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Aktueller Online-Flyer vom 16. April 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Konferenz der Bundestagsfraktion DIE LINKE in der Kölner Luther-Kirche
Armut im Rheinland
Von Michael Scheffer

"Massenhafte Armut in einem reichen Land spaltet unsere Gesellschaft. Das zeigt nicht zuletzt der Armutsbericht »Zeit zu handeln« des Paritätischen Gesamtverbandes vom Februar 2016. Mit der Konferenz »Armut im Rheinland« wollen wir zeigen, wie diese soziale Spaltung auch in einer Region wirkt, die nicht als klassische Armutsregion gilt. Denn auch im Rheinland ist es »Zeit zu handeln«: In Köln lag die Armutsquote mit 20,5 Prozent im Jahr 2014 auf dem Niveau des Ruhrgebietes. Und den Großraum Köln/Düsseldorf hatte der Paritätische bereits 2015 »armutspolitisch insgesamt als eine sehr problematische Region« ausgemacht." Mit diesen Sätzen war die Veranstaltung der Bundestagsfraktion DIE LINKE, die am 20. Mai 2016 in der Kölner Luther-Kirche stattfand, eingeleitet. Michael Scheffer gibt dazu eine Einschätzung.


Kopf des Veranstaltungsplakats

Nur wenige Tage nachdem der Landesverband der Partei DIE LINKE den hochkarätig besetzten und extrem gut besuchten Sozialgipfel in Düsseldorf veranstaltet hatte (www.sozialgipfel.de), lud die Bundestagsfraktion am 20. Mai zur Konferenz "Armut im Rheinland" in die Kölner Südstadt. Auch hier wussten die Veranstalter offenbar um die Sogwirkung ihrer Referent*innen, auch das Thema scheint höchst virulent: Die Luther-Kirche, ein Ort in dem regelmäßig der Heilige Geist wirkt, wie der gastgebende Hausherr Pfarrer Hans Mörtter betonte, war bis auf den letzten Platz gefüllt. Gleichfalls gastgebend war Matthias W. Birkwald, der sich für seine Begrüßungsrede ausreichend Zeit nahm, um fast alle Anwesenden in seinem Wahlkreis persönlich willkommen zu heißen.

Wenn Geld fehlt, hilft Geld!

Konzeptionell war die Veranstaltung in zwei Podiumsrunden aufgegliedert, bei denen Vertreter*Innen aus Politik, Wissenschaft, Kirche, Gewerkschaften und Sozialverbänden ihre Erhebungen, Erfahrungen und Einschätzungen zur titelgebenden Armut im Rheinland darlegten. Den Auftakt machte Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der erst im Februar einen umfangreichen Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland vorgelegt hatte ("Zeit zu handeln"). Neben den aktuellen Zahlen, die den kontinuierlichen Anstieg von Armut in Deutschland, NRW und Köln dokumentieren, verstieg er sich in konkrete politische Forderungen nach einer rigorosen Umverteilungspolitik, einer Stabilisierung des Rentenniveaus oder einer Erhöhung der Regelsätze bei Hartz IV und in der Altersgrundsicherung ("Wenn Geld fehlt, hilft Geld!").

Es kann doch nicht sein, dass Arbeit stärker besteuert wird als Kapitalerträge

Warum viele Menschen, die behindert werden (nicht sind!), in Armut leben, erläuterte Ulrike Detjen. Die Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Landschaftsverband Rheinland (LVR) kritisierte u.a. die Zunahme psychischer Erkrankungen durch hohen Arbeitsdruck und die wachsende Neigung, Behinderte in Werkstätten abzuschieben und auf Sozialhilfeniveau zu beschäftigen. Prof. Dr. Thomas Münch (Universität Düsseldorf) wunderte sich über die aktuellen Armutszahlen, die keinesfalls geringer ausfielen, als jene, die er vor über zwanzig Jahren als Verfasser des ersten Armutsberichts erhoben hatte ("Nach der Reform ist vor der Reform"). Die sozialpolitischen Gesetzesänderungen der vergangenen Jahrzehnte haben nichts verbessert, im Gegenteil. Das Phänomen der so genannten "working poor" beklagte schließlich Antonia Kühn vom DGB: Die Armut in NRW nehme parallel zum Anstieg der Beschäftigtenquote zu. Auch sie forderte politisches Gegensteuern ein ("Es kann doch nicht sein, dass Arbeit stärker besteuert wird als Kapitalerträge").


