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Krieg und Frieden
Operationsfeld Ukraine
USA/NATO: Weiter auf Kriegs- und Unterdrückungskurs
Von Wolfgang Effenberger

Nach acht zermürbenden Verhandlungsstunden am 10. Januar 2022 zwischen dem stellvertretenden russischen Außenminister Sergei Alexejewitsch Rjabkow und der stellvertretenden amerikanischen Außenministerin Wendy Sherman meldete sich Ned Price vom US-Außenministerium zu Wort: Washington wird russische Vorschläge für eine NATO-Erweiterung nicht in Betracht ziehen und hat nicht die Absicht, diese Idee auch nur zu diskutieren. (1) Zwei Tage später wies die NATO Moskaus Forderungen nach umfangreichen Sicherheitsgarantien zurück. „Wir werden keine Kompromisse bei unseren Grundprinzipien machen“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. So habe Russland „kein Vetorecht in der Frage, ob die Ukraine Nato-Mitglied werden kann“, so Stoltenberg. Und US-Vize-Außenministerin Wendy Sherman twitterte nach den Verhandlungen: „Jedes Land hat das hoheitliche Recht, seinen eigenen Weg zu wählen.“ (2)

Am 14. Januar fasste Außenminister Sergei Lawrow vor seiner traditionellen großen Pressekonferenz die Verhandlungsergebnisse zusammen: "Die Lage bessert sich nicht, das Konfliktpotenzial steigt an. Unsere westlichen Kollegen tragen entscheidend zu einer solchen negativen Entwicklung der Ereignisse bei. Sie haben einen Kurs eingeschlagen, um die auf der UN-Charta basierende Architektur der internationalen Beziehungen zu untergraben und verfolgen eine Linie, internationales Recht durch eigene Regeln zu ersetzten.“ (3)

Mitten hinein in diese hochexplosive Gemengelage wird Russland unterstellt, eine Cyber-Attacke auf Regierungs-Internet-Seiten der Ukraine durchgeführt zu haben. Nun soll der Ukraine auch Zugang zu einer NATO-Schadsoftware-Plattform ermöglicht werden. Unterdessen fordert Lawrow bis nächste Woche eine schriftliche Antwort der NATO und der USA auf Moskaus Forderungen nach verbindlichen Sicherheitsgarantien. (4)

Die ständigen Versuche des Westens, Russland als Aggressor zu brandmarken, machen eine Rückblende zum Ende des Zweiten Weltkriegs nötig:
  • Zum 1. Juli 1945 sollte mit dem von Winston Churchill in Auftrag gegebenen Kriegsplan „Operation Unthinkable“ die damalige Sowjetunion zurückgeworfen und ein unabhängiges Polen wiederhergestellt werden. (5)
  • Anfang September 1945 beauftragte US-Präsident Harry S. Truman General Eisenhower mit der "Operation TOTALITY". Mit 20 bis 30 Atombomben sollten 20 sowjetische Industriestädte auf einen Schlag vernichtet werden. Derartige Pläne wurden ständig verfeinert.
  • 1946 wurden im Rahmen der Operation Sunrise in einem Oberammergauer Lager unter dem Kommando von General Gardener Sikes und SS-General Kurt Burckhardt etwa 5.000 antikommunistische osteuropäische und russische Mitarbeiter für operative Einsätze ausgebildet. Diese und ähnliche Initiativen unterstützten Aufstände in Gebieten wie der Ukraine, die von den Sowjets erst 1956 vollständig unterdrückt wurden. (6)
  • Am 15. Mai 1947 verkündete Truman seine Doktrin zur Eindämmung der weiteren Ausdehnung der Sowjetunion.
  • Am 6. Juni 1947 folgte der Marshallplan. Er hatte das Ziel, Westeuropa gegen den Ostblock zu stärken und der noch vom Krieg überhitzten amerikanischen Wirtschaft Absatzmärkte zu öffnen. Mit Annahme der Hilfe mussten die Länder ihre finanzpolitische Souveränität an Washington abtreten - das war der Beginn der ökonomischen Kolonisierung Europas, die gar nicht viel kostete (zwischen 1948 und 1952 flossen nur ca. 15 Mrd. US-Dollar).
  • Am 26. Juli 1947 wurde der »National Security Act« für die militärische Durchdringung der Welt verabschiedet, eines der wichtigsten Gesetze der US-amerikanischen Nachkriegsgeschichte. Er ist bis heute die Grundlage weltweiter amerikanischer Militärmacht. Es galt, Europa für den Krieg gegen die Sowjetunion tauglich zu machen.
  • Am 4. April 1949 wurde die NATO offiziell als Verteidigungsbündnis gegen die Sowjetunion gegründet. Der erste Generalsekretär der NATO und Chefplaner von Unthinkable, Lord Ismay, formulierte salopp die Aufgabe der NATO: »die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten«(7). Im Bündnisvertrag wurde festgehalten, dass wirtschaftlicher Wiederaufbau und wirtschaftliche Stabilität wichtige Elemente der Sicherheit seien – daher der Marshallplan.
  • Am 19. Dezember 1949 verabschiedeten die USA den Kriegsplan »Dropshot«, mit dem 1957 die Sowjetunion angegriffen werden sollte. In der »Grundannahme« heißt es wörtlich: »Am oder um den 1. Januar 1957 ist den Vereinigten Staaten durch einen Aggressionsakt der UdSSR und/oder ihrer Satelliten ein Krieg aufgezwungen worden.« Daraufhin sollten 300 Atombomben und 29.000 hochexplosive Bomben auf 200 Ziele in einhundert Städten abgeworfen werden, um 85 Prozent der industriellen Kapazität der Sowjetunion mit einem einzigen Schlag zu vernichten. Der Zeitpunkt war zweifellos auf den ursprünglich geplanten Abschlusstermin der Remilitarisierung Westdeutschlands abgestimmt. Als dann jedoch 1957 der fiepsende Sputnik seine Kreise um die Erde zog, mussten die Kriegsplanungen überarbeitet werden, und der Zeitpunkt für Dropshot wurde vertagt. In Moskau aber ist der Plan unvergessen.
  • Mit der "National Security Decision Directive 54" (NSDD-54) vom 2. September 1982 wurde ein Instrument geschaffen, mit dem der gesamte Sowjetblock subversiv untergraben werden konnte. Ein Staat nach dem anderen wurde mit dem Versprechen amerikanischer Unterstützung zur Ablösung von der Sowjetunion veranlasst. Neben destruktiven Operationen („Unterminierung der Militärkapazitäten des Warschauer Paktes“) wurden ökonomische Anreize geschaffen, vor allem die Aussicht auf Kredite und kulturell-wissenschaftlichen Austausch. (8)
  • Als Weiterentwicklung und Ergänzung dienen die Langzeitstrategiepapiere TRADOC 525-5 von 1994 und 525-3-1 („Win in a Complex World 2020-2040“) von 2014.
Gezielt wurden Russland und China als bedrohliche Feinde aufgebaut, um die militärische Schutzmacht USA durch die NATO und durch verschiedene asiatische Verteidigungsbündnisse zu etablieren. (9) Schon 1945 orakelte der US-Philosoph James Burnham 1945, die USA seien dazu berufen, „in der Auseinandersetzung mit den anderen Supermächten die Weltmacht zu erringen“. (10)

