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Literatur
Aus den "Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers" (3)
Liebe deinen nächsten Soldaten
Von Erasmus Schöfer
Die Studentin Joan G. aus dem Priesterseminar wollte diesmal den Tag der Streitkräfte nicht unbehelligt verstreichen lassen. Jedes Jahr wurde der auf dem nahen Militärstützpunkt mit viel Trara und schimmernder Wehr aufgeführt, um als Werbeveranstaltung die Bürger von Amerikas Stärke zu überzeugen und dumme Jungs und Mädels in die Armee zu verführen. Sie zog sich einen selbst orange gefärbten Overall an wie ihn die Gefangenen in Guantanamo tragen mussten und ließ sich am Morgen kurz vor der Öffnung des Militärgeländes von ihrer Freundin an dem Rondell vor der Einfahrt absetzen. An dem Fahnenmast mit dem Union Jack auf dem Rondell kettete sie sich mit zwei stählernen Fahrradschlössern mit Hals und einem Fuß an dem Mast fest und begann, sobald die ersten Besucher vorbeikamen, laut zu rufen: No more Abu Graib! Close Guantanamo! Free the prisoners! Die Militärfans zeigten ihr einen Vogel oder den Stinkefinger, schüttelten die Köpfe.
Sie hatte sich für den Tag mit einer Flasche Wasser, Studentenfutter und für den Notfall mit einer Windel versorgt, um den Tag über aushalten zu können. Es war aber keine Viertelstunde vergangen, als ein Truck und ein Pickup voller GIs angebraust kamen, die Männer absprangen und einen Kreis von Leibern um sie bildeten, so dass sie dahinter verschwand. Als sie nun noch lauter ihre Appelle schrie, begannen die Soldaten die Nationalhymne zu singen, zwei von ihnen packten sie, sie schlug um sich, aber sie banden ihr mit Panzerband die Hände auf den Rücken und klebten ihr den Kopf damit bis auf einen kleinen Atemspalt zu. Sie hörte eine Spraydose zischen und plötzlich wurde das Schloss an ihrem Hals eiskalt und sie schlugen mit einem Hammer darauf, bis es zerbrach. Fast erwürgt wurde sie dabei. Dasselbe mit dem zweiten Schloss. Auch ihre Füße wurden mit dem Band gefesselt. Alles wortlos.
Zwei der Männer packten sie und verfrachteten sie auf den Pickup und fuhren mit ihr davon. Sie hatte wahnsinnige Angst, was geschehen würde. Als die anhielten, sie auf den Boden legten, anscheinend an einem Wald, fürchtete sie eine Vergewaltigung. Sie spürte eine warme Flüssigkeit auf ihrem Gesicht. Gleich darauf noch einen zweiten Strahl. Immer noch schweigend pissten die Beiden sie voll und lachten, ehe sie abfuhren.
Ekel und Scham erfüllten sie. Hass auch. Sie konnte weder aufstehn, noch ihre Hände befreien. Erst nach einer endlosen Zeit hilflosen Liegens gelang es ihr bei einem neuen Versuch, das Band so zu dehnen, dass sie ihre Hand frei bekam und dann auch die andre, das Gesicht und die Füße. Sie befand sich hinter Büschen an einem Sandweg, den sie einschlug, nachdem sie den verpissten stinkenden Overall weggeschmissen hatte. In Shorts und T-Shirt fand sie sich, tief gedemütigt und verzweifelt, zurück unter Menschen und wusste nicht mehr, ob sie diese Männer noch lieben könne, wie Jesus ihr empfohlen hatte. Auch eine Anzeige gegen die Unbekannten aus der Militärbasis war aussichtslos. Statt dessen nahm sie sich vor, Militärgeistliche zu werden, um so viele Militärs wie möglich von ihrer mörderischen Verblendung zu heilen.
Erasmus Schöfer
Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers
Taschenbuch, 144 Seiten, 12 Euro
Verbrecher Verlag Berlin, 2016
Erasmus Schöfer, am 4. Juni 1931 bei Berlin geboren, lebt in Köln. Er war Mitbegründer und Vorsitzender des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt und ist Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums. Seit seiner Promotion über »Die Sprache Heideggers« (1962) veröffentlichte er zahlreiche literarische und publizistische Arbeiten. Für seine hochgelobte Romantetralogie »Die Kinder des Sisyfos« erhielt Erasmus Schöfer im Jahr 2008 den Gustav-Regler-Preis. Zuletzt erschienen: »Diesseits von Gut und Böse. Beiträge fürs Feuilleton« (2011), »Na hörn Sie mal! Sechs ausgewählte Funkstücke« (2012) und »Schriftsteller im Kollektiv. Texte und Briefe zum Werkkreis Literatur der Arbeitswelt« (2014).
