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Aktuelles
Zum Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP), Berlin, 7. bis 10.3.2019
Muth haben... um des Überlebens willen
Klaus-Jürgen Bruder – interviewt von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

In wenigen Tagen – vom 7. bis zum 10. März – findet in Berlin wie seit vielen Jahren der Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie statt. Zahlreiche namhafte Referenten befassen sich in theoretischen und praktischen Beiträgen mit dem Thema "Krieg nach innen, Krieg nach außen. Die Intellektuellen als Stützen der Gesellschaft?". Nun ist es Praxis der Psychoanalyse, auch oder gerade speziell unliebsame, verdrängte, kränkende Erfahrungen, d.h. im Grunde psychische Störungen bewusst zu reflektieren, um sie parallel zur Gefühlsebene rational zu erfassen und zu bewerten. Kern der Kongresse der Neuen Gesellschaft für Psychologie ist es, neben rein persönlichen Prägungen gesellschaftliche Umstände in die Bewertung einzubeziehen. In der modernen Geschichte der Psychologie des 19. Jahrhunderts folgte ein erster Lehrstuhl für Psychologie des eher als Pädagogen bekannt gewordenen Johann Friedrich Herbart in Königsberg auf den Aufklärungsphilosophen Immanuel Kant, dessen "Sapere aude. Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen" aus der modernen Geistes-, Sozial- und Humanwissenschaft nicht wegzudenken ist. Die NRhZ sprach mit Klaus-Jürgen Bruder, dem Vorsitzenden der Neuen Gesellschaft für Psychologie.

Herr Bruder, Sie sagen: „Solange Politische Psychologie nicht die Kritik dieser (unserer derzeitigen) Verhältnisse ins Zentrum ihrer Arbeit stellt, nimmt sie Partei für deren Fortbestehen.“ Thema des diesjährigen Kongresses ist der „Krieg nach innen und Krieg nach aussen“, und gleichzeitig stellen Sie die Frage nach der Verantwortung der „Intellektuellen als Stütze der Gesellschaft“. Was verbirgt sich dahinter?

Der Kongress thematisiert den Zustand eines umfassenden Kriegs-Szenario, das wir gegenwärtig erleben, eines Krieges, der mit allen Waffen und auf allen Ebenen geführt wird: als Krieg um Vorherrschaft im internationalen Rahmen, als Krieg gegen die eigene Bevölkerung mit den Mitteln der Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Rentenpolitik, der Zerstörung von Demokratie und Umwelt usw. – und gleichzeitig die unfassbare Tatsache, dass davon kaum Notiz genommen wird: „Hier geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter“, wie der Psychoanalytiker John Rittmeister über die Haltung vieler seiner Kollegen nach 1933 berichtete. (1)

Und: Notiz zu nehmen, ja Kritik an diesem unerträglichen Zustand zu üben, ist die Aufgabe der Intellektuellen: Sie haben den privilegierten Zugang zu den Medien und Informationen, sie leben in privilegierten Verhältnissen: befreit von schweißtriefender Arbeit und frei von engen Vorschriften darüber, was sie sagen können, sind sie diejenigen, die der Willkür und Selbstherrlichkeit der Mächtigen und der politisch Verantwortlichen ein wirkungsvolles „Nicht weiter so!“ entgegensetzen können – und müssen.

Sie sprechen der Psychologie als Humanwissenschaft eine generelle Politik-, d.h. Gesellschaftsbezogenheit zu, der sie sich nicht verweigern kann. Andernfalls beschränkt sich das „Leiden“ der Menschen an den derzeitigen gesellschaftlichen Zuständen, die eine begründete Existenz- oder Zukunftsangst hervorrufen und in immer zahlreicheren Fällen einen sozialen Ausschluss zur Folge haben, auf die Pathologisierung des Einzelnen, dem eine alleinige Schuld zufällt. Was kann die Psychologie, die nach Ihrer Meinung per se politisch ist, und auch die Psychoanalyse im Sinne der Befähigung des Einzelnen zur Bewältigung politischer Probleme hier bewirken?

PsychologInnen und PsychoanalytikerInnen sind in ihrer praktischen therapeutischen Arbeit Zeugen des Leidens ihrer Patienten und Klienten an den unmenschlichen Zuständen des Alltags, ob im Beruf oder unter dem Einfluss der politischen Entscheidungen.

