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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Wie Merkel, von der Leyen und die Bundeswehr Flüchtlingen helfen
Kampferprobte Spezialisten
Von Hans Georg

Die Bundesregierung forciert auch im Inland die Militarisierung der Flüchtlingspolitik. Offiziellen Angaben zufolge sind mehr als 6.000 Angehörige der Bundeswehr mit administrativen Aufgaben in Bezug auf nach Deutschland einreisende Migranten befasst. Ihnen obliegt unter anderem die sogenannte erkennungsdienstliche Behandlung der Geflohenen; diese umfasst die Aufnahme der Personalien ebenso wie das Anfertigen von Lichtbildern und die Abnahme von Fingerabdrücken. Zunehmend kommen dabei Soldaten aus Spezial- und Eliteeinheiten der deutschen Streitkräfte zum Einsatz, die bereits an Gewaltoperationen im Ausland beteiligt waren. Dies korrespondiert mit einer Vielzahl gängiger Manöverszenarien, bei denen die "Bewältigung von Flüchtlingsströmen" als integraler Bestandteil des "militärischen Auftrags" firmiert. Regelmäßig wird bei entsprechenden Übungen auch die "zivil-militärische Zusammenarbeit" mit Hilfsorganisationen und Polizeidienststellen trainiert, die jetzt bei der Versorgung und Unterbringung von Migranten zum Tragen kommt. Während die Bundeswehr die von ihr organisierte "Flüchtlingshilfe" ausgiebig zu Propagandazwecken nutzt, steht nach wie vor die Beteiligung deutscher Soldaten an der Abschiebung unerwünschter Ausländer im Raum.

Merkel streichelt weinendes Flüchtlingsmädchen aus Palästina und erscheint so in Dutzenden Medien
NRhZ-Archiv 

Soldaten für Kriegstraumatisierte

Wie die Bundeswehr mitteilt, sind zurzeit mehr als 6.000 ihrer Bediensteten "durchgängig in der Flüchtlingshilfe gebunden". Außerdem habe man durch die Bereitstellung von Kasernengebäuden und die Aufstellung von Containern oder Zelten auf Truppenübungsplätzen "erheblich dazu beigetragen, die bekannte Unterbringungsproblematik in ... Städten und Kommunen abzumildern", heißt es.[1] Erst kürzlich erklärte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die deutschen Streitkräfte wollten auf diese Weise "der Welt die menschliche Seite unseres starken Landes ... zeigen".[2 und 2a] Gleichzeitig ist offenbar die Disziplinierung der aus Bürgerkriegsgebieten und Armutszonen Geflohenen intendiert. So berichten Soldaten des im brandenburgischen Beelitz stationierten Logistikbataillons 172, die unter anderem teils kriegstraumatisierte Flüchtlinge auf verschiedene als "Aufnahmeeinrichtungen" bezeichnete Lager verteilen, die Betroffenen hätten "großen Respekt" vor ihnen.[3] Ähnlich äußerte sich ein Stabsgefreiter des Bataillons Elektronische Kampfführung 911 aus Schleswig-Holstein, der in einem Flüchtlingslager in Lübeck Dienst tut. Seiner Aussage nach reagierten die dort untergebrachten Migranten "sehr ängstlich" auf seinen Anblick, hätten sie doch "in ihrer Heimat sehr schlechte Erfahrungen mit Uniformierten gesammelt".[4] 

