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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Kein gutes Neues Jahr für Palästina
Von Evelyn Hecht-Galinski

Das Jüdische Neujahrsfest Rosch haSchana, mit dem nach jüdischer Zeitrechnung das Jahr 5779 beginnt, fiel dieses Jahr auf den 9. bis zum 11. September. Was für ein Datum! Der 11. September wird immer mit 9/11 verbunden bleiben, als Zäsur und Beginn eines so genannten "Anti-Terrorkampfs", der nicht nur die USA, sondern auch die westliche "Wertegemeinschaft" in einen Ausnahmezustand versetzte, mit dem man einen Kreuzzug gegen den Islam legalisieren konnte, der bis heute andauert und sich täglich verschlimmert. Ich möchte mich nicht an Spekulationen beteiligen, aber warum wird jeder, der die Hintergründe hinterfragt, als "Verschwörungstheoretiker" verunglimpft und ins Abseits gestellt?

Wenn "Jüdischer Staat" und Religion in einen Topf geworfen werden

Kommen wir zurück zum Jüdischen Neujahrsfest 2018. Ich traute meinen Augen kaum, als ich die F.A.Z. vom 8. September aufschlug und mir auf Seite 3 eine mit Bundesadler dekorierte 1/4seitige Anzeige zum Neujahrsfest vom Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus ins Auge sprang. (1) Dieser Bundesbeauftragte Felix Klein gratulierte nicht nur den jüdischen Bürgern, sondern nahm auch Bezug auf Israel, „dessen 70jähriges Bestehen wir in diesem Jahr ebenfalls feiern“. Es ist für mich unerträglich, dass hier der "Jüdische Staat" und eine Religionsgemeinschaft in einen Topf geworfen werden. Darf man sich dann noch wundern, wenn jüdische Bürger in Mithaftung für die Völker- und Menschenrechtsverbrechen Israels genommen werden, wenn sich diese nicht einmal kritisch mit Israel auseinandersetzen und sich noch dazu einer blinden Solidarisierung hingeben? Allerdings wird dies durch die deutsche Bundesregierung gefördert, die den „jüdischen Besatzerstaat“ unkritisch unterstützt.

Warum gibt es stattdessen keinen Rassismusbeauftragten der Bundesregierung, der mit ähnlichen Anzeigen unseren muslimischen Mitbürgern zu deren Festen gratuliert? Während der Zentralrat der Juden als Körperschaft des Öffentlichen Rechts massiv unterstützt wird, obwohl er sich nicht von der völkerrechtswidrigen Politik des „Jüdischen Staats" distanziert, sondern im Gegenteil diese noch aktiv unterstützt, was eben nicht durch Steuergelder belohnt werden sollte, wird beispielsweise die DITIB bestraft als zu Türkei nah! Eine Ohrfeige für zahlreiche türkische und muslimische Bürger in Deutschland.

In diesen Zeiten, wo ein rassistischer Mob durch deutsche Ost-Städte zieht und ein sächsischer CDU-Ministerpräsident dies nicht sehen will und der Chef des Deutschen Verfassungsschutzes im Gegensatz zur Sächsischen Oberstaatsanwaltschaft ein Video nicht anerkennen will, dass genau das bestätigt, wird heruntergespielt, und erst, als ein jüdisches Restaurant, betrieben von einem nicht-jüdischen Kippaträger angegriffen wurde, war die Aufregung groß. Zu Recht natürlich! Aber wo war die Aufregung über die Jagd auf Sozialdemokraten und Migranten, die gejagt um ihr Leben liefen? Sind diese Opfer zweiter Klasse, und gibt es Doppelstandards, wenn es um Muslime geht? Was ist von einer neuen Kriminalstatistik zu halten, in der die NSU-Morde und Straftaten, wie der Anschlag auf das Grab meines Vaters, nicht auftauchen, und die bis heute nicht aufgeklärt sind?

Sollte nicht gerade Rosch haSchana der Beginn einer Umkehr sein? Schließlich ist der Zweck dieses Festes, Rückschau zu halten auf das vergangene Jahr, auf all das, was nicht richtig gemacht wurde oder falsch war. Und geht es nicht vor allen Dingen darum, die begangenen Fehler zu bereuen und sich vorzunehmen, sie in der Zukunft nicht mehr zu wiederholen. Schließlich ist es ein Fest, wo über Juden zu Gericht gesessen wird und darüber entschieden wird, wie es weitergeht. Danach 10 Tage der Umkehr und das Gericht endet dann mit Yom Kippur, dem Versöhnungsfest, wo das Urteil über die Juden gesprochen wird und alles eingetragen wird im "Buch des Lebens" und mit dem Vorsatz, sich zu bessern, endet.

Rassistischer Hochmut eines "auserwählten Volks"

Natürlich ist das der religiöse Hintergrund, der aber viel sagt über das Judentum. Was ist daraus nur geworden? Ein "Jüdischer Staat", der sich bewusst als "jüdisch" anerkennen lassen will, um so den jüdischen Anspruch auf ganz Palästina und Jerusalem zu erreichen. Zumal sich laut einer Rosch haSchana-Umfrage" der israelischen Zeitung Haaretz sich 56% der jüdischen Israelis als "auserwähltes" Volk sehen!

