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Globales
James Risen (NYT) über die »neuen Oligarchen« im »Krieg gegen den Terror«
Krieg macht reich
Von Rüdiger Göbel

Nach ganzen zwölf Jahren hat sich der frühere britische Regierungschef Anthony Blair erstmals für »Fehler« im Irak-Krieg entschuldigt. »Ich bitte für die Tatsache um Verzeihung, dass die Geheimdienstinformationen, die wir bekommen haben, falsch waren«, erklärte der ehemalige Labour-Vorsitzende dem US-Nachrichtensender CNN in einem am 25. Oktober veröffentlichten Interview. »Ich bitte auch um Verzeihung für einige der Planungsfehler und, natürlich, unseren Irrtum in unserer Auffassung dessen, was passieren würde, wenn man das Regime beseitigt.« Tatsächlich war der von den USA angeführte Feldzug 2003 mit falschen Behauptungen – Bagdad besitze Massenvernichtungswaffen und sei ein Förderer des internationalen Terrorismus – begonnen und versucht worden zu rechtfertigen. Es waren wohl kalkulierte Lügen, die von der damaligen US-Regierung unter Führung von Präsident George W. Bush und seinem Helfer in 10 Downing Street verbreitet worden waren. Der Krieg war längst beschlossen, als gefällige Geheimdienstdossiers erstellt wurden. 

 


Präsident George W. Bush
   NRhZ-Archiv 

 

Auf die Frage von CNN-Moderator Fareed Zakaria, ob Invasion und Besatzung im Irak der Hauptgrund für das Erstarken der Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) gewesen seien, räumte Blair ein: »Ich denke, das ist in Teilen wahr.« Man könne nicht sagen, dass diejenigen, die vor zwölf Jahren Diktator Saddam Hussein gestürzt hätten, keine Verantwortung für die Lage im Jahr 2015 trügen. Die Entscheidung für den Krieg sei gleichwohl richtig gewesen, so der Londoner Lügner. 

Hunderttausende Iraker haben die »Fehler« von Bush und Blair mit ihrem Leben bezahlt. Den beiden Protagonisten haben sie Millionen US-Dollar und britische Pfund auf die Konten gespült. Im Juni 2007 war Blair von seinem Amt als Premierminister zurückgetreten, vier Monate später wurde bekannt, dass der Brite neun Millionen US-Dollar Vorschuss für seine Memoiren (»Mein Weg«) erhalten wird. Hinzu kommen Millionengehälter für »Beratertätigkeiten« für die US-Investmentbank JP Morgan und im Nahen Osten. Statt wegen der Kriegsverbrechen im Irak auf der Anklagebank des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zu landen, gehört Blair weiter zur Politschickeria des Westens. Genauso wie der Texaner George W. Bush, der nach Ende seiner Amtszeit mit Memoiren und Redeauftritten ebenfalls Millionenhonorare im zweistelligen Bereich eingenommen hat. 

Anthony Blair
NRhZ-Archiv

»Peanuts« eigentlich im Vergleich zu den Milliardengeschäften, die im Rahmen des globalen Kriegs gegen den Terror gemacht werden. In »Krieg um jeden Preis« zeigt James Risen, wer die Strippenzieher und Gewinner sind. Es sind schier unglaubliche Geschichten, die der zweifache Pulitzer-Preisträger zu einem wahren Wirtschafskrimi und Politthriller zusammengetragen hat. Risen arbeitet als investigativer Journalist bei der renommierten New York Times und ist Autor des Bestsellers »State of War« über »die geheime Geschichte der CIA«. In seinem neuen Buch zeigt er auf, wie die US-Regierung unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung seit »9/11« einen endlosen Krieg führt, der in keinem Verhältnis mehr zur tatsächlichen Bedrohung durch Al-Qaida und Co. steht. Eine fest etablierte »nationale Sicherheitselite« rotiert zwischen hohen Posten im Staatsapparat, in Auftragsfirmen, Thinktanks und TV-Studios – Paul Wolfowitz etwa, oder Colin Powell, David Petraeus oder Eric Holder (siehe jW vom 28. Oktober). 

