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Eine lockere Folge von Leserbriefen und Kommentaren
Hajos Einwürfe
Von Hajo Kahlke

Wo bleibt die Forderung "NATO, Bundeswehr, Polizei-Ausbilder raus aus Afghanistan" in Erklärungen des Grundrechtekomitees? Die Klassenfrage zu stellen, hieße das Primat der nationalen Frage zu erkennen. Wo bleibt diese Erkenntnis in der marxistischen Tageszeitung "junge Welt"? Das sind Fragen, die in "Hajos Einwürfen" zum Thema gemacht sind. Die Neue Rheinische Zeitung versteht sich im Verbund mit der Vierteljahresschrift DAS KROKODIL als ein Forum, das zum Nachdenken anregen, eingefahrene, verkrustete Denkstrukturen aufbrechen bzw. der bewusst lancierten Desorientierung des Denkapparats – besonders der Linken – entgegenwirken will. Hajos kurze Texte sollen dazu ihren Beitrag leisten. Die Neue Rheinische Zeitung bringt deshalb in loser Folge von ihm verfasste Leserbriefe und Kommentare, die bei den Angeschriebenen nur selten das Licht der Öffentlichkeit erblicken.


Wo bleibt die Forderung "NATO, Bundeswehr, Polizei-Ausbilder raus aus Afghanistan"?


Das sich als solches bezeichnende Grundrechtekomitee nennt in seinem einschlägigen Aufruf die Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan "Deportationen". Denn dies sei der 'international' gebräuchliche Begriff. Tatsächlich entspricht "deportation" dem deutschen Wort Abschiebung lediglich im Englischen. In den romanischen Sprachen heisst Abschiebung hingegen expulsion, espulsione, espulsao, expulzare. Entscheidend ist jedoch, dass im Deutschen das Wort "Deportation" etwas ganz anderes meint als Abschiebung, ja, fast schon das Gegenteil davon: Es meint nämlich die Wegnahme des angestammtem und die Zuweisung eines neuen Aufenthaltsorts, und zwar innerhalb des Machtbereichs des deportierenden Staates.

Dem ausgewiesenen bzw. abgeschobenen Asylanten aber wird sein angestammter Aufenthaltsort gerade nicht genommen, sondern er wird umgekehrt diesem wieder zugeführt. Und deutscher Machtbereich im Sinne, dass die deutsche Staatsmacht dort die entscheidende und den Abgeschobenen weiterhin effektiv beherrschende Macht wäre, ist Afghanistan trotz aller westlichen Besetzung, Entsouveränisierung und Marionettisierung des Landes keinesfalls.

Wenn dennoch mit dem Wort "Deportation" seitens der Abschiebungsgegner immer wieder jongliert wird, dann einzig um Emotionen zu erzeugen und zu desorientieren . Die Assoziation "Mit der Reichsbahn in den Tod" soll herbeibeschworen werden. Doch es ist eben nicht Getötetwerden oder sonstiges Umslebenkommen, was dem Abgeschobenen in Afghanistan wirklich droht, wenn er aus dem Flieger steigt, sondern ein Leben mit - zumal im Vergleich mit den Metropolen - sehr wenig Wohlstand.

Es droht ein Leben "ohne Perspektive", wie seinerzeit bereits die DDR-Ausreiser das schmerzhafte Fehlen von Geld umschrieben. Es droht ihm, kein westeuorpäisches Leben führen zu können, sondern nur ein afghanisches - innerhalb jener wirtschaftlich bescheidenen Bandbreite, innerhalb derer seine immerhin 35 Millionen Landsleute es auch tun.

Diese realistische Einschätzung, welche Gefahr einem Abgeschobenen in Afghanistan wirklich droht, wobei Ausnahmen auch hier die Regel bestätigen, heisst nun keineswegs, das Kriegsleid, das - egal ob unmittlbar durch Aktionen der Besatzer oder aber des Widerstands verursacht - letztlich durch den völkerrechtswidrigen NATO-Angriffskrieg und die nachfolgende Besetzung bedingt ist, zu vergessen oder geringzuschätzen.

