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Globales
Auslieferungsprozesses gegen Julian Assange, London, 27.02.2020
Der Panzerglaskasten ist ein Instrument der Folter
Von Craig Murray - aus dem Englischen von Peter Betscher

In der separaten Anhörung am Donnerstag [27.2.2020] ging es darum, Assange aus dem Panzerglaskasten zu befreien und ihm zu erlauben, sich mit seinem Anwaltsteam zusammenzusetzen. Ich wurde direkt Zeuge, wie Richterin Baraitser ihre Entscheidung gegen Assange vor Gericht vorbrachte, BEVOR sie die Argumente des Verteidigers hörte, und völlig unverändert vortrug. Ich könnte damit beginnen, Ihnen meine Position auf der Zuschauertribüne gegenüber dem Richter zu beschreiben. Ich saß die ganze Woche absichtlich vorne rechts. Von der Zuschauergalerie aus schaut man durch ein Panzerglasfenster in einer Höhe von etwa zwei Metern über dem Gerichtssaal. Sie verläuft auf einer Seite des Gerichts, und das äußerste rechte Ende der Publikumsgalerie befindet sich über der Richterbank, die unten senkrecht dazu angeordnet ist. Bemerkenswerterweise hat man daher von den rechten Sitzen auf der Zuschauertribüne einen ungestörten Blick auf die gesamte Richterbank und kann alle Unterlagen und den Computerbildschirm des Richters sehen.


Fassade des Gerichtsgebäudes in London, in dem der Auslieferungsprozess gegen Julian Assange durchgeführt wird (Foto: arbeiterfotografie.com)

Der Kronanwalt Mark Summers führte aus, dass im Fall Belousov gegen Russland (1) der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gegen den Staat Russland entschied, weil Belousov in einem Glaskäfig verurteilt worden war, der praktisch baugleich und in der Position identisch war wie derjenige, in dem sich Assange jetzt befand. Dies behinderte seine Teilnahme an dem Verfahren und seinen freien Zugang zu seinem Anwalt und beraubte ihn der Menschenwürde als Angeklagter.

Summers fuhr fort, dass es gängige Praxis sei, dass bestimmte Kategorien nicht verurteilter Häftlinge von der Strafbank freikommen, um sich mit ihren Anwälten zusammenzusetzen. Dem Gericht lagen psychiatrische Berichte über Assanges extreme klinische Depression vor, und in der Tat hieß es im Leitfaden des britischen Justizministeriums für Gerichte, dass gefährdete Personen erlaubt werden sollte, neben ihren Anwälten zu sitzen. Eine Sonderbehandlung wurde für Assange nicht beantragt - er bat darum, wie jede andere gefährdete Person behandelt zu werden.

Die Verteidigung wurde dadurch behindert, während des Verfahrens vertraulich mit ihrem Mandanten zu kommunizieren. In der nächsten Phase des Verfahrens bei der Zeugenbefragung war eine rechtzeitige Kommunikation unerlässlich. Außerdem konnten sie während der Anhörung nur durch den Schlitz im Glas der Sicherheitsbeamten der Privatfirma, die ihn bewachten, über Mikrofon mit ihm sprechen. (Es wurde klargestellt, dass es sich um Serco handelte, nicht um Gruppe 4 (2), wie Baraitser am Vortag gesagt hatte.)

Baraitser wurde zu diesem Zeitpunkt übellaunig und sprach mit schneidender Stimme. "Wer sind die Leute hinter Ihnen in der hinteren Reihe?", fragte sie Summers sarkastisch - eine Frage, auf die sie die Antwort sehr gut kannte. Summers antwortete, dass sie Teil des Verteidigerteams seien. Baraitser sagte, dass Assange sie kontaktieren könnte, wenn er einen Grund hätte, sie zu kontaktieren. Summers antwortete, dass es einen Gang und eine niedrige Wand zwischen dem Glaskasten und ihrer Position gäbe. Und alles, was Assange sehen könnte, wäre der obere Teil ihres Hinterkopfes über der Wand. Baraitser sagte, dass sie gesehen habe, wie Assange rief. Summers sagte, das Geschreie im Gerichtssaal sei weder vertraulich noch zufriedenstellend.

