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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Krieg und Frieden
Verfügbarkeit von Schusswaffen einschränken
Schutz vor Waffengewalt
Von Heinrich Frei

Der neue Bundesrat Ignazio Cassis wurde kurz vor seiner Wahl als Bundesrat Mitglied der Waffenlobby Organisation Pro Tell. Jetzt ist er bei Pro Tell zurückgetreten. Hoffentlich unterstützt Cassis nun den Vorschlag des Bundesrates in der Schweiz, die moderate EU-Waffenrichtlinie umzusetzen. Im März verabschiedete das EU-Parlament nämlich eine Richtlinie zur Verschärfung des Waffenrechts. Die Schweiz muss als Schengen-Mitglied dabei mitziehen. Pro Tell will jetzt gegen diese Verschärfung des Waffenrechtes, die Bern vorgeschlagen hat, das Referendum ergreifen. Zu einer Volksabstimmung bei einem Referendum in der Schweiz kommt es, wenn dies mindestens 50 000 Stimmberechtigte oder acht Kantone innerhalb von 100 Tagen verlangt haben. Zur Annahme einer derartigen Vorlage genügt das Volksmehr.

Eigentlich ist diese EU-Waffenrichtlinie, wie sie in der Schweiz umgesetzt werden soll, viel zu wenig streng. Auch Sportschützen und Waffensammler dürfen weiterhin halbautomatische Waffen besitzen, die von der EU-Richtlinie erfasst sind. Soldaten können ihre Waffe weiterhin nach Hause nehmen. Wer die Ordonanzwaffe nach Beendigung des Militärdienstes behalten möchte, kann das weiterhin tun. (1) 

PRO TELL wehrt sich gegen Einschränkungen des Waffenbesitzes


Auf der PRO TELL Website ist zu lesen: «Die Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht wurde im 1978 gegründet und wahrt überparteilich die Interessen aller Waffen besitzenden und Waffen tragenden Bürgerinnen und Bürger. Sie setzt sich gegen jeglichen Missbrauch von Waffen ein und unterstützt den Kampf gegen die Waffenkriminalität. PRO TELL wehrt sich gegen Einschränkungen des Waffenbesitzes der verantwortungsbewussten Bürgerinnen und Bürger und tat dies bisher mit Erfolg". (2)


Logo der Waffenlobby-Organisation PRO TELL in der Schweiz

Schweiz: eine der weltweit höchsten Waffenbesitz-Quoten

Wer in der Schweiz eine Schusswaffe erwerben will, muss bei der Kantonspolizei ein Gesuch stellen. Eine Umfrage von swissinfo.ch zeigt, dass die Anzahl der Anträge im letzten Jahr (2015) in fast allen Kantonen gestiegen ist.

Die Schweiz hat wegen ihrer Milizarmee eine der weltweit höchsten Waffenbesitz-Quoten. Das Verteidigungsministerium schätzt, dass bei einer Bevölkerung von 8,3 Millionen Personen rund zwei Millionen private Schusswaffen zirkulierten. (3)

Strenges Waffenrecht dient der Gewaltprävention

Viele Suizide sind darauf zurückzuführen, dass Schusswaffen so leicht verfügbar sind. Mit diesen Waffen werden auch immer wieder Angehörige bedroht oder sogar getötet, die Täter sind oft psychisch krank. Auch bei vielen Überfällen, etwa auf Tankstellenshops in der Schweiz nachts, werden Pistolen und Revolver eingesetzt, wie in Polizeiinformationen einsehbar ist.

Suizidrate und leichte Verfügbarkeit von Feuerwaffen

Immer wieder wird zwar behauptet es bestehe keinen «Zusammenhang zwischen Suizidrate und Waffenbesitz». Es wird argumentiert, man müsse den wirklichen Ursachen von Gewalt und Suiziden nachgehen: Erziehungsfragen, dem Alkohol-, Medikamenten- und Drogenmissbrauch und vor allem Lebensproblemen, Arbeitslosigkeit, Armut, Ausgrenzung, die Menschen verzweifeln lassen. Suizide haben sicher viele Ursachen, aber die vielen Schusswaffen in Schweizer Haushalten führen immer wieder zu Selbstmorden mit Armeewaffen, wie viele von uns in ihrem Bekannten- und Freundeskreis erlebt haben.

Ein Architekt mit dem ich mehrere Jahre zu tun hatte: 38 Jahre alt, verheiratet. Offizier der Schweizer Armee. Er hatte fünf Kinder. Er erschießt sich mit seiner Armeepistole. Depressionen? Probleme in seinem Unternehmen?

