NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 17. Mai 2024  

zurück  
Druckversion

Aktuelles
WANTED - Julian Assange, ein Leben
Folge 29: TTIP/TISA/TAFTA... Abkommen, die das demokratische Fundament unserer Gesellschaft untergraben (2015)
Von Delphine Noels (Belgium4Assange) in Zusammenarbeit mit Marc Molitor, Pascale Vielle und Bogdan Zamfir - ins Deutsche übersetzt von Claudia Daseking

Ab Ende Oktober 2021 geht es in London wieder um den Antrag der USA auf Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Am 27. Oktober 2021 wird das Berufungsgericht zum ersten Mal tagen. Die Zeit bis dahin begleitet die NRhZ mit einem CountDown von 34 Folgen über das Leben von Julian Assange. Sie wiederholt damit den Countdown von Belgium4Assange, der zum 4. Januar 2021 führte, als die britische Justiz ihr Urteil im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in der ersten Instanz gesprochen hatte. Belgium4Assange schrieb dazu: "Was steht bei diesem Prozess auf dem Spiel? Inwiefern betrifft uns das persönlich? Schwierig, hierzu klare Vorstellungen zu haben, da so viele Falschmeldungen und Desinformationen kursieren... Tag für Tag zeichnen wir seinen Weg voller Überraschungen und Enthüllungen nach und richten den Blick auf die näheren Umstände einer der fundamentalsten Kämpfe unserer Zeit." (Auf der website pour.press auf Französisch nachzulesen). Hier jetzt Folge 29:


Am 11. August 2015 schaltet WikiLeaks einen Aufruf frei, der weltweit veröffentlicht wird: Die Organisation ist dabei, Spenden in Höhe von 100.000 US-Dollar zu sammeln, die sie jedem anbieten will, der die TTIP / TAFTA-Abkommen enthüllt!

Erinnert ihr euch an TTIP?

Das ist das berühmte transatlantische Freihandelsabkommen, dessen Entwurf seit 2013 unter dem Druck großer Unternehmen und multinationaler Konzerne diskutiert wurde. Dieses Projekt wurde unter absoluter Geheimhaltung zwischen der Europäischen Kommission und der Obama-Regierung ausgehandelt, und es kursierten alarmierende Gerüchte darüber. In Zusammenarbeit mit diesen privaten Unternehmen entwickelt, sah es unter anderem vor, überstaatlich Schiedsgerichte einzurichten, an die Unternehmen sich wenden könnten, wenn sie sich durch einen Verstoß gegen die Freihandelsregeln ungerecht behandelt fühlten und wo sie sowohl Richter als auch Kläger wären ... Da kein Zugang zu dem Text möglich war, konnte die Europäische Kommission behaupten, dass die Argumente der Kritiker des Abkommens unbegründet waren - sie wird sogar ein Dokument dazu erstellen: "Die Top-10-Mythen zu TTIP", weiterverbreitet von allen großen Medien.

Ab 2014 werden zwischen den Parteien keine Papier- oder Digitalkopien von Arbeitsdokumenten mehr ausgetauscht, um Leaks zu vermeiden. Und die Bedingungen für den Zugang zum Vertragsentwurf sind eines Spionagefilms würdig: Die wenigen Personen, die Zugang zu den Texten haben, müssen einen gesicherten Raum in der amerikanischen Botschaft betreten, in dem sie ständig von zwei Polizisten überwacht werden. Sie müssen am Eingang alle elektronischen Geräte abgeben, die es ihnen ermöglichen würden, Informationen mit nach draußen zu bringen, und sie können nur zwei Stunden lang auf das Dokument zugreifen ...

Julian Assange wird erklären: „Die Geheimhaltung von TTIP bedroht die Zukunft der europäischen Demokratie. Bestimmte Interessensgruppen profitieren davon und zwar nach Herzenslust, wie wir während der jüngsten finanziellen Belagerung des griechischen Volkes gesehen haben. TTIP beeinflusst das Leben aller Europäer und bringt Europa in einen langfristigen Konflikt mit Asien. Es ist Zeit, die Geheimhaltung zu beenden. “

Dies ist das erste Mal, dass Wikileaks eine Ausschreibung für ein Leak macht. Das Crowdfunding wird sehr erfolgreich sein.

