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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Globales
Armenien-Resolution im Bundestag
Ein bedauerlicher Faux-Pas
Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait

Die Armenien-Resolution im Bundestag am 2.6.2016 ist politisch und juristisch ein bedauerlicher Faux-Pas. Politisch heuchlerisch und inkonsistent und juristisch unhaltbar, weil unbegründet. Worum geht es eigentlich? Von Völkermord zu sprechen ist partout diskutabel. Allerdings ist die Genozid-Konvention der Vereinten Nationen von 1948 Maßstab für diese strafrechtliche Bezeichnung. Durch ihre Unterzeichnung und Ratifizierung 1954 wurde sie in die Rechtsordnung der Bundesrepublik eingefügt. Umso gesetzlich und völkerrechtlich verpflichtender war es für die Adenauer-Regierung, die Auslieferung von Adolf Eichmann zu ersuchen, was aber unterblieb, um andere Nazis in hohen Regierungspositionen zu schützen. Deshalb gab es gezielte Bemühungen der Adenauer-Regierung, die Anklage gegen Eichmann in Israel einzugrenzen.  

Hätten die Israelis nicht hartnäckig darauf gedrungen, wäre ihnen von der Bundesregierung als Rechtsnachfolger des Dritten Reichs kein Schadensentschädigungs- und Schmerzensgeld gezahlt worden, und der Völkermord an den Juden wäre bis heute noch in Deutschland nicht anerkannt. Die Vernichtung der Juden war unbestritten Völkermord, Genozid. Was genau dieses Verbrechen der Nazis als einzigartig stigmatisiert, war der offenkundige Wille der Nazis, „die Erde nicht mit dem jüdischen Volk und einer Reihe anderer Volksgruppen zu teilen, als ob sie und ihre Vorgesetzten das Recht gehabt hätten zu entscheiden, wer die Erde bewohnen soll und wer nicht“. So explizit und präzis die Philosophin Hannah Arendt. (Aus dem Artikel „Was im Kopf der Täter passiert“ von Ronen Steinke, Süddeutsche Zeitung SZ, 3.6.)

Die juristische Kategorie des Völkermordes

Die juristische Kategorie des Völkermordes besteht lediglich nach dem Nazi-Genozid an den Juden. Als Idee oder typifizierte Straftat gab es diese Kategorie vorher gar nicht. "Der Massenmörder Adolf Eichmann wurde 1961 des Völkermordes schuldig gesprochen, der Verbrechen gegen das jüdische Volk“. Unter diesem Namen hatte der Staat Israel die Genozid-Definition der UN von 1948 in sein nationales Recht eingefügt." (Aus dem SZ-Artikel „Was im Kopf der Täter passiert“ von Ronen Steinke, SZ 3.6.) Der Prozess und die Verurteilung Eichmanns in Israel war deshalb rechts- und gesetzmäßig. Man kann aber das grundsätzliche strafrechtliche Prinzip des „lex locum regit actum“ anwenden, nämlich dass „das Gesetz am Tatort regiert“. Dem gemäß ist die Bundesrepublik Deutschland, Rechtsnachfolger des Dritten Reichs, als Tatort zu bestimmen, da der Entschluss zum Völkermord auf deutschem Territorium erfolgte. Aber damals in den 50er und 60er Jahren waren Nazis an der Regierung Konrad Adenauer beteiligt, hohe Beamte, die sich weigerten, die Auslieferung von Eichmann zu fordern, um ihn vor ein deutsches Gericht zu stellen, denn viele andere Nazis in der Adenauer CDU/CSU-Regierung hätten auch vor Gericht gestellt werden können und müssen. Dieses Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte ist niemals offiziell untersucht worden und die CDU/CSU hat sich auch nicht von ihrer Post-Nazi-Vergangenheit substantiell verabschiedet oder eindeutig distanziert.

