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Aktueller Online-Flyer vom 14. Dezember 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Ein Debattenbeitrag zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen
Eine Alternative für Gewerkschaften?
Von Ralf Krämer (ver.di)

In der letzten Zeit hat die Debatte über ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ (BGE) neue Impulse bekommen. Im Zuge der Digitalisierungsdebatte wird es als Ausweg bei befürchteten Jobverlusten und Prekarisierung vorgeschlagen. Am 5. Juni 2016 gibt es in der Schweiz eine Volksabstimmung über die Einführung eines BGE. In Finnland will die konservativ-rechte Regierung 2017 ein Pilotprojekt starten. Auch in den Gewerkschaften gibt es organisierte VerfechterInnen eines BGE, die es immer wieder in die Diskussion bringen.

Die Idee klingt auch attraktiv: Allen Menschen soll ein Einkommen garantiert werden, von dem sie leben können. Eine reiche Gesellschaft wie unsere könne sich das leisten. Wer würde dem widersprechen? Ob dafür allerdings allen Menschen ein Grundeinkommen ausgezahlt werden muss, egal ob sie es brauchen oder nicht und egal welchen Tätigkeiten sie nachgehen oder auch nicht, das ist eine andere Frage. Modelle eines BGE gibt es viele und schon länger. Eher linke und sozial ausgerichtete Konzepte sollen ein akzeptables Lebensniveau ermöglichen, Forderungen gehen bis zu 1500 Euro monatlich. Neoliberal geprägte Varianten liegen auf oder unter Hartz 4-Niveau, zugleich sollen Sozialleistungen gegengerechnet, also gestrichen werden. Das trifft etwa für die Pläne in Finnland zu. Ziel soll es dort sein, die Anreize zu erhöhen, dass Menschen Jobs in Teilzeit und auch mit schlechter Bezahlung annehmen.

Bedingungslos oder bedarfsabhängig?

Armut muss bekämpft werden, da besteht Einigkeit. Dies kann aber mit viel weniger Aufwand und realistischer als durch ein BGE durch verbesserte bedarfsabhängige Leistungen erreicht werden. Diese können repressionsfrei und ohne Einschränkung von Bürgerrechten gestaltet werden. Statt pauschal für alle gleich kann dabei unterschiedlichen Bedarfslagen und Risiken zielgerichtet Rechnung getragen werden.

Für die Verbesserung der Lebensbedingungen, insbesondere der ärmeren Teile der Bevölkerung, ist zudem zentral, dass gute öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen entgeltfrei oder vergünstigt zur Verfügung stehen. Im Bildungswesen, der Erziehung, dem Gesundheitswesen, in Sport- und Freizeiteinrichtungen, der Kultur und dem Nahverkehr fehlen viele hunderttausend sinnvolle Arbeitsplätze. Mit einer verbesserten Arbeitsmarktpolitik müssen insbesondere Langzeiterwerbslose besser gefördert und in gute Arbeit gebracht werden. Für all dies wären um die 100 Milliarden Euro jährlich zusätzlich durch eine sozial gerechte Steuerpolitik aufzubringen – gegen die vorherrschende neoliberale Politik, den Sozialstaat knapp zu halten.

Das von den BGE-AnhängerInnen angestrebte gewaltige und höchst problematische Umverteilungskarussell würde die Durchsetzung und Finanzierung einer wirksamen Politik zur Verbesserung der sozialen Lage erschweren. Denn der Unterschied eines BGE gegenüber verbesserten bedarfsabhängigen Leistungen besteht nicht darin, allen Menschen ein soziale Teilhabe ermöglichendes Einkommen zu gewährleisten. Sondern darin, dass etliche Millionen Menschen, die bereits über hinreichend große Einkommen verfügen, zusätzlich ein BGE in die Tasche gesteckt bekommen. Zugleich müssen sie exorbitant höhere Steuern zahlen, um das BGE finanzieren zu können.