Online-Flyer Nr. 614 vom 24.05.2017
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Aus den "Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers" (3)
Liebe deinen nächsten Soldaten
Von Erasmus Schöfer
Die Studentin Joan G. aus dem Priesterseminar wollte diesmal den Tag der Streitkräfte nicht unbehelligt verstreichen lassen. Jedes Jahr wurde der auf dem nahen Militärstützpunkt mit viel Trara und schimmernder Wehr aufgeführt, um als Werbeveranstaltung die Bürger von Amerikas Stärke zu überzeugen und dumme Jungs und Mädels in die Armee zu verführen. Sie zog sich einen selbst orange gefärbten Overall an wie ihn die Gefangenen in Guantanamo tragen mussten und ließ sich am Morgen kurz vor der Öffnung des Militärgeländes von ihrer Freundin an dem Rondell vor der Einfahrt absetzen. An dem Fahnenmast mit dem Union Jack auf dem Rondell kettete sie sich mit zwei stählernen Fahrradschlössern mit Hals und einem Fuß an dem Mast fest und begann, sobald die ersten Besucher vorbeikamen, laut zu rufen: No more Abu Graib! Close Guantanamo! Free the prisoners! Die Militärfans zeigten ihr einen Vogel oder den Stinkefinger, schüttelten die Köpfe.
Sie hatte sich für den Tag mit einer Flasche Wasser, Studentenfutter und für den Notfall mit einer Windel versorgt, um den Tag über aushalten zu können. Es war aber keine Viertelstunde vergangen, als ein Truck und ein Pickup voller GIs angebraust kamen, die Männer absprangen und einen Kreis von Leibern um sie bildeten, so dass sie dahinter verschwand. Als sie nun noch lauter ihre Appelle schrie, begannen die Soldaten die Nationalhymne zu singen, zwei von ihnen packten sie, sie schlug um sich, aber sie banden ihr mit Panzerband die Hände auf den Rücken und klebten ihr den Kopf damit bis auf einen kleinen Atemspalt zu. Sie hörte eine Spraydose zischen und plötzlich wurde das Schloss an ihrem Hals eiskalt und sie schlugen mit einem Hammer darauf, bis es zerbrach. Fast erwürgt wurde sie dabei. Dasselbe mit dem zweiten Schloss. Auch ihre Füße wurden mit dem Band gefesselt. Alles wortlos.
Zwei der Männer packten sie und verfrachteten sie auf den Pickup und fuhren mit ihr davon. Sie hatte wahnsinnige Angst, was geschehen würde. Als die anhielten, sie auf den Boden legten, anscheinend an einem Wald, fürchtete sie eine Vergewaltigung. Sie spürte eine warme Flüssigkeit auf ihrem Gesicht. Gleich darauf noch einen zweiten Strahl. Immer noch schweigend pissten die Beiden sie voll und lachten, ehe sie abfuhren.
Ekel und Scham erfüllten sie. Hass auch. Sie konnte weder aufstehn, noch ihre Hände befreien. Erst nach einer endlosen Zeit hilflosen Liegens gelang es ihr bei einem neuen Versuch, das Band so zu dehnen, dass sie ihre Hand frei bekam und dann auch die andre, das Gesicht und die Füße. Sie befand sich hinter Büschen an einem Sandweg, den sie einschlug, nachdem sie den verpissten stinkenden Overall weggeschmissen hatte. In Shorts und T-Shirt fand sie sich, tief gedemütigt und verzweifelt, zurück unter Menschen und wusste nicht mehr, ob sie diese Männer noch lieben könne, wie Jesus ihr empfohlen hatte. Auch eine Anzeige gegen die Unbekannten aus der Militärbasis war aussichtslos. Statt dessen nahm sie sich vor, Militärgeistliche zu werden, um so viele Militärs wie möglich von ihrer mörderischen Verblendung zu heilen.
Erasmus Schöfer
Kalendergeschichten des rheinischen Widerstandsforschers
Taschenbuch, 144 Seiten, 12 Euro
Verbrecher Verlag Berlin, 2016
Erasmus Schöfer, am 4. Juni 1931 bei Berlin geboren, lebt in Köln. Er war Mitbegründer und Vorsitzender des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt und ist Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums. Seit seiner Promotion über »Die Sprache Heideggers« (1962) veröffentlichte er zahlreiche literarische und publizistische Arbeiten. Für seine hochgelobte Romantetralogie »Die Kinder des Sisyfos« erhielt Erasmus Schöfer im Jahr 2008 den Gustav-Regler-Preis. Zuletzt erschienen: »Diesseits von Gut und Böse. Beiträge fürs Feuilleton« (2011), »Na hörn Sie mal! Sechs ausgewählte Funkstücke« (2012) und »Schriftsteller im Kollektiv. Texte und Briefe zum Werkkreis Literatur der Arbeitswelt« (2014).
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