Verlogene Resolution: Bis heute massenmörderische deutsche Außenpolitik

Bis heute noch bleiben die Konservativen in alten Nazi-Schablonen des Antikommunismus verankert und sind untauglich, sich von einer massenmörderischen Außenpolitik zu verabschieden: Irak, Libyen und vor allem Syrien klagen sie heute an. Die Bundesrepublik verhält sich würdelos, wenn sie sich in Sachen Völkermord nicht zurückhaltend zeigt, solange sie ihre Lehre für die Gegenwart aus diesem dunkelsten Kapitel ihrer Geschichte nicht zieht. Diese Lehre besteht einzig darin, sich nicht an weiteren Massenmorden zu beteiligen. Die verlogene Resolution, die nicht einmal andere Massaker verurteilt, an denen deutsche Soldaten auch beteiligt waren, wie die Massaker gegen Afrikaner im damaligen Deutsch-Südwestafrika, ist ein Skandal für die junge Generation, die die volle Wahrheit der deutschen Untaten zu erfahren verdient, um ein für alle Male die Gegenwart Deutschlands auf saubere Seiten zu schreiben.


Gedenkdemonstration zum 100. Jahrestag des Völkermords an Armeniern 1915 – Fotos: arbeiterfotografie.com/rti

Warum anstatt „Völkermord“ keine Resolution zum Massenmord an Armeniern als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das nicht verjährt?

Die Debatte, ob ein Massaker ein Völkermord ist oder nicht, kann lange unter Juristen andauern. Warum haben sich deutsche Parlamentarier auf eine Resolution eingelassen, die nicht einfach klipp und klar das Massaker an Armeniern in der Zeit des Osmanischen Reiches als Massenmord bezeichnet und den Massenmord, der indiskutabel ist, verurteilt? Der Tatbestand eines Massenmordes ist ein anderer als der Tatbestand des Völkermordes, der ein Sonderfall des Massenmordes darstellt und den Willen zur systematischen Vernichtung einer ganzen Menschengruppe voraussetzt. Nicht alle Staaten haben diesen Tatbestand in ihre Rechtsordnung eingefügt. Wie auch immer, Massenmord bleibt Massenmord und als solcher ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das nie verjährt. Das Motiv des Verbrechers ändert nichts am jeweiligen Tatbestand. Das Motiv kann nur das Strafmaß beeinflussen.

Ausgerechnet jetzt Massenmord an den Armeniern wichtig, aber Massenmord überall das abscheulichste Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Warum ist der deutschen Politik ausgerechnet der Massenmord an den Armeniern im Osmanischen Reich plötzlich nach über hundert Jahren so wichtig? Was ist mit der Massenvernichtung von Algeriern durch das koloniale Frankreich? Warum unterlässt es der Bundestag, Großbritannien und die Niederlande für ihren Massenmord und Kriegsverbrechen in Südafrika zu verurteilen? Wieso keine Verurteilung der Vereinigten Staaten von Amerika für ihre nukleare Massenvernichtung der japanischen Bevölkerungen in Hiroshima und Nagasaki 1946, die ein grausames Kriegsverbrechen und ein ungeheueres Verbrechen gegen die Menschlichkeit war? Massenvernichtung ist überall das abscheulichste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das bestraft werden muss, egal wer der Massenmörder ist, ob die USA, Großbritannien, Frankreich oder die Türkei. 

Deutsches Reich damaliger Verbündeter des Osmanischen Reichs und Komplize beim Massenmord an Armeniern

Die Täter von Massenmorden müssen vor ein Strafgericht kommen. Wenn nicht, weil sie wie im Fall des Osmanischen Reiches faktisch nicht mehr existieren, müssen sich die jeweiligen Regierungen als Rechtsnachfolger dafür verantworten. Das schließt auch Deutschland ein, denn das Deutsche Reich war damaliger Verbündeter des Osmanischen Reich und Komplize, ja sogar Täter solcher Verbrechen auf dem osmanischen Territorium. Hochrangige deutsche Offiziere, die damals im Osmanischen Reich stationiert waren, beteiligten sich aktiv an den Verbrechen gegen die Armenier. Eine historische Untersuchungskommission muss feststellen, ob es sich dabei um eine systematische Vernichtung handelte, die dann zweifellos einen Völkermord gestaltet.

Welche Lehren sind aus solchen Massakern zu ziehen?