Risen schildert gleich im ersten Kapitel den »wohl größten Raub der modernen Geschichte«. Nach dem Sturz Saddam Husseins und dem totalen Zusammenbruch im Irak 2003 hat das Besatzungsregime zwischen zwölf und 14 Milliarden Dollar, meist in 100-Dollar-Scheinen, von einem Ableger der US-Notenbank in New York nach Bagdad geflogen. Weitere 5,8 Milliarden Dollar wurden elektronisch in die irakische Hauptstadt transferiert. »Alles in allem wurden annähernd 20 Milliarden Dollar in den Irak geschickt, ohne klare Anweisungen oder Richtlinien, wie das Geld verwendet werden sollte«, schreibt Risen. »Die Kontrolle des Geldes war so lax, dass nur wenige verlässliche Belege darüber existieren, wie viel Bargeld es genau war und wohin es gelangte, nachdem es in Bagdad eingetroffen war. Beinahe sicher landete ein Teil davon in den Händen einiger der mächtigsten irakischen Führer der Nach-Saddam-Ära. Milliarden von Dollar wurden vergeudet. Weitere Milliarden lösten sich schlicht in Luft auf.« 

Rund zwei Milliarden Dollar sind Risens Recherchen zufolge in den Libanon geschafft worden, wo sie bis heute versteckt werden. »CIA und FBI, das Pentagon und das US-Außenministerium wurden von dem Diebstahl unterrichtet, sie erhielten Hinweise auf den Bunker im Libanon und andere Orte, wo das Geld verborgen sein soll«, schreibt Risen unter Berufung auf frühere US-Offizielle. »Trotzdem haben die US-Behörden nichts getan, um sich das Geld zurückzuholen. Niemand hat sich auf seine Spur gemacht, weder unter der Regierung Bush noch unter Obama. Statt dessen wurde über die ganze Angelegenheit der Schleier der Geheimhaltung gelegt.« Auch die – von Washington gestützte – irakische Regierung von Premierminister Nuri Al-Maliki habe Hinweise auf Verstecke des Geldes erhalten. Auch sie habe nichts zur Wiederbeschaffung unternommen. 

Der Grund der Vertuschung liegt auf der Hand: Bei einer Aufklärung würden die katastrophalen Zustände in der Besatzungsära unter US-Statthalter Paul Bremer zu Tage gefördert und wohl wichtige Verbündete der USA im Irak als Meisterdiebe überführt werden. Laut Risen liegt praktisch keine Buchführung vor, wohin seinerzeit die Gelder geflossen sind – die von eingefrorenen irakischen Öl-Konten in den USA genommen wurden, also eigentlich dem irakischen Volk gehören. Klar ist: Private Sicherheitsdienstleister wie Blackwater, später: Xe bzw. Academi, oder Hamilton haben Milliardengeschäfte gemacht. 

Der Bargeldbunker im Libanon sei, schreibt Risen, ein »treffendes Sinnbild für die Exzesse des amerikanischen Kriegs gegen den Terror«. Und weiter: »Zweifellos ist er ein passenderes Symbol des amerikanischen Abenteuers im Nahen Osten als jenes halbvergessene Standbild Saddam Husseins auf dem Firdos-Platz von Bagdad, das im April 2003 nach dem Fall der Stadt vom Sockel gestürzt wurde.« 

Die anderen Beispiele sind nicht weniger hanebüchen und zum Haareraufen: Da ist etwa Dennis Montgomery, »ein Mann, der wusste, wie man am besten von Amerikas Dekade der Angst profitiert«, so Risen. Der »Meister des Trickbetrugs« hatte der US-Regierung von George W. Bush eine »Schwindeltechnologie« angedreht. Seine Software sollte die Objekterkennung, nutzbar etwa in der Drohnenkriegsführung, revolutionieren. Nichts davon stimmte, außer, dass Hunderte Millionen Dollar dafür geflossen sind. Auch die Blue-Brüder gehören zu den »Oligarchen des Krieges gegen den Terror«. Im Gegensatz von Erik Prince (Blackwater) und anderen schillernden Gestalten der Söldnerfirmen verhalten sie sich still und denken »schlicht ans Geldverdienen«. Sie sind, schreibt Risen, »die Nutznießer einer der größten Vermögensumverteilungen von öffentlichen in private Hände in der amerikanischen Geschichte. Die reichsten Amerikaner entdeckten, dass die cleverste Art, Geld zu machen, darin bestand, Zugang zum nationalen Sicherheitsapparat Washingtons zu bekommen.« Sie alle haben ganz persönlich ein Interesse daran, dass der Billionen Dollar verschlingende »Krieg gegen den Terror« entgrenzt und endlos bleibt. James Risen muss sich derweil auf Betreiben des US-Justizministeriums wegen »unbefugter Enthüllung geheimer Informationen« mit Gerichten herumschlagen. (PK)

 

Diesen Artikel von Rüdiger Göbel haben wir mit Dank von der Beilage "Politisches Buch" der jW vom 30.10.2015 übernommen: http://www.jungewelt.de/beilage/art/274238



Online-Flyer Nr. 535  vom 04.11.2015

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