Sie sind somit berechtigt, ja aufgerufen, diese „Zeugenschaft im öffentlichen Raum“ (Derrida) zu vertreten und damit als Anwalt derer zu wirken, die sich gegen diese krankmachenden Verhältnisse zur Wehr zu setzen versuchen.

Die Stärkung des Selbstbewusstseins und des Selbstvertrauens ist gewiß ein entscheidender Schritt, nicht zu resignieren oder in Depression zu verfallen. Andererseits müssen auch Mittel und Wege für einen erfolgreichen Ausbruch aus dem „Steuerungssystem“ der herrschenden Zustände erkennbar werden. Reicht es aus, an die ins System eingebundenen Intellektuellen zu appellieren? Wie stellen Sie sich vor, den Intellektuellen ihre Verantwortung klarzumachen und abzuverlangen?

Unsere Kongresse wenden sich zugleich an uns selbst als Intellektuelle. Uns unserer Verantwortung als Mitglieder der Gesellschaft bewusst zu sein, ist auch unsere Aufgabe als Psychologen.

Der erste Schritt dazu ist die Kritik an dem, was Intellektuelle statt dessen normalerweise machen. Sie betreiben ihre Arbeit als Wissenschaftler, Lehrer, Rechtsanwalt oder Ärzte so, als lebten sie in einem von Politik freien Raum. Sie stützen die herrschenden Zustände, indem sie ihre gesellschaftliche Verantwortung, diese kritisch zu betrachten und gegebenen Falls zu kritisieren, nicht wahrnehmen. Ohne das Heer von Intellektuellen nicht nur in den Führungspositionen von Wirtschaft und Gesellschaft, Gewerkschaften und Kirchen, Universitäten und Forschungszentren, Kliniken, Polizei, Bundeswehr und Geheimdiensten, in den Lobbyisten- und Beratergesellschaften und ihren Rechtsanwaltskanzleien und Notariaten, bis „hinunter“ zu den „einfachen“ Leitungspositionen in den lokalen Behörden und Institutionen würde das gesellschaftliche Leben überhaupt nicht funktionieren. Damit erfüllen sie ihre Aufgabe als „Stützen der Gesellschaft“. Wir haben diesen Ausdruck einem Bild von George Grosz von 1926 entnommen, in dem er den herrschenden Schichten der Weimarer Gesellschaft den kritischen Spiegel vorhält: ganz vorne im Bild: der Akademiker, vielleicht ein Arzt oder Apotheker, Rechtsanwalt oder Lehrer ausgestattet mit den Insignien der Macht und den Malen der Unterwerfung: mit Schmiss, Säbel und Hakenkreuz, hinter ihm: der Politiker (Sozialdemokrat) und der Journalist, hinter diesen: der Pope und das Militär: Die Stützen der Weimarer Republik sind (waren) die des alten Regimes.

Nehmen wir für heute zum Beispiel die Psychologen: als Therapeuten haben sie ja das Bewusstsein, ihre Tätigkeit diene vornehmlich den Patienten. Wenn aber ein Arbeit“geber“ sich in die Therapie einmischt, ist das nicht mehr als Hilfe allein für den Patienten zu verteidigen. Und wenn dieser Arbeit“geber“ die Bundeswehr ist, die daran interessiert ist, dass Therapie traumatisierte Soldaten wieder fit für den nächsten Einsatz macht, ist damit die Hilfe für den Patienten nicht mehr im Blick des Psychologen.

Mit Intellektuellen meinen Sie insbesondere auch die in den Medien tätigen MeinungsmacherInnen, die die empörten Vorwürfe von Lücken- oder gar „Lügenpresse“ weit von sich weisen. Die seit Jahren erstarkende, breit gefächerte alternative und unabhängige Medienszene ist andererseits zunehmend von Einschränkungen bedroht. So wurde das online-portal sputnik von Facebook eliminiert. Und der Vorsitzende des Deutschen Journalisten Verbands DJV, Frank Überall, bezeichnet RT-deutsch als „Propaganda“sender, der abzustellen sei. Das ist ein erschreckender Vorstoß gegen journalistische Grundregeln und erinnert an dunkle deutsche Zeiten auch neueren Datums. Im so genannten Kosovokrieg mit deutscher Beteiligung vor genau 20 Jahren wurden serbische Fernseh- und Rundunkstationen bombardiert. Befinden wir uns schon auf einem unumkehrbaren Kriegspfad? Wo sehen Sie einen Hoffnungsschimmer?