Im Gegenteil, das vollständige Ende der nun schon 17 Jahre währenden Besetzung, eine nachhaltige DeNATOisierung und Resouveränisierung Afghanistens, ist erste und wichtigste Voraussetzung , damit die Menschen dort friedlicher und besser leben können. Und bei aller statistischen Kleinheit der Opferzahl im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße sind Tausende Kriegstote jährlich nicht nur vieltausendfaches extremes Leid, sondern auch ein vieltausendfaches NATO-Kriegsverbrechen.

NATO, BUNDESWEHR, POLIZEI-AUSBILDER RAUS AUS AFGHANISTAN - das müsste für ein Komitee, das sich den Grundrechten verschrieben hat, zu welchen allen voran ja das Recht auf Leben und das Recht auf Frieden gehören, eigentlich allerhöchste Priorität haben. Anders jedoch als bei den Abschiebe-Polizisten, die das Komitee nun gern von dem Einsatz dafür abhalten würde, dem Recht auch im Hinblick auf abgelehnte Asybewerber Geltung zu verschaffen, gibt es keinen Appell an die deutschen Polizisten, eine Teilnahme an der seit 2002 die unrechtmäßige NATO-Besetzung in Afghanistan unterstützenden polizeilichen Ausbildungs-'Mission' GPTT abzulehnen bzw. diese zu beenden.

Es scheint, hinsichtlich Afghanistan sieht es das Komitee - Völkerrechtswidrigkeit hin, Kriegsleid her - für das Wichtigste an, dass kein Scheinasylant in seine Heimat zurück muss, und dass der Migrationsfluss nach Deutschland ohne jegliche mindernde 'Störung' vonstatten geht.

Leserbrief zu einem Appell, den das Grundrechtekomitee anlässlich eines bevorstehenden Abschiebeflugs nach Afghanistan an die Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei richtete, junge Welt vom 24.4.2018, Seite 8, Rubrik "Abgeschrieben"


Die Klassenfrage zu stellen, hieße das Primat der nationalen Frage zu erkennen

Da macht die junge Welt eine serbische Lokal-Geschichte, nämlich die fast schon erledigte Diskussion um eine mögliche Rückbenennung der Stadt Zrenjanin, zu ihrem Seite-Drei-Aufmacher, und jW-Autor Marcel Zentel resümiert dazu, dass "der Geschichtsrevisionismus" in Serbien "immer skurrilere Formen" annehme.

Das verkündet ein Bürger des Landes, in dem es bereits im Juni 1990 kein Karl-Marx-Stadt mehr geben durfte - welches ja, außer dem kurzzeitigen Stalinstadt, die einzige je in Deutschland nach einem Sozialisten benannte Stadt gewesen war.

In Serbien hingegen gab es, bis 1989 die universelle antikommunistische und alsbald 1990/91 auch noch die spezielle antijugoslawische Katastrophe schließlich siegte, insgesamt vier nach Sozialisten benannte Städte, nämlich Titova Mitrovica, Svetozarevo, Zrenjanin und Dimitrovgrad - in Kroatien und Slowenien zusammen übrigens nur eine (Kardeljevo).

Aus Titova wurde dann wieder Kosovska Mitrovica und aus Svetozarevo. wieder Jagodina (nach Volksabstimmung), während Zrenjanin (ebenfalls nach Volksabstimmung 1992) und Dimitrovgrad bis zum heutigen Tag ihren Namen weitertragen.

Diese Unterschiedlichkeit ist typisch für Serbien : Zwar bestimmte auch dort ab 1990 der Antikommunismus Namensgebung, Symbolgebrauch und Geschichtsdeutung, aber längst nicht in dieser Beflissenheit und Totalität wie in anderen Teilen Jugoslawiens oder wie in den meisten anderen rückgewendeten Ländern Osteuropas.