Mir wurde nun mitgeteilt, dass es definitiv ein Vergehen ist, das Bild von Julian in seinem Glaskasten zu veröffentlichen, obwohl ich es nicht aufgenommen habe und es absolut überall im Internet zu finden ist. Erwähnenswert ist auch, dass ich wieder zu Hause in meinem eigenen Land, Schottland, bin, wo mein Blog seinen Sitz hat, und auch nicht in die Zuständigkeit des englischen Gerichts fällt. Aber ich bin bestrebt, ihnen keinen Vorwand zu liefern, um mich von der Gerichtsverhandlung auszuschließen. Deshalb habe ich es entfernt, aber Sie können es hier (3) sehen.

Dies ist das Foto, das von Assange im Gericht (nicht von mir) illegal aufgenommen wurde. Wenn Sie genau hinsehen, sehen Sie einen Durchgang und eine niedrige Holzwand zwischen ihm und der hinteren Reihe der Anwälte. Sie können einen der beiden Serco-Gefängnisbeamten sehen, der ihn im Glaskasten bewacht.

Baraitser sagte, Assange könne Notizen übergeben, und sie habe miterlebt, wie Notizen von ihm übergeben wurden. Summers antwortete, dass die Gerichtsbeamten nun die Weitergabe von Notizen verboten hätten. Baraitser sagte, sie könnten dies mit Serco besprechen, es sei eine Angelegenheit der Gefängnisbehörden.

Summers behauptete, dass Baraitser entgegen ihrer Aussage vom Vortag, tatsächlich die Zuständigkeit für die Frage der Befreiung von Assange aus dem Glaskasten habe. Baraitser intervenierte und sagte, dass sie dies nun zur Kenntnis genommen habe. Summers sagte daraufhin, er habe eine Reihe von Expertisen vorgelegt, um zu zeigen, dass Baraitser auch zu Unrecht gesagt habe, dass inhaftiert zu sein, nur bedeuten könne, dass man auf der Anklagebank sitzt. Sie könnten überall innerhalb des Gerichtsbezirks in Haft sein, oder auch außerhalb. Baraitser ärgerte sich darüber sehr und erklärte, sie habe nur gesagt, dass die Übergabe an das Gericht die Übergabe an die Anklagebank bedeuten würde.

Worauf Summers denkwürdig spitz antwortete: "Nun, das ist auch falsch, und es war falsch in den letzten acht Jahren".

Baraitser schloss die Diskussion ab und fällte ihr Urteil in dieser Frage. Das Interessante daran ist nun, und ich bin ein direkter Augenzeuge. Sie las ihr Urteil vor, das mehrere Seiten lang und handgeschrieben war. Sie hatte es gebündelt vor Gericht mitgebracht, und sie nahm keine Änderungen daran vor. Sie hatte ihr Urteil aufgeschrieben, bevor sie Mark Summers überhaupt hörte.

Ihre Hauptpunkte waren, dass Assange mit seinen Anwälten durch Rufen aus dem Glaskasten heraus kommunizieren konnte. Sie hatte gesehen, wie er Notizen machte. Sie wäre jederzeit bereit, das Gericht zu vertagen, damit Assange mit seinen Anwälten zu Gesprächen in die Zellen gehen könne, auch wenn sich dadurch die Dauer der Anhörung von drei auf sechs Wochen verlängern würde, stünde ihnen die notwendige Zeit zur Verfügung.

Baraitser erklärte, dass in keinem der psychiatrischen Berichte, die sie vor sich hätte, gefordert wurde, dass Assange den Panzerglaskasten verlassen müsse. Da keinem der Psychiater diese Frage gestellt worden war - und sehr wahrscheinlich keiner etwas über die Gestaltung des Gerichtssaals wusste - ist das kaum überraschend

Ich habe mich gefragt, warum es für die britische Regierung so wichtig ist, Assange in dieser Kiste zu behalten, wo er nicht in der Lage ist, dem Verfahren zu folgen oder seine Anwälte als Reaktion auf die Beweise zu instruieren. Obwohl selbst die Anwälte der US-Regierung erklärten, sie hätten keine Einwände dagegen, dass Assange mit seinen Anwälten zusammen sitzt.

Die Antwort liegt in der psychiatrischen Beurteilung von Assange, die dem Gericht von dem äußerst angesehenen Professor Michael Kopelman gegeben wurde (der jedem bekannt ist, der „Murder in Samarkand“ gelesen hat) (4):

"Herr Assange zeigt praktisch alle Risikofaktoren, die Forscher aus Oxford bei Gefangenen beschrieben haben, die entweder Selbstmord begehen oder tödliche Versuche unternehmen... Ich bin absolut überzeugt davon, wenn die Auslieferung an die Vereinten Staaten unmittelbar bevorstehen würde, dass Herr Assange einen Weg zum Selbstmord finden würde".

