SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Druckversion
Literatur
Sarah El Bulbeisi: Tabu, Trauma und Identität
Traurig, ergreifend, erschütternd
Buchbesprechung von Evelyn Hecht-Galinski
Diesmal geht es um ein Buch der Autorin Sarah El Bulbeisi, das so mitreißend wie traurig ist, dass es mich tief erschüttert hat. Die Autorin schildert ihre Erfahrungen in dieser Dissertation in Buchform so ergreifend, dass jeder halbwegs Empathie fühlender Leser sich betroffen fühlen muss. Wie sie das “System Oslo” mit dem angeblichen Friedensprozess entlarvt, der Aufrechterhaltung der israelischen Siedlungen und ihre kontinuierliche Expansion, Siedlungen zur Kolonialisierung des Landes. Die verzweifelten Versuche der Palästinenser, die Aufmerksamkeit der Weltbevölkerung auf ein besetztes und unterdrücktes Volk zu lenken.
Auch in diesem Kontext sah ich schon lange gerade auch den Zusammenhang mit dem gescheiterten Versuch der palästinensischen Geiselnahme 1972 in München der israelischen Olympiamannschaft, deren politische Zielsetzung es war, palästinensische Häftlinge aus israelischer Haft zu erpressen. Danach begann eine kollektive Bestrafung von Menschen arabischer Herkunft, Palästinensern in Deutschland. Es war eine Sippenhaftung, in der selbst Männer mit deutschen Ehefrauen verheiratet, Deutschland verlassen mussten. Palästinensische Strukturen wurden zerschlagen, palästinensische Verbände und Organisationen aufgelöst und Versammlungsverbote erlassen. Diese Terrorerlasse der deutschen Behörden wurden auf alle Palästinenser angewendet. Es waren, so wie ich das sehe, genau die “israelischen Methoden”, die hier Anwendung fanden und unschuldige Menschen zu heimatlosen Freiwild machten. Es sind die Praktiken des Ausschlusses.
Kapitel für Kapitel schildert die Autorin die Fakten, wenn sie die aktuellen Antisemitismus-Beschuldigungen gegen Israel-Kritiker, die systematische Diskreditierung von Nakba-Ausstellungen und BDS, die sich gegen nationale Netzwerke wendet, Stellen und Karrieren kosten, dann trifft die Autorin genau den Kern der Ausgrenzung.
Die falsche Gleichsetzung Israels mit dem Judentum - was aber inzwischen nicht mehr zu trennen ist - durch gezielte israelische Gleichsetzungspropaganda. Nachdem ich immer wieder darauf hinzuweisen versuche, dass es der “jüdische Staat” selbst ist, der diesen Kontext bewusst herstellt, um jegliche Israel-Kritik als Antisemitismus zu tabuisieren. So werden immer wieder Palästinenser zur Bedrohung für das “jüdische Volk”. Es reicht ihre bloße Existenz im Land - als demografisches Problem für die Bedrohung für den Traum vom “jüdischen Staat”. Macht der Holocaust “alles möglich”, wird dadurch jede Gewalt moralisch gerechtfertigt?
Das führt mich zur Frage, wie lange es noch hinnehmbar sein wird, einen “jüdischen Staat” auf dem Leid und der Zerstörung eines Volkes als Staat anzuerkennen und seine Existenz zu rechtfertigen?
Hätte nicht gerade Deutschland die Pflicht gehabt, sich seiner Verantwortung gegenüber dem besetzten Palästina zu stellen, als letzte Opfer des Holocaust? Diese Ungerechtigkeit ist durch Nichts zu entschuldigen und ist ein weiterer Makel der deutschen Nahostpolitik.
Es lohnt sich, Sarah El Bulbeisi auf ihrem Weg durch Tabu, Trauma und Identität zu begleiten, es ist ein so klarer Weg, den ich Seite für Seite mitgegangen bin. Die Autorin beschreibt genau die Fakten und Erfahrungen, die ich so gut nachfühlen kann und die mich seit Jahrzehnten beschäftigen, ohne sie glücklicher Weise jemals erlebt haben zu müssen. Ich habe die Vergangenheit, die Ausgrenzung, Vertreibung, Ausrottung, Leiden meiner Familie nicht vergessen. Ich fühle eine Verantwortung, die mich antreibt und kann, und will daher zu dem Unrecht in Palästina nicht schweigen.