Die Erhebung der Suizidrate mit Feuerwaffen in einer älteren Suizidstudie zeigte, dass Finnland mit je 7,9 Fällen auf 100‘000 Einwohner, und die Schweiz mit ebenfalls mit 7,9, an der Spitze in Europa stehen, in der Altersgruppe von 15-24 Jahren. In Finnland bringen sich 28% der Männer in diesem Alter mit Feuerwaffen um. In der Schweiz laut dieser Studie sind es sogar 43,6%. Im Gebrauch von Feuerwaffen, für den so genannten Freitod, weisen die Schweiz und Finnland in der Altersgruppe von 15-24 Jahren die gleichen Verhältnisse wie die Vereinigten Staaten auf, wird in der Untersuchung erwähnt. In Finnland sind Feuerwaffen leicht verfügbar, in 40 bis 50 Prozent aller Haushalte finden sich Schießeisen. Die ähnlich hohe Suizidrate mit Feuerwaffen in der Schweiz wie in Finnland, korrespondiert ebenfalls mit der ebenfalls sehr leichten Verfügbarkeit von Gewehren und Pistolen. (4)


Suizide in der Schweiz nach Methode, Mittelwert 2004-2006, Grafik Pro Juventute (5)

Mit der Feuerwaffe Ordnung schaffen

Sozialarbeiter und Ärzte haben auch mit Männern zu tun die entlassen wurden oder sich am Arbeitsplatz ungerecht behandelt fühlen, die dann ausrasten und wutentbrannt drohen, sie würden hingehen und «dort einmal Ordnung schaffen» – Dazu eine Ärztin, eine Psychotherapeutin: «Das ist dann nicht mehr so harmlos, wenn jemand in einem solchen Zustand eine Feuerwaffe zu Hause hat. Man weiß dann nie was im Affekt passieren kann. Mit einer Waffe geht das blitzschnell. Wenn jemand mit den Fäusten dreinschlägt, geht das ein weniger langsamer und dann passiert auch nicht so viel.»

Weltweit sterben pro Jahr mehr als 500'000 Menschen durch Gewehrkugeln

Jährlich sterben weltweit mehr als 500'000 Menschen durch Gewehrkugeln von Feuerwaffen, jede Minute ein Mensch, nicht nur in Kriegsgebieten…

27. September 2001: Leibacher erschießt im Zuger Kantonsrat 14 Menschen

Am 27. September 2001 hatte Friederich Leibacher im Zuger Kantonsrat 14 Menschen erschossen und 15 weitere zum Teil lebensgefährlich verletzt. Leibacher hatte seine Waffen legal gekauft: Die Repetierflinte Marke Remington, privat im Kanton Bern, das Selbstladegewehr, Marke SIG, im Kanton Zürich ebenfalls privat. Die Selbstladepistole, Marke SIG Sauer, hatte er mit Waffenerwerbsschein inklusiv Munition im Fachhandel im Kanton Zug erstanden. In seinem Personenwagen, den er vor dem Parlamentsgebäude parkierte, ließ er einen Trommelrevolver Marke Smith & Wesson zurück. Dieses Schießeisen hatte er ebenfalls legal im Fachhandel gekauft. Zu Hause verfügte Leibacher noch über zwei weitere Pistolen, ebenfalls legal erworben mit Waffenerwerbsschein. Mit einer dieser Pistole hatte er bereits am 17. Oktober 1998 in einem Lokal in Baar einen Chauffeur der Zuger Verkehrsbetriebe bedroht. (6)

Leider wurden nach dem Massenmord in Zug zu wenige griffige Maßnahmen ergriffen im Waffenselbstbedienungsladen Schweiz. Auch heute kann man sich hier ganz legal mit Schusswaffen und Munition eindecken. «In kaum einem anderen Land ist es so einfach, eine Waffe zu erwerben», schrieb 2003 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement. Weiter wurde von dieser Behörde in dieser Stellungnahme festgestellt: «Immer wieder staunt die Polizei über Fälle, wo bei Privatpersonen große Mengen von Waffen mit dazugehöriger Munition entdeckt werden.»