Die Tatsache, dass Kopelman nicht, wie Baraitser sagte, ausdrücklich feststellt, dass der Panzerglaskasten für Assange schädlich ist, spiegelt nichts anderes wider als die Tatsache, dass ihm diese Frage nicht gestellt wurde. Jeder Mensch mit dem geringsten Anstand könnte diese Schlussfolgerung ziehen. Baraitsers Engstirnigkeit, dass kein Psychiater ausdrücklich erklärt hat, dass er aus dem Panzerkasten entlassen werden sollte, ist atemberaubend gefühllos, unehrlich und unmenschlich. Mit ziemlicher Sicherheit hatte sich kein Psychiater vorstellen können, dass sie über die Durchsetzung einer solchen Folter entscheiden würde.

Warum macht Baraitser es dann?

Ich glaube, dass die an Hannibal Lecter erinnernde Einsperrung von Assange, diesem intellektuellen Computerfreak, die jeglicher rationalen Grundlage entbehrt, ein bewusster Versuch ist, Julian in den Selbstmord zu treiben. Der Hochsicherheits-Gerichtshof befindet sich physisch innerhalb des Festungsgeländes, in dem sich das Hochsicherheitsgefängnis befindet. Er wird in Handschellen und unter schwerer Eskorte über einen unterirdischen Tunnel zu und von seiner Einzelzelle in den Panzerglaskasten gebracht. Welche Notwendigkeit besteht unter diesen Umständen ihn ständig penibel zu durchsuchen? Warum werden ihm seine Gerichtsunterlagen verweigert? Am aufschlussreichsten war für mich die Tatsache, dass es ihm nicht gestattet ist, durch den Schlitz im Panzerkasten die Hände zu schütteln oder seine Anwälte zu berühren.

Sie verweigern ihm systematisch jegliche grundlegende menschliche Kontaktaufnahme, wie die Berührung der Fingerspitzen eines Freundes, oder sie blockieren die Unterstützung, die er möglicherweise nur durch die Anwesenheit einer freundlichen Person erfährt. Sie sorgen dafür, dass die extremen psychologischen Auswirkungen der Isolation eines Jahres in der Einzelhaft fortbestehen. Ein winziges bisschen menschlicher Trost könnte seiner psychischen Gesundheit und Widerstandsfähigkeit enorm gut tun. Sie sind entschlossen, dies um jeden Preis zu verhindern. Sie versuchen, ihn dazu zu bringen, sich selbst zu töten - oder in ihm den Zustand zu schaffen, in dem sein schleichender Verfall als Selbstmord erklärt werden könnte.

Das ist meine einzige Erklärung, die mir einfällt, warum sie ihm solche drakonischen Prozessbedingungen auferlegen. Tote können keine Berufung einlegen.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass Julian ein Untersuchungshäftling ist, der seine beispiellos lange Haftstrafe wegen Kautionsverletzung abgesessen hat. Sein Status ist derzeit angeblich der eines unschuldigen Mannes, der angeklagt wird. Die Anklage ist nichts weiter als die Veröffentlichung von Chelsea Mannings Enthüllungen über Kriegsverbrechen.

Dass Baraitser auf Anweisung handelt, scheint mir sicher. Sie hat während des gesamten Prozesses verzweifelt versucht, jegliche Verantwortung für das, was mit Julian geschieht, zu leugnen. Sie hat erklärt, dass sie für seine Behandlung im Gefängnis nicht zuständig sei. Und selbst, als sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft erklärten, dass es gängige Praxis sei, dass die Richter Anweisungen oder Anfragen an den Gefängnisdienst weiterleiten könnten, lehnte sie es ab, dies zu akzeptieren.