Besonders aufgewühlt hat mich in der Einleitung des Buchs der Tagebucheintrag von Sarah El Bulbeisi aus ihrer Kindheit - hier zitiert: In der Schule haben wir uns im Geschichtsunterricht den Spielfilm "Au revoir les enfants" von Louis Malle angeschaut, der den Zweiten Weltkrieg mit den Augen eines jüdischen Jungen beschreibt. Wir waren tief bewegt. Ein Mädchen weinte. Ich habe versucht sie zu trösten. Dabei war ich selbst sehr traurig. Ich war traurig, weil sie nicht auch um uns weinte.
Sarah El Bulbeisi: Tabu, Trauma und Identität – Subjektkonstruktionen von Palästinenserinnen in Deutschland und der Schweiz, 1960-2015
transcript-Verlag, 2020, ISBN: 978-3-8376-5136-2, 322 Seiten, 45 Euro
Verlagstext: Die seit 1947 andauernden systematischen Vertreibungen der PalästinenserInnen aus Palästina/Israel gehen u.a. auf die europäische Geschichte des britischen Kolonialismus und des deutschen Nationalsozialismus zurück. Dennoch wird die palästinensische Gewalterfahrung aus dem europäischen kollektiven Gedächtnis ausgegrenzt und tabuisiert. Sarah El Bulbeisi beschäftigt sich mit den Auswirkungen dieser Tabuisierung auf PalästinenserInnen in Deutschland und in der Schweiz und mit ihren Spuren in der Eltern-Kind-Beziehung. Sie zeigt, wie sich in der Erfahrung von deutschem und schweizer Rassismus und in der Konfrontation mit »dem hegemonialen Traum von Unschuld« die traumatische Erfahrung von Siedlerkolonialismus und ethnischer Säuberung fortsetzt.
Online-Flyer Nr. 785 vom 26.01.2022
Druckversion
Literatur
Sarah El Bulbeisi: Tabu, Trauma und Identität
Traurig, ergreifend, erschütternd
Buchbesprechung von Evelyn Hecht-Galinski
Diesmal geht es um ein Buch der Autorin Sarah El Bulbeisi, das so mitreißend wie traurig ist, dass es mich tief erschüttert hat. Die Autorin schildert ihre Erfahrungen in dieser Dissertation in Buchform so ergreifend, dass jeder halbwegs Empathie fühlender Leser sich betroffen fühlen muss. Wie sie das “System Oslo” mit dem angeblichen Friedensprozess entlarvt, der Aufrechterhaltung der israelischen Siedlungen und ihre kontinuierliche Expansion, Siedlungen zur Kolonialisierung des Landes. Die verzweifelten Versuche der Palästinenser, die Aufmerksamkeit der Weltbevölkerung auf ein besetztes und unterdrücktes Volk zu lenken.
Auch in diesem Kontext sah ich schon lange gerade auch den Zusammenhang mit dem gescheiterten Versuch der palästinensischen Geiselnahme 1972 in München der israelischen Olympiamannschaft, deren politische Zielsetzung es war, palästinensische Häftlinge aus israelischer Haft zu erpressen. Danach begann eine kollektive Bestrafung von Menschen arabischer Herkunft, Palästinensern in Deutschland. Es war eine Sippenhaftung, in der selbst Männer mit deutschen Ehefrauen verheiratet, Deutschland verlassen mussten. Palästinensische Strukturen wurden zerschlagen, palästinensische Verbände und Organisationen aufgelöst und Versammlungsverbote erlassen. Diese Terrorerlasse der deutschen Behörden wurden auf alle Palästinenser angewendet. Es waren, so wie ich das sehe, genau die “israelischen Methoden”, die hier Anwendung fanden und unschuldige Menschen zu heimatlosen Freiwild machten. Es sind die Praktiken des Ausschlusses.
Kapitel für Kapitel schildert die Autorin die Fakten, wenn sie die aktuellen Antisemitismus-Beschuldigungen gegen Israel-Kritiker, die systematische Diskreditierung von Nakba-Ausstellungen und BDS, die sich gegen nationale Netzwerke wendet, Stellen und Karrieren kosten, dann trifft die Autorin genau den Kern der Ausgrenzung.
Die falsche Gleichsetzung Israels mit dem Judentum - was aber inzwischen nicht mehr zu trennen ist - durch gezielte israelische Gleichsetzungspropaganda. Nachdem ich immer wieder darauf hinzuweisen versuche, dass es der “jüdische Staat” selbst ist, der diesen Kontext bewusst herstellt, um jegliche Israel-Kritik als Antisemitismus zu tabuisieren. So werden immer wieder Palästinenser zur Bedrohung für das “jüdische Volk”. Es reicht ihre bloße Existenz im Land - als demografisches Problem für die Bedrohung für den Traum vom “jüdischen Staat”. Macht der Holocaust “alles möglich”, wird dadurch jede Gewalt moralisch gerechtfertigt?
Das führt mich zur Frage, wie lange es noch hinnehmbar sein wird, einen “jüdischen Staat” auf dem Leid und der Zerstörung eines Volkes als Staat anzuerkennen und seine Existenz zu rechtfertigen?
Hätte nicht gerade Deutschland die Pflicht gehabt, sich seiner Verantwortung gegenüber dem besetzten Palästina zu stellen, als letzte Opfer des Holocaust? Diese Ungerechtigkeit ist durch Nichts zu entschuldigen und ist ein weiterer Makel der deutschen Nahostpolitik.
Es lohnt sich, Sarah El Bulbeisi auf ihrem Weg durch Tabu, Trauma und Identität zu begleiten, es ist ein so klarer Weg, den ich Seite für Seite mitgegangen bin. Die Autorin beschreibt genau die Fakten und Erfahrungen, die ich so gut nachfühlen kann und die mich seit Jahrzehnten beschäftigen, ohne sie glücklicher Weise jemals erlebt haben zu müssen. Ich habe die Vergangenheit, die Ausgrenzung, Vertreibung, Ausrottung, Leiden meiner Familie nicht vergessen. Ich fühle eine Verantwortung, die mich antreibt und kann, und will daher zu dem Unrecht in Palästina nicht schweigen.
Besonders aufgewühlt hat mich in der Einleitung des Buchs der Tagebucheintrag von Sarah El Bulbeisi aus ihrer Kindheit - hier zitiert: In der Schule haben wir uns im Geschichtsunterricht den Spielfilm "Au revoir les enfants" von Louis Malle angeschaut, der den Zweiten Weltkrieg mit den Augen eines jüdischen Jungen beschreibt. Wir waren tief bewegt. Ein Mädchen weinte. Ich habe versucht sie zu trösten. Dabei war ich selbst sehr traurig. Ich war traurig, weil sie nicht auch um uns weinte.
Sarah El Bulbeisi: Tabu, Trauma und Identität – Subjektkonstruktionen von Palästinenserinnen in Deutschland und der Schweiz, 1960-2015
transcript-Verlag, 2020, ISBN: 978-3-8376-5136-2, 322 Seiten, 45 Euro
Verlagstext: Die seit 1947 andauernden systematischen Vertreibungen der PalästinenserInnen aus Palästina/Israel gehen u.a. auf die europäische Geschichte des britischen Kolonialismus und des deutschen Nationalsozialismus zurück. Dennoch wird die palästinensische Gewalterfahrung aus dem europäischen kollektiven Gedächtnis ausgegrenzt und tabuisiert. Sarah El Bulbeisi beschäftigt sich mit den Auswirkungen dieser Tabuisierung auf PalästinenserInnen in Deutschland und in der Schweiz und mit ihren Spuren in der Eltern-Kind-Beziehung. Sie zeigt, wie sich in der Erfahrung von deutschem und schweizer Rassismus und in der Konfrontation mit »dem hegemonialen Traum von Unschuld« die traumatische Erfahrung von Siedlerkolonialismus und ethnischer Säuberung fortsetzt.
Online-Flyer Nr. 785 vom 26.01.2022
Druckversion
NEWS
KÖLNER KLAGEMAUER
FILMCLIP
FOTOGALERIE