Erkennungsdienst

Zu den wichtigsten Aufgaben der in deutschen Flüchtlingslagern eingesetzten Bundeswehrsoldaten zählt die sogenannte Registrierung der Ankommenden. Der Vorgang entspricht dem, was Kriminalisten gemeinhin als "erkennungsdienstliche Behandlung" bezeichnen: Zur Abfrage persönlicher Daten wie Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Sprache und Religion kommt die Anfertigung von Lichtbildern und die Abnahme von Fingerabdrücken. Bei dieser Gelegenheit werden offenbar auch Informationen über die Modalitäten der Flucht des jeweils Betroffenen erhoben. So erklärt ein arabischsprachiger Hauptfeldwebel der deutschen Streitkräfte, der in einer Außenstelle der "Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende" im rheinland-pfälzischen Trier eingesetzt ist, die dort internierten syrischen Flüchtlinge hätten ihm davon berichtet, "wie es so ist auf einem Boot" und "was man für einen Schlepper bezahlen muss".[5] Analog verfährt die deutsche Kriegsmarine im Rahmen der EU-Militäroperation EUNAVFOR MED (European Union Naval Force Mediterranean) im Mittelmeer. In Kooperation mit dem für Auslandsspionage zuständigen Bundesnachrichtendienst (BND) befragen Angehörige der "Feldnachrichtentruppe" systematisch aus Seenot Gerettete über "Aufenthaltsorte und Transitwege" (german-foreign-policy.com berichtete [6]). 

Bearbeiten und entscheiden

Zusätzlich zu den Soldaten, die in sogenannten Aufnahmeeinrichtungen eingesetzt sind, hat die Bundeswehr eigenen Angaben zufolge mehr als 500 ihrer Bediensteten an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgeordnet. Eine entsprechende Anfrage der Behörde, die für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist, datiert bereits aus dem Jahr 2013. Danach sollen Soldaten und Reservisten das BAMF "im Rahmen der Amtshilfe" bei der "Bearbeitung von Asylanträgen" unterstützen. Zu ihren Tätigkeiten zähle das "Überprüfen von Personalien und Dokumenten", das "Fotografieren" und das "Nehmen von Fingerabdrücken im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung" von Flüchtlingen sowie die "Bearbeitung von Folgeanträgen" vormals abgelehnter Asylbewerber, heißt es.[7] Die Bundeswehr ist somit auf allen Ebenen des Asylverfahrens präsent - von der "Registrierung" der Migranten bis zur Entscheidung über die Gewährung eines Bleiberechts oder die Durchführung einer Abschiebung. 

Zivil-militärische Zusammenarbeit

Auch an der Verteilung von Migranten auf Internierungslager im gesamten Bundesgebiet wirkt die Truppe maßgeblich mit. Zuständig hierfür ist die von der deutschen Regierung unter Ägide des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) eingerichtete "Koordinierungsstelle Flüchtlingsverteilung Bund" in der bayerischen Landeshauptstadt München; die Bundeswehr stellt den stellvertretenden Leiter des Gremiums. Die Organisation des flüchtlingspolitischen Militäreinsatzes auf der Ebene der Bundesländer liegt bei den vornehmlich aus Reservisten bestehenden "Landeskommandos" der deutschen Streitkräfte. Sie wurden eigens für die "Amtshilfe" bei "besonders schweren Unglücksfällen" und "inneren Unruhen" geschaffen und sind daher auf die "zivil-militärische Zusammenarbeit" mit Hilfsorganisationen und Polizeibehörden spezialisiert (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Diese Fähigkeit kann die Bundeswehr nun weiter ausbauen - und trägt damit gleichzeitig zur Inszenierung eines durch eine vermeintliche "Flüchtlingskrise" verursachten "nationalen Notstands" bei. 

Knackige Erfahrungen

Unter den mit der Exekution der deutschen Flüchtlingspolitik befassten Militärs finden sich zahlreiche Angehörige von Spezial- und Eliteeinheiten. Sie entstammen zumeist der "Division Schnelle Kräfte" (DSK), zu der auch das in illegale Tötungen in Afghanistan involvierte "Kommando Spezialkräfte" zählt. Der Bundeswehr zufolge sind Soldaten des DSK unter anderem als "mobiles Registrierungsteam" zur Unterstützung der Bundespolizei "an unterschiedliche(n) Orte(n) in Bayern" eingesetzt.[9] Dies korrespondiert mit aktuellen Manöverszenarien, bei denen klassische Aktionen des DSK wie die Bekämpfung von Aufständischen und die Durchführung von Operationen hinter den feindlichen Linien mit der "Bewältigung" von "Massenvertreibungen" und "Flüchtlingsströmen" in einem Interventionsgebiet kombiniert werden. Passend dazu wird bei entsprechenden Übungen stets die "zivil-militärische Zusammenarbeit" mit Hilfsorganisationen und einheimischen Repressionskräften trainiert (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Folgerichtig wurden etliche "einsatzerfahrene" Militärs mit migrationspolitischen Aufgaben betraut. So berichtet etwa ein Sanitätsobergefreiter, der in einer Notunterkunft für Flüchtlinge im hessischen Wetzlar Dienst tut, er habe nicht nur in Afghanistan gekämpft, sondern sich während der sogenannten Majdan-Proteste auch an der "Evakuierung" verletzter Demonstranten aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew beteiligt: "Das war eine knackige Erfahrung, und ich habe gesehen, was die Bundeswehr leisten kann."[11] 

