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Aktueller Online-Flyer vom 10. Oktober 2024  

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Inland
Anlässlich der Auseinandersetzung um die Verleihung des Kölner Karlspreises für Engagierte Literatur und Publizistik an Ken Jebsen
Über Ken Jebsen
Von Klaus Linder

Was mich an diesem Jebsen als erstes zu beschäftigen begann, war eigentlich nichts Politisches - ich war damals sowieso der Meinung, dass kommunistische Bündnispolitik gebietet, den "Friedenswinter" zu unterstützen und dabei gegebenenfalls die untragbaren und /oder demagogischen Kräfte nach und nach zu isolieren und rauszudrängen; der ganze Jebsen-Hype erschien mir immer nur als eine Nebelkerze am Rande des eigentlichen Scharmützels - , was mich also viel mehr beschäftigte, war der Mann als "kulturelle Erscheinung". Wir haben hier den Fall eines Profi-Medienmannes der sozusagen schon mit einem Mikrophon vor dem Mund auf die Welt gekommen ist. Er schreibt nicht. Er gehört nicht zu den Amphibien, die sich in Wort und Schrift gleich frei bewegen können. Er spricht. Er verkörpert in einer "Reinkultur", die es vorher kaum gab, einen, der nur auf oraler Kommunikation, auf Sprechbasis arbeitet - und zwar fast nie, ohne dass die entsprechenden Geräte technischer Reproduktion in seiner Nähe angeschaltet sind. Das ist an sich weder etwas Gutes noch etwas Schlechtes.

Diejenigen, die am hartnäckigsten den Auftrag erfüllen, ihm das ganze "Querfront"-, "Antisemitismus"- und sonstige Gedöns anzuhängen, sind das genaue Gegenteil: Berufsschreiberlinge, mitunter verkrachte akademische Existenzen, die sich durchschlagen müssen, indem sie sich irgendwo als mehr oder weniger edle Lohnfedern verdingen. Sie tun das übrigens meistens mit der ganzen schnöselhaften Überheblichkeit des Schriftgelehrten gegenüber denen, die "nur sprechen" können. Sie sollten lieber mal über den Klassencharakter von Schriftkultur nachdenken.

Für jemanden wie mich, das andere Extrem, der inzwischen sogar Symphonien häufiger liest als hört, hatte dieser zugespitzte "Oralstil" zur Folge, dass ich angesichts der Jebsenschen Dauerstaccato-Beschallung zunächst mal schlicht und einfach nicht folgen konnte. Außerdem haben eingestreute Aufforderungen a la "Nur du kannst selber denken, traue niemand" meine militante Abneigung gegen jeden Max-Stirnerismus geweckt. Aber eben diese Aufforderung zum Selberdenken steht keineswegs im Widerspruch zu Kants Grundbestimmung von Aufklärung als "Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit". Das begann sich für mich erst auszubalancieren, als Jebsen dazu überging, sehr, sehr gute Interviews mit sehr, sehr guten Partnern zu machen (Leukefeld, Rupp u.a.). Da merkte man dann auch, daß er, wenn nicht schreiben so doch dafür umso besser zuhören kann.

Wenn so einer nun schreibt anstatt zu sprechen, also seinen eigenen Bereich verlässt, dann purzeln die Wörter mit einer syntaktischen Lockerheit übereinander, die für Lesende befremdlich mehrdeutig wirkt. Es ist bei der Anti-Jebsen-Kampagne durchaus auch ein Kampf der Schriftkultur gegen die Sprechkultur im Spiel. Das sieht man schon daran, dass diese Kampagnen sich auf die wenigen seiner schriftlichen Äußerungen stürzen, deren sie habhaft werden können, - so zum Beispiel jene weitergeleitete email, die dann geradezu einen ganzen Gewerbezweig der Anti-Jebsen-Philologie inspirierte, von Broder über Storz, Carlens, Ditfurth, Bratanovic bis Lederer und wie sie alle heißen.

Aus dieser Sündenfall-email kursiert heute etwa diese Fassung: "Jebsen hatte in einer Mail geschrieben, er wisse, wer den Holocaust als PR erfunden und wie Goebbels die entsprechenden Kampagnen umgesetzt habe". Außerdem verweist Jebsen auf das Buch über Propaganda-Technik von Bernays.

Ich nehme das gar nicht erst gegen Antisemitismusvorwürfe in Schutz, weil diese einfach zu blöd sind.

Aber was teilt Jebsen eigentlich mit in seiner Gedankenstenographie? Selbstverständlich haben die Nazis Bernays studiert. Vor allem aber weist er doch das "Bona Fide Argument" zurück, also das Märchen, dass die ranghöchsten Nazi-Ideologen sich in tragische Irrtümer gestürzt hätten, weil sie ihren Rassenquatsch tatsächlich selber geglaubt hätten. Er sagt doch nichts anderes, als dass die Nazis sich hier kühl kalkulierend eine Propagandakampagne anhand recht willkürlich herausgegriffenen Materials zusammengeschustert haben. Und was soll daran fortschrittlich sein zu glauben, die ganze antijüdische Kampagne der Nazis sei jemals etwas anderes gewesen? Faschismus lässt sich nun mal nicht über Ideologie definieren.

Genau dasselbe sagt einer, der sich schriftlich so gut ausdrücken konnte, dass ihm selbst der böswilligste Trottel keinen "strukturellen usw. Antisemitismus" anhängen konnte, nämlich Georg Lukacs (Die Zerstörung der Vernunft III, S. 160ff.):

"Die Ideologie Hitlers ist nichts weiter als ein äußerst geschicktes Ausnützen dieser Konstellation (...) Hitler äußerte sich über diese Frage folgendermaßen: 'Ich weiß genau ... , dass im wissenschaftlichen Sinn nichts Derartiges wie Rasse existiert... Ich als Politiker brauche eine Konzeption, die es möglich macht, die bisherigen historischen Grundlagen zu vernichten und an ihre Stelle eine vollständig neue antihistorische Ordnung zu setzen und dieser eine intellektuelle Basis zu geben.' Es ist hier deutlich, dass für Hitler in der Rassentheorie nur ein ideologischer Vorwand gefunden wurde, um die Eroberung und Unterjochung ganz Europas, die nationale Vernichtung der europäischen Völker vor den Massen anziehend und plausibel zu machen. (...) Hitlers 'Originalität' besteht darin, dass er als erster die amerikanische Reklametechnik auf deutsche Politik und Propaganda angewandt hat."

Genau das wollte Jebsen offenbar auch sagen. Worauf Broder, der ein ausgeprägtes politisches Interesse an der ahistorischen Irrationalisierung des Antisemitismus-Begriffs hat, intervenierte. Wenn man mich fragt, wer von beiden der Faschisierung Vorschub leistet, ist meine Antwort: Nicht Jebsen.

Online-Flyer Nr. 639  vom 29.11.2017

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