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WANTED - Julian Assange, ein Leben
Folge 24: CABLEGATE – "EIN LEAK BEI WIKILEAKS?"
Von Delphine Noels (Belgium4Assange) in Zusammenarbeit mit Marc Molitor, Pascale Vielle und Bogdan Zamfir - ins Deutsche übersetzt von Claudia Daseking

Ab Ende Oktober 2021 geht es in London wieder um den Antrag der USA auf Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Am 27. Oktober 2021 wird das Berufungsgericht zum ersten Mal tagen. Die Zeit bis dahin begleitet die NRhZ mit einem CountDown von 34 Folgen über das Leben von Julian Assange. Sie wiederholt damit den Countdown von Belgium4Assange, der zum 4. Januar 2021 führte, als die britische Justiz ihr Urteil im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in der ersten Instanz gesprochen hatte. Belgium4Assange schrieb dazu: "Was steht bei diesem Prozess auf dem Spiel? Inwiefern betrifft uns das persönlich? Schwierig, hierzu klare Vorstellungen zu haben, da so viele Falschmeldungen und Desinformationen kursieren... Tag für Tag zeichnen wir seinen Weg voller Überraschungen und Enthüllungen nach und richten den Blick auf die näheren Umstände einer der fundamentalsten Kämpfe unserer Zeit." (Auf der website pour.press auf Französisch nachzulesen). Hier jetzt Folge 24:


"Hallo, kann ich mit Hillary Clinton sprechen? ... Es ist ein Notfall ..."

Es ist der 26. August 2011 in Ellingham Hall Mansion, wo Julian Assange unter Hausarrest steht. Sarah Harrison und Julian Assange versuchen vergeblich, die Außenministerin im Weißen Haus zu erreichen. Es ist Sarah, die am Telefon ist. An ihrer Seite verpasst Julian kein Wort des Gesprächs. Der Anruf ist von größter Bedeutung, Leben können auf dem Spiel stehen: “Alle nicht redigierten Depeschen von Cablegate werden bald online gestellt." Sarah fügt hinzu: "Diese Veröffentlichung geht nicht auf WikiLeaks zurück... Ich verstehe nicht, warum Sie die Dringlichkeit der Situation nicht erkennen!“...Julian greift nach dem Hörer: "Um es klar zu sagen: Ich habe kein Problem, Sie haben ein Problem!"...

Julian und Sarah Harrison, versuchen vergeblich,... ein Leck bei WikiLeaks zu beheben. Und nicht nur ein Leck! Wie wir uns erinnern, hatte die Veröffentlichung von Cablegate im November 2010 begonnen (WANTED 15/34). Bis zum Sommer 2011 näherten wir uns den 20.000 veröffentlichten Depeschen ... und jetzt werden die gesamten 250.000 Kabel freigegeben... ohne die Namen der einzelnen Personen zu schwärzen! Wie kann man sich diese Situation erklären?

Kurz nach der Veröffentlichung des "Collateral Murder" -Videos hatte WikiLeaks eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um einen gezielten Angriff auf die Organisation oder eines ihrer Mitglieder zu verhindern. USB-Sticks mit verschlüsselten Kopien von Cablegate wurden an verschiedene Kontakte von Kambodscha bis Osteuropa sowie an Daniel Ellsberg, den großen Beschützer der Organisation, gesendet. Folgender Brief vom 20. Juli lag den USB-Sticks bei:

„Liebe Freunde, wir setzen uns heute in einer vertraulichen Angelegenheit mit Ihnen in Verbindung. Anbei finden Sie einen USB-Stick mit Informationen in einem verschlüsselten Ordner. Diese Informationen werden an Sie und andere vertrauenswürdige Personen auf der ganzen Welt geschickt, da unser Projekt in den kommenden Wochen möglicherweise vor Herausforderungen steht. Mit dieser Verbreitung soll sichergestellt werden, dass diese Informationen in jedem Fall den Medien und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Es dient der Absicherung unseres Projekts sowie von uns selbst.

Im Fall eines Problems wird die öffentliche Freigabe des Sticks für den Zugriff auf diese Informationen durch einen zweiten Mechanismus sichergestellt (was als Dead Man Switch – Toter-Mann-Schalter bezeichnet wird).

Wir verlassen uns in Bezug auf diesen Brief und seinen Inhalt auf Ihre äußerste Diskretion. Viel hängt davon ab. Mit unseren besten Wünschen und Dank, Ihr Wikileaks-Team.