Drehkreuz für Abschiebungen

Nach wie vor diskutiert werden zudem mögliche "Unterstützungsleistungen" der Bundeswehr im Rahmen des sogenannten Rückkehrmanagements. So will etwa das baden-württembergische Innenministerium nach eigenem Bekunden verstärkt auf den "ärztlichen Dienst" der Truppe zurückgreifen, um eine "raschere Beurteilung der Reisefähigkeit" von zur Abschiebung ausgeschriebenen Flüchtlingen zu erreichen.[12] Erst Ende Oktober dieses Jahres beriet das Bundeskabinett über die direkte Beteiligung der deutschen Streitkräfte an Abschiebungen; es sei "grundsätzlich denkbar" zu diesem Zweck auch Militärflugzeuge vom Typ "Transall" einzusetzen, erklärte Verteidigungsministerin von der Leyen.[13] Unterdessen plant das Land Thüringen Presseberichten zufolge, wahlweise am Flughafen Erfurt-Weimar oder am Flugplatz Altenburg-Nobitz ein "Drehkreuz für Abschiebungen" einzurichten. Hier könne die Bundeswehr "auch Transall-Maschinen starten und landen lassen", heißt es.[14] (PK)

Mehr zum Thema: Abschreckende Wirkung (I), Abschreckende Wirkung (II) und Abschreckende Wirkung (III)

[1], [2] Überblick: Flüchtlingshilfe der Bundeswehr in Deutschland. www.bundeswehr.de 16.11.2015.
[2a] http://www.bundeswehr.de/contentDownload/download/1442230621677Y0BXpGvjq4OfyChOI5jVOX0CdacCTpzQc1ekJFxBwD3t6h1JGL2/Statement_an_die_Soldaten_Fluechtlingshilfe.mp4
[3] Brandenburgs "Helfende Hände". www.kommando.streitkraeftebasis.de 10.11.2015.
[4] "Dankbarkeit ist ein ganz besonderes Gefühl". www.streitkraeftebasis.de 10.11.2015.
[5] Marhaba - Willkommen! www.streitkraeftebasis.de 04.11.2015.
[6] Siehe dazu Krieg gegen Flüchtlinge (III).
[7] Zitiert nach: Soldaten sollen bei Bearbeitung von Asylanträgen helfen. augengeradeaus.net 04.12.2013. Siehe auch: Bundeswehr schickt Soldaten in die Asyl-Ämter. augengeradeaus.net 05.12.2013.
[8] Siehe dazu Zeitgemäß, ansprechend, emotional.
[9] Die "Helfenden Hände" der Division Schnelle Kräfte. www.bundeswehr.de 22.10.2015.
[10] Siehe dazu Botschaft an die Weltöffentlichkeit und Weltweit einzigartig.
[11] Von der Notfallbehandlung bis zur Seelsorge. www.sanitaetsdienst-bundeswehr.de 19.10.2015.
[12] Abschiebung: Freiwilligkeit vor Zwang. www.swp.de 03.11.2015.
[13] Abschiebung mit der Bundeswehr? www.tagesschau.de 21.10.2015.
[14] So will Thüringen Flüchtlinge schneller abschieben. www.n24.de 02.11.2015. 

Diesen Artikel haben wir bis auf den Link zur Verteidigungsministerin unter [2a] und das Foto mit Angela Merkel mit Dank von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59256 übernommen.

 



Online-Flyer Nr. 538  vom 25.11.2015

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