Bedeutung der Erwerbsarbeit

Eine regelmäßige Geldzahlung reicht nicht aus, um gesellschaftliche Teilhabe  zu ermöglichen. Von grundlegender Bedeutung ist eine gut bezahlte Arbeit, die den Fähigkeiten und Neigungen der Menschen möglichst gerecht wird und mit sozialer Einbindung, Anerkennung und Selbstbestätigung verbunden ist. Das ist auch das zentrale Interesse, das Beschäftigte wie Erwerbslose äußern. Das zentrale Hindernis und Problem ist weiterhin die Massenerwerbslosigkeit, die Menschen ausgrenzt und enormen Druck ausübt.

In der Grundeinkommensszene ist stattdessen weitgehend Konsens und eine wichtige Begründung für ein BGE, dass der Gesellschaft angeblich zunehmend „die (Erwerbs)Arbeit ausgeht“ und eine Politik der Vollbeschäftigung aussichtslos sei. Die aktuelle Diskussion um die Digitalisierung gibt dem neuen Auftrieb, weil angeblich in den kommenden Jahrzehnten der Verlust eines Großteils der Arbeitsplätze durch technischen Fortschritt bevorstehe. Das wurde allerdings seit Jahrzehnten immer wieder behauptet und hat sich als falsch erwiesen.

Weltweit und auch in Deutschland steigt der Bevölkerungsanteil der Erwerbstätigen an. Wo die Erwerbslosigkeit stark zugenommen hat, etwa in den letzten Jahren in Südeuropa, war dies Folge von ökonomischen Krisenprozessen und nicht etwa von besonderen Produktivitätssprüngen. Gesamtwirtschaftlich gesehen sind die Produktivitätszuwächse in den letzten Jahrzehnten geringer geworden. Selbst wenn sie durch die Digitalisierung künftig wieder etwas höher ausfallen sollten, ist offen, ob dies zu mehr Erwerbslosigkeit und Ungleichheit oder zu mehr Wohlstand für alle führt. Das ist letztlich eine Frage der gesellschaftlichen Gestaltung und Kräfteverhältnisse.[1]

BGE als emanzipatorische Alternative?

Viele BGE-AnhängerInnen betrachten dieses als einen Weg, dem Erwerbszwang zu entkommen und Einkommen und soziale Sicherung von der Erwerbsarbeit zu entkoppeln. Doch das BGE beruht wie jede Geldleistung vollständig auf verallgemeinerter Erwerbsarbeit und ist keineswegs eine emanzipatorische Alternative dazu. Wer Geld ausgibt um etwas zu kaufen, setzt damit Erwerbsarbeit in Bewegung. Er oder sie veranlasst, dass andere gegen Entgelt eine Arbeit machen, nicht weil sie ihnen Spaß macht oder sie sie besonders sinnvoll finden, sondern weil sie das Bedürfnis derjenigen befriedigt, die bezahlen. Je mehr Einzelne sich an der Erwerbsarbeit nicht beteiligen bzw. von ihr ausgegrenzt werden, desto mehr Erwerbsarbeit müssen die anderen leisten, um einen bestimmten Umfang an Gütern und Dienstleistungen und die erforderlichen Einkommen zu erwirtschaften. Das BGE kann daher keinesfalls als Ausweg bei explodierender Massenerwerbslosigkeit funktionieren.

Aller Sozialaufwand wird immer aus der laufenden monetären Wertschöpfung finanziert, dem durch Erwerbsarbeit produzierten Bruttoinlandsprodukt bzw. dem Bruttonationaleinkommen. Nur Erwerbsarbeit, also Arbeit zum Zweck des Gelderwerbs, produziert die Waren, also Güter und Dienstleistungen, die gekauft werden können, und damit zugleich die Einkommen einschließlich der Unternehmens- und Vermögenseinkommen, mit denen sie bezahlt werden und aus denen auch ein BGE finanziert werden müsste. Es ist eine falsche Vorstellung, statt auf Arbeit könnte die Finanzierung eines BGE doch auf Steuern beruhen, die die Maschinen oder Roboter zahlen. Denn es wären immer deren Eigentümer, die die Steuern zahlen müssten. Es ist illusorisch zu meinen, dass der Staat geschrumpfte Löhne und daraus finanzierte Abgaben durch extrem erhöhte Gewinnsteuern kompensieren könnte oder würde.