Eine historische Kommission von Experten zur Aufarbeitung deutscher Geschichte sollte gebildet werden, um die Ereignisse von 1915 und die gegenwärtigen Untaten der Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen. Welche Lehren sind aus solchen Massakern zu ziehen? Diese Frage gilt natürlich besonders für die deutsche Regierung und Mitglieder der Parteien Bündnis90/DieGrünen und SPD, denn sie sind die Sponsoren einer solcher missglückten Resolution, die nur für sie gilt, für ihre eigene Aufklärung hinsichtlich der deutschen Geschichte, nicht aber für die Türkei.

Deutsche Abgeordnete und Regierungsvertreter ohne ausgeprägten Würdesinn

Alle Erklärungen der türkischen Führung lassen keinen Zweifel darüber, dass die deutsche Bundestagsresolution keine Bedeutung für die Türkei hat. Der türkische Außenminister meint, Deutschland wolle die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte überdecken, indem „die Geschichte anderer Länder angeschwärzt wird“. Und der türkische Justizminister rät Deutschland: „Kümmere Dich um Deine eigene Geschichte“. Hätten die deutschen Abgeordneten und Regierungsvertreter einen ausgeprägten Würdesinn, hätten sie sich niemals auf eine Resolution über Völkermord eingelassen. Wollten sie dadurch die monströse Nazi-Massenvernichtung der Juden relativieren und verharmlosen? Wollten sie den Finger auf andere zeigen, um davon abzulenken? Nicht zu vergessen, dass deutsche Staatsanwälte bis in die 70iger Jahre nicht willens waren, Nazi-Verbrecher zur Verurteilung vor Gericht zu bringen. In mindestens einem wichtigen Fall führte erst die energische Einschaltung von Beate Klarsfeld dazu, die Justiz-Paralyse in der Bundesrepublik zu brechen. 


Gedenkdemonstration zum 100. Jahrestag des Völkermords an Armeniern 1915 – Fotos: arbeiterfotografie.com/rti


Massenmörderische Außenpolitik gegen Syrien: Menschliches Empfinden von SZ-Journalisten bleibt aus

Heute ist die Paralyse der deutschen Justiz gegenüber den Kriegstreibern einer massenmörderischen Außenpolitik gegen Syrien blamabel und verhängnisvoll. Das menschliche Empfinden von SZ-Journalisten, ihr verhältnismäßiges Urteil über die hiesige Geschichte von Menschenhass bleibt aus. Kein Signal von Menschlichkeit und Empfinden für das Leid und die Ungerechtigkeit, die die verfehlten Handlungen der jüngsten deutschen Regierungen anderen Völkern angetan haben und immer noch antun. Keine Kritik an völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Regierungshandlungen in bezug auf eine kriminelle Interventionspolitik, um ein Regierungswechsel in einem souveränen Land zu verursachen. Das höchst unmenschliche Kapitel der Geschichte Deutschlands und die daraus resultierende Verantwortung hat auch die deutsche Justiz vernachlässigt. Beate Klarsfeld musste sich kräftig und bravourös in den 70iger Jahren engagieren, um Nazi-Verbrecher vor Gericht zu bringen. Sie ist Zeuge von der an höchsten Stellen vorherrschenden Gleichgültigkeit darüber. Deshalb war sie als Bundespräsidentin unter den gegenwärtigen Umständen nicht erwünscht. 

Völkerrechtliche Pflicht zur Nicht-Einmischung in der Charta der Vereinten Nationen


