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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Aus dem Querkopf
Weniger macht schlau
Von Harald Schauff

Was dichtet die Ideologie des Workaholismus der Arbeit nicht alles an Vorzügen an: Reich soll sie machen, nicht nur materiell, sondern auch ideell. Dazu gesund, munter, fit und schlau. Global und historisch besehen tat und tut sie dies. . . im Ausnahmefall, welcher bestätigt: Das Gegenteil war und ist die Regel. Die übergroße Mehrheit der Arbeitenden wird durch ihre Arbeit nicht reich und empfindet sie auch nicht als Bereicherung, sondern als lästiges Übel. Verschlissene Gelenke, krumme Rücken, geschädigte Herzen und zittrige Finger künden von der Ungesundheit der alltäglichen Plackerei.

Auch die geistige Fitness fördert sie nur bedingt, wie eine Studie der Universität Melbourne ergab (Siehe Frankfurter Rundschau vom 4.10.2016). Springender Punkt ist die Arbeitszeit: Über 40jährige sollten nicht mehr als 30 Wochenstunden arbeiten, meinen die Wissenschaftler. Ansonsten nehme das Gehirn Schaden. Unter einem zu hohen Arbeitspensum leide die Denkfähigkeit. Die besten kognitiven Fähigkeiten wiesen jene Beschäftigten auf, die in einer 3-Tage-Woche arbeiteten. Die abstumpfende Routine sollte im Zaum gehalten werden. Die Studie, an der mehr als 3000 Frauen und Männer teilnahmen, testete die kognitiven Fähigkeiten der Probanden, u.a. Erinnerung, Lernen und Aufmerksamkeit. Hier schnitten vor allem jene schlechter ab, die mit über 40 Jahren noch Vollzeit arbeiteten. Geistig fitter zeigten sich dagegen Studienteilnehmer mit einer Wochenarbeitszeit von 25 bis 30 Stunden. Bei über 30 Stunden verschlechterten sich die Werte. Ab 40 sei es für den Geist sogar förderlicher, gar nicht zu arbeiten als in einer 60-Stunden-Woche. Eine weitere Erkenntnis, die der heiligen Kuh der Arbeit Schlachtreife attestiert. Besser gar nicht als zuviel. Faultiere sind die wahren Intelligenzbestien. Darauf ein Eukalyptusbonbon zur Stimulation der grauen Zellen.

Die Ergebnisse, so die Wissenschaftler, widersprächen der oft verbreiteten Annahme, Arbeit halte das Gehirn bis ins hohe Alter fit. Im Endeffekt sei es ein zweischneidiges Schwert: Arbeit könne die Hirnaktivitäten stimulieren. Andererseits könnten lange Arbeitszeiten und gewisse Anforderungen Müdigkeit und Stress hervorrufen. Darunter litten möglicherweise wiederum die kognitiven Fähigkeiten. Nicht nur die Quantität, auch die Qualität der Arbeit sei wichtig. Bei der Arbeit würden sich verschiedene Faktoren auf das Gehirn auswirken. Nahe liegende Erkenntnisse, zu denen man auch ohne aufwendige Studie gelangen könnte.

Einen nicht ganz unwesentlichen, in der Studie nicht berücksichtigten Unterschied macht sicherlich auch, ob Beschäftigte ihre Arbeit als sinnerfüllende Tätigkeit erleben oder als reine Funktionserfüllung und Zwangsdienst am Geld. Auch dieser Faktor dürfte sich auf das Gehirn auswirken.

Im Prinzip gebieten die Studienergebnisse nichts Anderes als eine drastische Arbeitszeitverkürzung hin zu einer 30-Stunden-Woche. Für alle Beschäftigten jeden Alters. Im Moment lässt sich die gegenteilige Entwicklung in Deutschland beobachten: Die Arbeitszeiten für Vollzeitbeschäftigte verlängern sich. Im Schnitt lagen sie zuletzt bei 43,5 Wochenstunden. Der blanke Anachronismus. Der Langzeittrend geht über Jahrzehnte und Jahrhunderte hin zu kürzeren Arbeitszeiten infolge technischen Fortschrittes. Er wird sich nicht ewig bremsen lassen.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe November 2016, erschienen.

Online-Flyer Nr. 590  vom 30.11.2016

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