von derart grundlegenden Gedanken entfernt. In ihrer Erkenntnisfähigkeit offenbar verkrüppelte "Linke", Christen bis Kommunisten gleichermaßen, gar vorgebliche "Antifaschisten" brüllen aus heiseren Hälsen alles nieder, was von der Obrigkeit und ihren Wahrheitsmedien stigmatisiert, gar verteufelt wird. Grundrechte sind rechts, Krieg ist Frieden, Waffen sind Ausdruck der Nächstenliebe.

Wer war nun Martin Niemöller, der – ehemals kaiserlicher U-Boot-Kommandant – auf die Kanzel stieg, der seine persönliche Verantwortlichkeit schon als junger Offizier darin sah, einen missliebigen Befehl "überhören" zu können, der – wie er zugibt – in jungen Jahren vom herrschenden gesellschaftlichen Weltbild stark geprägt und ihm angepasst war und ihm doch in entscheidenden Fragen widersprach. Aug in Aug mit Adolf Hitler erklärt er den den Kirchen übergestülpten und mit dem Begriff "positives Christentum" bemäntelten "Arierparagraphen" für nicht akzeptabel. Da hatte er als kleiner Pfarrer in Berlin-Dahlem schon den Pfarrer-Notbund gegründet, aus dem die Bekennende Kirche hervorging. Fünf Tage nach der Hitlerbegegnung wird er 1937 verhaftet, wandert für einige Monate in Festungshaft und danach als Hitlers persönlicher Gefangener acht Jahre überwiegend in Einzelhaft in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Dachau, wo er 1945 von US-Amerikanern "befreit", aber erst nach acht Monaten und Dauerverhören in Neapel, Versailles und Bielefeld auf freien Fuß gesetzt wird.

Dieser Martin Niemöller ist entschieden gegen die deutsche Teilung ("In Rom gezeugt, in Washington geboren") und gegen die Remilitarisierung Deutschlands. Er wird führender Kopf der Ostermarschbewegung, deren Anfang er in London miterlebt, und von "Stop dem Atomtod". Der Biograf Benjamin Ziemann schreibt Niemöller "Judenfeindlichkeit" – neudeutsch "Antisemitismus" – in die Analen und wendet Niemöllers autobiografische Aufzeichnung "Vom U-Boot zur Kanzel" ins Rückwärtsgewandte – eine Ohrfeige für den Freund Martin Luther Kings, dem trotz acht Jahren KZ der Status des NS-Verfolgten aberkannt wird und der 1947 von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) abgewiesen wird – wenngleich er später in den 1960er Jahren Mitglied ihres Ehrenpräsidiums wird.

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ Das ist das wohl bekannteste Zitat Martin Niemöllers, der 1966 den Lenin-Friedenspreis erhielt, 1967 Ehrenpräsident des Weltfriedensrates wurde und 1980 zu den Initiatoren des "Krefelder Appells" gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen gehörte. Dieses Zitat ist heute aktueller denn je – wenn hochverdiente Kämpfer für Frieden und Freiheit wie der Wikileaks-Gründer Julian Assange und der Gründer der Querdenken-Bewegung Michael Ballweg hinter Gittern sitzen und zu wenige protestieren – Solidarität mit Michael Ballweg in der "Linken" sogar gänzlich verweigert wird. Im April 2021 fällt der kontaminierte Satz: "Wenn der Begriff Querdenker heute nicht kontaminiert wäre, dann könnte man ihn auf Niemöller anwenden." So Eberhard Martin Pausch, Leiter der evangelischen Akademie Frankfurt – die Querdenken-Bewegung mit ihrem Widerspruchsgeist diffamierend.


Veröffentlichung aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 43 (Dezember 2022) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch.



Mehr dazu und wie es sich bestellen lässt, hier: http://www.das-krokodil.com/

Siehe auch:

Aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 41
Vorhang auf für Michael Ballweg
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 795 vom 20.07.2022
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28179

Nach mehr als sechs Monaten "Untersuchungshaft"
Solidarität mit Michael Ballweg
Von Elke Zwinge-Makamizile
NRhZ 805 vom 23.01.2023
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28426

Für Carl von Ossietzky, Julian Assange und Michael Ballweg
Frieden, Freiheit, Demokratie: Eine Fantasie von vorgestern?
Von Irene Eckert
NRhZ 805 vom 23.01.2023
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28427

Justiz gegen Demokratiebewegung
Freiheit für Ballweg
Von Ulrich Gellermann
NRhZ 805 vom 23.01.2023
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28428

Online-Flyer Nr. 805  vom 23.01.2023



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