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Literatur
Somavo Th. Vissiennon/I.viss: „MAFIAFRIKA Kurze Geschichte französischer Kolonien in Afrika. Der Sinn der Francafrique“
Demaskierung das Systems der Ausbeutung
Buchbesprechung von Georges Hallermayer

Was für eine Aufgabe, dieses monströse „Francafrique“, dieses militärisch-ökonomisch-politisch gewebte Netz neokolonialer wirtschaftlicher Ausbeutung und politischer Abhängigkeit zu entlarven und Solidarität zu mobilisieren. Gerade heutzutage, wo koloniale Verbrechen des deutschen Imperialismus mit angeblich zivilisatorischen Verdiensten verbrämt werden, so wie der kolossale Ausbeutungsmechanismus im 3. Reich versucht wird, vergessen zu machen. Gerade heutzutage, wo die französische herrschende Klasse ihre Methoden der Beherrschung in Afrika zu verschleiern sucht – um nur zwei Stichworte anzuführen: Rückgabe gestohlener Kunstwerke, Rückzug der Militärbesatzung „Barkhane“.

Umso größer das Verdienst von Dr. Samavo Th. Vissiennon aus Leipzig, „Mafiafrika“ zu schreiben, eine „kurze Geschichte französischer Kolonien in Afrika. Der Sinn der Francafrique“. (Als Vorsitzender des Vereins „Eine-Schule-für-Kingon e.V.“ stellte er mehrere Projekte in Benin auf die Beine.)

Ihn treibt an, wie er im Vorwort schreibt, „gemeinsam hinter die Kulissen zu schauen, damit Hilfe richtig ankommt und die Afrika-helfenden Institutionen ihre Arbeit nicht nur als Ablasshandel betrachten müssen“, mit dem man sich zu Luthers Zeiten von Sünden freikaufen konnte. Werner David „I.viss“ untermalt gekonnt seine Ausführungen, verdichtet die Intensität seiner Geschichten, die 106 Seiten lang betroffen machen. Dabei schreibt der Autor nicht über den 450jährigen Sklavenhandel und nicht über die Kolonisierung im 19. Jahrhundert. Er beginnt mit der so genannten „Befreiung“ in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Eine Pionierarbeit, die Samavo Th. Vissiennon geleistet hat, denn im deutschsprachigen Raum gibt es nichts derartiges, den französischen Neokolonialismus entlarvend. Gut, im frankophonen Raum schrieb der Belgier Francois-Xavier Verschave (der die Worte „Francafrique“ und „Mafiafrique“ geprägt hatte) bis zu seinem Tod 2005 dagegen an, der ehemalige Vorsitzende der „Association Suvie“, die mit ihrer web-site und Taschenbüchern wie „Francafrique. La famille recomposée“ beim Verlag Syllepse um Aufklärung bemüht und zu Solidaritätsveranstaltungen mobilisiert.

Nein, der Autor lieferte nicht eine fachhistorische Arbeit. Dazu bräuchte es nur, vorhandene Literatur ins Deutsche zu übersetzen. Er listet nicht die über fünfzig militärischen Interventionen Frankreichs auf, die seitdem für neokoloniale und seit den 80er Jahren für neoliberale Ordnung sorgten. Der Historiker mag bemängeln, dass ein Autor wie Patrick Pesnot, der 2014 mit Monsieur X in „Les dessous de la Francafrique.Les dossiers secrets de Monsieur X““ nach Ländern geordnet, entlarvende Dokumente auswertete, in der Literaturliste nicht aufgeführt ist. Oder der Film von Patrick Benquet „Francafrique. 50 annees sous le sceau de secret“, in dem der vom Krebs gezeichnete französische Botschafter in Benin gesteht, die Wahlen gefälscht zu haben.

Somavo Theophile Vissiennon erzählt Geschichte in seinen Geschichten – und das macht die Stärke des Buches aus, auf dass der Zorn Solidarität mobilisiert. Er erzählt, wie er es sicher schon xmal Freunden, aber auch seinen Kindern erzählt hat. Wie er selbst es wohl auch von seinem Großvater erzählt bekommen hat. Und er hat es endlich aufgeschrieben neben seiner Arbeit als promovierter Tiermediziner und es im Selbstverlag herausgegeben, den Kosten zum Trotz. Er habe keinen Verlag gefunden, sei „auch kein Günther Grass oder Gregor Gysi“ schrieb er mir. Er wendet sich an Deutsche, die von Afrika nur wilde Tiere, Katastrophen und Krieg kennen, denen die Zusammenhänge von Francafrique oder imperialistische Ausbeutung vorenthalten werden.

Und Samovo Th. Vissiennon erzählt nicht als „servant“, sondern, schlüpft listig in die Rolle des „masters“: französische Präsidenten und andere Handlager des französischen Monopolkapitals, allen voran „Monsieur Afrique“ Jacques Foccart, der bis zu seinem Tod an den Strippen zog, oder der Sohn von Staatspräsident Mitterand Jean-Christoph, genannt „papa-ma-dit“ (Papa hat mir gesagt), bluttriefende Söldner und andere Militärputschisten nicht zu vergessen.

Samovo Vissiennon spricht „tacheles“, lässt das herrschende Diktum offen und unverblümt bis zu verbrecherischen Absichten zu Worte kommen, die zum Teil als Zitate belegt, aber immer auf realen Grundlagen basieren. Natürlich ist jede Seite unten gespickt mit erklärenden Anmerkungen, wissenschaftliche Belege im Anmerkungsapparat animieren am Ende wissenschaftliches Weiterarbeiten. Das Buch liest sich wie ein Kriminalroman, bloß dass die Verbrecher, straffrei ausgingen, solange nicht die Völker über sie Gericht sitzen.

Mit Samovo Theophile Sissiennon schreibt einer endlich in verständlicher Sprache und demaskiert das gesteuerte System der Ausbeutung. Es ist keine „graphic novel“ wie die die 2006 in Poitier erschienenen fünf Bände von Gregory Jarry & Otto1 T, deren Band 4 sich „Franceafrique“ widmet. Aber es gehörte in die Bibliotheken, besonders in den Schulen. Und es gehört in die Hand aufgeklärter (Groß-) Väter, die ihren Kindern und Enkeln diese Geschichten vorlesen und damit zu erklären suchen, warum zum Beispiel in Europa die Schokolade so billig ist.


Somavo Th. Vissiennon/I.viss: „MAFIAFRIKA Kurze Geschichte französicher Kolonien in Afrika. Der Sinn der Francafrique“



Leipzig 2021 109 Seiten, zu bestellen: www.afrika2030.net


Fußnote:

1 Gregory Jarry & Otto T.: Petite histoire des colonies francaises, Poitier 2006
Tome 1: l’Amerique francaise
Tome 2: l’Empire
Tome 3: la decolonisation
Tome 4: La Francafrique
Tome 5: les Immigrés

Online-Flyer Nr. 788  vom 30.03.2022

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