Wie soll man diesen rassistischen Hochmut bewerten, den das Netanjahu Regime noch fördert? Denken wir nur an das jüdische Nationalgesetz, das genau dieses "auserwählte" rassistische Denken noch unterstützt, und dafür noch von der Trump’schen US-Regierung belohnt wird mit einer völkerrechtswidrigen einseitigen Anerkennung von Jerusalem als alleinige Hauptstadt des "Jüdischen Staates". Am Montag, dem 1. Neujahrstag, gab es noch ein "Geschenk" für Netanjahu und sein Regime, da gab die US-Regierung bekannt, dass sie zum dritten Mal die Finanzhilfen für die Palästinenser gekürzt hat. Nach den Kürzungen von Direkthilfen zum wirtschaftlichen Aufbau und Kürzungen für das UN-Hilfswerk UNRWA, nun noch 25 Millionen US-Dollar für sechs Krankenhäuser in Ost-Jerusalem, wo vor allen Dingen auch Schwerstkranke aus dem abgeriegelten Gazastreifen behandelt werden, dort, wo die Gesundheitsversorgung fast völlig zusammengebrochen ist. Zusätzlich kam jetzt noch die Ankündigung der Schließung der diplomatischen Vertretung der Palästinensischen Vertretung in Washington. PLO Generalsekretär Saeb Erekat verurteilte diese Politik als weitere Bestätigung der Politik der Trump-Regierung, das palästinensische Volk kollektiv zu bestrafen. Ein weiterer Versuch, die Palästinenser aller Rechte zu berauben und sie einzuschüchtern. Ein Hintergrund ist wohl das schon lange angekündigte und hoffentlich bald in die Tat umgesetzte Bestreben der Palästinenser, den "Jüdischen Staat" zur Rechenschaft zu ziehen für die illegale Besatzung Palästinas.

Diese völlig einseitigen, und fern jedes demokratischen Verständnisses und völkerrechtlicher Grundsätze entgegenstehenden Taten der Trump-Regierung, die einseitig den "Jüdischen Staat" und seine Besatzung unterstützen, sollten gerade auch von Deutschland nicht mehr hingenommen werden. Soll das etwa der "ultimative Deal" von Trump sein, den er Ende September vor der UNO vorstellen will?

Nicht weiter einen Staat unterstützen, der Verbrechen gegen das Völkerrecht begeht

Wenn Kanzlerin Merkel im Oktober mit großen Teilen des Kabinetts in den "Jüdischen Staat" reisen wird, sollte sie endlich politisch normal agieren, so wie sie es mit jedem anderen Staat auch tut. 73 Jahre nach Kriegsende und der Befreiung von Auschwitz, gibt es keinen Grund mehr, diese einseitige Politik und Unterstützung eines Staates, der das Völkerrecht bricht, weiter zu betreiben. Wenn Kanzlerin Merkel meint, sich nicht in "inner-israelische" Belange einzumischen, dann muss ihr vehement widersprochen werden: es sind keine internen Angelegenheiten, wenn ein Volk illegal besetzt und Menschen und Völkerrechtsverbrechen als jüdische Staatsräson gelten. Wir Deutschen haben eine besondere Verantwortung für die Palästinenser als letzte Opfer der Naziverbrechen, das kann nicht oft genug betont werden und sollte endlich deutsche Staatsräson werden. Wir alle, und an vorderster Front die deutsche Politik, sollten endlich verinnerlichen: den Palästinensern geht es inzwischen nur noch um das nackte Überleben und um ein Leben in Menschenwürde.

Was ist also davon zu halten, wenn deutsche Ministerpräsidenten in den "Jüdischen Staat" fahren, die Palästinenser negieren und sich nur für Freundschaft mit dem "Jüdischen Besatzern" einsetzen? Uns bleibt nur eine Wahl: all diese Politiker nicht mehr wählen! Allerdings fällt die Wahl immer schwerer, denn gibt es noch eine Partei in Deutschland, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt und auch etwas in der Politik bewirken kann?

Der "Jüdische Staat" ist ein rassistischer Staat, für den, wie bei der AfD nicht-jüdische Flüchtlinge als “Infiltranten“ gelten, der sie einsperrt und wegschafft, kein politisches Asyl anerkennt und einen rechtsradikalen Rassismus betreibt, der inzwischen Vorbild für die europäische Rechte ist. Deshalb wurden rechtsextreme Muslim- und Islamhasser wie der ungarische Präsident Orban oder andere rechtsextreme Politiker im "Jüdischen Staat" mit allen Ehren empfangen und Netanjahu pflegt mit ihnen freundschaftliche Beziehungen. Alle gemeinsam verbunden im Islam-Hass. Ist das nicht genau die Politik, die Merkel gerade nicht will? Warum schweigt sie feige, wenn es um den Rassismus im "Jüdischen Staat" geht?

Wann wird der Tag kommen, an dem es zu Neujahr Rosch haSchana-Grußbotschaften an jüdische Bürger und den Zentralrat der Juden gibt, ohne eine Lobhudelei für den Besatzerstaat Israel? Das sind wir der gemeinsamen Vergangenheit und Palästina und Israel schuldig, so aber ist es kein gutes Jahr für Palästina.


Fußnote:

1 Anzeige des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus zum jüdischen Neujahrsfest 2018 (vergrössern)




Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" ausgezeichnet.


Online-Flyer Nr. 673  vom 12.09.2018

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