Die emanzipatorische Alternative liegt in der humanen Gestaltung, Demokratisierung, Verkürzung und gerechten Verteilung aller gesellschaftlich notwendigen Erwerbsarbeit und unbezahlten Arbeit auf alle arbeitsfähigen Mitglieder der Gesellschaft. Das Ziel muss sein, allen Menschen ein Recht auf gute und angemessen bezahlte Arbeit zu gewährleisten und daraus ein Einkommen, das höher als ein noch so komfortables BGE läge.

Finanzierungsprobleme

Ein BGE in einer Höhe von 1000 Euro monatlich würde brutto knapp eine Billion Euro im Jahr kosten. Einige steuerfinanzierte Sozialtransfers wie Grundsicherung, Kindergeld, Bafög und damit verbundene Verwaltungskosten fielen weg, nicht aber beitragsbegründete Sozialversicherungsleistungen wie insbesondere Renten. Sonst wäre das BGE nicht bedingungslos und würden sozialversichert Beschäftigte gleichheitswidrig benachteiligt. Netto würde ein solches BGE dann ungefähr ebenso viel kosten wie bisher alle Gemeinden, Länder und Bund insgesamt ausgeben, also 862 Mrd. Euro im Jahr 2015.

Es wäre unvermeidlich, dass der Großteil dieser zusätzlichen Ausgaben von der breiten Masse der abhängig Beschäftigten aufgebracht werden müsste. Die Gewinne (die die Selbstständigeneinkommen einschließen) und Vermögenseinkommen reichen nicht aus und können im Kapitalismus auch nicht unbeschränkt abgeschöpft werden, erst recht nicht bei offenen Grenzen. Nicht nur die Steuern auf Gewinne und Vermögen müssten vervielfacht werden, sondern auch die Lohn- und Einkommensteuern.

Bei einer Finanzierung überwiegend durch die Mehrwertsteuer wären Sätze von etwa 80 Prozent erforderlich, was Menschen mit geringen Einkommen überproportional belasten würde (2015 erbrachte die Mehrwertsteuer bei einem Normalsatz von 19 Prozent 210 Mrd. €). Und dies alles unter der mehr als optimistischen Annahme, dass ein solch massiver Eingriff keine negativen Auswirkungen auf die ökonomische Wertschöpfung und ihre steuerliche Erfassung hätte. Es wären jedenfalls extrem verschärfte Kontrollen aller bezahlten Arbeiten und Einkommen nötig, um unter diesen Bedingungen „schwarze“ Geschäfte und Steuer- und Sozialbeitragshinterziehung zu begrenzen.





Universeller Kombilohn


BGE-AnhängerInnen behaupten, mit einem BGE wären die Menschen nicht mehr bereit, schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Dem liegt ein unzureichendes bzw. falsches Verständnis zugrunde, wie Arbeitsmarkt und Betriebe im Kapitalismus funktionieren und wie die Konkurrenz zwischen den Lohnabhängigen wirkt. Es ist zu befürchten, dass die Schere zwischen hohen Löhnen für besonders qualifizierte und gefragte Beschäftigte und niedrigen Löhnen für Tätigkeiten, die nur geringe oder überreichlich angebotene Qualifikationen erfordern, noch stärker auseinander ginge.