Unumkehrbar ist kein Kriegspfad. Aber dass er es nicht bleibt, dafür müssen die von diesem Pfad vertrieben werden, die ihn nicht von selbst verlassen. Auch hier ist wieder die Kritik das erste Mittel der Wahl. Der Verletzung „journalistischer Grundregeln“ kann nur durch unnachgiebige Kritik begegnet werden. Und: jede Kritik ist ein Teil der täglichen Lernprozesse in „aufrechtem Gang“ (Bloch), gehört unverzichtbar zu den Prozessen der Bildung von Bewusstsein. Die Rückschläge in diesen Prozessen sind nicht das, was wir uns wünschen, im Gegenteil. Aber wir können auch aus ihnen lernen.

Es scheint tatsächlich eine Furcht der Mächtigen vor einer breiten Meinungs- und Informationsvielfalt vorzuliegen. Dazu sind viele Mittel recht. Sie selbst und die Neue Gesellschaft für Psychologie wurden mit unhaltbaren Antisemitismusvorwürfen konfrontiert nachdem Sie flankierend zum Kongress „Krieg um die Köpfe“ (2015) die Einbindung von Psychologen in die Kriegsvorbereitungen der Bundeswehr ablehnten. Dem Vorwurf mangelte es an Substanz, er trug vielmehr Anzeichen eines Stellvertreter-Gefechts. Wie sehen Sie das rückwirkend?

Wir sehen diese Attacke gegen die Neue Gesellschaft inzwischen aus der Perspektive der großen Solidarität und Unterstützung, die wir vor einem Jahr erfahren haben. Wir haben diese ja auch auf unserer Homepage dokumentiert. Das gibt Material, aus dem andere lernen können. Insofern sind wir einen guten Schritt weiter.

Jüngst ging ein Antisemitismusvorwurf verbunden mit dem Vorwurf der „verkürzten Kapitalimuskritik“ an das alternative Magazin "Nachdenkseiten" von Albrecht Müller und Jens Berger, die diese Anschuldigungen als infam und haltlos decouvrierten. Antisemitismus einer besonderen Art richtet sich verschärft gegen israelkritische jüdische Menschen, denen öffentliche Räume verwehrt werden. Jüngstes erschreckendes Beispiel ist der Rückzug der Universität und der Stadt Göttingen in Zusammenhang mit der Preisverleihung an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Hier wird offensichtlich Politik auf einer rechtsnihilistischen Ebene betrieben. Im Programm des Kongresses treten u.a. der Völkerrechtler Norman Paech und der Friedensforscher Werner Ruf auf. Was können die BesucherInnen von diesen und weiteren Vorträgen erwarten?

Wir haben auf dem Kongress des letzten Jahres diese Attacken analysiert, dass die Arbeit des Staatsschutzes durch die Bürger selbst, bzw. genauer Teile des ehemaligen linken „Milieus“ übernommen wird. Von daher ist es umso dringender, dass die Angegriffenen sich offensiv gegen den infamen Vorwurf des Antisemitismus zur Wehr setzen. Wir haben Norman Paech und Werner Ruf eingeladen, nicht nur, weil sie mit ihren scharfsinnigen Analysen der gegenwärtigen Situation unsere Diskussion außerordentlich bereichern werden, sondern weil sie selbst genügend Erfahrung mit solchen Angriffen haben, und weil wir aus ihrem unerschrockenen öffentlichen Auftreten viel lernen können.

Dass die Mehrzahl der Menschen keinen Krieg will, wusste schon Albert Einstein. Sie müssen erst kriegsreif zugerichtet werden, oder wie Sie selbst Alfred Adler zitieren, der 1919 rückblickend von der „Dressur des Volkes“ sprach. Was kann die Psychologie an positiven Weltbildern aufbieten gegenüber einer brachialen Produktion von Feindbildern und kapitalistischen Heilsversprechen, in denen Mensch, Tier und Natur selbst zur Ware degradiert werden. Wie kann die Psychologie wirkungsvoll in Richtung elementarer Werte mobilisieren? Gibt es so etwas wie eine „Friedenspsychologie“?