So gibt es in Belgrad zwar seit langem keinen Marx-Engels-Platz, Lenin-Boulevard oder Bulevar Revolucije mehr, aber sehr wohl die Straßen der Pariser Kommune, der Roten Armee, der Spanien-Kämpfer, der Volkshelden (d.h der besonders verdienten Partisanenkämpfer), der Jugendbrigaden (der sozialistischen Aufbauprojekte nach der Befreiung 1945) und des Antifaschistischen Kampfes. Straßennamen, die man in Zagreb oder Ljubljana schwerlich findet.

Und jedes Jahr wird nicht nur die Befreiung Belgrads am 20. Oktober 1944 durch Partisanen und Rote Armee offiziell und groß gefeiert, was naheliegt, sondern etwa auch der Jahrestag des Beginns des Partisanenkampfs im Juli 1941 im Kosmaj-Gebirge bei Belgrad - in etwas kleinerem, aber sehr ansehnlichem Rahmen, und unter Beteiligung der Bürgermeister der Städte Mladenovac und Sopot, beide Vucics angeblich "rechter" Fortschrittspartei SNS angehörend. Wobei diese Feier im Kosmaj-Gebirge für viele andere derartiger Partisanen-Ehrungen in Serbien steht.

Da jedoch, wo dem Antikommunismus der fällige Tribut dann gezollt wurde, geschah dies meist ohne Eile, mitunter geradezu hinhaltend. So dauerte es bezeichnenderweise Jahre, bis auf den Nummernschildern serbischer und montenegrischer Autos das traditionelle rote Sternchen durch ein kleines Nationalfarben-Wappen peu a peu schließlich ausgetauscht war - im separatistischen Kroatien oder Slowenien völlig undenkbar!

Und beim Alten Palast, Sitz der Belgrader Stadtversammlung, wurde der rote Stern auf dem Turm gar erst 1996 ersetzt, von Zoran Djindjic, dem "ersten nicht-kommunistischen Bürgermeister Belgrads seit dem zweiten Weltkrieg" (Wikipedia) - durch einen serbischen Adler.

Dabei ist entgegen typisch westlicher Denke hier keineswegs das Nationalsymbol Adler das Schlimme, sondern der doppelte Mißbrauch des Adlers durch Djindjic - erstens als ergänzendes Täuschungswerkzeug bei einer antisozialistischen Propaganda-Aktion, und zweitens als ergänzendes Hilfsmittel zu einer (weiteren) Loyalitätsbekundung gegenüber seinen ebenfalls antisozialistischen westlichen Herren.

Die Geschichte von der "umgeschriebenen Geschichte" stimmt was Serbien betrifft also nur zum Teil. Zum anderen aber war und ist die bis 1990 geltende offizielle jugoslawische Geschichtsdeutung ja auch nicht sakrosankt, sondern bietet Grund zu deutlichen Ergänzungen und Korrekturen.

Etwa in Bezug auf die Rolle der von Draza Mihailovic befehligten, umgangssprachlich und ungenau als "Cetniks" bezeichneten, Jugoslawischen Armee im Vaterland (JVuO), der ersten bewaffneten Widerstandsorganisation im besetzten Europa. Bei all ihrer Zwiespältigkeit, bei all ihrem Schwanken und Taktieren zwischen Kollaboration und Widerstand, kann die JVuO nicht im mindesten mit den Nazi-Kettenhunden der Ustascha verglichen werden - wie dies jW-Autor Zentel aber nun ebenfalls macht.

Und die von Zentel missbilligten "Figuren aus der Monarchie", nach denen in der Tat häufig serbische Straßen benannt sind, waren gewiss Repräsentanten einer Klassenherrschaft, aber sie stehen eben auch für die nationale und politische Emanzipation der Serben, für das Zurückdrängen der 400 Jahre währenden osmanischen Fremdherrschaft, für die Abwehr des Habsburger Expansions- und Unterwerfungsdrangs, für eine Monarchie ohne von außen eingesetzte deutsche Blaublütler als Regenten (wie in anderen Balkan-Staaten), für den Widerstand gegen die österreichisch-deutsche Aggression von 1914ff., und schließlich - wobei hier die Engländer kräftig mithalfen - 1941 für das Nein Jugoslawiens zum Pakt mit Hitler.