Referenten in der Kölner Luther-Kirche (Foto: Michael Scheffer)

Nach der Pause war es der rentenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Matthias W. Birkwald, der Eckdaten einer vernünftigen Alterssicherung und die Notwendigkeit eines ausreichend hohen gesetzlichen und allgemeinen Mindestlohns erläuterte, für den die Partei seit jeher streitet. Die Linksfraktion konnte unlängst darlegen, dass, wer heute 45 Jahre lang Vollzeit arbeitet, mindestens 11,68 Euro Stundenlohn beziehen muss, um überhaupt eine Rente oberhalb der Armutsgrenze zu beziehen. Ein veritabler Skandal; es ist "Zeit für Zwölf". Unter dem Applaus des Publikums kritisierte Hans-Peter Keul (Deutscher Freidenkerverband) denn auch den – nicht anwesenden – Bischof Huber als einen der prominentesten bekennenden Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns ("Es gibt ein Leben vor dem Tod").

Himmelschreiende Sünde: Vorenthaltung des gerechten Arbeitslohns

Der renommierte Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Butterwegge führte in die zu unterscheidenden Begrifflichkeiten ein: relative und absolute Armut, existenzielle und neue Armut. Er konstatierte eine zunehmende Tendenz zur Entsolidarisierung und das Ende der nivellierten Mittelstandsgesellschaft. Pfarrer Franz Meurer brandmarkte die Vorenthaltung des gerechten Arbeitslohns als eine der vier himmelschreienden Sünden. Michaela Hofmann vom Diözesan-Caritasverband Köln stellte eine Zunahme bei der Tabuisierung von gesellschaftlicher Armut fest ("Armut, das sind die Anderen. Über Armut redet man nicht gerne"). Der IG-Metall-Bevollmächtigte Dr. Witich Rossmann prangerte die Auswüchse bei Leih- und Zeitarbeit an und warb für neue Formen der Primär-Verteilung ("Ihr habt das Geld und wir wollen es!").

Todsünde: Profit durch Hungerlohn

Hauptredner des Abends war Gregor Gysi, dem es gewohnt souverän gelang, in einem 40-minütigem Parforce-Ritt weltweite Armutsursachen mit erfolgversprechenden Lösungsansätzen zu verbinden. Er thematisierte den Rüstungswahnsinn und die Verfehlungen deutscher Krisen-Interventionspolitik, mahnte eine verantwortliche Geflüchteten-Politik an und kritisierte pointiert die hiesigen Missstände: von Pflegenotstand und Kinderfeindlichkeit, zu Bildungsstruktur und Erziehungswesen. Nach fünf Stunden war die Messe gelesen; die Veranstalter kündigten an, das Thema weiter zu vertiefen. Insbesondere sei es ihnen wichtig, weiterhin auch mit den Betroffenen von Armut (und all ihren Auswirkungen) zu sprechen und nicht nur über sie. Andrej Hunko, MdB gebührt schließlich das Verdienst, auf die Predigt von Papst Franziskus vom Vortag hingewiesen zu haben, in welcher dieser gewohnt drastisch die Auswüchse von Lohndumping als moderne Sklaverei geißelte ("Menschen zu einem Hungerlohn arbeiten zu lassen, um daraus Profit zu erzielen, ist Todsünde"). Wer wollte da widersprechen?


Das war das Programm:

16.30 Uhr Podium und Diskussion: "Was macht im Rheinland arm?"
  • Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften, Humanwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln
  • Antonia Kühn, Leiterin der Abteilung Hochschulen, Wissenschaft und Forschung beim DGB NRW
  • Ulrike Detjen, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. in der Landschaftsversammlung Rheinland
  • Prof. Dr. Thomas Münch, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf
  • Moderation: Sevim Dagdelen MdB, DIE LINKE. Bochum; Andrej Hunko MdB, DIE LINKE. Aachen
18.30 Uhr Podium und Diskussion: "Was tun gegen Armut im Rheinland?"
  • Pfarrer Franz Meurer, Kath. Gemeinde St. Theodor und St. Elisabeth, Köln
  • Michaela Hofmann, Referentin für Allgemeine Sozialberatung, Armutsfragen, Frauenhäuser und Gewaltschutz, Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V./ Nationale Armutskonferenz
  • Dr. Witich Rossmann, 1. Bevollmächtigter IG Metall Köln- Leverkusen
  • Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e.V.
  • Moderation und Einleitung Matthias W. Birkwald MdB, DIE LINKE. Köln
20.15 Uhr Vortrag "Das muss drin sein – Politik für ein Leben ohne Armut"
  • Dr. Gregor Gysi, MdB
  • Moderation und Schlusswort Dr. Alexander S. Neu MdB, DIE LINKE. Rhein-Sieg-Kreis


Online-Flyer Nr. 564  vom 01.06.2016

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