Ja, das gibt es. Ich nenne nur Gert Sommer, den wir zum Kongress „Krieg um die Köpfe“ eingeladen hatten. Auch hier steht die Kritik im Zentrum: Kritik der „Dressur des Volkes“, wie sie sagten. Diese Dressur beginnt nicht erst mit der Grundausbildung in der Bundeswehr, sondern findet ihre Ansatzpunkte in jedem Akt oder Feld der Erziehung. Nehmen wir die aktuelle Feindbild-Produktion. Gegen Russland kennen wir sie ja zur Genüge. Jetzt wird uns der venezolanische Präsident als Monster eines Diktators eingehämmert. Die Brutalisierung des Bewusstseins, die damit erzeugt wird, und die nicht vor den brutalsten Mordphantasien zurückschreckt, ist Teil der Erziehung zum Krieg, zur Kriegsbereitschaft der Bevölkerung.

Dieser Brutalisierung entgegenzuwirken ist die dringlichste Aufgabe kritischer Intellektueller

Viele junge Leute sind bereit, ihre Ansichten und Forderungen auf die Straße zu tragen. Aber auch hier liegt die Verschärfung und Einschränkung bürgerlicher Freiheiten nicht mehr allein in den Schubladen. Die neuen Polizeiaufgabengesetze von Bayern und Nordrhein Westfalen sind beschlossen. Sie erwähnen darüber hinaus ein verschärftes Psychiatriegesetz, das in der Öffentlichkeit wenig bis gar nicht kommuniziert wird. Es war doch eine Errungenschaft der 68er Jugendbewegung, die Psychiatriemaßnahmen z.B. gegen „schwererziehbare“ Jugendliche abzuschaffen. Was genau kommt da auf uns zu? Was gibt es für Möglichkeiten, noch etwas abzuwenden?

Der bayrische Vorstoß mit dem Entwurf eines erneuerten Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes (BayPsychKHG), das vorgesehen hätte, Bürger, die stationär psychiatrisch behandelt werden, in Bayern der Polizei zu melden und ihre Daten für fünf Jahre zu speichern, sollte der Staatsregierung die Möglichkeit geben, die autoritäre Wende auf dem Feld der Psychiatrie voranzutreiben. Dieser Entwurf stieß auf vehemente Kritik seitens der Ärzteschaft, was wir als ein ermutigendes Beispiel für die Wachsamkeit von Intellektuellen und deren Bereitschaft, nicht immer das allzu selbstherrliche forsche Vorgehen des Staatsapparats gewähren zu lassen, sondern dem sogar Widerstand entgegenzusetzen. Dieser Widerstand ist ein Zeichen, das Hoffnung macht, vielleicht sogar Signal für das Ende der Duldsamkeit.

Schließlich: Wie können wir uns mit Hilfe der Psychologie dem Diskurs der Macht mit seiner Begriffshegemonie und seinen Definitionen entziehen? In der 68er Bewegung hieß ein Slogan „Besetzt die Begriffe und nicht Häuser“. Oder mit Antoine de Saint-Exupéry: „Erst dann, wenn sich der Mensch neue Begriffe formt, befreit er sich.“ Was ist da dran?

Es stimmt: ohne Besetzung der Begriffe wird man auch keine Häuser besetzen – nur umgekehrt reicht diese Besetzung der Begriffe nicht aus, um die Häuser in das Eigentum ihrer Bewohner zu überführen.

D.h. der „Krieg um die Köpfe“ zielt immer zugleich auch auf die Verhaltensweisen und die Perspektiven der Veränderung, bzw. deren Verhinderung ab. Um uns dem Diskurs der Macht zu entziehen reicht deshalb die Psychologie nicht aus. Wir müssen zugleich Formen und Institutionen des kritischen Gegendiskurses schaffen, bzw. die vorhandenen, wie die Ihre, um nur ein Beispiel zu nennen, ohne unfaire Reklame zu machen, schützen und verteidigen und nicht aus den Augen verlieren, dass der Diskurs der Macht tatsächlich von der Macht, dh den Inhabern dieser Macht nicht zuletzt auch finanziell getragen und mit allen Machtmitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, verteidigt wird.

Bleibt zum Schluss noch das „ungelegte Ei“ der 9/11-Anschläge 2001 in New York, mit denen der Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser sich befasst. Auf dieses juristisch ungeklärte „Ereignis“ baut eine Folge von so genannten Kriegen „gegen den Terror“ auf. Eine faktenreiche Diskussion von Experten findet nur in den „alternativen“ Medien statt.  In „unseren“ Mainstream-Medien und selbst in der  sich als links definierenden Presse findet sich hingegen Schweigen oder die Abwehrformel von „Verschwörungstheorie“. Daniele Ganser setzte seine Existenz und seine Karriere aufs Spiel, weil er sich von der Verbreitung seiner Erkenntnisse nicht abbringen ließ. Darüber hinaus verfasste er ein Standardwerk über „Illegale Kriege“ fast ausschließlich USA geführt ohne UN-Mandat. Welchen Kampf hat Daniele Ganser aus psychologischer Sicht auf sich genommen? Wie ist er der Verleumdung begegnet und hat dieser  widerstanden? Lässt sich dieser „Fall“ als vorbildlich oder exemplarisch bezeichnen?

