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Globales
Mali: erneuter Militärputsch
Provokation fehlgeschlagen?
Von Georges Hallermayer

Colonel Assimi Goita, der starke Mann des Übergangs, offiziell im Rang eines Vizepräsidenten, feuerte am Dienstag Präsident Bah Ndaw und Premier Moctar Ouane, meldete der Ticker von France24. Er beschuldigte die beiden der Sabotage, die Charta des Übergangs verletzt zu haben, nach der im nächsten Februar Wahlen abzuhalten sind. Er bekräftigte, dass nächstes Jahr diese stattfinden würden. Präsident Bah Ndaw, sein Premierminister, der nominierte Verteidigungsminister General Souleymane Doucoure und Kalilou Doumbia, Berater von Bah Ndaw wurden am Montag in die Garnison Kati mit einer Militäreskorte gebracht, von wo aus der Putsch zum Sturz des verhassten Ibrahim Boubacar Keita (IBK) organisiert worden war, und werden dort festgehalten. Die internationale Gemeinschaft protestierte und forderte die sofortige bedingungslose Freilassung der Verhafteten. Der frühere nigerianische Präsident Goodluck Jonathan reiste als Vermittler der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft CEDEAO an.

Colonel Assimi Goita war bei der Regierungsbildung nicht konsultiert worden – ein geplanter Affront, dies aus dem Fernsehen zu erfahren, obschon das neue Kabinett formal weiterhin von Militärs dominiert würde. Der Stein des Anstoßes war, dass zwei der Junta nahestehende Obristen, der Sicherheitsminister Colonel Modibo Kone und der Verteidigungsminister Colonel Sadio Camara durch zwei Generäle ausgetauscht wurden: General Mamadou Lamine Ballo und der ehemalige Luftwaffen-Chef General Souleymane Doucoure, der schonmal zusammen mit Ibrahim Boubacar Keita verhaftet worden war und bislang als Vizeminister dem Colonel unterstellt war. Nicht zu vergessen, dass beide Colonel unter hohem persönlichem Risiko den Rücktritt von IBK organisiert haben, offensichtlich entmachtet und ohne Immunität einer späteren Strafverfolgung freigegeben werden sollten. Analyst Babacar Justin Ndiaye sieht hinter der Provokation des Präsidenten und seines Premier die Hand der französischen Counterforce. Antoine Glaser im TV5Monde meinte am 26. Mai, der russische Einfluss in der Armee sei der Dorn im Auge und sieht das Risiko eines franko-russischen kalten Kriegs.

Premier Moctar Ouane hatte mit seiner „breiten Öffnung“ vor, die „soziale Front zu beruhigen“. Den Preis, die Obristen aus dem Zentrum der Macht – Geheimdienst und Militär – zu entfernen, ein Coup, der nie ohne Unterstützung, wenn nicht Initiative von „Monsieur Afrique“ in Paris gewagt worden wäre. So sollte als Arbeitsminister Abdel Kadere Sidibe fungieren, der frühere Vertreter des Welthungerprogramms in Mali. Mohamed Ag Akeratane von der marxistischen Partei SADI wurde als Umweltminister ernannt. Und die Gruppe APR, die das Friedens-Übereinkommen mit den sezessionistischen Nordprovinzen vorantreiben will, nahm fünf Ministersitze ein.

Offensichtlich sind Widersprüche im Militär, zwischen Kräften in der Regierung und der Zivilbewegung aufgebrochen. Es scheinen sich zwei bürgerliche Lager herauszubilden, einmal, um die Transition zu verlängern und die Lage danach zu kontrollieren. Zum zweiten andere, die sich für ein schnelles Ende der Transition einsetzen, um einen profranzösischen Präsidenten wählen zu lassen, so skizzierte Mohammed Diarra, der Sprecher von SADI in Europa, am Telefon die beiden „Clans“.

Zwei Möglichkeiten, den Konflikt zu bereinigen, wenn man von einer auswärtigen, evtl. französischen Militärintervention absieht und von einer internen Lösung ausgeht. Präsident Bah Ndaw und Premier Moctar Oune sind zurückgetreten. Jeune Afrique will erfahren haben, dass die Militärs bereits entschieden hätten: Eine Alternative zu den abgesetzten Politiker sind Choguel Maiga von M5 und Mountaga Tall, Präsident der Oppositionspartei CNID im Gespräch. Choguel Maiga von Vizepräsident Assimi Goita als Premier ins Amt gehoben, danach eine Regierung der nationalen Union. In einer Diskussion im malischen TV am Mittwoch forderte Babarou Bocoum, der politische Sekretär der marxistischen Partei SADI, die sofortige Freilassung und plädierte gegen eine Einmischung von außen, Verfassung und Charta sei klar: „lasst Mali seine eigene Wäsche waschen“.

Die politische Oppositionsbewegung MDP, in der 34 Organisationen, Parteien wie die antiimperialistische SADI, Gewerkschaften und Antikorruptions-Initiativen ihren Widerstand koordinieren, hatten auf ihrer Konferenz am 15. Mai in Djelibougou beschlossen, Demonstrationen und andere Protestaktionen gegen die „ von der internationalen Gemeinschaft dirigierten Transition“ wieder aufzunehmen. In der veränderten Lage dürfte sie wohl gegen eine drohende ausländische Einmischung auftreten, ebenso wie die Protestbewegung M5-RFP, die Manifestationen angekündigt hatte. (Die MDP engagiert sich für die Konstruktion eines souveränen Staates neues Typs: Frieden und Sicherheit für das ganze Land herzustellen, die nationale Armee zu rekonstruieren, um Souveränität und nationale Einheit zu garantieren, die „Geburt einer nationalen, von ausländischen Mächten unabhängigen Wirtschaft“ und eine souveräne Währung.)

Die Angst der Bevölkerung vor dem Militär ist nicht unbegründet. Nach Unterlagen des britischen „Armed Conflict Location & Event Data Project“ (ACLED) sind in Mali im Jahr 2020 weniger zivile Opfer durch Djihadisten-Gruppen (233) oder durch dörfliche Milizen (297) zu beklagen gewesen, sondern die Kollateralschäden der Militärs kosteten die meisten Todesopfer (336 oder knapp 40 Prozent).

Die unsichere Lage wird noch verschärft durch den laufenden Ausstand. Verhandlungen der Gewerkschaften mit der Regierung über Löhne, Prämien und Sozialabgabenwaren waren brüsk durch den Rücktritt der Regierung abgebrochen worden. Der zuerst auf vier Tage ausgerufene Streik der größten Gewerkschaft UNTM, in der sowohl die Beamten des öffentlichen Dienstes als auch die Angestellten in der Privatwirtschaft organisiert sind, legt seitdem das öffentliche Leben in allen Regionen weitgehend lahm. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Untätigkeit der Regierung war in den letzten Monaten noch gewachsen. Wann lassen die Militärs die verhafteten Politiker frei? Mischen sich die ausländischen Geber-Mächte mit Sanktionen ein? Fragen über Fragen, wir werden sehen...


Verfasst am 25. Mai 2021, aktualisiert am 27. Mai 2021

Online-Flyer Nr. 770  vom 29.05.2021

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