Baraitser versucht sich psychologisch von jeder Behörde zu distanzieren, wenn es um das geht, was getan wird. Sie lehnt jegliche Veränderung am Gerichtsverfahren strikt ab. Sie hat gesagt, dass sie nicht befugt sei, sich in die Leibesvisitationen, das Anlegen von Handschellen und dem Entzug von Assanges Papieren oder in die Einzelhaft von Assange einzumischen. Sie hat gesagt, dass sie nicht befugt sei, zu verlangen, dass seine Verteidiger mehr Zugang zu ihrem Klienten im Gefängnis haben, um seine Verteidigung vorzubereiten. Sie hat gesagt, dass sie keine Zuständigkeit für seine Unterbringung im Gerichtssaal habe. Sie hat zu verschiedenen Zeiten vorgeschlagen, dass es Serco obliegt, zu entscheiden, ob er seinen Anwälten Notizen übergeben darf, und dass die Gruppe 4 entscheiden soll, ob er den Panzerglaskasten verlassen darf. Die Momente, in denen sie am zufriedensten aussieht, wenn sie sich die Beweise anhört, sind die, in denen Staatsanwalt James Lewis argumentiert, dass sie keine andere Entscheidung treffen könne, als die Auslieferung zu unterzeichnen, weil es gut begründet sei und Artikel 4 des Vertrages (Anm.: Artikel 4 des Auslieferungsvertrag zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten untersagt eine Auslieferung aus politischen Gründen) keine rechtliche Wirkung für Assange habe.

Ein Mitglied der Familie Assange bemerkte mir gegenüber am Ende der ersten Woche, dass sie sehr faul zu sein scheint, und deshalb gerne alle Argumente entgegen nehme, die den Umfang ihrer Arbeit verringern. Ich denke, dass es sich anders verhält. Ich glaube, es gibt in der Gedankenwelt  dieser Tochter von Dissidenten aus der Apartheid, die ihre eigene Rolle bei der Folter von Assange ablehnt und ständig darauf drängt, "Ich hatte keine Wahl, ich hatte keine Befugnis". Diejenigen, die dem Bösen erliegen, müssen den inneren Trost finden, den sie finden können.


Mit großem Dank an diejenigen, die gespendet haben, um diese Berichterstattung zu ermöglichen. Ich möchte noch einmal betonen, dass ich absolut nicht möchte, dass jemand etwas spendet, für den dies mit der geringsten Gefahr einer finanziellen Belastung verbunden ist,.

Dieser Artikel darf völlig frei vervielfältigt und veröffentlicht werden, auch in Übersetzung, und ich hoffe sehr, dass die Leute dies aktiv tun werden. Die Wahrheit soll uns frei machen.


Craig Murray, Jahrgang 1958, ist ehemaliger britischer Diplomat und arbeitet heute als Menschenrechtsaktivist und Blogger.



Craig Murray am 24.2.2020, dem ersten Tag des Auslieferungsprozesses gegen Julian Assange (Foto: arbeiterfotografie.com)


Englischsprachiger Original-Artikel:
https://www.craigmurray.org.uk/archives/2020/03/the-armoured-glass-box-is-an-instrument-of-torture/


Anmerkungen:

(1) http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-166937
(2) Serco und die Gruppe 4 sind private Gefängnisbetreiber in Großbritannien, denen auch Aufgaben im HPM Belmarsh übertragen wurden
(3) https://www.legrandsoir.info/compte-rendu-du-proces-assange-4eme-jour.html
(4) "Murder in Samarkand" ist ein Buch von Craig Murray, indem er seine Zeit als Botschafter in Usbekistan verarbeitet.


Siehe auch:

Fotogalerie
Proteste zum Beginn des Auslieferungsprozesses gegen Julian Assange, London, 22. und 24.02.2020
Die Wahrheit wird gewinnen
Von Arbeiterfotografie
NRhZ 737 vom 27.02.2020
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26622

Filmclip
Proteste zum Beginn des Auslieferungsprozesses gegen Julian Assange, London, 24.02.2020
Todesstrafe für Journalismus
Von Arbeiterfotografie
NRhZ 737 vom 27.02.2020
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26623

Assange-Prozess
Politische Justiz in London
Von Hannes Sies
NRhZ 738 vom 04.03.2020
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26634

Assange-Schauprozess
Neoliberalismus als totalitäre Globalisierung
Von Hannes Sies
NRhZ 738 vom 04.03.2020
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26644

Assange-Schauprozess: Bertelsmann-n-tv ringt mit der Wahrheit
"liest sich wie eine krude Verschwörungstheorie und ist doch ein UN-Bericht"
Von Hannes Sies
NRhZ 738 vom 04.03.2020
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26635

Der Fall Julian Assange ist politisch – deshalb gibt es nur eine Konsequenz
Den Prozess gegen Julian Assange sofort abbrechen!
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 738 vom 04.03.2020
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26646


Online-Flyer Nr. 738  vom 04.03.2020



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