Zwei Millionen Waffen in der Schweiz

2011 wurde «von einer Gesamtzahl von um die zwei Millionen Waffen ausgegangen, wovon mehr als die Hälfte ehemalige (rund 900'000) und aktuelle (rund 260'000) Armeewaffen sind. In den kantonalen Informationssystemen sind etwa 600'000 Waffen registriert. Somit ist davon auszugehen, dass etwa 240'000 nicht registriert sind.» (7)

27. November 2007: Soldat erschießt an einer Bushaltestelle ein 16-jähriges Mädchen


Am 27. November 2007 erschoss ein Soldat, der gerade aus der Rekrutenschule nach Hause kam, an der Bushaltestelle auf dem Hönggerberg in Zürich ein 16-jähriges Mädchen mit seinem Sturmgewehr. Er lernte in der Armee das Töten. Es ist eigentlich erstaunlich, dass nach der Rekrutenschule nicht noch mehr solche Unglücke passieren wie auf dem Hönggerberg. Im Militärdienst lernen junge Männer Menschen umzubringen. Zum Beispiel bei so genannten Feuerüberfällen: Der Feind wird geortet. Man pirscht sich heran. Nichts ahnend, müde, lagern die feindlichen Soldaten in einer Lichtung. – Vor fünfzig Jahren war es natürlich feindliche Russen. – Auf Kommando wird dann aus allen Rohren auf die Gruppe geschossen und noch Handgranaten in die Gruppe geworfen. Alle sind tot. Der Auftrag ist erfüllt, der Feind wurde liquidiert. Zu Tode gekommen sind junge, unbekannte Männer, die im Feindesland eingezogen wurden, um im fremden Land militärisch den «Frieden zu sichern», wie ihnen erzählt wurde. Oder es waren Terroristen, Guerillas, die vielleicht auch schon als Jugendliche zwangsrekrutiert wurden, um «für die Freiheit und für eine gerechte Welt» zu kämpfen. Der Mensch ist von Natur aus mehr oder weniger ein friedliches Wesen. Er hat Tötungshemmungen, die ihm im Militär abtrainiert werden müssen, sonst ist er als Soldat nicht brauchbar.



"Armeewaffen ins Zeughaus!": 2007 erschoss hier in der Nähe auf dem Hönggerberg in Zürich ein Soldat mit seinem Sturmgewehr ein 16-jähriges Mädchen. Die Schrift an der Betonwand wurde inzwischen entfernt. Die Wand ist jetzt von Efeu überwachsen. (Foto: Heinrich Frei)


Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» wurde 2007 abgelehnt

Die eidgenössische Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» war eine schweizerische Volksinitiative, die 2007 verschiedene Organisationen lancierten und über die am 13. Februar 2011 abgestimmt wurde. Die Initiative wurde mit 56,3 % Nein-Stimmen abgelehnt. Dieses Volksbegehren wollte den Artikel 107 der Bundesverfassung Waffen und Kriegsmaterial streichen und einen neuen Artikel 118a Schutz vor Waffengewalt schaffen, der den Waffenbesitz eingeschränkt hätte. Dies hätte dann in der Folge eine Revision des Waffengesetzes erfordert.

Sechs der 26 Kantone (die französischsprachigen Kantone Genf, Waadt, Jura und Neuenburg sowie die beiden deutschsprachigen Kantone Basel-Stadt und Zürich) waren mehrheitlich für die Vorlage. Die Stimmbeteiligung lag bei verhältnismäßig hohen 48,8 Prozent. (8) Nach der Ablehnung dieser Volksinitiative kam es immerhin in der Folge zu gewissen Verschärfungen des Waffenrechtes in der Schweiz und zu Kampagnen zur Einsammlung von Schusswaffen.


Fußnoten

(1) EU-Waffenrichtlinie – Bundesrat will pragmatische Umsetzung, https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-67075.html
(2) https://www.protell.ch/de/
(3) https://www.swissinfo.ch/ger/wirtschaft/umfrage_mehr-bewilligungen-fuer-schusswaffen/42067904
(4) Das „Journal of Affective Disorders (2008)“ veröffentlichte eine Suizid-Studie einer grossen internationalen Arbeitsgruppe über die Suizide von jungen Menschen in 15 europäischen Staaten. (Värnik, A., et al., Gender issues in suicide rates, trends and methods among youths aged 15–24 in 15 European Countries)
(5) https://www.projuventute.ch/fileadmin/kundendaten/projuventute/tv-spot/studien/Suizid_und_Suizidversuch_OBSAN_2009.pdf
(6) aus dem Schlussbericht Sept./Okt. 03, Untersuchungsrichteramt Zug zum Attentat vom 27.9.01, zitiert aus dem „Vademekum Waffenregister“ www.friedensrat.ch) http://www.friedensrat.ch/kleinwaffen/uploads/media/vademekum.pdf
(7) Fragen und Antworten: Volksinitiative «Für den Schutz vor Waffengewalt»
https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/abstimmungen/2011-02-13/faq.html
(8) https://de.wikipedia.org/wiki/Eidgen%C3%B6ssische_Volksinitiative_%C2%ABF%C3%BCr_den_Schutz_vor_Waffengewalt%C2%BB

Online-Flyer Nr. 634  vom 25.10.2017

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