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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Globales
Bericht von einer Reise nach Palästina
Bethlehem – Leben und Medizin hinter Israels Mauer
Von Udo W. Hombach

Der Autor recherchierte seit 2006 über wilhelminische Kirchen und ihre Mosaiken. Dazu gehören in Jerusalem die evangelische Erlöserkirche, die evangelische Himmelfahrtkirche, die katholische Marienkirche (Dormitio) sowie in Bethlehem die ev. Weihnachtskirche. Über diese 1892/93 von Berlin aus gebaute Kirche, die im Vergleich zur Geburtskirche wenig bekannt ist, schrieb Udo Hombach in der "Rheinische(n) Heimatpflege" in Köln im März 20l6. Auf seinen Reisen nach Jerusalem besuchte er auch Bethlehem. Sein kunsthistorisches Interesse versperrte ihm nicht den Blick auf die politische Gegenwart. Eigene Beobachtungen in dem Zusammenhang beschrieb er in der NRhZ am 13.07.2016 unter dem Titel "Zur Siedlungspolitik in Ost-Jerusalem – Ein Besuch in Silwan".


Israel kreist die Weihnachtsstadt ein. Graffiti auf der bethlehemitischen Seite der israelischen Sperrmauer um Bethlehem. (Foto © Udo W. Hombach)

Seit einigen Jahren bin ich Mitglied im Förderverein für eine Klinik in Beit Sahour, einem Nachbarort von Bethlehem. (In Beit Sahour liegt das so genannte Hirtenfeld, wo der biblischen Erzählung nach den Hirten nächtens Engel erschienen, um ihnen die Geburt des Jesuskinds zu verkünden.) Karin und Qais Mitri aus dem Vorstand haben sich kürzlich in Palästina aufgehalten. Ihr Reisebericht wirft anschaulich Schlaglichter auf die aktuelle Situation im "Heiligen Land". Hier Auszüge daraus:

1) Zur politischen Lage

"Über den Jahreswechsel 20l6/2017 haben wir wieder mal drei Wochen mit den Menschen in Palästina verbracht. Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass hier zwei nur für uns scheinbare Gegensätze nebeneinander existieren: Auf der einen Seite steht die genaue Kenntnis der Situation einschließlich Leugnung der Geschichte durch Israel und weiterer Ausbau bestehender und Planung weiterer Kolonien, meistens verharmlosend 'Siedlungen' genannt, die Bethlehem, Beit Sahour und Beit Jala inzwischen fast vollständig einschließen. Hierzu gleich am zweiten Tag die Äußerung eines alten Mannes: 'Wenn Glaube Berge versetzen könnte, würde Gott als erstes die Siedlungen versetzen'. Jeder hier sorgt sich um die Zukunft seiner Kinder und Enkelkinder. Ein Beispiel aus der Verwandtschaft verdeutlicht die kuriose Situation. Die Familie hat seit langem Grundbesitz in der C-Zone. Das heißt, das Land darf weder landwirtschaftlich genutzt und erst recht nicht bebaut werden. Genau diese Tatsache (ungenutztes Land) kann irgendwann von der Besatzungsbehörde benutzt werden, um es zu enteignen. Auf der anderen Seite steht die feste Entschlossenheit, das ganz 'normale' Leben einfach fortzusetzen, als gäbe es keinerlei Bedrohung. Und während unserer Anwesenheit in Beit Sahour waren wir einfach nur ein Teil des Lebens mit den Menschen, denen wir verbunden sind...

Am 1. Weihnachtstag wurde nach den Gottesdiensten von den erneuten Landverkäufen des griechisch orthodoxen Patriarchen an die israelische Besatzungsmacht gesprochen. Bereits im Jahr zuvor hatten wir uns die Situation von Demonstranten erläutern lassen, die mit Transparenten vor der Kirche standen, aus denen hervorging, dass der Patriarch wegen dieser Praxis in Beit Sahour nicht erwünscht sei. Auch heute hatte es wieder Proteste gegeben. Um das Ganze zu verstehen, muss man in die Geschichte zurückgehen. In osmanischer Zeit wurden plötzlich Steuern auf Landbesitz erhoben. Die anwesenden Landwirte, deren Einkünfte nicht ausreichten, um diese Steuern zu bezahlen, überschrieben das Land formal der Kirche, da diese von der Grundsteuer befreit war. Das Motto des diesjährigen Weihnachtsumzuges waren die Kinder. Kein Kind sollte unter Besatzung leben müssen. Die Kinder trugen Transparente in arabischer und englischer Sprache, u.a. mit der Aufschrift 'We've the right to celebrate christmas without military occupation' (Wir haben das Recht, Weihnachten ohne militärische Besatzung zu feiern)."