Darüber hinaus hatte WikiLeaks am 30. Juli 2010 "insurance.aes.256", eine 1,4-Gigabyte-verschlüsselte Datei, auf derselben Seite wie die Dokumente zu Afghanistan hochgeladen sowie auf Content Sharing-Seiten zum Teilen unter Internetusern. Ziel war es, die Datensicherheit weiter zu stärken, aber auch politischen Druck zu erzeugen. So wie einige Leute ihre Geheimnisse beim Notar hinterlegen, hatte WikiLeaks seine eigenen Geheimnisse im Internet hinterlegt.

Als Julian die Journalisten traf, mit denen er im Juli 2010 in Brüssel zusammenarbeiten wollte, gewährte er ihnen Zugriff auf die verschlüsselten Dokumente und den Dekodierungsschlüssel.

Aber dann veröffentlichte der Guardian-Journalist David Leigh im Februar 2011 ein Buch, in dem er diesen Schlüssel erwähnt! Einige Leser ziehen die Verbindung zu den von WikiLeaks geteilten verschlüsselten Dateien und entschlüsseln die Informationen.

David Leigh wird zu seiner Verteidigung erklären, dass Julian Assange ihm gesagt hat, dass der Schlüssel nur für kurze Zeit gültig sein würde. Das war sein Irrtum: Es war der Speicherort der Datei, der nur für kurze Zeit gültig sein sollte.

Darüber hinaus verstärkte das Klima dauernder Arbeitsüberlastung die Spannungen zwischen Julian und Daniel Domscheid-Berg, (Nummer zwei bei WikiLeaks), weswegen Julian ihn schließlich rauswarf. Daniel Domscheid-Berg soll eine Reihe von Dateien von WikiLeaks zerstört haben, als er ging, aber er behielt auch die gesamte Datei mit den „cables“. Könnte er auch die Ursache für ein Leck sein, wie Julian Assange sagte? Wie auch immer, andere Medien und Websites, norwegische, deutsche, amerikanische (Freitag, Cryptome ...), geben bekannt, dass sie alle Dateien unredigiert (geschwärzt) veröffentlichen werden.

Am 2. September 2011 beschloss Wikileaks, die gesamten 250.000 Kabel ohne Schwärzungen selbst zu veröffentlichen. Warum hat Julian diese Entscheidung getroffen?

Die Websites, die sie veröffentlichen wollten (Cryptome, Pirate Bay), sind auf der Welt nur wenig bekannt, mit Ausnahme bei Geheimdiensten.

Julian Assange glaubt, dass es für Menschen, die in Gefahr sein könnten, am wirksamsten ist, jetzt davon zu erfahren und sich dann Schutz zu suchen (falls dies noch nicht geschehen ist, siehe unten)

Es geht daher darum, Informanten in den US-Botschaften zu alarmieren, aber auch jegliche Manipulation der Texte zu vermeiden.

Diese Veröffentlichung vom 2. September wird für viel Aufregung sorgen und lange Zeit unverstanden bleiben. Ohne den Kontext zu kennen, hätte man daraus schließen können, dass WikiLeaks verantwortungslos veröffentlicht hat. Julian Assanges Reputation als Journalist erlitt einen Schlag.

Während seines Prozesses in London wurde die Aufzeichnung des Telefonanrufs zwischen Julian und dem Weißen Haus als Beweis geliefert und half, die Dinge richtigzustellen.

Um diese komplexe Episode besser zu verstehen, ist es notwendig zu wissen, dass: Vor der ersten Veröffentlichung Ende November hatte Julian Assange dem Außenministerium (State Department)vorgeschlagen, die Depeschen an sie weiterzuleiten, damit sie alle gefährdeten Namen selbst löschen können. Das Ministerium (damals Hillary Clinton) hatte sich geweigert.
  • Wikileaks kündigte eine schrittweise Veröffentlichung dieser Depeschen über mehrere Monate an. Die New York Times informierte das State Department im Voraus über den Veröffentlichungsplan für Dezember 2010 mit den betreffenden Themen und Ländern. Das State Department hatte daher die Gelegenheit gehabt, "gefährdete" Quellen zu warnen. Von der Gesamtzahl der Dokumente werden 5.652 als „geheim“(„classified"), 101.748 als "vertraulich“ („confidential") und 133.887 als „nicht geheim“ („non-classified) eingestuft. Kein Dokument wird als "top secret“ (streng geheim)" eingestuft.
  • Tatsächlich hatten mehr als 800.000 Menschen, sowohl in Regierungsbehörden als auch in privaten Subunternehmern, Zugang zu diesen Dokumenten. Dies hat zu viel Kritik und Kontroversen geführt.
  • Einige Schäden wurden von Personen gemeldet, die ihre Arbeit oder ihren Arbeitsplatz in Eile verlassen haben. Es wurden jedoch keine Hinweise auf Attentate gefunden. Tatsächlich enthält das US-amerikanische Auslieferungsersuchen keine Beschuldigungen in Bezug auf nachgewiesene Personenschäden.
  • Das Weiße Haus hat zugeben, dass sie absichtlich über die angeblichen Auswirkungen der Veröffentlichung gelogen haben, "um die rechtlichen Bemühungen zur Schließung der WikiLeaks-Website zu verstärken und Anklage gegen die für die Leaks Verantwortlichen zu erheben“.

