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Wirtschaft und Umwelt
Versuchs-Kernkraftwerk Kahl am Main und was daraus folgt
Stete Täuschung
Von Karl C. Fischer

Am 09.06.2017 war in einer TV-Dokumentation zum Thema hochradioaktiver Müll (im Gegensatz zu radioaktivem Müll) zu erfahren, dass das Versuchs-Kernkraftwerk Kahl am Main (Nähe Hanau), das erste Kernkraftwerk auf deutschem Boden war – was mir natürlich seit Jahrzehnten bekannt ist. Was ich dann aber in der Doku auch hörte, war die Information, dass das KKW Kahl 1986 nach ca. 25 Jahren Laufzeit, in denen es übrigens dort auch gravierende Pannen gab, vom Netz ging. In dieser Zeit aber wurde kein Gramm hochradioaktiver Müll aus dem KKW Kahl sicher entsorgt und liegt nun etwa ein viertel Jahrhundert lang in so genannten Abklingbecken oder in bleiverglasten Behältern.

Stilllegung erst nach Jahrhunderten?

Da aber ein korrekter Abriss des KKW Kahl – fachlich Rückbau genannt – vermutlich weitere Jahre und riesige Summen kosten dürfte, scheint es verständlich zu sein, dass die Stilllegung der weiteren, ca. 15 noch nicht wirklich abgeschalteten deutschen KKWs (die erst 2022 endgültig nicht mehr laufen dürfen) erst nach Jahrhunderten festzustehen scheint – falls es zu der Vorgehensweise wie beim KKW Kahl käme.

Diese Formulierung soll heißen, dass es einen gravierenden Unterschied zwischen hochradioaktivem und radioaktivem Müll gibt, während die Medien meist nur über radioaktiven Müll berichten, der im Gegensatz zu hochradioaktivem Müll relativ ungefährlich für Mensch und Natur ist und kürzere Abklingzeiten braucht.

Da es aber weltweit kein funktionierendes Modell und auch kein Konzept für die Endlagerung von hochradioaktivem Müll gibt, wird der gravierende Unterschied zwischen dem einen und dem anderen Abfall nur selten richtig gestellt, zumal sich die meisten Berichterstatter damit schwer tun.

Genauso geht es mit der Geschichte der Atomtechnik, die ja die eigentliche Ursache für das Problem mit der Endlagerung von hochradioaktivem Müll ist.

Daher die oft verschwiegene Tatsache, dass die militärische Anwendung der Kernkraft (u.a. Bomben) und die so genannte friedliche Atomenergie (die in KKWs erzeugt wird) beide stets größte Gefahren für Milliarden von Menschen während Tausenden von Jahren bedeutet. Denn beide hinterlassen seit etwa 1950 Tausende von Tonnen ungenutzten hochradioaktiven Müll auf unserem Planeten, weil der Abfall immer noch nicht entsorgt werden kann.

Vom US-Militär zugunsten der schlimmsten aller Waffen missbraucht

Blickt man nun in die 1940er Jahre zurück, kann nachgewiesen werden, dass zwischen 1940 und 1955 viele namhafte Atomwissenschaftler, Mathematiker und Chemiker ahnten – neben ihrer Arbeit an den Uran- und der Wasserstoffbomben –, dass sie und ihr Wissen vor allem vom US-Militär zugunsten der schlimmsten aller Waffen missbraucht wurden. Damit begannen sich diese Forscher besonders kritisch gegenüber der Nukleartechnik zu verhalten, wobei die Bevölkerungen nicht das Geringste über diese zu damaliger Zeit schwersten Konflikte zwischen der Wissenschaft, dem Staat, dem Militär und den wirtschaftlich Mächtigen erfuhren.

Vor allem aus dem Grund propagierte nun das Militär und die wirtschaftlichen Eliten, die so genannte friedliche Kernkraft, obwohl schon zu Beginn der Kernforschung (1938 Otto Hahn und 1942 Enrico Fermi) zum Teil bekannt war, dass diese zu teuer und zu gefährlich war, um materiellen Gewinn zu erzielen.

So entwickelten US-Generäle die These, die militärische Nutzung der Atomkraft sei nur im schlimmsten aller Verteidigungsfälle anzuwenden, während die so genannte friedliche Kernkraft unter allen Umständen staatlich gefördert werden müsse – was am Ende zu Lasten Bevölkerungen ginge.

Diese These wurde im Laufe der 1950er Jahre von Kernphysikern, Chemikern, Mathematikern und Philosophen vertreten und vom Militär und den Kraftwerks-Betreibern genutzt. Nun entschieden sich die staatlichen Einrichtungen, die so genannte friedliche Kernkraft in den KKWs zu fördern. Das bedeutete, dass den Steuerzahlern bzw. Endverbrauchern zum Teil die Nuklearforschung, der Bau, der Betrieb und der Abriss der Kernkraftwerke im Endeffekt aufgebürdet wurden, wobei sie auch noch für den Strom aus KKWs berappen müssen – wenn die Bevölkerungen keinen Widerstand gegen diese Machart aufbringen.

All das ist seit 1960 (Robert Jungk) unter atomkritischen Fachleuten bekannt, so dass die Atomwissenschaft und die wirtschaftlichen Eliten sich einer völlig neuen Machtkonstellation gegenüber allen Menschen bedienen, zumal diese nicht mehr durch Abwahl oder Strafe der Verantwortlichen abgestellt werden.

Widerstand an den falschen Stellen

Falls man vor dem Hintergrund der wenigen obigen Fakten (von vielen) hinzunimmt, dass nur einige hundert Kilometer von der Rheinmetropole entfernt, im Reaktorblock eines belgischen KKWs Hunderte von Risse entdeckt wurden, während sich die Betreiber von deutschen Atomkraftwerken nach einem für sie vorteilhaften höchstrichterlichen Urteil erlauben könnten, sich in theoretisch verantwortliche und nicht verantwortliche Schwesterunternehmen aufzuspalten, muss man feststellen, dass auch die schärfsten Gegner der Nukleartechnik an den falschen Stellen Widerstand leisten. Gute Aussichten oder?

Online-Flyer Nr. 620  vom 05.07.2017

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