2) Über die Arbeit in der Klinik

"Als Dr. Marwan Nassar im Sommer 20l6 eine Knieoperation im Beit Sahour Medical Center durchgeführt hatte, stellte er fest, dass wichtige Teile fehlten, die die Operation erleichtert hätten. Er hat eine Aufstellung dieser Geräte vorgenommen. Die Gesamtkosten betragen 17.000 Euro... Heiligabend waren wir... im Beit Sahour Medical Center, um die letzte Rate von 3ooo Euro für das von unserem Förderverein finanzierte digitale Röntgengerät zu übergeben. Bei unserem fünfjährigen Großneffen, der sich den Arm gebrochen hatte, wurde es auch gleich gebraucht. Sein kleiner Bruder wartete inzwischen mit unserer Nichte wegen einer fiebrigen Bronchitis vor dem Sprechzimmer des Kinderarztes... Auffällig in den Wartebereichen waren aber tatsächlich Eltern oder Großeltern mit Kindern... Am 3. Januar trafen wir uns mit Frau Shatha Odeh von den Health Work Committees in der Klinik in Beit Sahour. Endlich waren die Gelder von der Russisch Orthodox Palestinian World Society Organisation für den Ausbau der 2. Etage des Krankenhauses freigegeben worden. So konnten wir uns zusammen mit den Ärzten und dem Haustechniker vom Fortschritt bei den zurzeit noch laufenden Arbeiten überzeugen. Bei weiteren vier Dreibettzimmern, bei drei Einzel- bis Zweibettzimmern, jeweils mit kleiner Dusch- und Toilettenkabine, sind die Arbeiten noch nicht ganz abgeschlossen. Eine Küche soll der Zubereitung kleiner Mahlzeiten dienen. Das Essen für die stationär untergebrachten Patienten wird voraussichtlich vom ebenfalls den Health Work Committees gehörigen Altersheim geliefert werden... Nach Erfüllung der vom palästinensischen Gesundheitsministerium geforderten Kriterien wird jetzt auf die offizielle Genehmigung gewartet, die Klinik als Krankenhaus führen zu dürfen."


Beit Sahour Medical Center (Foto: aus dem Faltblatt "Beit Sahour Medical Center in Palästina – Hilfe zur Selbsthilfe - verantwortlich: Gertrud Nehls")

Nachgedanken

Das Ehepaar Mitri hat über die Situation vor Ort berichtet, während in Washington noch Obama regierte. Netanjahu hatte Obama schon am Tag von dessen Amtseinführung vor acht Jahren gegen das Schienbein getreten: Genau am gleichen Tag verkündete er neuen Siedlungsbau in den besetzten Gebieten. Die Ära des neuen amerikanischen Präsidenten Trump stärkt Netanjahu den Rücken. Trumps Elefantiade im palästinensisch/israelischen Porzellanladen gibt keinen Anlass zur Hoffnung auf Besserung – außer bei den Rechten in Israel. Seine Aussagen zu dem Konflikt nannte Trump Mitte Februar einen "großartigen Friedensdeal".

Ein sich abzeichnendes Groß-Israel als jüdischer Staat mit Siedlungen bis zum Jordan dürfte die Araber in der Westbank nur noch in Enklaven dulden: Homelands für die mehrheitlich muslimische Bevölkerung. Die kleine Minderheit christlicher Palästinenser wird dann wohl noch mehr an die gesellschaftliche Peripherie rücken. Deren letzter Schutz und Schatz sind die Orte, an denen das Christentum der Tradition nach entstand, vor allem Bethlehem. Diese werden, wenn noch mehr christliche Palästinenser auswandern, als Ausflugsorte à la Disneyland zurückbleiben – ertragreiche Finanzquellen für die israelische Tourismus-Branche. Denn die meisten Touristen in Bethlehem sind Tagesgäste, die den Hotels vor Ort keine Einnahmen bringen.

Obwohl aber die Christen im "Heiligen Land" mittlerweile eine zahlenmäßig unbedeutende Minderheit bilden, sind sie es, die ausdrücklich zur politischen Lage der Palästinenser im besetzten Westjordanland Stellung bezogen haben. Eine bemerkenswert ökumenische Initiative, an der sich zwölf christliche Konfessionen beteiligten, führte 2009 zu der Schrift "Kairos Palästina": Christliche Werte seien nicht vereinbar mit der Lebensrealität, wie sie den Palästinensern in den von Israel besetzten Gebieten von der Besatzungsmacht vorgegeben werde. Der Vertreter der Protestanten war Dr. Mitri Raheb, Pfarrer an der arabisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem. "Kairos Palästina" erschien auf Deutsch im AphorismA-Verlag (1. Auflage 2010), Berlin.