Das war Folge 24 von Wanted, der Serie, die Sie zur Herzkammer unserer Welt führt, um ihre Geheimnisse zu enthüllen. Morgen wird Julian Assange der britischen Überwachung entkommen und Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft suchen…!


Quellen:

https://www.spiegel.de/international/world/leak-at-wikileaks-a-dispatch-disaster-in-six-acts-a-783778.html
Aufnahme des Anrufs beim Weißen Haus: https://www.youtube.com/watch?v=lfZQcV-frnY&t=2409s
Kristinn Hrafnsson über die Wirkung dieser Aufnahme für das Verfahren: https://www.youtube.com/watch?v=Ca0pZpemSac&feature=youtu.be
The filmed White House appeal:https://youtu.be/HQA4vwynYhY
Ein Artikel über die Aufnahme des Anrufs: https://francais.rt.com/international/81899-principale-accusation-americaine-visant-assange-mise-mal-par-enregistrement-datant-de-2011?fbclid=IwAR3Q0dC7yyS7wxRlxBorWIp7_nInSI78qMKMXe8UHfiRExnKZ7tq6zggjuE
Daniel Domscheit-Berg, Inside WikiLeaks, pocket edition, 2013 letter on future cable publication. Refusal of collaboration to delete names. Requirement to return cables https://www.newscientist.com/article/dn20869-assange-why-wikileaks-was-right-to-release-raw-cables/
 https://uk.reuters.com/article/us-wikileaks-usa-letter/text-of-state-department-letter-to-wikileaks-idUSTRE6AR1E420101128
https://www.nytimes.com/2011/08/30/us/30wikileaks.html
Artikel vom 13. Dezember 2010 über die Cables https://time.com/5568727/wikileaks-war-on-secrecy/
 https://www.slate.fr/story/36627/wikileaks-wikilosers-consequences#toparticlehttps://www.slate.fr/story/36627/wikileaks-wikilosers-consequences
Topartikel:
https://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/wikileaks/8269944/WikiLeaks-cables-caused-only-limited-damage-US-government-reviews.html
https://www.independent.co.uk/news/world/americas/us-politics/chelsea-manning-leaks-national-security-us-no-damage-report-us-a7801101.html
https://www.buzzfeednews.com/article/jasonleopold/here-are-the-never-before-seen-us-government-damage-reports
https://www.npr.org/2019/04/12/712659290/how-much-did-wikileaks-damage-u-s-national-security
https://www.techdirt.com/articles/20110119/14280012733/us-government-officials-admit-that-they-lied-about-actual-impact-wikileaks-to-bolster-legal-effort.shtml
 https://www.reuters.com/article/us-wikileaks-damage/u-s-officials-privately-say-wikileaks-damage-limited-idUSTRE70H6TO20110118
https://www.theguardian.com/media/2011/jan/19/wikileaks-white-house-state-department
)https://www.justice.gov/opa/press-release/file/1165556/download
https://www.legrandsoir.info/project-veritas-publie-l-audio-d-assange-avertissant-le-gouvernement-americain-de-la-fuite-dommageable-d-informations.html
https://www.youtube.com/watch?v=lfZQcV-frnY&feature=youtu.be


Link zu Folge 23: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27686


Siehe auch:

In einer Zeit, in der unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge eine ungeahnte digitale Überwachungsstruktur etabliert wird, fehlt WikiLeaks
Julian Assange: dem kommenden Überwachungsregime trotzen!
Von Erich Sturm
NRhZ 777 vom 22.09.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27648

Online-Flyer Nr. 777  vom 15.10.2021

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