Julian Assange wurde dafür kritisiert, dass durch diesen Aufruf entgegen dem erwarteten Effekt noch mehr Geheimhaltung rund um TTIP ausgelöst wurde. Hier ist Julians Standpunkt zu diesem Thema: "Wenn die Informationen dem allgemeinen Interesse dienen und es nicht möglich ist, sie anderweitig zu erhalten, ist es normal, die Vergütung einer Quelle zu erwägen. Ja, es verursacht eine Welle von Paranoia, aber es ist kein Phänomen, vor dem man sich fürchten muss." Dies nennt Julian die „Steuer auf Geheimhaltung“: „Tatsächlich können Organisationen jederzeit selbst entscheiden, ihre Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies ist der gesündeste Ansatz in einer Demokratie. Umgekehrt schüren diejenigen, die korrupt sind und keine Informationen preisgeben können, ohne sich automatisch in den Fuß zu schießen, nur ihre eigene Paranoia. Und paradoxerweise macht sie das anfälliger. Weil sie sich gerade durch die Pflege des Geheimhaltungskults erst recht Whistleblowern aussetzen. Mit anderen Worten, die Angst vor Enthüllungen führt zu einer "Geheimhaltungssteuer", die Auswirkungen auf ihre Effizienz, ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre Stabilität hat“.

Am 2. Mai 2016 wird Greenpeace einen bedeutenden Teil des Entwurfs veröffentlichen, eine Woche vor der vollständigen Veröffentlichung durch Wikileaks. Am 25. Mai wird Wikileaks - nach ersten Auszügen, die bereits 2014 rauskamen – einen Entwurf von TISA veröffentlichen, das in gewisser Weise ein Zwillingsbruder von TTIP ist, sich aber vor allem dem Dienstleistungssektor widmet - der im internationalen Handel einen wachsenden und bedeutenden Platz einnimmt. TISA stärkt die Privatisierung und Deregulierung in allen Dienstleistungssektoren weltweit (öffentliche Dienstleistungen, Gesundheit, Umwelt usw.). WikiLeaks wird auch das TPP (Transpazifisches Partnerschaftsabkommen) veröffentlichen.

Auf jeden Fall ist die Ausrichtung dieser Texte identisch und bestätigt die Gerüchte. TTIP zielte darauf ab, das europäische Staatsmodell abzuschaffen, zugunsten eines neuen Modells, das multinationalen Unternehmen zupass kommt; damit stellte TTIP eine beispiellose Bedrohung für unsere Demokratien dar. Der Protest der Bevölkerung wurde durch die Veröffentlichung bestärkt. Am Ende sollte dieser Protest recht behalten und der Vertrag würde begraben werden, weil er nicht innerhalb der Frist abgeschlossen wurde.

Das Jahr 2015 ist auch das Jahr, in dem Julian dem französischen Volk in Le Monde einen langen und schönen Brief schicken wird, den wir euch zum Lesen oder erneutem Lesen ans Herz legen. Im letzten Absatz appelliert er: "Wenn Frankreich mich willkommen heißt, wäre das eine humanitäre, aber wahrscheinlich auch symbolische Geste, die alle Journalisten und Whistleblower in der ganzen Welt ermutigen würde, die täglich ihr Leben riskieren, um ihren Mitbürgern einen weiteren Schritt in Richtung Wahrheit zu ermöglichen “.

Knapp 45 Minuten nach der Veröffentlichung von Le Monde reagiert der Élysée: Julians Antrag wird mit der Begründung abgelehnt, dass "keine Dringlichkeit besteht" ...

Das war es, Folge 29 von WANTED, und wieder einmal brachte uns Wikileaks 'Arbeit zur Herzkammer unserer Welt und enthüllte ihre kleinen Geheimnisse. Morgen geht es ins Jahr 2016, WikiLeaks feiert sein 10-jähriges Bestehen!


Quellen:

Der Brief von Julian Assange auf Französisch:
https://www.lemonde.fr/idees/article/2015/07/03/julian-assange-monsieur-hollande-accueillez-moi-en-france_4668919_3232.html

Die Leaks zu TTIP:
https://wikileaks.org/ttip/
Die Leaks zu TPP:
https://wikileaks.org/tpp-investment/

Zu TTIP:
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/freihandelsabkommen-wikileaks-lobt-belohnung-auf-geheime-ttip-dokumente-aus-1.2603822
https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/march/tradoc_153266.pdf "Die 10 Mythen über TTIP"
https://www.monde-diplomatique.fr/2013/11/WALLACH/49803
http://www.lefigaro.fr/vox/monde/2014/04/25/31002-20140425ARTFIG00296-traite-transatlantique-le-dessous-des-cartes-par-jean-michel-quatrepoint.php
https://www.lecho.be/economie-politique/international/usa/les-nouvelles-revelations-de-julian-assange/9691292.html
https://information.tv5monde.com/info/traite-transatlantique-wikileaks-veut-devoiler-un-secret-trop-bien-garde-48098
https://youtu.be/ABDiHspTJww
https://www.bilaterals.org/?+-wikileaks-+&lang=en


Link zu Folge 28: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27691
Link zu Folge 30: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27693


Siehe auch:

In einer Zeit, in der unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge eine ungeahnte digitale Überwachungsstruktur etabliert wird, fehlt WikiLeaks
Julian Assange: dem kommenden Überwachungsregime trotzen!
Von Erich Sturm
NRhZ 777 vom 22.09.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27648

Online-Flyer Nr. 777  vom 20.10.2021

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE