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Arbeit und Soziales
Finnland testet Grundeinkommen
Finnischer Test
Von Harald Schauff

Es klang zu schön, um wahr zu sein. Gern hätte man es sich als Weihnachtsgeschenk gefallen lassen: Die Meldung in der internationalen Presse, Finnland wolle ein bedingungsloses Grundeinkommen flächendeckend einführen. Auch Focus und FAZ sprangen auf den Zug auf. Alle landeten sie im Ententeich. Richtig ist: Laut Bericht des Neuen Deutschland (9.12.15) hat die bürgerlich-nationalistische Regierung des rechtsliberalen Ministerpräsidenten Juhu Sipilä die Volksrentenanstalt (FPA) mit der Aufgabe betraut, einen ausgedehnten Test zu planen. Anfang 2017 soll das Experiment starten und zwei Jahre laufen. Über seinen genauen Ablauf und die Höhe des ‘Mitbürgereinkommens’ wurde noch nicht entschieden. Die Forscher der Rentenanstalt sollen verschiedene Ansätze und Messmethoden prüfen. Am liebsten hätten sie ein kombiniertes Doppel-Experiment: Zum einen soll ein gesamter Ort mit mind. 10.000 Einwohnern das Grundeinkommen beziehen. Zum anderen möchte man aus den 5,5 Millionen Einwohnern 10.000 Personen im arbeitsfähigen Alter zufällig auswählen und mit einer Kontrollgruppe vergleichen. So könnten die Vorteile unterschiedlicher Messverfahren miteinander verknüpft werden. Genaueres wird erst Ende diesen Jahres bekannt. Dann entscheiden die Politiker, was machbar ist.


"Grundeinkommen ist ein Menschenrecht!" - Demonstration für ein bedingungsloses Grundeinkommen, Berlin, 14.9.2013 (Foto: arbeiterfotografie.com)

Man will vorrangig testen, ob das Grundeinkommen mehr Menschen in den Arbeitsmarkt bringt. Bisher wurden Sozial- und Versicherungsleistungen gekürzt, wenn deren Empfänger zusätzlich Geld durch einen Job verdienten. Finnlands engmaschiger Wohlfahrtsstaat gilt als äußerst kompliziert. Verwaltung und Kontrollmechanismen sind teuer und aufgebläht. Durch ein Grundeinkommen würden Großteile davon überflüssig, was wiederum Ressourcen frei setze. Ein Ansatz betrifft das Prinzip des ‘vollen Grundlohnes’. Dies wäre ein Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe, wie es Grundeinkommensbefürworter seit Jahren fordern. Der Grundlohn müsste deutlich mehr als 800 Euro im Monat betragen, um alle Hilfsleistungen zu ersetzen. Untersuchen will man allerdings auch den ‘partiellen Grundlohn’. Dieser wird mit anderen Leistungen kombiniert und ist fest an Erwerbsarbeit gekoppelt. Ihn erhält nur, wer arbeitet. Dieses Kombi-Grundlohn-Modell wäre kein wirklicher Bruch mit dem bestehenden System.

70 Prozent der Finnen sind grundsätzlich für die Einführung des Grundeinkommens. Derzeit durchläuft Finnland eine seiner heftigsten Wirtschaftskrisen. Mit 10 Prozent verzeichnet man die höchste Arbeitslosenquote seit 15 Jahren.

Der wirtschaftliche Druck macht es also möglich, das Grundeinkommen ernsthaft zu testen. Abzuwarten bleibt, was die Regierung entscheidet, wie der Test konkret vonstatten gehen soll. Mit Abwarten tut sich mancher Grundeinkommensgegner schwer. Hier namentlich Jens Berger von den ‘Nachdenkseiten’ im Internet. Berger mokiert sich nicht nur über die Ente von der angeblichen flächendeckenden Einführung des Grundeinkommens in Finnland. Er hält eine solche Einführung prinzipiell für eine ‘hanebüchene Eselei’. Dann fährt er schwerste Geschütze auf: Verlierer seien Erwerbslose, Rentner, Familien und überhaupt alle, die Wohngeld und staatliche Zuschüsse für Kindergartenplätze erhielten. Alle seien sie schlechter gestellt. Weil viele Familien Zuverdienste benötigten, um die Mehrkosten zu tragen, würde ein neuer Niedriglohnsektor entstehen. Davon hätte nur eine Seite Vorteile: Die Arbeitgeber. Das Grundeinkommen wäre ein ‘Generalangriff’ auf das sehr gute finnische Sozialsystem und der ‘feuchte Traum aller Neoliberalen’. Finnland tue gut daran, das Grundeinkommen erst einmal zu testen und ‘diesen Wahnsinn’ nicht einzuführen.