Unrecht und Ungerechtigkeit anzuklagen, menschenwürdiges Leben schon in einem Reich Gottes auf Erden einzufordern – gehörte das nicht zum Kern der jesuanischen Botschaft?! In Lateinamerika gab es eine Theologie der Befreiung für diejenigen, denen die Machtverhältnisse himmelschreiend wenig Lebenschancen ließen. Leider wurde die Bewegung vom Vatikan bekämpft. Die palästinensische Befreiungstheologie wird immerhin von Teilen des deutschen Protestantismus mitgetragen. Dazu gehört vor allem der Jerusalemsverein im Berliner Missionswerk, der sich nicht scheut, Tacheles zu reden, wenn es um das "Land der Bibel" geht.


Hinweise:


Beit Sahour Medical Center in Palästina
Hilfe zur Selbsthilfe
Vereinsanschrift: Karin Mitri, Sudbruch 7a, 27248 Ehrenburg, Tel.: 04275 94031, Qais.Mitri@t-online.de
Spendenkonto des Fördervereins: Volksbank Hoya, IBAN DE82 2566 3684 0044 5002 00, BIC/Swift-Code GENODEF1HOY
"Unser Förderverein will dazu beitragen, dass Beit Sahour, die Stadt am biblischen Hirtenfeld und im Schatten der israelischen Großsiedlung Har Homa, ein voll funktionierendes Medizinisches Zentrum auch in Zukunft durch Eigenleistung erhalten kann."

Der Jerusalemsverein
"Die christliche Minderheit im Heiligen Land kämpft um ihr Überleben. Der politische Konflikt, die schlechte wirtschaftliche Lage, hohe Arbeitslosigkeit und fehlende berufliche Perspektiven zwingen viele palästinensische Familien zur Auswanderung."
http://www.jerusalemsverein.de

Kairos Palästina - Die Stunde der Wahrheit
Ein Wort des Glaubens und der Hoffnung aus der Mitte des Leidens der Palästinenser
AphorismA Verlag Berlin 2014
4. erw. Auflage
36 Seiten - ISBN 978-3-86575-496-7
Reihe: Kleine Texte 30 | Erw. Ausgabe | 5,00 EUR
Am 11. Dezember 2009 wurde in Bethlehem ein leidenschaftlicher Aufruf palästinensischer Christinnen und Christen veröffentlicht. Der Aufruf will selbst inmitten 'der palästinensischen Katastrophe' als ein Wort des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe verstanden werden. Der Appell wird in Anlehnung an einen ähnlichen Aufruf, den südafrikanische Kirchen 1985 auf dem Höhepunkt der Unterdrückung unter dem Apartheidregime erlassen haben, „Kairos Palästina“ genannt. Der damalige Aufruf hatte Kirchen und Weltöffentlichkeit aufgerüttelt und zu konzertierten Aktionen veranlasst, die die Apartheid letztlich beendet haben. Ab der 3. Auflage um den 'Aufruf von Bethlehem' (Dezember 2011) erweitert: "Hier stehen wir - steht uns bei!" Kairos Palästina – Ein Dokument verfasst von Seiner Seligkeit Patriarch em. Michel Sabbah / Seiner Exzellenz Bischof Dr. Munib Younan / Seiner Excellenz Erzbischof Theodosius (Atallah Hanna) / P. Dr. Jamal Khader / Pfr. Dr. Rafiq Khoury / Pfr. Dr. Mitri Raheb / Pfr. Dr. Naim Ateek / Pfr. Dr. Yohana Katanacho / Pfr. Fadi Diab / Dr. Giries Khoury / Cedar Duaybis / Nora Kort / Lucy Thaljieh / Nidal Abu El Zuluf / Yusef Daher / Rifat Kassis – Koordinator
http://aphorisma.de/catalog/kairos-palaestina-die-stunde-der-wahrheit-p-9488.html


Siehe auch:

Zur Siedlungspolitik in Ost-Jerusalem – Ein Besuch in Silwan
Udo W. Hombach in der NRhZ am 13.07.2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22958

Der Friede beginnt hier und nirgendwo sonst
Die letzten Tage von Bethlehem
Anneliese Fikentscher in NRhZ 126 vom 19.12.2007
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=11889


Online-Flyer Nr. 602  vom 01.03.2017

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