Diese Frage ist nur zu bejahen.

Daniele Ganser schildert in seinen Vorträgen mit einem gewissen Humor, dass er, um sich klar zu werden, was da vor sich geht, in der bedrängten Situation ein Jahr lang kalt geduscht hat, inklusive Haare waschen. Was ist die psychologische Voraussetzung, derartigen Angriffen zu widerstehen? Was genau ist erforderlich, um diesen "Muth" aufzubringen?

Ich habe es vielleicht (mit den Antisemitismusvorwürfen) nicht so heftig erlebt wie Daniele Ganser. Aber ich kann vielleicht extrapolieren von meiner eigenen Erfahrung: Das Wichtigste ist, dass man Leute, Kollegen oder Genossen hat, die mit an einem Strang ziehen – dass man nicht allein steht. Und dass man mit denen alle Vorwürfe durchdiskutiert, diskutieren kann, was da dran ist, an den Vorwürfen, bzw. warum nichts dran ist. Und was die Funktion dieser Vorwürfe ist. Dass man ein bisschen über den aktuellen Anlaß hinaus guckt, in welchen Zusammenhängen das eingebettet ist. Natürlich: wenn sich Daniele Ganser mit diesem heissen Eisen der 9/11-Anschäge beschäftigt, geht es an das Herzstück der amerikanischen Staatsraison - der Staatsraison der westlichen Welt. Da muß man schon sehr gut abgesichert sein. Das kann man nicht allein.

Bedarf es persönlicher (psychischer) Fähigkeiten, sich dem auszusetzen?

Die besonderen Fähigkeiten sind die, dass man überhaupt so etwas macht. Das hat er ja nicht naiv gemacht, sondern er hat gewußt: ich begeb ich in ein Feld, das die Herrschaftsseite vordefiniert und abgesteckt hat – als Begründung verwendet für den "war on terror", als Begründung für die Verschärfung der Politik.

Also Sie denken, es braucht keine besondere persönliche Befähigung? Das kann praktisch jede/r?


Oh, das denke ich nicht. Es kann nicht jeder sich darein wagen. Also: ich glaube nicht an die alleinige Wirkung der Manipulationstheorie. Ich vertrete ja eher die These, dass die Medien uns mit dem Vorenthalten von Information und mit Falschinformation - umgangssprachlich kurz gesagt: mit Lügen - manipulieren wollen und manipulieren können. Aber es braucht die psychische Voraussetzung, um nicht mißtrauisch zu werden. Und die besteht darin, dass man glauben will, sich beruhigen will mit diesen Fake News und mit diesen ganzen Märchen - Narrativ nennt man das ja heute - also diesen Märchen der Politik und der politischen Klasse. Ich will mich damit beruhigen, nicht nachfragen und Konsequenzen aus meinem Mißtrauen ziehen. Das ist meine psychologische Erklärung. Sich in diesem Juste-Milieu wohlfühlen. Jede Kritik daran macht mir Unwohlsein. Und dieses Unwohlsein muss irgendwie verdrängt werden. Davon muss abgelenkt werden. Ich danke den Medien dafür, dass sie mir die entsprechenden Märchen bringen, an die ich glauben kann.


Fußnote:

1 In: Karen Brecht, Volker Friedrich, Ludger M. Hermann, Isidor J. Kaminer und Dierk H. Juelich (Hrsg.): „Hier geht das Leben auf eine sehr merkwürdige Weise weiter…“ Zur Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland. Katalog und Materialsammlung zur [gleichnamigen] Ausstellung anlässlich des 34. Kongresses der (IPV) in Hamburg vom 28.7. bis 2.8.1985. Kellner, Hamburg 1985


Informationen zum Kongress:
https://www.ngfp.de/kongresse/ngfp-kongress-2019/

Kongress-Progamm:
https://www.ngfp.de/wp-content/uploads/2018/12/NGfP-2019-Programm.pdf

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