Und der Herr Berger tut gut daran, sich nicht im vorhinein, wo noch nicht einmal Genaues über die Tests entschieden ist, künstlich aufzuregen und die üblichen Vorbehalte gegen eine neoliberale Grundeinkommens-Variante herunter zu spulen. Einseitig fixiert er sich auf den Betrag von 800 Euro, der eher auf das Konzept des ‘partiellen Grundlohnes’ abzielt. Dies ist jedoch nur ein Ansatz, der zur Debatte steht. Das andere Modell des ‘vollen Grundlohnes’ visiert einen Betrag deutlich über 800 Euro an. Damit würden sich die Einwände Bergers in Luft auflösen. Vielleicht befürchtet er genau das und hofft insgeheim, der volle Grundlohn würde gar nicht erst getestet. Wehe, dieses Modell hätte Erfolg und strafe alle Grundeinkommensgegner Lügen. Warten wir es halt ab.


Kommentar von Harald Schauff

Finnland hat einiges zu bieten. Architektonisch gibt es da so prachtvolle Kirchenbauten wie die Dome zu Helsinki und zu Turku. Beim Wintersport wirbelt man u.a. in den Disziplinen des Langlaufs und Skispringens ordentlich Schnee auf. Auch die Naturlandschaft weiß zu beeindrucken: Durch ausgedehnte Kiefernwälder und Seen mit glasklarem Wasser im Süden. Durch Tundra-Steppen mit Renntierherden im nördlichen Lappland. Weniger erfreulich sind die Schwärme piesackender kleiner Blutsauger. Wobei der Süden hier im Vergleich zum Norden noch als harmlos gilt.

Die Bevölkerungszahl ist mit 5,5 Millionen eher überschaubar. Das eingliedrige Schulsystem belegte beim PISA-Test den Spitzenplatz. Auch das soziale Netz zählt zu den besten der Welt. Allerdings leidet es genau wie andere Sicherungssysteme unter einer übermäßig aufgeblähten Bürokratie. Zudem steckt die finnische Wirtschaft seit mehreren Jahren in einer tiefen Krise. Die Frage stellt sich: Wie diese ankurbeln und zugleich ohne erhöhten Verwaltungsaufwand die soziale Absicherung der Bevölkerung gewährleisten? Schon ist das bedingungslose Grundeinkommen eine Option. Freilich nicht die einzige. Anfang Dezember schwamm die Ente durch die Schlagzeilen, Finnland wolle es flächendeckend einführen. Der ‘Focus’, welcher auf seine ‘Fakten’ schwört und die FAZ, die sich etwas auf ihren klugen Betonkopf einbildet, stimmten in das Geschnatter ein. Grundeinkommens-Gegner nutzten die Gelegenheit, das Grundeinkommen einmal mehr in Bausch und Bogen zu verdammen als neoliberale Kürzungsorgie durch die Hintertür.

Tatsächlich wollen die Finnen es zunächst einmal umfangreich testen. Sowohl in existenzsichernder Form als auch in Verknüpfung mit Lohnarbeit. Näheres entscheidet die Regierung Ende des Jahres. Nach den erfolgreichen Versuchen in Brasilien und Namibia darf man zumindest auch von der nicht-neoliberalen Variante des ‘Mitbürgereinkommens’ positive Effekte erhoffen. Vor allem einen großen Schritt zu auf einen Sozialstaat, der den Namen verdient, weil er ohne Arbeitszwang und bürokratische Gängelung auskommt.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Februar 2016, erschienen.

Online-Flyer Nr. 549  vom 17.02.2016

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