Kurzum: diese Figuren aus der Monarchie stehen auch für die nationale Souveränität eines freien Landes, welches erst Serbien war und dann zu Jugoslawien wurde.

Heute ist dieses Land wieder zu Serbien geschrumpft und durch die Sanktionen der 1990er Jahre, die NATO-Bombenzerstörungen von 1999 und fortdauernd durch die seit dem Jahr 2000 betriebene Ausverkaufspolitik wirtschaftlich massiv geschwächt. Hierin liegt denn auch der wichtigste Grund, weshalb Serbien z.B. einen derart niedrigen Mindestlohn hat. Und nicht in der Korruption und Bürokratie, wie die westlichen Mentoren lehren.

Mit dem Sturz Milosevics und der Installierung eines prowestlichen Marionetten-Regimes im Oktober 2000 verlor das Land de facto dann auch weitgehend seine vorher jahrelang mit großer Mühe verteidigte nationale Souveränität. Es wurde zur Halbkolonie. Ohne dass Serbien nun aber seine volle nationale Souveränität wiedergewinnt, ohne dass also die nationale Frage gestellt und wirklich gelöst wird, wird es keine substanzielle Änderung der Wirtschaftspolitik und deshalb kaum eine wesentliche Verbesserung der ökonomischen Lage geben.

Und solange wird dann auch die soziale Frage, die Klassenfrage, zwar gestellt, aber nicht wirklich gelöst werden können. Es ist imgrunde wie bei einer herkömmlichen Kolonie: Dort die Klassenfrage ernsthaft zu stellen, heisst das Primat der nationalen Frage zu erkennen. Und diese ist dann auch das wichtigste Kriterium zur Einordnung des politischen Spektrum Serbiens.

Präsident Vucics zentristische Fortschrittspartei SNS pauschal als "rechts" sprich als Feind zu verorten, wie es die junge Welt macht, ist insofern eindeutig daneben. Vucic ist zwar widersprüchlich und inkonsequent, aber immerhin schwächt seine Politik enger Beziehungen mit Russland und China die erdrückende westliche Oberherrschaft in Serbien wenigstens etwas ab und verbessert tendenziell die Bedingungen zur Rückgewinnung der nationalen Souveränität.

Noch mehr daneben aber ist, "nationalistische Rhetorik", ja selbst noch den nationalen Zusammenhalt Serbiens als für das Stellen der sozialen und System-Frage schädlich hinzustellen, weil gewissermaßen das Volk vom Klassenkampf abhaltend, wie jW-Autor Zentel argumentiert. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Ohne nationalen Diskurs, Zusammenhalt und Konsens keine Wiedergewinnung der nationalen Souveränität, und ohne diese dann auch keine Lösung der sozialen Frage.

Gewiss gibt es in den von Zentel pauschal denunzierten "nationalen Erzählungen" Serbiens auch Vereinfachungen und Verirrungen, doch prinzipiell sind sie nicht das Problem, im Gegenteil: Das wirklich Üble in der Halbkolonie Serbien sind die antinational intendierten Erzählungen, sind die Hardcore-Kostgänger des Westens, sind die gleichermaßen anti-patriotischen wie antikommunistischen Parteien DS, LDP, SDS, SPO oder LSV, und natürlich auch die Dutzenden von einschlägigen 'NGO's oder besser FGOs (Foreign Governments' Organisations).

Leserbrief zum Artikel "Umgeschriebene Geschichte" von Marcel Zentel, junge Welt vom 25.4.2018, Seite 3, Rubrik "Schwerpunkt"

Online-Flyer Nr. 657  vom 02.05.2018

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