Aktueller denn je als der Massenmord an Armeniern vor über 100 Jahren sind in der Tat gegenwärtige Massenmorde und Massenvernichtung, an denen sich aktuell die Bundesrepublik zusammen mit anderen europäischen Staaten gegen die Völker im Irak, in Syrien, Libyen und Afghanistan beteiligt. Allein in Syrien verursacht die westliche terroristische Intervention, die inzwischen fünf Jahre lang andauert, den Tod von über 250.000 Menschen und Millionen von Flüchtlingen. Das ist die verbrecherische Einmischung, die die Charta der Vereinten Nationen (UN) definitiv untersagt. Daran ist nichts zu ändern, denn der Frieden und die Stabilität eines Landes verdienen hohe internationale Achtung. Der SZ-Journalist Stefan Ulrich erkennt diesbezüglich richtig: „die Vereinten Nationen bauen darauf auf. Gemäß deren Charta sind alle Staaten souverän und gleich. Keiner soll gegenüber dem anderen zu Gericht sitzen.“ Jedoch unterlässt Stefan Ulrich zu erwähnen und explizit klarzustellen, dass gerade die westliche Interventionspolitik zum Regimewechsel im Irak, Libyen und Syrien mit diesem grundsätzlichen Prinzip der Nicht-Einmischung der UN-Charta brutal und eklatant bricht, ein völkerrechtlicher Grundsatz, der lediglich der Westen wegen seiner egoistischen Interessen infrage stellt. Die völkerrechtliche Pflicht zur Nicht-Einmischung in der Charta der Vereinten Nationen bleibt die eindeutige Rechtsnorm für alle Staaten der Weltgemeinschaft und nicht das Gegenteil, wie die SZ im US-Interesse suggeriert. Gegen die UN-Charta zu verstoßen, bedeutet die Zündschnur zu unzählbaren Kriegen zu legen und anzustecken. Gerade das ist bereits geschehen und die verhängnisvolle Konsequenz müssen Deutschland und Europa jetzt für ihr Mittun an der irregeleiteten US-Interventionspolitik erleiden.

Freundschaft zur türkischen Regierung, der Massenmörder von heute, eine erbärmliche Schande deutscher Außenpolitik

Eine Bundestagserklärung, die einen zurückliegenden Massenmord in einem anderen Land verurteilt, als Einmischung zu bezeichnen, wie in der Süddeutschen Zeitung vom 3.6. geschehen, ist Unsinn, vollkommener Unfug, denn eine solche Verurteilung ist eher ein Maßstab für den Bundestag selbst, für diejenigen, die sie verabschieden, um zu wissen, wie mit einem Massenmörder weiter umzugehen ist. Die Beziehung zu einem solchen Verbrecher, der sich auf neue mörderische Aggressionen ungestraft einlässt (in Syrien, im Irak und gegen die Kurden) als „Freundschaft“ zu bezeichnen, wie es die Kanzlerin Merkel hinsichtlich der Türkei gedankenlos tat (2.6.), ist völlig unangebracht, inkonsistent und fehl am Platz. Das zeigt noch einmal öffentlich, wie unglaubwürdig, oberflächlich und heuchlerisch die Bundespolitik wirkt. Eine erbärmliche Schande.


Luz María de Stéfano Zuloaga de Lenkait ist chilenische Rechtsanwältin und Diplomatin (a.D.). Sie war jüngstes Mitglied im Außenministerium und wurde unter der Militärdiktatur aus dem Auswärtigen Dienst entlassen. In Deutschland hat sie sich öffentlich engagiert für den friedlichen Übergang der chilenischen Militärdiktatur zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, u.a. mit Erstellen von Gutachten für Mitglieder des Deutschen Bundestages und Pressearbeit, die Einheit beider deutschen Staaten als ein Akt der Souveränität in Selbstbestimmung der beiden UN-Mitglieder frei von fremden Truppen und Militärbündnissen, einen respektvollen rechtmäßigen Umgang mit dem vormaligen Staatsoberhaupt der Deutschen Demokratischen Republik Erich Honecker im vereinten Deutschland, für die deutsche Friedensbewegung, für bessere Kenntnis des Völkerrechts und seine Einhaltung, vor allem bei Politikern, ihren Mitarbeitern und in Redaktionen. Publikationen von ihr sind in chilenischen Tageszeitungen erschienen (El Mercurio, La Epoca), im südamerikanischen Magazin “Perfiles Liberales”, und im Internet, u.a. bei Attac, Portal Amerika 21, Palästina-Portal. Einige ihrer Gutachten (so zum Irak-Krieg 1991) befinden sich in der Bibliothek des Deutschen Bundestages.

Online-Flyer Nr. 565  vom 08.06.2016

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