Wie wird es weitergehen? Vermutlich mit weiteren Provokationen und Anschlägen, die Russland angelastet werden. Im Bereich möglicher Sanktionen gegen Russland hat Washington sicherlich noch einige Überraschungen zu bieten. Willy Wimmer überschrieb seinen Artikel vom 13. Januar mit der Frage „Krieg zum Beginn der Olympiade am 4. Februar 2022?“ und erinnert darin den Leser an den Beginn der olympischen Sommerspiele in Beijing, als pünktlich zum Entzünden der olympischen Flamme am 8. August 2008 die Armee Georgiens mit allem, was sie an Feuerkraft hatte, auf die ossetischen Stellungen schoss, in der Gewissheit, eine sofortige Reaktion der russischen Armee zu provozieren. (11)

Wie kann einer derart das Völkerrecht missachtenden Politik Einhalt geboten werden? Die UN ist dazu anscheinend nicht in der Lage. So muss die Völkergemeinschaft – Völkerbund 1919 und UN 1945 waren aus dem Denken des Krieges entstanden – endlich zu einer Gemeinschaft finden, die im Geist des Friedens entsteht. (12) Sie muss in der Lage sein, jede friedensfeindliche Politik zu sanktionieren.


Fußnoten:

1) https://thesaker.is/this-is-how-the-u-s-does-dialogue/
2) https://www.welt.de/politik/ausland/article236199920/Stoltenberg-Erhebliche-Meinungsverschiedenheiten-mit-Russland.html
3) https://de.rt.com/russland/129933-sergei-lawrow-erortert-schlusselthemen-russischen/
4) https://web.de/magazine/politik/drohgebaerden-gegenseitiges-misstrauen-russland-geraet-cyber-attacke-verdacht-36514502
5) Antony Beevor: Der Zweite Weltkrieg. 1. Auflage. München 2014,  S. 866 f.
6) https://irp.fas.org/world/germany/intro/gehlen.htm
7) https://internationalepolitik.de/de/nordatlantische-allianz
8) https://irp.fas.org/offdocs/nsdd/nsdd-54.pdf
9) Bereits im Herbst 1945 sah der Plan mit Namen TOTALITY (JIC 329/1) einen Atomangriff auf die Sowjetunion mit 20 bis 30 Atombomben vor. Details in Kaku/ Axelrod 1987, S. 30–31.
10) Zitiert wie www.dradio.de/dkultur/sendungen/kalenderblatt/439652/
11) https://apolut.net/krieg-zum-beginn-der-olympiade-am-4-februar-2022/
12) Wolfgang Effenberger: Reformvorschlag der G4-Staaten (Brasilien, Deutschland, Indien und Japan) in Bezug auf eine Erweiterung des Sicherheitsrats vor dem Hintergrund der geopolitischen Interessen der USA

Online-Flyer Nr. 785  vom 26.01.2022

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