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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Globales
Wie im Krieg:
Die Desinformationskampagne der EU ("EUvsDisinfo")
Von Wolfgang Effenberger

Als 1914 das große Gemetzel begann, musste der Widerstand der Bürger gegen den Krieg gebrochen werden und eine Identifikation mit den Kriegszielen geschaffen werden: die Verteidigung gegen einen gefährlichen Feind, den Barbaren. (1) Das weckte Ängste. 1914 als die Geburtsstunde der staatlich organisierten Angstpropaganda, die sich in Teilen zur Gräuelpropaganda auswuchs. Federführend waren damals Briten und US-Amerikaner. Noch heute ist die angelsächsische Forschung auf dem Gebiet führend und hat den ursprünglichen Begriff der Propaganda ersetzt durch Marketing, Promotion, Public Relations, Publicity etc. Es bleibt trotzdem Werbung und im politischen Sinn Meinungsmache. Und dazu gehört nicht nur die eigentliche Propaganda, sondern vor allem die Diffamierung kritischer Aufklärungsversuche und Tatsachenberichte als gegnerische Propaganda.

Der englische Philosoph John Stuart Mill hat schon Mitte des 19. Jahrhunderts auf veränderte Beziehungen zwischen Masse und Regierung verwiesen: „…die Masse schöpft ihre Meinungen gegenwärtig nicht durch Würdenträger der Kirche oder des Staats, aus Führern oder Schriften, die über das Gewöhnliche hervorragen. Für ihre Denkarbeit sorgen Männer von so ziemlich demselben Schlage, die unter dem Antrieb des Augenblicks durch die Zeitungen zu ihnen reden.“ (2) Gegen kritische Publizisten wurde entsprechend vorgegangen (siehe Karl Marx und Heinrich Heine). Heute reden die "gefährlichen" Leute nicht mehr durch die Zeitung – ihr Forum sind die sozialen Netze und alternativen Medien. Um die dort verbreitete "Desinformation" wirksam zu bekämpfen, hat die EU die "Abteilung Strategische Kommunikation und Informationsanalyse" des "Europäischen Auswärtigen Dienstes" (EAD) installiert. Sie soll Desinformationen – vor allem "Propaganda" aus Russland und China – durch Aufdeckung entgegenwirken und sie bekämpfen. Seit dem COVID-19-Ausbruch arbeitet der EAD eng mit der "Europäischen Kommission", den EU-Mitgliedstaaten und auch mit internationalen Partnern (G7, NATO und nichtstaatlichen Akteuren) zusammen. Die Erkenntnisse werden mit den EU-Institutionen und den EU-Mitgliedstaaten in Echtzeit ausgetauscht, unter anderem über das "Schnellwarnsystem für Desinformation". (3) Diese Dienstleistungen werden mit Millionensummen aus Steuergeldern finanziert.



Mitte März 2020 begann die jüngste Negativkampagne gegen China, als sich deutlich abzeichnete, dass Deutschland von der Covid-19-Pandemie noch schlimmer als China erfasst werden würde. Sofort begannen Experten, darauf hinzuweisen, dass wegen des absehbaren ökonomischen Einbruchs im Westen China unter Umständen gestärkt aus der Coronakrise hervorgehen könne. Bald begannen westliche Leitmedien sowie einige Politiker, China als angeblichen "Verursacher der Krise" hinzustellen, mit dem Verweis, die Covid-19-Pandemie habe ihren Ursprung "in Wuhan". Das veranlasste den Vorsitzenden des renommierten Londoner Think-Tanks "Chatham House", Jim O'Neill, daran zu erinnern, dass 2008, als die globale Finanzkrise um sich griff, kaum jemand den USA die Alleinschuld zugeschoben habe, obwohl die Krise ihren Ursprung eindeutig dort gehabt und viele Länder weltweit schwer geschädigt habe. O'Neill wirft denjenigen, die nun China die Schuld an der Pandemie zuschieben, "doppelte Standards" vor (4); er empfiehlt, „die Schuldzuweisungen umgehend einzustellen und stattdessen den Kampf gegen das Covid-19-Virus gemeinsam zu führen“. (5)

Eine idealistische Vision! Während im Krieg sogar Feuerpausen zur Bergung von Verwundeten verabredet wurden, geht hier trotz des weltweiten Coronaangriffs der Krieg zwischen den Systemen weiter. Eines der Hauptgeschütze bedient die eigens geschaffene EU-Stelle ("East StratCom Task Force") mit der Website "EUvsDisinfo" ("EU gegen Desinformation"). Dort werden Versuche "chinesischer Quellen", sich gegen die Anschuldigungen zu verteidigen und auf Chinas Hilfe und Kooperation zu verweisen, als "Desinformation" verleumdet. (6) „Interessante Zuordnungen finden sich auch bezüglich der EU-Sanktionen gegen Syrien. Demnach macht sich, wer behauptet, die Sanktionen "lähmten das Gesundheitssystem" des Landes, und das wirke sich negativ auf den Kampf gegen die Pandemie aus“ (7), gleichfalls der "Desinformation" schuldig. (8)

Wer also meint, die Bürger und Bürgerinnen der westlichen Demokratien seien dank der so genannten Pressefreiheit vor Propaganda und Desinformation gefeit, hat nur noch nicht begriffen, dass dort die Einflussnahme lediglich raffinierter und subtiler erfolgt als in Diktaturen.


Fußnoten:

1) Lasswell, H. D.: Propaganda technique in the world war, London 1927.
2) Mill, John Stuart: Über Freiheit. Aus dem Englischen übertragen von Achim v. Borries. Frankfurt am Main 1969., 81 f.
3) EEAS SPECIAL REPORT UPDATE: Short Assessment of Narratives and Disinformation around the COVID-19/Coronavirus Pandemic (Updated 2 – 22. April)
https://euvsdisinfo.eu/eeas-special-report-update-2-22-april/
4) Jim O'Neill: Blaming China Is a Dangerous Distraction. chathamhouse.org 15.04.2020.
5) EU-Stelle zur Abwehr "östlicher Propaganda" denunziert Kritik an der Union als "Desinformation". 8.4.2020
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8257/
6) EEAS Special Report Update: Short Assessment of Narratives and Disinformation around the COVID-19/Coronavirus Pandemic (Updated 2 - 22. April). euvsdisinfo.eu 24.04.2020.
7) EU-Stelle zur Abwehr "östlicher Propaganda" denunziert Kritik an der Union als "Desinformation". 28.4.2020
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8257/
8) EEAS Special Report Update: Short Assessment of Narratives and Disinformation around the COVID-19/Coronavirus Pandemic (Updated 2 - 22. April). euvsdisinfo.eu 24.04.2020

Online-Flyer Nr. 743  vom 06.05.2020

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