Gäbe es ein BGE, könnte an den Lohn nicht mehr der Anspruch gestellt werden, mindestens eine existenzsichernde Höhe zu haben, denn jeder Verdienst hätte den Charakter eines Zuverdienstes zum BGE. Das BGE wäre faktisch der universelle Kombilohn als Lohnsubvention für das Kapital. Die Menschen wären dann nicht etwa weniger, sondern noch mehr als heute bereit, für einen minimalen Lohn zu arbeiten. So wie schon heute viele in einem Minijob für Niedriglöhne „hinzuverdienen“, obwohl ihr Einkommen im Haushaltszusammenhang oder z.B. durch Bafög plus Elternunterhalt zum Leben reichen könnte.

Viele prekär Selbstständige bieten notgedrungen, weil sie sonst keine Aufträge bekommen, ihre Leistungen zu Dumpingbedingungen an. Der Spielraum dafür wäre mit einem BGE noch viel größer. Der zerstörerische Konkurrenzdruck auf Betriebe, die zu tariflichen oder auch Mindestlohn-Bedingungen beschäftigen, würde massiv verschärft.

Die Profitansprüche kapitalistischer Unternehmen und Anleger würden dagegen durch ein BGE nicht gemindert. Ob Kapitaleigentümer ein BGE bekommen oder nicht ändert am Streben nach höchstmöglicher Rendite und der Konkurrenz überhaupt nichts. Insgesamt wäre zu befürchten, dass die Einkommensverteilung mit einem BGE noch ungerechter würde als sie es heute schon ist. Eine gerechtere Arbeitswelt mit akzeptablen Arbeitsbedingungen und Einkommen können nur starke Gewerkschaften mit kollektiven und gesetzlichen Regelungen durchsetzen.

Politische Risiken und Probleme

In den neoliberalen Varianten eines BGE – wie in Finnland – sind die lohndrückenden und Arbeitnehmerrechte zerstörenden Wirkungen beabsichtigt. Außerdem sollen damit die Sozialversicherungen zerschlagen werden, weil ein BGE als soziale Absicherung ausreiche. Die Lage sowohl der Beschäftigten wie der meisten Sozialleistungen Beziehenden würde damit verschlechtert. Das Problem ist, dass solche neoliberalen Varianten eines BGE die einzigen sind, die eine gewisse Chance auf Realisierung haben.

Die auch in manchen gewerkschaftlichen Kreisen attraktiven Konzepte eines BGE beruhen dagegen auf einer Logik des „Wünsch dir was“. Sie werfen nicht nur enorme ökonomische Schwierigkeiten und Widersprüche auf (s.o.), es gibt auch keine machtvollen gesellschaftlichen Interessen und Kräfte dafür. Zudem gehen sie an den laufenden Verteilungskonflikten und politischen Auseinandersetzungen vorbei. Der gewerkschaftlichen Kritik an BGE-Vorstellungen geht es nicht darum, den Menschen etwas nicht zu gönnen, sondern dagegen zu wirken, dass Menschen auf eine vermeintliche Patentlösung hereinfallen, die nicht kommen wird, anstatt sich auf tatsächlich lohnende Ziele und Kämpfe zu konzentrieren.


Fussnote:

[1] Vgl. Ralf Krämer: Die Roboter kommen, die Arbeit geht? http://www.zeitschrift-luxemburg.de/die-roboter-kommen-die-arbeit-geht/ .


Erstveröffentlichung am 23. Mai 2016 bei "Gegenblende - Das gewerkschaftliche Debattenmagazin" des DGB

Ralf Krämer: geboren 1960 in Dortmund, seit 2002 Gewerkschaftssekretär im Bereich Wirtschaftspolitik beim ver.di Bundesvorstand in Berlin, Diplom-Sozialwissenschaftler, Arbeitsschwerpunkte: Steuer- und Finanzpolitik und Mitarbeit im Bündnis Umfairteilen.


Siehe auch:

Linke und das Bedingungslose Grundeinkommen
Gespaltenes Verhältnis
Von Harald Schauff
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22897

Online-Flyer Nr. 568  vom 29.06.2016

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